Rückforderung Familienbeihilfe; Besuch einer islamischen Mittelschule in Mazedonien
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. über die Beschwerde des Bf., Wien, vom , gegen den Bescheid des Finanzamts Wien 2/20/21/22 vom , betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum Juli 2017 bis April 2019, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (Bf.) bezog für seinen am 2001 geborenen Sohn S. bis April 2019 Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge.
Nachdem das Finanzamt im Zuge der Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen feststellte, dass S. nach Abschluss der öffentlichen Polytechnischen Schule in 1200 Wien, Stromstraße 44 ab dem Schuljahr 2017/18 die Islamische Mittelschule "I.” in Skopje, Mazedonien besuchte, forderte es vom Bf. mit Bescheid vom die für den Zeitraum Juli 2017 bis April 2019 bezogenen Familienbeihilfen- und Kinderabsetzbeträge unter Verweis auf die Bestimmungen des § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) mit der Begründung zurück, dass S. eine Schule in Mazedonien besuche und daher für den genannten Zeitraum kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe.
Gegen den Rückforderungsbescheid wurde vom Bf. fristgerecht Beschwerde erhoben (Schreiben vom ) und vorgebracht, dass S. in Mazedonien in die Schule gehe und nur während der Schulzeit dort aufhältig sei. Er sei österreichischer Staatsbürger, in Österreich mit einem Hauptwohnsitz gemeldet und gehe, wie viele Kinder, in die Schule, wo er wolle und er lerne was er wolle. Er habe nicht gewusst, dass er kein Recht auf den Bezug der Familienbeihilfe gehabt habe.
Die Beschwerde wurde vom Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung vom mit der Begründung abgewiesen, dass S. bis Juni 2017 die Schule in Österreich besucht und ab September 2017 in die Islamische Mittelschule in Mazedonien gehe. Laut den eigenen Angaben des Bf. sei S. zwar während der Schule in Mazedonien, sei aber mit dem Bf. im gemeinsamen Haushalt in Österreich gemeldet.
Gemäß § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) hätten Personen Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehöre, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trage, habe dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt sei.
Gemäß § 5 Abs. 3 FLAG 1967 bestehe kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.
Der Verwaltungsgerichtshof habe bereits in mehreren Erkenntnissen den Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder verneint, die sich länger als sechs Monate in einem Drittstaat aufhalten und dort die Schule besuchen oder studieren. Ein auf - voraussichtlich - mehrere Jahre angelegter Schulbesuch sei nicht mehr als bloß vorübergehender Aufenthalt zu beurteilen (Verweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2009/16/0221).
Halte sich das Kind während der Schuljahre im Ausland auf, sei selbst das Verbringen der Ferien in Österreich jeweils als (nur) vorübergehende Abwesenheit zu beurteilen, wodurch der ständige Aufenthalt im Ausland nicht unterbrochen werde. Ob die Sommerferien dabei einen Zeitraum von mehr als zwei Monaten umfassen, sei unter Berücksichtigung der jeweiligen Rückkehr ins Ausland nicht entscheidungswesentlich. Die Ferienaufenthalte in Österreich würden den gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland nicht unterbrechen (Verweis auf ).
Aus dem Zusammenhalt dieser vom Verwaltungsgerichtshof herausgearbeiteten Grundsätze ergebe sich für den vorliegenden Fall, dass ein Aufenthalt von S. in Mazedonien, welcher dem Zweck des Schulbesuches diene, als ständiger Aufenthalt in Mazedonien (und somit einem Nicht-EU-Land) angesehen werden müsse.
Der Rechtsanwalt (Vertreter) des Bf. stellte am in dessen Namen einen unbegründeten Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Unstrittiger Sachverhalt:
Der Bf. und sein Sohn S. sind österreichische Staatsbürger.
S. ist seit mit einem Hauptwohnsitz an der Adresse des Bf. aufrecht gemeldet.
Er besuchte nach Abschluss der öffentlichen Polytechnischen Schule in 1200 Wien, Stromstraße 44 ab dem Schuljahr 2017/18 die Islamische Mittelschule "I.” in Skopje, Mazedonien.
Laut Aktenlage besucht S. seit dem Schuljahr 2018/19 eine Islamische Schule in Bosnien.
Rechtsgrundlagen:
Gemäß § 2 Abs. 1 FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.
Gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat die Person Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
Gemäß § 2 Abs. 5 FLAG 1967 gehört ein Kind dann zum Haushalt einer Person, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt.
Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 hat, wer die Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
Gemäß § 33 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes 1988 steht Steuerpflichtigen, denen auf Grund des FLAG Familienbeihilfe gewährt wird, im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein monatlicher Kinderabsetzbetrag in näher festgelegter Höhe zu. Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 FLAG anzuwenden.
Rechtliche Beurteilung:
Der Bf. bringt zur Schulausbildung seines Sohnes in Mazedonien vor, dass dieser, wie viele andere Kinder auch, in die Schule gehe, wo er wolle und lerne was er wolle. Sein Sohn habe sich während der Schulzeit in Mazedonien aufgehalten und sei in den Ferienzeiten nach Österreich zurückgekehrt. S. sei österreichischer Staatsbürger und mit einem Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet.
Nach der ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) ist die Frage, ob für einen bestimmten Zeitraum Familienbeihilfe (aufgrund überwiegender Kostentragung) zusteht, anhand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Anspruchszeitraum zu beantworten.
Unstrittig steht fest, dass S. ab dem Schuljahr 2017/18 in Skopje, Mazedonien (kein Mitgliedsstaat der EU) die Islamische Mittelschule "I.” besuchte.
Ausschließungsgrund des Beihilfenanspruches
Nach § 5 Abs. 3 FLAG ergibt sich ein Ausschlussgrund des Beihilfenanspruches für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten (vgl. ).
Der Verfassungsgerichtshof als auch der Verwaltungsgerichtshof haben sich mit der Bestimmung des § 5 Abs. 3 FLAG in mehreren Entscheidungen auseinandergesetzt. Im Erkenntnis vom , B 2236/00 führte der Verfassungsgerichtshof unter Bezugnahme auf seine Vorjudikatur aus, dass eine gesetzliche Regelung, die den Anspruch auf eine der Familienförderung dienende Transferleistung an eine Nahebeziehung des anspruchsvermittelnden Kindes zum Inland bindet und hierbei auf dessen Aufenthalt abstellt, als solche keine verfassungsrechtlichen Bedenken erweckt. Solches zu normieren, stehe dem Gesetzgeber im Rahmen seiner rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit zu.
Ständiger Aufenthalt
Nach der herrschenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der ständige Aufenthalt im Sinne der Bestimmung des § 5 Abs. 3 FLAG nach § 26 Abs. 2 BAO zu beurteilen (vgl. z.B. , , , vgl. auch Nowotny in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 5 Rz 9 zweiter Absatz, vgl. weiters die Entscheidung des ).
Nach § 26 Abs. 1 BAO hat jemand dort einen Wohnsitz im Sinn der Abgabenvorschriften, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.
Nach Abs. 2 dieser Bestimmung hat jemand dort den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn der Abgabenvorschriften, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt (vgl. ).
Der ständige Aufenthalt gemäß § 5 Abs. 3 FLAG ist daher nicht nach subjektiven Gesichtspunkten, sondern nach objektiven Kriterien der grundsätzlichen körperlichen Anwesenheit einer Person zu beantworten (vgl. , , , vgl. auch Nowotny in Csaszar/Lenneis/Wanke, Familienlastenausgleichsgesetz, Rz 9 zu § 5).
Daraus folgt, dass eine Person nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben kann. Um einen gewöhnlichen Aufenthalt aufrecht zu erhalten, ist aber keine ununterbrochene Anwesenheit erforderlich. Abwesenheiten, die nach den Umständen des Falles nur als vorübergehend gewollt anzusehen sind, unterbrechen nicht den Zustand des Verweilens und daher auch nicht den gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. , , , ).
Lassen objektive Gesichtspunkte erkennen, dass ein Aufenthalt nicht nur vorübergehend währen wird, dann liegt schon ab dem Vorliegen dieser Umstände, allenfalls ab Beginn des Aufenthaltes, ein ständiger Aufenthalt vor (vgl ; ).
Auf die Absicht des Kindes, nach Abschluss der Schule wieder nach Österreich zurückzukehren, kommt es dabei nicht an (vgl. ).
Dauer des Auslandsaufenthaltes - Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes
In den Erkenntnissen vom , 91/14/0041 und vom , 86/16/0198, hat der VwGH festgestellt, dass die auf die einzelnen Wohnsitze entfallenden Aufenthaltszeiten ein bedeutsames quantitatives Kriterium dafür sind, wo der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer Person besteht.
In den Erkenntnissen vom , 2008/15/0325 vom , 2009/16/0124, führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass der Umstand, dass ein Aufenthalt zu Studienzwecken begrenzt sei, der Beurteilung, der Mittelpunkt der Lebensinteressen liege am Ort des Studiums, nicht entgegen stehe. Ein fünfeinhalb Monate dauernden Aufenthalt im Ausland wurde vom Gerichtshof gerade noch als vorübergehenden Aufenthalt angesehen (). Ein etwa einjähriger Auslandsaufenthalt, der einem Schulbesuch im Ausland diente, wurde vom VwGH als ständigen Aufenthalt iSd § 5 Abs. 3 FLAG beurteilt (vgl. ).
Unterbrechung des Auslandsaufenthaltes in den Schulferien
Nach der ständigen Judikatur des VwGH wird durch das Verbringen von Ferien in einem anderen Land (hier: Österreich) als jenem des Schulbesuchs (hier: Mazedonien) der ständige Aufenthalt nicht unterbrochen, sondern ist das Verbringen der Ferien als vorübergehende Abwesenheit zu beurteilen (vgl. , ; ; ; , vgl. auch die Erkenntnisse des und vom , RV/5102128/2015, unter Verweis auf Nowotny im FLAG-Kommentar Csaszar/Lenneis/Wanke, Rz 9 zu § 5 FLAG).
Österreichischer Staatsbürger, Hauptwohnsitzmeldung trotz Schulbesuchs in Österreich
Zum Vorbringen des Bf., dass S. österreichischer Staatsbürger sei und mit einem Wohnsitz in Österreich gemeldet sei, wird festgestellt, dass der Umstand, dass S. seit (Abfrage aus dem Zentralen Melderegister vom ) in Österreich gemeldet ist und die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, nicht relevant ist, weil gemäß § 5 Abs. 3 FLAG 1967 kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder besteht, die sich ständig im Ausland aufhalten (vgl. , vgl. weiters , ).
Erstattungspflicht
Zum Vorbringen des Bf., dass er nicht gewusst habe, dass er im Streitzeitraum keinen Anspruch auf Familienbeihilfe gehabt habe, wird Folgendes festgestellt:
Aus § 26 Abs 1 FLAG 1967 ergibt sich eine objektive Erstattungspflicht von zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe. Subjektive Momente, wie Verschulden, Gutgläubigkeit oder die Verwendung der Familienbeihilfe, sind nach ständiger Rechtsprechung des VwGH für die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge unerheblich. Entscheidend ist lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat (s zB , vgl. auch Hebenstreit in Czaszar/Lenneis/Wanke, FLAG § 26 Rz 3).
Zusammenfassend wird festgestellt, dass der Aufenthalt von S. in Mazedonien zwecks schulischer Ausbildung in Anlehnung an die Judikatur des VwGH als ständiger Aufenthalt im Ausland zu qualifizieren ist.
Durch das Verbringen der Ferien in Österreich wurde der ständige Aufenthalt in Mazedonien nicht unterbrochen, sondern war als vorübergehende Abwesenheit zu beurteilen.
Der Lebensmittelpunkt von S. befand sich somit im Streitzeitraum (Juli 2017 bis April 2019 nicht in Österreich.
Dem Bf. stand daher nach § 5 Abs. 3 FLAG 1967 kein Anspruch auf Gewährung der Familienbeihilfe ab Juli 2017 zu.
Das Finanzamt hat daher die vom Bf. für S. für den Zeitraum Juli 2017 bis April 2019 bezogenen Familienbeihilfen- und Kinderabsetzbeträge zu Recht zurückgefordert.
Gleiches gilt gemäß § 33 Abs 3 EStG 1988 für den gemeinsam mit der Familienbeihilfe ausbezahlten Kinderabsetzbetrag.
Angemerkt wird informativ, dass in Fällen von unbilligen Härten die Möglichkeit besteht, beim Finanzamt um Ratenzahlung anzusuchen.
Zulässigkeit einer Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor, da keine Rechtsfrage gegeben ist, sondern der vorliegende Sachverhalt (Mittelpunkt der Lebensinteressen des Sohns des Bf. nicht in Österreich) in freier Beweiswürdigung beurteilt wurde. Gegen dieses Erkenntnis ist daher keine (ordentliche) Revision zulässig.
Hinweis zum 2. COVID-19-Gesetz
Abweichend von der folgenden Rechtsbelehrung beginnt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen diese Entscheidung – sofern diese vor dem zugestellt wurde - mit zu laufen (§ 6 Abs. 2 iVm § 1 Abs. 1 Art. 16 2. COVID-19-Gesetz BGBl. I Nr. 16/2020).
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 5 Abs. 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 26 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 26 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.7101049.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at