Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.10.2020, RV/6100092/2019

NoVA-Bemessungsgrundlage bei grenzüberschreitender Vermietung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Maria-Luise Wohlmayr über die Beschwerden der Bf., ***Bf1-Adr*** vertreten durch CERHA HEMPEL Rechtsanwälte GmbH, Parkring 2, 1010 Wien, vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Salzburg - Stadt, Aigner Straße 10, 5020 Salzburg, über die Festsetzung der Normverbrauchsabgabe für
September 2017 und Oktober 2017 (Bescheide vom )
November 2017 und Dezember 2017 (Bescheide vom )
Jänner 2018 und März bis Juli 2018 (Bescheide vom )

zu Recht erkannt:

Den Beschwerden wird Folge gegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden gemäß § 279 Abs 1 BAO ersatzlos aufgehoben.

Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) eine Revision nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

A. Verfahrensgang und Sachverhalt

A/1. Die Beschwerdeführerin (kurz: Bf.) ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit dem Sitz in Deutschland und einer Betriebsstätte in Österreich. Sie ist Teil eines Konzerns, zu dem auch die ***1*** GmbH (kurz: X GmbH) gehört, ebenfalls eine Gesellschaft mit Sitz in Deutschland.

X GmbH erwarb von der Volkswagen AG in Deutschland Kraftfahrzeuge. Diese Kraftfahrzeuge (PKWs) stellte X GmbH der Bf. als Mietfahrzeuge in Österreich zur Verfügung. Darüber schloss X GmbH mit der Bf. einen Rahmen-Mietvertrag für Österreich über die Miete von Dienstfahrzeugen innerhalb der Y Gruppe ab.

Die Bf. ließ die Fahrzeuge für sich in Österreich zum Verkehr zu. Sie nutzte die Kraftfahrzeuge im Schnitt etwa 18 Monate lang und stellte sie danach wieder an X GmbH in Deutschland zurück. X GmbH verkaufte die Kraftfahrzeuge nach der Rückführung an eine deutsche Auktionsplattform.

A/2. Die Bf. erstattete für jedes der Normverbrauchsabgabe unterliegende Kraftfahrzeug Selbstberechnungen gemäß § 201 Abs 1 BAO an das zuständige Finanzamt. Als Bemessungsgrundlage für die Berechnung der NoVA zog die Bf. den Preis heran, zu dem die Volkswagen AG die Fahrzeuge an X GmbH verkaufte (d.h. Listenpreis unter Abzug des gewährten Rabattes). Volkswagen AG gewährte der X GmbH Rabatte in Höhe von bis zu 44% auf den Listenpreis.

Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die Normverbrauchsabgabe von einer unrichtigen Bemessungsgrundlage berechnet wurde. Es erließ daher die im Spruch angeführten Bescheide (insgesamt 10 Bescheide), in denen es die Normverbrauchsabgabe monatsweise zusammengefasst festsetzte. Als Begründung führte das Finanzamt aus, dass sich die Verpflichtung zur Entrichtung der NoVA aus § 1 Z 3 NoVAG, der erstmaligen Zulassung eines Kraftfahrzeuges zum Verkehr im Inland, ergebe. In diesem Fall sei die relevante Bemessungsgrundlage für die Ermittlung der NoVA der ohne Umsatzsteuer ermittelte gemeine Wert. Nach § 10 BewG werde der gemeine Wert allgemein durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Der Händlerverkaufspreis für die X GmbH als Erwerber stelle keine zulässige Größe im Sinne dieser Norm dar. Als Bemessungsgrundlage sei vielmehr der Nettowert laut Verkaufsliste für Endkunden abzüglich eines branchenüblichen Nachlasses anzusetzen.

A/3. In den gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerden brachte die Bf. vor, dass die NoVA vom Händlerverkaufspreis und nicht vom höheren gemeinen Wert zu berechnen sei. Eine Heranziehung des höheren gemeinen Wertes stelle unter anderem einen Verstoß gegen das abgabenrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 110 AEUV dar.

Das Finanzamt wies die Beschwerden mit Beschwerdevorentscheidungen vom als unbegründet ab.

Mit Vorlageantrag vom beantragte die Bf. die Beschwerden dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen sowie über die Beschwerden durch den ganzen Senat nach Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. Im Vorlageantrag legte die Bf. ausführlich dar, dass ihrer Meinung nach die Rechtsauffassung des Finanzamtes sowohl der nationalen Rechtslage widerspreche als auch unionsrechtliche Vorgaben verletze. Insbesondere würden die angefochtenen Bescheide gegen die Dienstleistungsfreiheit und gegen das abgabenrechtliche Diskriminierungsverbot verstoßen. Die Bf. berufe sich auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts.

A/4. Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt die Beschwerden dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Mit Schriftsatz vom zog die Bf. die Anträge auf Entscheidung über die Beschwerden durch den gesamten Senat und die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zurück.

B. Rechtsgrundlagen und rechtliche Würdigung

B/1. § 201 Abs 1 BAO lautet:
Ordnen die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen an oder gestatten sie dies, so kann nach Maßgabe des Abs 2 und muss nach Maßgabe des Abs 3 auf Antrag des Abgabepflichtigen oder von Amts wegen eine erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfolgen, wenn der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, keinen selbst berechneten Betrag der Abgabenbehörde bekannt gibt oder wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist.

Eine Festsetzung von Amts wegen kann innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages erfolgen (Abs 2 Z 1 leg.cit.).

Selbstbemessungsabgaben sind Abgaben, bei denen der Abgabenschuldner (Eigenschuldner) oder der Abfuhrpflichtige (Haftungspflichtige) die Abgaben selbst zu berechnen und zu entrichten hat, ohne vorherige abgabenbehördliche Tätigkeiten (zB bescheidmäßige Festsetzungen) abwarten zu dürfen.

Die Erhebung der Normverbrauchsabgabe gemäß § 11 NoVAG ist eine Selbstbemessungsabgabe (siehe Ritz, Bao6, § 201 Tz 1 und 4). Hier hat der Abgabenschuldner eine Anmeldung beim zuständigen Finanzamt einzureichen, in der er den zu entrichtenden Betrag selbst zu berechnen hat. Die Abgabe hat er spätestens am Fälligkeitstag zu entrichten. Kommt er seiner Verpflichtung nicht oder unzureichend nach, regelt § 201 BAO die erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid.

Die erstmalige Festsetzung nach § 201 Abs 2 Z 1 BAO entspricht bei Veranlagungsbescheiden der Aufhebung gemäß § 299 BAO (Ritz, aaO, § 201 Tz 3). Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ist im Beschwerdeverfahren lediglich zu beurteilen, ob die vom Finanzamt angeführten Gründe eine Aufhebung rechtfertigen. Die Sache, über die in der Beschwerde gegen einen Aufhebungsbescheid zu entscheiden ist, wird sohin durch das Finanzamt im Rahmen der Erlassung des Aufhebungsbescheides festgelegt (). Im Beschwerdeverfahren darf kein anderer (neuer) Aufhebungsgrund herangezogen werden (; , 2012/13/0116).

B/2. Gemäß § 1 Z 3 NoVAG unterliegt die erstmalige Zulassung von Kraftfahrzeugen zum Verkehr im Inland der Normverbrauchsabgabe, sofern die Steuerpflicht nicht bereits nach Z 1 oder Z 2 eingetreten ist oder nach Eintreten der Steuerpflicht eine Vergütung nach § 12 oder § 12a erfolgt ist.

Gemäß § 5 NoVAG gilt für die Bemessungsgrundlage der NoVA:
"Z 1: Die Abgabe ist in den Fällen der Lieferung (§ 1 Z 1 und 4) und in den Fällen des innergemeinschaftlichen Erwerbes (§ 1 Z 2) nach dem Entgelt im Sinne des § 4 UStG 1994
zu bemessen.
Z 2: Die Abgabe ist in allen anderen Fällen (§ 1 Z 3 und Z 4) nach dem ohne Umsatzsteuer-komponente ermittelten gemeinen Wert des Kraftfahrzeuges zu bemessen. Wird das Fahrzeug im übrigen Gemeinschaftsgebiet bei einem befugten Fahrzeughändler erworben, dann gilt der Anschaffungspreis als gemeiner Wert…"

Art 56 AEUV bestimmt:

"Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten."

Art 110 AEUV lautet:

"Die Mitgliedstaaten erheben auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten weder unmittelbar noch mittelbar höhere inländische Abgaben gleich welcher Art, als gleichartige inländische Waren unmittelbar oder mittelbar zu tragen haben.

Die Mitgliedstaaten erheben auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten keine inländischen Abgaben, die geeignet sind, andere Produktionen mittelbar zu schützen. "

B/3. Die Bemessungsgrundlagen der NoVA richten sich gemäß § 5 NoVAG nach dem verwirklichten Abgabentatbestand. Das NoVAG nennt folgende Abgabentatbestände:

- Lieferung gemäß § 1 Z 1 NoVAG;

- innergemeinschaftlicher Erwerb ("ig Erwerb") gemäß § 1 Z 2 NoVAG; und

- erstmalige Zulassung zum Verkehr im Inland gemäß § 1 Z 3 NoVAG.

Im Falle der Lieferung und des ig Erwerbs (§ 1 Z 1 und Z 2 NoVAG) stellt das Entgelt im Sinne des § 4 UStG 1994 die relevante Bemessungsgrundlage für die NoVA dar (§ 5 Abs 1 NoVAG).

Im Falle der erstmaligen Zulassung zum Verkehr im Inland (§ 1 Z 3 NoVAG) stellt grundsätzlich der ohne Umsatzsteuerkomponente ermittelte gemeine Wert des Kraftfahrzeuges die Bemessungsgrundlage der NoVA dar (§ 5 Abs 2 erster Satz NoVAG).

Wird das Kraftfahrzeug im übrigen Gemeinschaftsgebiet von einem befugten Fahrzeughändler erworben, gilt nach der gesetzlichen Fiktion des § 5 Abs 2 zweiter Satz NoVAG der Anschaffungspreis als gemeiner Wert.

Somit differenziert der Gesetzgeber zwischen Erwerben von Fahrzeugen im übrigen Gemeinschaftsgebiet bei einem befugten Fahrzeughändler und Erwerben, bei denen diese Voraussetzung nicht erfüllt ist. Die Regelung des § 5 Abs 2 zweiter Satz NoVAG hat folgenden Hintergrund:

Ursprünglich war in § 5 Abs 2 NoVAG nur ein Abstellen auf den ohne Umsatzsteuerkomponenten ermittelten gemeinen Wert des Kraftfahrzeuges vorgesehen.

Dies hatte zur Folge, dass bei Lieferungen durch inländische Fahrzeughändler gemäß § 5 Abs 1 NoVAG das Entgelt die Bemessungsgrundlage für die NoVA darstellte, während bei Eigenimporten von Fahrzeugen aus dem Ausland (§ 5 Abs 2 NoVAG) die NoVA vom gemeinen Wert des Fahrzeuges bemessen wurde.

Die EU-Kommission sah in dieser unterschiedlichen Behandlung von In- und Auslandserwerben eine steuerliche Diskriminierung von Importen aus dem EU-Ausland und leitete daraufhin ein Mahnverfahren ein.

Mit dem Budgetbegleitgesetz 2001 (BGBl I 2000/142) wurde daher § 5 Abs 2 NoVAG um einen zweiten Satz ergänzt, welcher bestimmte, dass beim Erwerb eines Kraftfahrzeuges von einem befugten Fahrzeughändler im übrigen Gemeinschaftsgebiet der Anschaffungspreis als gemeiner Wert gelte. Dadurch wird in diesem Fall das Entgelt im Sinne des § 4 UStG Bemessungsgrundlage der NoVA (Haller, NoVAG [2017] § 5 Rz 19 ff).

Mit der Regelung des § 5 Abs 2 zweiter Satz NoVAG sollte eine Gleichstellung von in- und ausländischen Kraftfahrzeugerwerben erreicht werden (ErlRV 331 BlgNR 21. GP, 180).

Durch diese Anpassung wurde erreicht, dass die Bemessungsgrundlage der NoVA in den Fällen der Lieferung (§ 1 Z 1 NoVAG) und des innergemeinschaftlichen Erwerbs (§ 1 Z 2 NoVAG) sowie der erstmaligen Zulassung nach Erwerb des Kraftfahrzeuges von einem befugten Fahrzeughändler im übrigen Gemeinschaftsgebiet (§ 1 Z 3 NoVAG) das Entgelt im Sinne des § 4 UStG darstellt (siehe Haller, aaO, § 5 RZ 21).

B/4. Im vorliegenden Fall wurden die Fahrzeuge durch den deutschen Hersteller an die deutsche X GmbH verkauft und der Bf. in Österreich als Mietfahrzeuge zur Verfügung gestellt. Da die Verfügungsmacht nicht an die Bf. übertragen wurde, liegen weder Lieferungen noch innergemeinschaftliche Erwerbe vor. Vielmehr besteht Einigkeit darüber, dass der Tatbestand der erstmaligen Zulassung der Kraftfahrzeuge im Inland gemäß § 1 Z 3 lit a NoVAG verwirklicht wurde.

Abgabenschuldner ist im Falle der erstmaligen Zulassung derjenige, für den das Kraftfahrzeug zugelassen wird. Da die Kraftfahrzeuge in Österreich auf die Bf. zugelassen wurden, ist die Bf. Abgabenschuldnerin im Sinne des § 4 Z 2 NoVAG.

Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts erfüllt dieser Sachverhalt die Voraussetzungen des § 5 Abs 2 2. Satz NoVAG. Die streitgegenständlichen Fahrzeuge wurden im übrigen Gemeinschaftsgebiet bei einem befugten Fahrzeughändler erworben. Der Gesetzesbestimmung ist nicht zu entnehmen, dass die Anwendung des Anschaffungspreises als Bemessungsgrundlage nur auf Erwerbe direkt durch den Abgabenschuldner beschränkt wäre.

Die Vorgangsweise des Finanzamtes unterstellt, dass der Anschaffungspreis (nur) dann als gemeiner Wert gilt, wenn derjenige, für den das Kraftfahrzeug zugelassen wird, das Fahrzeug im übrigen Gemeinschaftsgebiet von einem befugten Fahrzeughändler erworben hat. Diese Auffassung ist jedoch durch den Gesetzeswortlaut nicht gedeckt, sodass bereits nach nationalem Recht im gegenständlichen Fall bei der Bemessung der NoVA auf den Anschaffungspreis abzustellen ist.

B/5. Gegen die Vorgangsweise des Finanzamtes sprechen aber auch erhebliche unionsrechtliche Bedenken.

Der Zweck der Bestimmung des § 5 Abs 2 zweiter Satz NoVAG war die Gleichstellung zwischen in- und ausländischen Kraftfahrzeugerwerben. Im vorliegenden Fall liegt kein Erwerb, sondern eine grenzüberschreitende Nutzungsüberlassung über ein Kraftfahrzeug vor. Was für die Gleichstellung von in- und ausländischen Kraftfahrzeugerwerben gilt, muss auch für die Gleichstellung von in- und ausländischen Nutzungsüberlassungen gelten.

Die Vorschriften des NoVAG dürfen nicht dazu führen, dass die Anmietung von Kraftfahrzeugen bei einem Vermieter in einem anderen Mitgliedstaat ungünstiger behandelt wird als die Anmietung bei einem inländischen Vermieter.

Erwirbt ein österreichischer Vermieter ein Kraftfahrzeug von einem deutschen oder österreichischen Händler mit einem Rabatt von 40% auf den Händlerverkaufspreis

und vermietet es an einen österreichischen Mieter, so wird die NoVA vom Entgelt (60%

des Händlerverkaufspreises) bemessen (§ 5 Abs 1 NoVAG), weil die Lieferung bzw. der

innergemeinschaftliche Erwerb (§ 1 Z 1 und 2 NoVAG) den Tatbestand darstellt. Abgabenschuldner ist im Fall der Lieferung durch einen österreichischen Händler der österreichische Händler, im Fall des innergemeinschaftlichen Erwerbs durch den österreichischen Vermieter der Vermieter als Erwerber (§ 4 Z 1 und 1a NoVAG).

Erwirbt ein deutscher Vermieter ein Kraftfahrzeug mit einem Rabatt von 40% auf den

Händlerverkaufspreis von einem deutschen Händler und vermietet es an einen österreichischen Mieter, so wird die NoVA nach Ansicht des Finanzamtes

vom gemeinen Wert des Kraftfahrzeuges (80%-100% des Händlerverkaufspreises) bemessen (§ 5 Abs 2 erster Satz NoVAG), da die Zulassung zum Verkehr im Inland (§ 1 Z 3 NoVAG) den Tatbestand darstellt. Abgabenschuldner ist derjenige, auf den das Kraftfahrzeug zugelassen wird (§ 4 Z 2 NoVAG).

Nach Ansicht der Bf. verstoßen die angefochtenen Bescheide gegen die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art 56 AEUV sowie gegen das abgabenrechtliche Diskriminierungsverbot gemäß Art 110 AEUV, indem sie § 5 Abs 2 NoVAG einen Inhalt unterstellen, der eine Anmietung bei einem deutschen Vermieter abgabenrechtlich gegenüber der Anmietung bei einem österreichischen Vermieter benachteiligt.

Das Bundesfinanzgericht teilt diese Bedenken der Beschwerdeführerin.

B/6. Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art 56 AEUV)

B/6.1. Anwendungsbereich

Aufgrund der grenzüberschreitenden Vermietung der in Deutschland gekauften Kraftfahrzeuge ist der räumliche Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit eröffnet.

Die Vermietung stellt eine Dienstleistung im Sinne des Art 56 AEUV dar (vgl. , Cura Anlagen GmbH Rz 18). Der sachliche Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit ist daher ebenfalls eröffnet.

Nach Art 56 AEUV sind sowohl der Erbringer der Dienstleistung (aktive Dienstleistungsfreiheit) als auch der Empfänger der Dienstleistung (passive Dienstleistungsfreiheit) Berechtigte der Dienstleistungsfreiheit (Jaeger, Materielles Europarecht (2017), S. 171).

B/6.2. Vorliegen einer Beschränkung

Art 56 AUEV umfasst auch die Aufhebung aller Beschränkungen - selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende sowie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (, Kommission/Deutschland, Rz 63).

Die Dienstleistungsfreiheit schließt die Anwendung einer nationalen Regelung aus, die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten gegenüber der Erbringung von Dienstleistungen allein innerhalb eines Mitgliedstaates erschwert (.3, Kommission/Frankreich Rz 17).

Wie dargestellt führt die Regelungssystematik des NoVAG, wie das Finanzamt sie versteht, dazu, dass bei der Miete eines Kraftfahrzeuges von einem deutschen Vermieter die NoVA vom (höheren) gemeinen Wert zu bemessen ist, während bei der Miete von einem österreichischen Vermieter die NoVA vom (niedrigeren) Entgelt im Sinne des § 4 UStG bemessen wird.

Diese abgabenrechtliche Schlechterstellung macht es für Mieter (der im Fall der erstmaligen Zulassung im Inland zum Abgabenschuldner der NoVA wird) weniger interessant, Kraftfahrzeuge von einem ausländischen Vermieter zu mieten als von einem inländischen Vermieter und beeinträchtigt daher die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art 56 AEUV.

Da bei der grenzüberschreitenden Vermietung, wenn es zu keiner Übertragung der Verfügungsmacht kommt, immer der Abgabentatbestand der erstmaligen Zulassung zum Verkehr im Inland gemäß § 1 Z 3 NoVAG erfüllt ist und in der Folge der gemeine Wert als Bemessungsgrundlage der NoVA herangezogen wird, trifft die Schlechterstellung hinsichtlich der Bemessungsgrundlage immer die Dienstleistung des ausländischen Vermieters aufgrund ihrer Herkunft aus dem Ausland.

Es handelt sich daher um eine produktbezogene offene Diskriminierung von grenzüberschreitenden Vermietungsdienstleistungen.

B/6.3. Mangelnde Rechtfertigung

Die vorliegende Beschränkung der Heranziehung einer höheren Bemessungsgrundlage, wenn eine Dienstleistung aus dem Ausland bezogen wird, kann nicht durch ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel gerechtfertigt werden.

Mit der Erhebung der NoVA werden im Allgemeininteresse liegende Ziele wie der Umweltschutz (z.B. Vermeidung von Luftverschmutzung) verfolgt. Zu prüfen bleibt aber, ob das österreichische System der Zulassungssteuer, das die Bemessung der NoVA bei inländischen Vermietungen vom Entgelt und bei grenzüberschreitenden Vermietungen vom gemeinen Wert vorsieht, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt.

Die Verpflichtung zur Bemessung der NoVA vom gemeinen Wert geht über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels des Umweltschutzes erforderlich ist: Wird ein Kraftfahrzeug mit einem bestimmten Kohlendioxid-Emissionswert in Österreich von einem österreichischen Vermieter gemietet, bemisst sich die NoVA vom Entgelt nach § 4 UStG. Wird dasselbe Kraftfahrzeug mit demselben Kohlendioxid-Emissionswert von einem deutschen Vermieter gemietet, bemisst sich die NoVA vom gemeinen Wert. Es ist nicht ersichtlich, warum für dasselbe Fahrzeug mit denselben Emissionswerten die NoVA anhand zweier unterschiedlicher Bemessungsgrundlagen festgesetzt wird.

Die von der Bemessungsgrundlage des gemeinen Werts festgesetzte NoVA beschränkt daher die Dienstleistungsfreiheit und kann nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden.

B/7. Verstoß gegen das abgabenrechtliche Diskriminierungsverbot (Art 110 AEUV)

Gemäß Art 110 Abs 1 AEUV ist es den Mitgliedstaaten untersagt, auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar höhere inländische Abgaben zu erheben als auf inländische gleichwertige Waren. Art 110 Abs 1 AEUV stellt daher ein abgabenrechtliches Diskriminierungsverbot im Hinblick auf die Erhebung von indirekten Steuern auf Waren (va Umsatzsteuer und diverse Verbrauchsteuern) dar (Jaeger, Materielles Europarecht (2017), Seite 49 ff).

Die grenzüberschreitend gehandelte Ware muss über die Grenze zwischen zwei Mitgliedstaaten verbracht worden sein. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift umfasst auch die Benutzung importierter Waren in Form des Leasing bzw. der Vermietung (Waldhoff in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art 110 Rz 9; Seiler in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (2016), Art 110 AEUV Rz 26).

Ein Verstoß gegen Art 110 AEUV liegt stets vor, wenn ein eingeführtes Produkt offen und erkennbar einer höheren Abgabenbelastung unterworfen wird als ein einheimisches. Dies kann durch den Steuersatz als solchen, eine anders definierte Bemessungsgrundlage oder eine unterschiedliche Berechnung der Abgabenlast geschehen.

Eine unzulässige Diskriminierung kann auch gegeben sein, wenn zwar nicht ausdrücklich nach der Herkunft der Erzeugnisse unterschieden wird, aber eine warenbezogene Abgabenregelung doch inhaltlich so gefasst ist, dass inländische Produkte mittelbar begünstigt werden (vgl. Seiler in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (2016), Art 110 AEUV Rz 32 f).

B/8. In Entsprechung dieser unionsrechtlichen Grundsätze muss daher der Begriff des "Erwerbs" unionsrechtskonform auch den Erwerb durch den deutschen Vermieter umfassen, wenn nachfolgend aufgrund der Zulassung in Österreich NoVA zu entrichten ist. Somit wäre auch im gegenständlichen Fall schon nach dem Wortlaut der nationalen Bestimmung die NoVA vom Anschaffungspreis zu bemessen.

Selbst wenn man aber einer unionsrechtskonformen Interpretation von § 5 Abs 2 zweiter Satz NoVAG nicht folgen könnte, stünde § 5 Abs 2 NoVAG (trotz Anpassung im Rahmen des BBG 2001 BGBl 1 2000/142 weiterhin) im Widerspruch zum Unionsrecht, womit dem Unionsrecht der Anwendungsvorrang einzuräumen wäre, auf den sich die Bf. in ihrem Vorlageantrag beruft. Bei Zulassung eines im Gemeinschaftsgebiet bei einem befugten Händler erworbenen Fahrzeuges müsste aus Gründen des Anwendungsvorranges der Anschaffungspreis des Fahrzeuges die Obergrenze für die Bemessungsgrundlage darstellen. Andernfalls würde bei grenzüberschreitenden Fällen eine höhere Bemessungsgrundlage als bei reinen Inlandssachverhalten zur Anwendung kommen.

Somit ist als Ergebnis festzuhalten, dass sowohl bei unionsrechtskonformer Interpretation als auch bei Einräumung des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts die bekämpften Bescheide rechtswidrig sind. Nach Überzeugung des Bundesfinanzgerichts ist die Normverbrauchabgabe vom Anschaffungspreis der Kraftfahrzeuge und nicht von einem fiktiven gemeinen Wert zu bemessen.

Da somit die vom Finanzamt herangezogene Unrichtigkeit der Selbstberechnung nicht vorliegt, vermag diese Begründung die Festsetzungsbescheide nicht zu tragen. Andere Unrichtigkeiten oder das Hervorkommen von Wiederaufnahmsgründen hat das Finanzamt nicht behauptet bzw. festgestellt.

Die bekämpften Bescheide waren daher ersatzlos aufzuheben.

C. Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist eine Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art 133 Abs 4 B-VG).

Da die hier anzuwendenden Normen klar und eindeutig sind und ihre Auslegung, soweit sie im gegenständlichen Fall erforderlich ist, durch die zitierte EuGH-Rechtsprechung geklärt ist, liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 201 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 1 Z 3 NoVAG 1991, Normverbrauchsabgabegesetz, BGBl. Nr. 695/1991
§ 5 NoVAG 1991, Normverbrauchsabgabegesetz, BGBl. Nr. 695/1991
Zitiert/besprochen in
Twardosz in SWK 34/2020, 1599
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.6100092.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at