Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 10.06.2016, RV/7500538/2016

Unzulässigkeit von Vollstreckungsverfügungen, wenn die Titelbescheide nicht rechtswirksam ergangen sind

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R über die Beschwerden des Bf., geboren , deutscher Staatsbürger, bisherige Abgabestelle: A-Gasse, Ö, vom gegen nachstehende Vollstreckungsverfügungen des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6, Rechnungs- und Abgabenwesen, vom :


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Zahlungsreferenz
MA 67 PA-
Titelbescheid
035739043099
920722/2/7
Straferkenntnis
499251943099
920724/2/2
Straferkenntnis
3715449443099
902589/3/9
Straferkenntnis
371543743099
904189/3/1
Straferkenntnis
371541343099
920519/3/5
Straferkenntnis
371540143099
920520/3/4
Straferkenntnis
371539543099
920525/3/8
Straferkenntnis
371538343099
922349/3/8
Strafverfügung
371536043099
922370/3/4
Strafverfügung
371535843099
922836/3/9
Strafverfügung
371534643099
922838/3/4
Strafverfügung
371533443099
922839/3/7
Strafverfügung
371532243099
922841/3/9
Strafverfügung
371528043099
922842/3/1
Strafverfügung
279123743099
922843/3/4
Strafverfügung
279121343099
922844/3/7
Strafverfügung
279120143099
922845/3/0
Strafverfügung
279119543099
922847/3/5
Strafverfügung
279118343099
910809/4/0
Strafverfügung
279117143099
910817/4/9
Strafverfügung
279115843099
910818/4/1
Strafverfügung
279114643099
910820/4/3
Strafverfügung
279112243099
910821/4/6
Strafverfügung
273035243099
910823/4/1
Strafverfügung
272962343099
910828/4/5
Strafverfügung
249048143099
910830/4/7
Strafverfügung
249043243099
910834/4/8
Strafverfügung
249042043099
910836/4/3
Strafverfügung
099680443099
910838/4/9
Strafverfügung
078614743099
910839/4/1
Strafverfügung
035741843099
920212/4/4
Strafverfügung

zu Recht erkannt:

Die Vollstreckungsverfügungen werden als unzulässig aufgehoben.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist für den Beschwerdeführer nach § 25a Abs. 4 VwGG unzulässig.

Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof durch die belangte Behörde ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundesverfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

Entscheidungsgründe

Die verfahrensgegenständlichen Vollstreckungsverfügungen vom betreffen Strafverfügungen und Straferkenntnisse, in welchen gegen den Bf. Strafen wegen Nichtbeantwortung von Lenkererhebungen ausgesprochen wurden.

Mit Schriftsatz vom erhob der Bf. gegen die Vollstreckungsverfügungen Beschwerden und machte zusammengefasst geltend, zu den die Titelbescheide betreffenden Geschäftszahlen seien ihm zu keinem Zeitpunkt Strafverfügungen zugestellt worden. Weiters sei er zu folgenden Zeitpunkten ortsabwesend gemeldet gewesen:

bis (Aufenthalt bei der Familie in Deutschland),

gesamter März 2014 bis inklusive (aus „medizinischen Gründen“ in XY, Bgld.),

bis (Aufenthalt bei der Familie in Deutschland),

bis (Urlaub in Slowenien),

gesamter September 2014 bis ( XY, Bgld.).

Die den Titelbescheiden zugrundeliegenden Lenkererhebungen wurden dem Bf. in den meisten Fällen durch den Erhebungs- und Vollstreckungsdienst der belangten Behörde (Magistratsabteilung 6) zugestellt und vom Bf. eigenhändig an der Adresse A-Gasse, Ö übernommen.

Die Titelbescheide (oa. Strafverfügungen bzw. Straferkenntnisse) waren ebenfalls an den Bf. an og. Adresse gerichtet, wurden von ihm aber nicht eigenhändig übernommen, sondern gemäß § 17 ZustellG an der Abgabestelle A-Gasse, Ö hinterlegt. Sämtliche Titelbescheide wurden vom Bf. nicht behoben und vom Postamt mit dem Vermerk „Abgabestelle unbenutzt“ an die belangte Behörde retourniert.


Tabelle in neuem Fenster öffnen
OZ
Titelbescheid: MA 67 PA-
Lenkererhebung persönlich übernommen am (bzw. hinterlegt/Beginn der Abholfrist)
Titelbescheid hinterlegt (Beginn der Abholfrist) am
1
920722/2/7
2
920724/2/2
3
902589/3/9
hinterlegt , nicht behoben
4
904189/3/1
hinterlegt , nicht behoben
5
920519/3/5
6
920520/3/4
7
920525/3/8
8
922349/3/8
hinterlegt , nicht behoben
9
922370/3/4
hinterlegt , nicht behoben
10
922836/3/9
11
922838/3/4
12
922839/3/7
13
922841/3/9
14
922842/3/1
15
922843/3/4
16
922844/3/7
17
922845/3/0
18
922847/3/5
19
910809/4/0
20
910817/4/9
21
910818/4/1
22
910820/4/3
23
910821/4/6
24
910823/4/1
25
910828/4/5
26
910830/4/7
27
910834/4/8
28
910836/4/3
29
910838/4/9
30
910839/4/1
31
920212/4/4
hinterlegt , nicht behoben

Aktenkundig ist weiters, dass der Bf. sich von der Abgabestelle A-Gasse, Ö jedenfalls für folgende Zeiträume postalisch abgemeldet hat:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
-
-
-
-
-
-
-
bis auf Widerruf
-
-
 
-
-
 
-
-
 
-
-
 
-
-
 
-
-
 
-
-
 
-
-
 
-
-
 
-
-
 

Über die Beschwerden wurde erwogen:

Gemäß § 54b Abs. 1 Verwaltungsstrafgesetz (VStG) sind rechtskräftig verhängte Geldstrafen oder sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen binnen zwei Wochen nach Eintritt der Rechtskraft zu bezahlen. Erfolgt binnen dieser Frist keine Zahlung, kann sie unter Setzung einer angemessenen Frist von höchstens zwei Wochen eingemahnt werden. Nach Ablauf dieser Frist ist die Unrechtsfolge zu vollstrecken. Ist mit Grund anzunehmen, dass der Bestrafte zur Zahlung nicht bereit ist oder die Unrechtsfolge uneinbringlich ist, hat keine Mahnung zu erfolgen und ist sofort zu vollstrecken.

Gemäß § 3 VVG (Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991) setzt die rechtmäßige Erlassung einer Vollstreckungsverfügung voraus, dass dieser ein entsprechender Titelbescheid zugrunde liegt, dieser Bescheid gegenüber dem Verpflichteten wirksam ergangen und rechtskräftig ist und der Verpflichtete seiner Verpflichtung innerhalb der festgesetzten Frist und bis zur Einleitung des Vollstreckungsverfahrens nicht nachgekommen ist. Unter Vollstreckungsverfügung versteht man alle unmittelbar der Vollstreckung des Titelbescheides dienenden, auf Grund des VVG ergehenden Bescheide.

In einer Beschwerde gegen eine Vollstreckungsverfügung kann geltend gemacht werden, dass

  • die Vollstreckung unzulässig ist oder

  • die Vollstreckungsverfügung mit dem zu vollstreckenden Bescheid nicht übereinstimmt oder

  • die angeordneten oder angewendeten Zwangsmittel im Gesetz nicht zugelassen sind oder mit § 2 Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 (VVG) im Widerspruch stehen.

Der Beschwerdegrund der Unzulässigkeit der Vollstreckung ist dann gegeben, wenn der Verpflichtete behauptet, dass die Voraussetzungen für eine Vollstreckung nicht gegeben sind. Voraussetzung für eine Vollstreckung ist, dass überhaupt ein entsprechender Titelbescheid vorliegt, dass dieser gegenüber dem Verpflichteten wirksam geworden ist und dass der Verpflichtete seiner Verpflichtung innerhalb der festgesetzten Frist und bis zur Einleitung des Vollstreckungsverfahrens nicht nachgekommen ist ().

Zu prüfen ist gegenständlich, ob die Titelbescheide gegenüber dem Bf. rechtswirksam ergangen sind.

Die §§ 4, 8 und 17 Abs. 1 und 3 Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 idgF. lauten:

§ 4 Abgabestelle im Sinne dieses Bundesgesetzes ist der Ort, an dem die Sendung dem Empfänger zugestellt werden darf; das ist die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort.

§ 8 (1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.

(2) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

§ 17 (1) Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

(3) Die hinterlegte Sendung ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte.

Erfolgt trotz Änderung der Abgabestelle eine Hinterlegung behördlicher Bescheide gemäß § 17 ZustellG an der nicht mehr bestehenden Abgabestelle, so ist sie unwirksam ( Ritz, BAO, 5. Aufl., Kommentar zum ZustellG, § 8 Tz 12).

Anbetracht der ungewöhnlichen Anzahl der vom Bf. postalisch erklärten Ortsabwesenheitserklärungen ist erkennbar, dass es sich dabei nicht nur um vorübergehende Abwesenheiten handelt, sondern die Wohnung in Ö, A-Gasse bereits vor Erlassung der gegenständlichen Titelbescheide die Eigenschaft als Abgabestelle verlor. Es liegt daher eine Änderung der Abgabestelle im Sinne des § 8 Abs. 1 ZustellG vor.

Dessenungeachtet wurden sämtliche Titelbescheide gemäß § 17 ZustellG an der bisherigen Abgabestelle hinterlegt.

Da somit die Titelbescheide nicht rechtswirksam ergangen sind, waren die Vollstreckungsverfügungen als unzulässig aufzuheben.

Dem Bf. konnten durch den Erhebungs- und Vollstreckungsdienst der belangten Behörde in den meisten Fällen (siehe oben) die betreffenden Lenkererhebungen an der bisherigen Abgabestelle gemäß § 24a Abs. 1 ZustellG rechtswirksam  zu eigenen Handen zugestellt werden, sodass er von den gegen ihn laufenden oa. Verfahren in Parkometerangelegenheiten jedenfalls in Kenntnis war und gemäß § 8 Abs. 1 ZustellG verpflichtet gewesen wäre, der belangten Behörde bzw. dem Bundesfinanzgericht unverzüglich die Änderung der Abgabestelle - unter Nennung einer neuen Abgabestelle - mitzuteilen. Da der Bf. dies unterlassen hat, wird das gegenständliche Erkenntnis gemäß § 8 Abs. 2 iVm. § 23 Abs. 1 ZustellG ohne vorausgehenden Zustellversuch beim Bundesfinanzgericht hinterlegt und zur Abholung bereitgehalten.

Zur Zulässigkeit der Revision

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision des Beschwerdeführers an den Verwaltungsgerichtshof (Art. 133 Abs. 4 B-VG) gemäß § 25a Abs. 4 VwGG nicht zulässig, da bei Verwaltungsstrafsachen, bei denen eine Geldstrafe von bis zu 750 Euro verhängt werden darf und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu 400 Euro verhängt wird, eine Verletzung in subjektiven Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG) ausgeschlossen ist.

Eine Revision durch die belangte Behörde ist gemäß § 25 Abs. 1 VwGG iVm. Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Verwaltungsstrafsachen Wien
betroffene Normen
§ 17 Abs. 3 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
§ 23 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
§ 17 Abs. 1 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
§ 8 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
§ 4 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2016:RV.7500538.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at