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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 16.07.2020, RV/5101269/2019

Der innergemeinschaftliche Erwerb von kieferorthopädischen Zahnbehandlungsschienen ist nicht steuerfrei zu behandeln und unterliegt einer Erwerbsbesteuerung.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Käferböck Poldlehner Stb GmbH & Co KG, Hueberstraße 19, 4020 Linz, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Linz vom , betreffend Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 2016 gemäß § 299 BAO sowie Umsatzsteuer 2016 und 2017 zu Recht erkannt:

Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Abgabepflichtige betreibt eine Zahnarztpraxis für Kieferorthopädie. Das Behandlungsspektrum umfasst dabei im Wesentlichen das Einsetzen von Zahnspangen, die Durchführung von Zahnkorrekturen und kieferorthopädischer Maßnahmen.

Für die Jahre 2014 bis 2016 hat beim Abgabepflichtigen eine Außenprüfung gemäß § 147 BAO stattgefunden. Prüfungsgegenstand war unter anderem auch die Umsatzsteuer für die Jahre 2014 bis 2016. Die Außenprüfung wurde mit Bericht vom ohne Feststellungen abgeschlossen.

Bei einer neuerlichen Durchsicht des Veranlagungsaktes mit Schwerpunkt auf innergemeinschaftliche Erwerbe wurde von der Abgabenbehörde festgestellt, dass der innergemeinschaftliche Erwerb von kieferorthopädischen Behandlungsschienen steuerfrei behandelt wurde. Bei diesen Behandlungsschienen konnte nach Ansicht der Abgabenbehörde jedoch nicht von einem Zahnersatz ausgegangen werden. Die innergemeinschaftlichen Erwerbe wurden einer 20%-igen Erwerbsbesteuerung unterzogen.

Am wurde der Umsatzsteuerbescheid 2016 vom mit einem Bescheid gemäß § 299 BAO aufgehoben und mit gleichem Datum ein neuer Sachbescheid hinsichtlich der Umsatzsteuer 2016 erlassen. Der Umsatzsteuerbescheid 2017 vom wurde nach den entsprechenden Abänderungen (als Erstbescheid) erlassen.

Gegen oben angeführte Bescheide wurden mit Schriftsätzen vom Beschwerden eingebracht:

ad) Aufhebungsbescheid Umsatzsteuer 2016

Es wurde beantragt, den "Bescheid über die Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 2016 - Aufhebung gemäß § 299 BAO" ersatzlos aufzuheben. Nach Ansicht der steuerlichen Vertretung erweist sich der Aufhebungsbescheid aus mehreren Gründen als rechtswidrig: Zum einen habe die erforderliche Ermessensübung gefehlt und zum anderen erweise sich die Vorgehensweise des Finanzamtes als unbillig. Kurz vor Erlassung des Aufhebungsbescheides habe eine Außenprüfung ohne Feststellungen stattgefunden. Im Zuge dieser abgabenbehördlichen Prüfung seien auch die unionsrechtlichen und innerstaatlichen Rechtsnormen des Umsatzsteuergesetzes überprüft worden. Eine Aufhebung setze gemäß § 299 BAO die Offensichtlichkeit und Gewissheit einer Rechtswidrigkeit voraus, eine bloße Möglichkeit reiche nicht aus. Außerdem enthalte der Aufhebungsbescheid keine Begründung.

ad) Umsatzsteuerbescheide 2016 und 2017

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer (Bf.) eine Zahnarztpraxis für Kieferorthopädie betreibe. Das Behandlungsspektrum umfasse dabei im Wesentlichen das Einsetzen von Zahnspangen sowie die Durchführung von Zahnkorrekturen und kieferorthopädischer Maßnahmen. Zu diesem Zwecke seien ua kieferorthopädische Behandlungsschienen von einem in Deutschland ansässigen Zahntechniker bezogen worden. Gemäß Art. 6 Abs. 2 Z 1 UStG iVm § 6 Abs. 1 Z 20 UStG sei der innergemeinschaftliche Erwerb steuerfrei behandelt worden.

Gemäß § 6 Abs. 1 Z 20 UStG seien "die sonstigen Leistungen, die Zahntechniker im Rahmen ihrer Berufsausübung erbringen, sowie die Lieferungen von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker" steuerfrei. Nach Art. 6 Abs. 2 Z 1 UStG sei der innergemeinschaftliche Erwerb "der in § 6 Abs. 1 Z 20 angeführten Gegenstände" steuerfrei.

Nach Ansicht des Finanzamtes sei für diese Erwerbe aber Erwerbsteuer vorzuschreiben, da es sich bei diesen Erwerben nicht um die Lieferung von Zahnersatz handle, sondern um Korrekturschienen. Daher fielen diese Lieferungen nicht unter die oa Befreiungsbestimmung.

Dem sei Folgendes entgegenzuhalten:

Die gegenständlichen kieferorthopädischen Behandlungsschienen würden medizinisch denselben Zweck wie Zahnkronen erfüllen, da kieferorthopädische Schienen 1. den Zahn vor Abnützung durch zB nächtliches Zähneknirschen schützen, 2. den Zahn vor thermischen und funktionellen Belastungen abschirmen und 3. durch kieferorthopädische Bewegungen die Position des Zahnes im Kiefer verändern und so die Funktion verbessern. Unstrittig sei, dass Zahnkronen unter den Begriff "Zahnersatz" subsumiert würden. Daraus folge, dass im Sinne dieser Interpretation die in Rede stehenden kieferorthopädischen Behandlungsschienen sehr wohl unter den Begriff "Zahnersatz" zu subsumieren seien. Zu beachten bleibe weites, dass es sich bei den gegenständlichen Produkten um Individualanfertigungen handle. Es erscheine daher rechtlich auch vertretbar, vom Vorliegen "sonstiger Leistungen respektive Dienstleistungen" eines Zahntechnikers auszugehen. Somit sei als Zwischenergebnis festzuhalten: Die gegenständlichen Erwerbe seien nach Maßgabe des innerstaatlichen Umsatzsteuergesetzes als steuerfrei zu behandeln.

Die Steuerfreiheit des innergemeinschaftlichen Erwerbes ergebe sich im gegenständlichen Fall auch aus europarechtlichen Erwägungen unmittelbar aus der Anwendung der einschlägigen Bestimmungen der MwSt-RL. Nach Art. 140 MwStSyst-RL sei der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen befreit, deren Lieferung auch in Österreich steuerbefreit sei. Die Lieferung gleichartiger kieferorthopädischer Behandlungsschienen durch österreichische Zahntechniker werde von den die Leistung erbringenden Zahntechnikern umsatzsteuerfrei behandelt. Exemplarisch werde auf die Rechnung eines österreichischen Zahntechnikers über ein identes Produkt verwiesen.

Somit ergebe sich in unmittelbarer Anwendung der MwStSyst-RL, dass auch die innergemeinschaftlichen Erwerbe steuerfrei zu behandeln seien. Diese Auslegung werde durch das verb. RS C-144/13, C-154/13, C-160/13, bestätigt. Der Verwaltungsgerichtshof habe zudem schon im Jahr 2002 in einem gleich gelagerten Fall die unmittelbare Anwendbarkeit der MwStSyst-RL bejaht und die Steuerfreiheit zuerkannt (vgl. VwGH, , 2002/14/0113).

Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen. (Anmerkung Bundesfinanzgericht: Von der Abgabenbehörde lautete der Spruch in den automationsunterstützten Bescheiden, dass diese aufgrund der Beschwerde "geändert" wurden. Inhaltlich ist sowohl den Beschieden als auch der zusätzlich versendeten händischen Begründung zu entnehmen, dass es sich um eine Abweisung handelt.) Begründend wurde ausgeführt:

ad) Beschwerde gegen den Aufhebungsbescheid Umsatzsteuer 2016

Gemäß § 299 BAO könne die Abgabenbehörde auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweise. Aufhebungen gemäß § 299 BAO seien bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des Bescheides zulässig (nach § 302 Abs. 1 BAO). Die Bekanntgabe erfolge bei schriftlichen Erledigungen idR durch Zustellung. Der Aufhebungsbescheid gemäß § 299 BAO, zum Umsatzsteuerbescheid 2016 vom , sei am ergangen, somit innerhalb der Jahresfrist. Der Bescheid über die Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 2016 gemäß § 299 BAO vom enthalte lediglich eine Wiedergabe der maßgeblichen Gesetzesbestimmung.

Der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis 2010/15/0040 vom zu Aufhebungsbescheiden ausgesprochen, dass der Begründungspflicht hinreichend entsprochen werde, wenn die vom Finanzamt herangezogenen Aufhebungsgründe in Zusammenschau mit dem zugleich ergangenen Sachbescheid ergründet werden können. Sonstige Begründungsmängel des Aufhebungsbescheides seien im Beschwerdeverfahren sanierbar. Im Beschwerdeverfahren könne ein mangelhaft begründeter Aufhebungsbescheid (etwa hinsichtlich der Begründung der Ermessensentscheidung) ergänzt bzw. richtiggestellt werden, es dürfe bloß kein anderer (neuer) Aufhebungsgrund herangezogen werden (vgl. ; ÖStZB 2013/178, 313). Nach der Judikatur reiche also eine Begründung des Aufhebungsbescheides lediglich mit dem Gesetzeswortlaut dann aus, wenn aus dem an Stelle des aufgehobenen Bescheides tretenden Bescheides mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden könne, aus welchen Gründen der Bescheid aufgehoben werde. Dies sei hier der Fall. Im Sachbescheid betreffend Umsatzsteuer 2016 vom gehe eindeutig hervor, dass die Vorschreibung der Erwerbsteuer aus den innergemeinschaftlichen Erwerben resultiere. Weiters sei im Sachbescheid auch begründet worden, dass es sich beim Erwerb von kieferorthopädischen Behandlungsschienen um keinen Zahnersatz handle, welcher unter die Steuerbefreiung § 6 Abs. 1 Z 20 UStG iVm Art. 6 Abs. 2 UStG zu subsumieren wäre. Damit sei im Sinne der oa. Rechtsprechung jedenfalls objektiv erkennbar dargetan worden, dass das Finanzamt bei der gleichzeitigen Erlassung des Aufhebungsbescheides die "Unrichtigkeit" des ersten Bescheides für 2016 in der steuerfreien Behandlung der kieferorthopädischen Behandlungsschienen erblickt habe.

Die Aufhebung gemäß § 299 BAO liege im Ermessen der Abgabenbehörde (vgl. ; , 2009/17/0110). Die im § 20 BAO erwähnten Ermessenskriterien seien grundsätzlich und subsidiär zu beachten. Unter Billigkeit verstehe die ständige Rechtsprechung die "Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei", unter Zweckmäßigkeit das öffentliche Interesse, insbesondere an der Einbringung der Abgaben. Die Ermessensausübung habe sich vor allem am Zweck der Norm zu orientieren (vgl. -0381; , 2008/16/0087). Daher sei zB für Aufhebungen gemäß § 299 BAO insbesondere der Vorrang des Prinzips der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) vor jenem der Rechtsbeständigkeit zu beachten (vgl. Ritz, BA06, § 20, Tz 8; sowie Ritz, ÖStZ 1987, 96). Schon alleine unter Anbetracht dieses Aspektes sei der Umsatzsteuerbescheid 2016 vom gemäß § 299 BAO aufzuheben gewesen, da sich bei einer Kontrolle des Veranlagungsaktes herausgestellt habe, dass sich der Spruch des Bescheides als nicht richtig erwiesen habe.

Grundsätzlich sei für die Ermessensübung bedeutungslos, ob die Rechtswidrigkeit des Bescheides auf ein Verschulden (der Abgabenbehörde und/oder der Partei) zurückzuführen sei. Eine Aufhebung gemäß § 299 BAO würde im Allgemeinen nur dann zu unterlassen sein, wenn die Rechtswidrigkeit bloß geringfügig sei bzw. wenn sie keine wesentlichen Folgen nach sich gezogen habe. Im gegenständlichen Fall könne jedoch von keiner Geringfügigkeit ausgegangen werden. Die Abgabenbehörde habe somit nicht unbillig gehandelt. Zur Begründung, warum sich der Spruch des Bescheides vom als nicht richtig erwiesen habe, werde auf die gesonderte Bescheidbegründung vom verwiesen.

ad) Beschwerde gegen die Umsatzsteuerbescheide 2016 und 2017

Gemäß § 6 Abs. 1 Z 20 UStG seien die sonstigen Leistungen, die Zahntechniker im Rahmen ihrer Berufsausübung erbringen, sowie die Lieferung von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker steuerfrei. Nach Art. 6 Abs. 2 Z 1 UStG sei der innergemeinschaftliche Erwerb der in § 6 Abs. 1 Z 20 UStG angeführten Gegenstände steuerfrei. Der steuerliche Vertreter vertrete die Meinung, dass kieferorthopädische Behandlungsschienen denselben medizinischen Zweck erfüllen würden wie Zahnkronen, da kieferorthopädische Schienen
1. den Zahn vor Abnützung durch zB nächtliches Zähneknirschen schützen,
2. den Zahn vor thermischen und funktionellen Belastungen abschirmen und
3. durch kieferorthopädische Bewegungen die Position des Zahnes im Kiefer verändern und so die Funktion verbessern würden.

Weiters werde in der Beschwerde vom argumentiert, dass Zahnkronen unstrittig unter den Begriff Zahnersatz subsumiert werden können und daher auch kieferorthopädische Behandlungsschienen unter diesen zu subsumieren wären. Zu beachten sei weiters, dass es sich bei den gegenständlichen Produkten um Individualanfertigungen handle. Damit seien die gegenständlichen Erwerbe nach Maßgabe des innerstaatlichen Umsatzsteuergesetzes als steuerfrei zu behandeln.

Nach der allgemeinen Verkehrsauffassung sei Zahnersatz der Sammelbegriff für jegliche Form des Ersatzes fehlender oder deutlich substanzverminderter natürlicher Zähne. Auch in einem Fachlexikon werde der Begriff Zahnersatz als Ersatz fehlender Zähne definiert. Der Ersatz fehlender Zähne diene der Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Kaufunktion und damit der Gesundheit des ganzen Organismus. Außerdem trage er zur Stabilisierung des Restgebisses bei und verbessere nicht zuletzt das Aussehen eines Menschen, dem Zähne fehlen. Es werde von Brücken und Zahnprothesen gesprochen. Kieferorthopädische Behandlungsschienen seien nicht dazu geeignet um natürliche Zähne zu ersetzen. Wie auch vom steuerlichen Vertreter ausgeführt, würden sie lediglich zB dazu dienen, den Zahn vor Abnützungen zu schützen. Da die gegenständlichen Behandlungsschienen keinen natürlichen Zahn ersetzen können, sei es auch vom Wortlaut "ZahnERSATZ" nicht möglich, kieferorthopädische Behandlungsschienen darunter zu subsumieren.

Somit falle die Lieferung von kieferorthopädischen Behandlungsschienen nicht unter § 6 Abs. 1 Z 20 UStG bzw. Art. 6 Abs. 2 Z 1 UStG, da nur sonstige Leistungen, die Zahntechniker im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit erbringen, sowie die Lieferung von Zahnersatz unter diesen Befreiungstatbestand fallen würden.

Im nächsten Punkt der Beschwerde vom berufe sich der steuerliche Vertreter auf die unmittelbare Anwendung der einschlägigen Bestimmung der MwSt-RL. Art. 140 MwStSyst-RL normiere, dass die Mitgliedsstaaten den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen, deren Lieferung durch Steuerpflichtige in ihrem jeweiligen Gebiet in jedem Fall mehrwertsteuerfrei sei, von der Steuer befreien. Das vom steuerlichen Vertreter angeführte VwGH Erkenntnis vom , 2002/14/0113 sei zur Rechtslage vor dem AbgÄG 2001, BGBl I 2001/144 ergangen. Bis dahin seien von der Erwerbsteuer gemäß Art. 6 Abs. 2 Z 1 UStG nur die in "§ 6 Abs. 1 Z 8 lit. f bis j sowie in Z 21 bezeichneten Gegenstände", nicht jedoch der Erwerb von Zahnersatz von Zahnärzten oder Zahntechnikern (§ 6 Abs. 1 Z 20 UStG) steuerfrei gewesen. Nach der nunmehr anzuwendenden Rechtslage seien sowohl die Lieferung als auch der innergemeinschaftliche Erwerb von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker steuerfrei.

Im verb. RS C-144/13, C-154/13 und C-160/13 habe der Gerichtshof (Erste Kammer) erkannt, dass Art. 140 Buchstabe a und b der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2007/75 geänderten Fassung dahin auszulegen sei, dass die in dieser Vorschrift vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer auch für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Zahnersatz gelte, der aus einem Mitgliedstaat stamme, der von der Ausnahme- und Übergangsregelung von Art. 370 der MwStSyst-RL Gebrauch gemacht habe. Somit habe der Europäische Gerichtshof bestätigt, dass auch der innergemeinschaftliche Erwerb von Zahnersatz von der Umsatzsteuer zu befreien sei. Dies werde von der Abgabenbehörde in keinem Fall bestritten. Wenn es sich bei den gegenständlichen kieferorthopädischen Behandlungsschienen um Zahnersatz handeln würde, würde die Steuerbefreiung für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Zahnersatz gemäß § 6 Abs. 1 Z 20 UStG iVm Art. 6 Abs. 2 Z 1 UStG zustehen.

Mit Eingabe vom brachte der Bf. Vorlageanträge betreffend die Beschwerden hinsichtlich des Aufhebungsbescheides sowie der Umsatzsteuerbescheide 2016 und 2017 ein. In den Vorlageanträgen wurden keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht. Es wurde jedoch angeregt, die gegenständliche Rechtsfrage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt die Beschwerden dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Mit Eingabe vom wurde die Beschwerde um folgende Punkte ergänzt:

Zu prüfen sei, ob in § 6 Abs. 1 Z 20 UStG nicht eine planwidrige Gesetzeslücke vorliege. Hätte der Gesetzgeber den vorliegenden Sachverhalt bedacht (Lieferung von kieferorthopädischen Zahnschienen durch Zahntechniker) hätte er auch diesen Sachverhalt als unecht umsatzsteuerbefreit behandelt. Es sei kein Grund ersichtlich, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Lieferung von kieferorthopädischen Zahnschienen durch Zahntechniker umsatzsteuerpflichtig sein sollte. Diese planwidrige Unvollständigkeit der in Frage stehenden Norm sei daher durch Analogie zu schließen, sodass im Ergebnis auch die Lieferung von kieferorthopädischen Zahnschienen durch Zahntechniker von der unechten Umsatzsteuerbefreiung erfasst sei.

Der Bf. beziehe identische kieferorthopädische Zahnschienen von österreichischen Zahntechnikern. Exemplarisch sei der Beschwerde eine Rechnung beigefügt worden. Der Bf. bestätigte, dass diese Produkte identisch mit jenen seien, die vormals in Deutschland bezogen worden seien. Diese innerösterreichischen Lieferungen werden nach der Verwaltungspraxis ohne Umsatzsteuer verrechnet. Diese Praxis unterstreiche die angeführten Argumente.

Hinzu komme, dass die Rechtsansicht der Finanzverwaltung, wonach der innergemeinschaftliche Erwerb der in Rede stehenden Zahnschienen erwerbsteuerpflichtig sei, europarechtswidrig sei. Der innergemeinschaftliche Erwerb werde im Vergleich zum Inlandsfall (unechte Umsatzsteuerbefreiung) diskriminierend behandelt. Praktisch habe diese europarechtswidrige Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbes zur Folge, dass der Bf. aus diesen steuerlichen Gründen faktisch keine derartigen Zahnschienen aus dem Gemeinschaftsgebiet (hier Deutschland) mehr beziehen könne.

Mit einer weiteren Eingabe vom brachte der Bf. ergänzend vor, dass im streitgegenständlichen Fall eine "sonstige Leistung" im Sinne des Umsatzsteuergesetzes vorliege. Bei dem vom deutschen Lieferanten hergestellten Zahnschienen handle es sich um Individualanfertigungen, die ein hohes Maß an zahntechnischem Know-how erfordern würden, welches in die Therapie einfließe. Nachdem der Zahnarzt die Diagnose gestellt habe, werden exakte Silikon-Abdrücke von den Zähnen genommen. Die Abdrücke würden dann dem Zahntechniker als Basis für die weitere Planung dienen. In weiterer Folge würde dann ein Computer-Setup erstellt werden. Dieses Setup entspringe dabei dem Geschick, dem Können, der Erfahrung und auch der Kunstfertigkeit des Zahntechnikers und Zahnarztes. Die Schienen würden, genauso wie Zahnersatz, individuell maßgefertigt im Labor fabriziert werden. Sie seien wie eine Zahnkrone oder eine Zahnbrücke Unikate und ließen sich ausschließlich beim dazugehörigen Patienten einsetzen. Wenn man als Zahnarzt diese Schienen bei einem österreichischen Zahntechniker in Auftrag gebe, werde beim Kauf für dieselbe Leistung keine Mehrwertsteuer fällig. Es sei denkunmöglich, dass in Bezug auf den gleichen Sachverhalt aus österreichischer Sicht eine sonstige Leistung und aus deutscher Sicht eine Lieferung vorliege.

Im gleichen Schreiben wurden die Anträge auf Verhandlung vor dem Senat und auf mündliche Verhandlung zurückgezogen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Bf. betreibt eine Zahnarztpraxis für Kieferorthopädie. Die Behandlungen umfassen dabei im Wesentlichen das Einsetzen von Zahnspangen, die Durchführung von Zahnkorrekturen und kieferorthopädischer Maßnahmen.

Der Bf. hat kieferorthopädische Behandlungsschienen von einem in Deutschland ansässigen Zahntechnikunternehmen bezogen. Die innergemeinschaftlichen Erwerbe betrugen im Jahr 2016 48.392,00 € sowie im Jahr 2017 99.371,00 €. Die Abgabenbehörde hat die innergemeinschaftlichen Erwerbe einer 20%-igen Erwerbsbesteuerung unterzogen.

Am wurde der Umsatzsteuerbescheid 2016 vom mit einem Bescheid gemäß § 299 BAO aufgehoben und mit gleichem Datum ein neuer Sachbescheid hinsichtlich der Umsatzsteuer 2016 erlassen. Der Umsatzsteuerbescheid 2017 wurde am erlassen.

Beweiswürdigung

Der Sachverhalt geht aus den vorgelegten Akten der Abgabenbehörde und den eingereichten Unterlagen des Bf. hervor.

Rechtslage

Gemäß § 299 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Abs. 2 normiert, dass mit dem aufhebenden Bescheid der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden ist. Nach Abs. 3 tritt durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor der Aufhebung befunden hat. Gemäß § 302 Abs. 1 BAO sind Aufhebungen gemäß § 299 bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe (§ 97) des Bescheides zulässig.

Gemäß § 6 Abs. 1 Z 20 UStG 1994 sind die sonstigen Leistungen, die Zahntechniker im Rahmen ihrer Berufsausübung erbringen, sowie die Lieferung von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker steuerfrei.

Gemäß Art. 1 UStG 1994 liegt ein innergemeinschaftlicher Erwerb liegt nur vor, wenn der Gegenstand anlässlich der Lieferung an den Erwerber aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates gelangt.

Nach Art. 6 Abs. 2 Z 1 UStG 1994 ist der innergemeinschaftliche Erwerb der in § 6 Abs. 1 Z 20 angeführten Gegenstände steuerfrei.

4. Erwägungen

4.1. Aufhebungsbescheid Umsatzsteuer 2016

Strittig ist, ob der Aufhebungsbescheid zu Recht erlassen wurde oder nicht.

Der Bf. rügte die fehlende Begründung und Ermessungsübung. Außerdem habe sich die Vorgehensweise des Finanzamtes als unbillig erwiesen.

Die Begründung des Aufhebungsbescheides hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 299 BAO darzulegen (vgl. ). Sie hat weiters die Gründe für die Ermessensübung eingehend darzustellen (vgl. ).

In der Beschwerdevorentscheidung vom hat die Abgabenbehörde zutreffend darauf hingewiesen, dass Begründungsmängel des Aufhebungsbescheides im Beschwerdeverfahren grundsätzlich sanierbar sind. Im Beschwerdeverfahren kann ein mangelhaft begründeter Aufhebungsbescheid (etwa hinsichtlich der Begründung der Ermessensentscheidung) ergänzt bzw. richtiggestellt werden, es darf bloß kein anderer (neuer) Aufhebungsgrund herangezogen werden (vgl. ; ÖStZB 2013/178, 313).

Im angefochtenen Aufhebungsbescheid vom (betreffend Umsatzsteuer für das Jahr 2016) begnügte sich das Finanzamt zunächst mit der Wiedergabe des Gesetzestextes. Mit diesem Aufhebungsbescheid und dem gemäß § 299 Abs. 2 BAO gleichzeitig erlassenen Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2016 wurde jedoch objektiv erkennbar dargetan, dass das Finanzamt die "Unrichtigkeit" des aufgehobenen Umsatzsteuerbescheides vom in der steuerfreien Behandlung des innergemeinschaftlichen Erwerbes von kieferorthopädischen Behandlungsschienen erblickt hat. Aus der Begründung der beiden miteinander verbundenen Bescheide ist daher nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes zweifelsfrei zu erkennen, worauf das Finanzamt die Aufhebung gestützt hat.

In der Beschwerdevorentscheidung wurde auch ausreichend Ermessen geübt und ausführlich begründet, dass aufgrund der gegenständlichen nicht bloß geringfügigen Folgen dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit der Vorrang einzuräumen ist.

Das Bundesfinanzgericht hat in Folge bei der gegen den Aufhebungsbescheid gerichteten Beschwerde lediglich zu beurteilen, ob die vom Finanzamt angeführten Gründe eine Aufhebung rechtfertigen. Bezogen auf den vorliegenden Streitfall ist daher einzig zu beurteilen, ob die Lieferung von kieferorthopädischen Behandlungsschienen einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb darstellt.

Nicht maßgebend ist dabei, dass kurz vor der Erlassung des Aufhebungsbescheides eine abgabenbehördliche Prüfung keine Feststellungen ergab, die zu einer Änderung der ergangenen Bescheide oder der eingereichten Erklärungen führten. Die Feststellung, die zur Aufhebung führte, beruhte auf einer Durchsicht des Veranlagungsaktes mit dem Schwerpunkt auf innergemeinschaftliche Erwerbe. Die Aufhebung setzt weder ein Verschulden (bzw. Nichtverschulden) der Abgabenbehörde noch des Bescheidadressaten voraus. Die Rechtswidrigkeit muss nicht offensichtlich sein. Weshalb diese Rechtswidrigkeit vorliegt (etwa bei einer unrichtigen Auslegung einer Bestimmung, bei mangelnder Kenntnis des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes, bei Übersehen von Grundlagenbescheiden), ist nicht ausschlaggebend.

Wie die steuerliche Vertretung richtig ausführte, setzt die Aufhebung die Gewissheit der Rechtswidrigkeit voraus; die bloße Möglichkeit reicht nicht (vgl. Ritz, BA06, § 299, Tz 13).

Entgegen der Ansicht des Bf. ist die steuerfreie Behandlung des innergemeinschaftlichen Erwerbes von kieferorthopädischen Behandlungsschienen zweifelsohne rechtswidrig. Der aufgehobene Bescheid war somit mit objektiver Unrichtigkeit behaftet. Dazu wird auf die nachstehenden Ausführungen verwiesen.

Der Bescheid über die Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 2016 ist daher zu Recht ergangen.

4.2. Umsatzsteuer 2016 und 2017

Streit besteht darüber, ob die kieferorthopädischen Behandlungsschienen, die der Bf. von einem in Deutschland ansässigen Zahntechnikunternehmen bezieht, einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb darstellen oder nicht.

4.2.1. Lieferung vs. Sonstige Leistung

Eine Lieferung liegt vor, wenn der Unternehmer jemand anderen befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen. Gegenstände sind körperliche Sachen oder andere Wirtschaftsgüter, die nach der Verkehrsauffassung wie körperliche Sachen behandelt werden. Die Unterscheidung zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen ist für die Beurteilung des Leistungsortes, einer allfälligen Steuerbefreiung und des Steuersatzes von Bedeutung. Speziell der Tatbestand des innergemeinschaftlichen Erwerbes setzt eine Lieferung im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG voraus. Es gibt einheitliche Leistungen, die sowohl Elemente einer Lieferung als auch einer sonstigen Leistung enthalten. Hiebei kommt es darauf an, ob die Leistung nach ihrer überwiegenden wirtschaftlichen Bedeutung als Erwerb eines Gegenstandes oder als ein Tun, Dulden, oder Unterlassen anzusehen ist. Dieses Überwiegen ist anhand der Verkehrsauffassung und nach der Absicht der Parteien zu ermitteln (vgl. ; sowie Melhardt, Umsatzsteuer-Handbuch 2020; 1.2 Abgrenzung zur sonstigen Leistung). Maßgebend ist in erster Linie der objektive wirtschaftliche Gehalt des Vorgangs, besteht dieser in der Verschaffung bzw. Erlangung der Verfügungsmacht, ist eine Lieferung anzunehmen; dies gilt speziell bei der Abgrenzung von Gegenstands- und Rechtsübertragungen. Sonstige Leistungen sind alle Leistungen, die nicht in einer Lieferung bestehen. Die negative Formulierung bedeutet: Alle umsatzsteuerlichen relevanten Leistungen sind sonstige Leistungen, sofern ihr wesentlicher Gehalt nicht in der Zuwendung der wirtschaftlichen Substanz eines Gegenstandes besteht (vgl. Ruppe/Achatz, UStG Kommentar, 5. Auflage, § 3, Tz 97 sowie § 3a, Tz 7). Ob bestimmte Umsätze Lieferungen oder sonstige Leistungen sind, richtet sich nach ihrem Wesen. Dieses ist idR in einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln (vgl. Mayr/Ungericht UStG Kurzkommentar, 4. Auflage, § 3, Anm. 16). Als sonstige Leistungen werden in der Literatur beispielsweise die Erstellung von Bauplänen für Bauwerke und die Bauüberwachung, Vermittlungsleistungen und Nutzung von Patenten und Lizenzen angesehen (vgl. Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig (Hrsg), UStG-ON3, § 3a, Tz 7f). Als sonstige Leistungen eines Zahntechnikers im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 20 UStG können (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) beispielsweise das individuelle Anpassen von Zahnschienen und Zahnspangen an Patienten angeführt werden.

Der wesentliche wirtschaftliche Gehalt des Leistungsaustausches zwischen dem deutschen Zahntechnikunternehmen und dem Bf. ist der Erwerb von kieferorthopädischen Behandlungsschienen. Der Bf. wird dadurch in die Lage versetzt, an seinen Patienten Zahnkorrekturen und kieferorthopädische Maßnahmen durchzuführen.

Es wird auch nicht bestritten, dass es sich bei den Behandlungsschienen um Individualanfertigungen handelt. Nach der Produktinformation handelt es sich um eine hochqualitative Zahnregulierung. Wenngleich für diese Maßanfertigungen im Labor ein hohes Maß an zahntechnischem Know-how erforderlich ist, handelt es sich gegenständlich um die Bestellung, Lieferung und Erwerb eines Produktes und nicht um die Erbringung einer sonstigen (Dienst)Leistung des deutschen Unternehmens an die beschwerdeführende Zahnarztpraxis. Dazu hält das Bundesfinanzgericht fest, dass Gegenstände mit einer hohen Ingenieurleistung keineswegs dazu führen, dass eine sonstige Leistung vorliegt. Im Wirtschaftsleben werden die Aufwendungen für berufsspezifischen Know-how und Engineering als wesentliche Faktoren bei der Kalkulation des Produktes berücksichtigt. Eine Lieferung ist grundsätzlich dann anzunehmen, wenn ihr wesentlicher Gehalt in der Zuwendung der wirtschaftlichen Substanz eines Gegenstandes besteht. Wenn der Gesetzgeber die Übergabe von Zahnersatz als Lieferung behandelt haben möchte, dann muss dies jedenfalls auch für kieferorthopädische Vorrichtungen gelten. Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes sind die streitgegenständlichen Umsätze in einer Gesamtbetrachtung zweifelsfrei als Lieferung zu beurteilen.

4.2.2. Kieferorthopädische Behandlungsschienen sind kein Zahnersatz

Laut der Homepage des Lieferanten richtet sich das Produkt an Patienten, die eine schonende, schnelle und weniger auffällige Behandlung ihrer Zahnfehlstellung suchen. ***O*** ist ein System, das weichere Kunststoffe verwendet und so geringere Kräfte erzeugt, um Zahnfehlstellungen zu vermeiden. Die durchsichtigen, herausnehmbaren Kunststoffschienen helfen die Zähne sanft, aber effektiv in die richtige Position zu bewegen.

Laut der Österreichischen Gesundheitskasse sind dem Zahnersatz verwandte Begriffe: Krone, Stiftzahn und Zahnprothese. Die Abgabenbehörde hat zutreffend ausgeführt, dass nach der allgemeinen Verkehrsauffassung Zahnersatz der Sammelbegriff für jegliche Form des Ersatzes fehlender oder deutlich substanzverminderter natürlicher Zähne ist.

Das Bundesfinanzgericht stellt fest, dass die gegenständlichen kieferorthopädischen Behandlungsschienen keineswegs medizinisch denselben Zweck erfüllen wie Zahnkronen, Stiftzahn oder Zahnprothesen und daher nicht geeignet sind, um natürliche Zähne zu ersetzen. Es wird keinesfalls bezweifelt, dass die kieferorthopädische Behandlungsschienen Zahnfehlstellungen effizient beheben zu vermögen. Eine Subsumierung unter dem Begriff Zahnersatz ist für das Bundesfinanzgericht aber zu weit hergeholt und damit unzulässig.

Damit ist auch das Schicksal der Beschwerde entschieden. Die Steuerbefreiung gemäß § 6 Abs. 1 Z 20 UStG iVm Art. 6 Abs. 2 Z 1 UStG steht nach dem klaren Wortlaut nur für den für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Zahnersatz zu.

4.2.3. Kein Vorliegen einer planwidrigen Gesetzeslücke

Zur Anregung, dass Bundesfinanzgericht solle prüfen, ob in § 6 Abs. 1 Z 20 UStG nicht eine planwidrige Gesetzeslücke vorliege und im Ergebnis auch die Lieferung von kieferorthopädischen Zahnschienen durch Zahntechniker von der unechten Umsatzsteuerbefreiung erfasst sei, wird festgehalten:

Zum Vorliegen einer Gesetzeslücke führt der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom , 2004/14/0106 allgemein Folgendes aus: "Gesetzesanalogie hat zur Voraussetzung, dass ein zu beurteilender Sachverhalt nicht ausdrücklich von einem bestimmten Tatbestand erfasst wird, aufgrund der weitgehenden Ähnlichkeit mit dem unter den gesetzlichen Tatbestand fallenden Sachverhalt und im Hinblick auf die ratio legis aber von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzgebers ausgegangen werden muss. Bei einer durch Analogie zu schließenden Gesetzeslücke handelt es sich um eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts, gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung. Eine Lücke ist demnach anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht."

In Zusammenschau kann dem Telos des Gesetzes nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber die Lieferung von kieferorthopädischen Zahnschienen auch unter die Befreiungsbestimmung des § 6 Abs. 1 Z 20 UStG erfassen wollte. Insofern liegt entgegen der Ansicht des Bf. keine Gesetzeslücke vor, die einen Analogieschluss zuließe. Das Bundesfinanzgericht kann daher auch in der Nichtnormierung der kieferorthopädischen Zahnschienen in § 6 Abs. 1 Z 20 UStG, nach dem Telos des Gesetzes keine planwidrige Lücke erkennen. Das Vorliegen einer sogenannten planwidrigen Lücke ist im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der oa Erwägungen (betreffend Umsatzsteuer 2016 und 2017) des Bundesfinanzgerichtes jedenfalls auszuschließen.

4.2.4. Keine unionsrechtlichen Bedenken

Das Bundesfinanzgericht teilt auch die unionsrechtlichen Bedenken des Bf. nicht. Im hat der EuGH in der Rs C-144/13 ua VDP ua bestätigt, dass auch der innergemeinschaftliche Erwerb von Zahnersatz von der Umsatzsteuer zu befreien ist.
Art. 140 Buchstabe a und b der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2007/75 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die in dieser Vorschrift vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer auch für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Zahnersatz gilt, der aus einem Mitgliedstaat stammt, der von der Ausnahme- und Übergangsregelung von Art. 370 der Richtlinie Gebrauch gemacht hat.

Die Mitgliedstaaten befreien gemäß Art. 140 MwStSyst-RL den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen, deren Lieferung durch Steuerpflichtigen in ihrem jeweiligen Gebiet in jedem Fall mehrwertsteuerfrei ist, von der Steuer. Zu beachten ist aber, dass Art. 140 MwStSyst-RL auf sonstige Leistungen keine Anwendung findet.

Eine von einem österreichischen Zahntechniker erbrachte sonstige Leistung, die im Rahmen seiner Berufstätigkeit erbracht wird, sowie die Lieferung von Zahnersatz fallen unter die Befreiungsbestimmung des § 6 Abs. 1 Z 20 UStG.

Das vom steuerlichen Vertreter angeführte VwGH Erkenntnis vom , 2002/14/0113 ist zur Rechtslage vor dem AbgÄG 2001, BGBl I 2001/144 ergangen. Bis dahin war der Erwerb von Zahnersatz von Zahnärzten oder Zahntechnikern nicht steuerfrei gewesen. Nach der nunmehr anzuwendenden Rechtslage sind sowohl die Lieferung als auch der innergemeinschaftliche Erwerb von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker steuerfrei.

4.2.5. Kein Antrag auf Vorabentscheidung an den EuGH

Zur Anregung auf Vorlage der vom Bf. aufgeworfenen Rechtsfrage an den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens ist festzustellen:

Nach Artikel 267 AEUV entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung der Verträge sowie über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union. Gemäß Art 267 AEUV kann ein Gericht eine Frage über die Auslegung der Verträge dem EuGH vorlegen, wenn das Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich hält. Können die Entscheidungen des Gerichts nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden, ist dieses Gericht zur Anrufung des EuGH verpflichtet.

Für das Bundesfinanzgericht besteht lediglich eine Vorlageberechtigung aber keine Vorlageverpflichtung, weil seine Entscheidungen durch Rechtsmittel an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts bekämpft werden können (vgl. zur Berechtigung des UFS).

Der Bf. vermeint, dass sich die Steuerfreiheit des innergemeinschaftlichen Erwerbes im gegenständlichen Fall unmittelbar aus der Anwendung der einschlägigen Bestimmungen nach Art. 140 der MwStSyst-RL ergebe. Wenn die Inlandslieferung steuerfrei ist, kann sich der Steuerpflichtige darauf berufen, dass auch der innergemeinschaftliche Erwerb von der Steuer befreit ist.

In Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGHs (Rs C-144/13 ua VDP ua; zur verpflichtenden Befreiung von der MwSt für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Zahnersatz) gelangt das Bundesfinanzgericht zur Ansicht, dass Art. 140 der MwStSyst-RL auf die strittigen innergemeinschaftlichen Erwerbe der Bf. nicht anwendbar ist und der Erwerb der kieferorthopädischen Behandlungsschienen, der nicht unter "ZahnERSATZ" fällt, somit nicht steuerbefreit ist. Da die Aussagen des EuGH in dieser Entscheidung auch auf den vorliegenden Fall bezogen werden können, wird der Anregung des Bf. auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahren nicht gefolgt.

4.2.6. Kein Recht auf gleiche unrichtige Behandlung

Der Bf. wendet ein, dass er auch gleichartige kieferorthopädische Zahnschienen von österreichischen Zahntechnikern beziehe. Diese innerösterreichischen Lieferungen würden ohne Umsatzsteuer verrechnet werden (steuerfrei gemäß § 6 Abs. 1, Z 20 UStG). Dazu stellt das Bundesfinanzgericht fest, dass aus der den Eingaben beigelegten Rechnung nicht eindeutig hervorgeht, welche Leistung erbracht wurde. Auf der Rechnung des Fachlabors stehen unter Beschreibung Modell gedruckt 3 D Druck sowie Schwarzplatte OK.

Wenn diese Rechnung im Zusammenhang mit Zahnersatz steht, dann ist die Rechnung richtig ausgestellt. Steht diese Rechnung jedoch im Zusammenhang mit Zahnschienen bzw. Zahnspangen, ist die Rechnung ohne ausgewiesener Umsatzsteuer falsch ausgestellt. Die Lieferung von kieferorthopädischen Zahnschienen unterliegt im Bundesgebiet dem normalen Steuersatz in Höhe von 20%. Eine Lieferung ohne Ausweisung einer Umsatzsteuer widerspricht den gesetzlichen Bestimmungen. Der Bf. vermag aus einer unter Umständen vorhandenen gesetzwidrigen Verwaltungspraxis keinen Vorteil für seine Rechtssache gewinnen, da es kein Recht auf gleiche unrichtige Behandlung gibt.

Das Finanzamt hat daher zu Recht die innergemeinschaftlichen Erwerbe einer Erwerbsbesteuerung unterzogen.

4.3. Zur Unzulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die mit dem vorliegenden Erkenntnis zu lösende Rechtsfrage ergibt sich aus dem Wortlaut der angewendeten einschlägigen Bestimmungen und steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH oder des VwGH. Diese schlichte Rechtsanwendung berührt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 6 Abs. 2 Z 1 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
§ 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 6 Abs. 1 Z 20 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
Art. 1 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
Zitiert/besprochen in
Hochsteiner in BFGjournal 2020, 375
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.5101269.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at