Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 05.04.2016, RV/3101110/2014

Auslegung des Begriffs der "Steuerverfangenheit" in § 30 Abs. 4 EStG 1988 (idF des 1. StabG 2012)

Beachte

Revision eingebracht. Beim VwGH anhängig zur Zl. Ro 2016/15/0013. Mit Erk. v. als unbegründet abgewiesen.


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Rechtssätze
Stammrechtssätze
RV/3101110/2014-RS1
"Steuerverfangen" war ein Grundstück am dann, wenn an diesem Tag die Spekulationsfrist im Sinne des § 30 Abs. 1 Z 1 lit. a EStG 1988 idF vor dem 1. StabG 2012 noch nicht abgelaufen war. Ob im Falle eines hypothetischen Verkaufs an diesem Tag eine Steuerbefreiung (hier: die Herstellerbefreiung nach alter Rechtslage) zum Tragen gekommen wäre, ist hingegen nicht maßgeblich.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Vorsitzende R1 und die weiteren Senatsmitglieder R2, L1 und L2 im Beisein der Schriftführerin S in der Beschwerdesache des Bf. gegen den Bescheid des Finanzamtes FA betreffend Einkommensteuer 2012 in der Sitzung am nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung

zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben. Die Bemessungsgrundlagen und die festgesetzte Abgabe betragen:


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Einkommen 2012
48.962,61 €
Steuer gemäß § 33 EStG 1988
15.465,27 €
Einkünfte aus Grundstücksveräußerungen gemäß § 30 EStG 1988
117.895,18 €
Steuer gemäß § 30a Abs. 1 EStG 1988 (Steuersatz 25 %)
29.473,79 €
Festgesetzte Einkommensteuer 2012 (gerundet)
44.939,00 €

Die Fälligkeit der Abgabe bleibt unverändert.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

I) Sachverhalt

Der Beschwerdeführer (Bf.) erwarb mit Kaufvertrag vom 17.8./ von KW die neu zu bildende Teilfläche GSt. xxxx/x aus der Liegenschaft EZ  xxx GB xxxxx und errichtete darauf in den Jahren 2007/2008 ein Wohnhaus mit insgesamt neun Wohneinheiten und einem Parkdeck. Im Kaufvertrag vom 17.8./ hatte sich die Verkäuferin ua. die Einräumung des Wohnungseigentums an einer der zu erstellenden Wohnungen sowie an einem Autoabstellplatz (ohne gesondertes Entgelt) ausbedungen. Nach der Fertigstellung des Neubaus im Mai 2008 schlossen der Bf. und KW den Übergabs- und Wohnungseigentumsvertrag vom , wonach an den neun Wohnungen und 13 Autoabstellplätzen Wohnungseigentum begründet und 62/801 Anteile, verbunden mit dem Wohnungseigentum an der Wohnung Top W 8 sowie am Autoabstellpatz P11, an KW übergeben wurden. Dem Bf. verblieben 739/801 Anteile, verbunden mit dem Wohnungseigentum an acht Wohneinheiten und zwölf Autoabstellplätzen. In der Folge erzielte der Bf. Einkünfte aus der Vermietung dieser Wohnungen und Autoabstellplätze.

Mit Vertrag vom veräußerte der Bf. 92/801 Anteile an der Liegenschaft, verbunden mit dem Wohnungseigentum an der Wohnung Top W 6 sowie am Autoabstellplatz P7, an den bisherigen Mieter um einen Kaufpreis von 265.000 €.

Strittig ist, ob dieses Veräußerungsgeschäft teilweise (nämlich in Bezug auf den Gebäudeanteil) der Regelung des § 30 Abs. 4 EStG 1988 idF des 1. StabG 2012 über die pauschale Ermittlung der Anschaffungskosten bei so genanntem „Altvermögen“ unterliegt.

II) Verfahrensgang

1) In der (elektronisch eingereichten) Einkommensteuererklärung 2012 wies der Bf. „Einkünfte aus Grundstücksveräußerungen“ wie folgt aus:

- unter der Kennzahl 572 (pauschal ermittelte Einkünfte gemäß § 30 Abs. 4 Z 2 EStG 1988, „Altvermögen“): 29.680 €;

- unter der Kennzahl 574 (nicht pauschal ermittelte Einkünfte gemäß § 30 Abs. 3 EStG 1988, „Neuvermögen“): 37.391,73 €.

Über Ergänzungsersuchen des Finanzamtes stellte die steuerliche Vertreterin des Bf. die Berechnung dieser Einkünfte folgendermaßen dar (E-Mail vom ):
 


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Gebäude:
 
Verkaufspreis Top 6 (265.000 €) abzügl. 20 % Grundanteil (53.000 €)
212.000,00 €
abzüglich Anschaffungskosten (86 % gemäß § 30 Abs. 4 EStG)         
-182.320,00 €
Veräußerungsgewinn Gebäude
29.680,00 €
Grundstück:
 
Verkaufspreis (Grundanteil)
53.000,00 €
abzüglich Anschaffungskosten (92/739 von 125.375,16 €)
-15.608,27 €
Veräußerungsgewinn Grund und Boden
37.391,73 €

Dazu wurde - mit Hinweis auf SWK-Spezial, Die neue Immobilienbesteuerung i.d.F. AbgÄG 2012 - erläuternd ausgeführt, selbst hergestellte Gebäude seien nach § 30 Abs. 1 Z 2 EStG 1988 in der Fassung vor dem 1. StabG 2012 vom Spekulationstatbestand ausgenommen gewesen; nach alter Rechtslage habe die Herstellerbefreiung auch vermietete Gebäude erfasst. Vom Verkaufspreis des Gebäudes dürfe der Bf. daher nach § 30 Abs. 4 EStG 1988 „86 % fiktive Anschaffungskosten absetzen“, weil das Grundstück insoweit zum nicht steuerverfangen gewesen sei.

2) Abweichend von der Erklärung schrieb das Finanzamt dem Bf. im Einkommensteuerbescheid 2012 vom die „Steuer für Einkünfte aus Grundstücksveräußerungen“ mit 37.138,22 € (d.s. 25 % von 148.552,91 €) vor.

In der Bescheidbegründung führte das Finanzamt aus, eine pauschale Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Immobilienertragsteuer iSd § 30 Abs. 4 EStG 1988 sei "nicht zulässig, wenn das Objekt zuvor vermietet wurde". Die Einkünfte aus der Veräußerung der Immobilie seien wie folgt berechnet worden:
 


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Verkaufspreis
265.000,00 €
abzüglich Anschaffungskosten Grund und Boden
-15.608,27 €
abzüglich Gebäudeherstellungskosten (980.955,75 € x 92/801 Anteile)
-112.669,07 €
zuzüglich  AfA
+11.830,25 €
Bemessungsgrundlage ImmoESt
148.552,91 €

3) Der Bf. erhob gegen den Einkommensteuerbescheid 2012 durch seine steuerliche Vertreterin Berufung mit dem Antrag, die Immobilienertragsteuer erklärungsgemäß festzusetzen, d.h. die pauschale Ermittlung der Anschaffungskosten des Gebäudes anzuerkennen. Die Herstellerbefreiung nach § 30 Abs. 1 Z 2 EStG 1988 idF vor dem 1. StabG 2012 habe nur die „Bauherrenqualität“ vorausgesetzt und sowohl privat genutzte als auch vermietete Gebäude erfasst. Der Bf. hätte die Wohnung somit am steuerfrei veräußern können; die Wohnung sei daher am nicht steuerverfangen gewesen. Gemäß § 30 Abs. 4 Z 2 EStG 1988 könnten daher nach Wahl des Verkäufers für das Gebäude entweder die tatsächlichen Anschaffungskosten (abzüglich AfA) oder 86 % des Veräußerungserlöses abgesetzt werden.

4) Das Finanzamt wies die (nunmehrige) Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab. Eine pauschale Ermittlung der Anschaffungskosten sei nur für so genannte Altgrundstücke möglich. Altgrundstücke seien infolge Ablaufs der Spekulationsfrist am nicht steuerverfangen gewesen. Nicht ausreichend sei hingegen, dass bei einem Verkauf am die „Bauherrenbefreiung“ zum Tragen gekommen wäre.

5) Im Vorlageantrag führte die steuerliche Vertreterin des Bf. aus, die Ansicht des Finanzamtes stehe im Widerspruch zum Gesetzeswortlaut und finde auch in den Gesetzesmaterialien keine Deckung. § 30 Abs. 4 EStG 1988 stelle einzig und allein auf Grundstücke ab, die am nicht steuerverfangen waren.

6) Mit einem beim Bundesfinanzgericht eingebrachten Eventualantrag vom wurden auch Einwendungen gegen die vom Finanzamt vorgenommene Berechnung der Einkünfte aus der Grundstücksveräußerung erhoben. Die Einkünfte seien um weitere Herstellungskosten des Gebäudes sowie um einen aus der Vorsteuerberichtigung anlässlich des Verkaufs resultierenden Minderbetrag zu kürzen. Die in den Jahren 2008 bis 2012 bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abgezogene AfA von den (anteiligen) Herstellungskosten der Wohnung Top 6 samt Autoabstellplatz betrage richtig 7.344,82. Vom Veräußerungserlös sei ein (in Höhe der Buchwerte geschätzter) Betrag von 4.824 € für Einrichtung (Küchen- und Badezimmermöbel, Beleuchtung) auszuscheiden (siehe im Detail die Berechnung laut E-Mail der steuerlichen Vertreterin vom , korrigiert laut Besprechung vom auf 117.895,18 €). In der mündlichen Verhandlung vom wendete die Vertreterin des Finanzamtes ein, aus dem Verkaufspreis der Eigentumswohnung sei kein Ablösebetrag für das mit übergebene Inventar herauszurechnen, weil der Kaufvertrag vom keine entsprechende Aufgliederung enthalte. Im Übrigen wurde die Berechnung außer Streit gestellt.

III) Rechtslage

1) Gemäß § 29 Z 2 EStG 1988 in der Fassung durch das 1. Stabilitätsgesetz 2012, BGBl. I Nr. 22/2012, unterliegen Einkünfte aus privaten Grundstücksveräußerungen (§ 30) als sonstige Einkünfte der Besteuerung. Private Grundstücksveräußerungen sind Veräußerungsgeschäfte von Grundstücken, soweit sie keinem Betriebsvermögen angehören. Der Begriff des Grundstückes umfasst Grund und Boden, Gebäude und Rechte, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen (§ 30 Abs. 1 erster und zweiter Satz EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 22/2012). Wird eine Eigentumswohnung veräußert, findet sowohl eine Veräußerung des anteiligen Grund und Bodens als auch eine Veräußerung des „dazugehörigen“ Gebäudeteils statt ( Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, Kommentar zum EStG, § 30, Tz 41).

Von der Besteuerung ausgenommen sind ua. die Einkünfte aus der Veräußerung von selbst hergestellten Gebäuden, soweit sie innerhalb der letzten zehn Jahre nicht zur Erzielung von Einkünften gedient haben (§ 30 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 22/2012 ).

Als Einkünfte ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem Veräußerungserlös und den Anschaffungskosten anzusetzen. Die Anschaffungskosten sind um Herstellungsaufwendungen und Instandsetzungsaufwendungen zu erhöhen, soweit diese nicht bei der Ermittlung von Einkünften zu berücksichtigen waren. Die Anschaffungskosten sind ua. um Absetzungen für Abnutzungen, soweit diese bei der Ermittlung von Einkünften abgezogen worden sind, zu vermindern. Die Einkünfte sind ua. um anlässlich der Veräußerung entstehende Minderbeträge aus Vorsteuerberichtigungen gemäß § 6 Z 12 zu vermindern (§ 30 Abs. 3 EStG 1988 idF des AbgÄG 2012, BGBl. I Nr. 112/2012).

§ 30 Abs. 4 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 22/2012 lautet auszugsweise:

Soweit Grundstücke am nicht steuerverfangen waren, sind als Einkünfte anzusetzen:

1. Im Falle einer Umwidmung des Grundstückes nach dem der Unterschiedsbetrag zwischen dem Veräußerungserlös und den mit 40% des Veräußerungserlöses anzusetzenden Anschaffungskosten. …

2. In allen übrigen Fällen der Unterschiedsbetrag zwischen dem Veräußerungserlös und den mit 86% des Veräußerungserlöses anzusetzenden Anschaffungskosten.“

Auf Antrag können die Einkünfte statt nach Abs. 4 auch nach Abs. 3 ermittelt werden (§ 30 Abs. 5).

Nach § 30a Abs. 1 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 22/2012 unterliegen Einkünfte aus der Veräußerung von Grundstücken im Sinne des § 30 einem besonderen Steuersatz von 25% und sind bei der Berechnung der Einkommensteuer des Steuerpflichtigen weder beim Gesamtbetrag der Einkünfte noch beim Einkommen (§ 2 Abs. 2) zu berücksichtigen, sofern nicht die Regelbesteuerung (Abs. 2) anzuwenden ist.

Gemäß § 124b Z 215 und Z 226 EStG 1988 sind diese Bestimmungen mit in Kraft getreten und erstmals für Veräußerungen nach dem anzuwenden.

2) Nach der Rechtslage vor dem 1. StabG 2012 unterlagen private Grundstücksveräußerungen als Spekulationsgeschäfte nur dann der Einkommensteuer, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre (bzw. in bestimmten Fällen 15 Jahre) betragen hatte (§ 30 Abs. 1 Z 1 lit. a EStG 1988 idF vor BGBl. I Nr. 22/2012). Einkünfte aus der Veräußerung von selbst hergestellten Gebäuden waren von der Besteuerung ausgenommen (§ 30 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 idF vor BGBl. I Nr. 22/2012). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entstand aber durch den Bau eines Gebäudes auf eigenem Grund und Boden aus der Sicht des § 30 kein neues Wirtschaftsgut: Ein Grundstück, das als unbebaut erworben und auf dem sodann ein Haus errichtet wurde, blieb ungeachtet dessen, dass es nun als bebaut zu gelten hatte, dieselbe Sache. Die Spekulationsfrist begann demnach bereits mit der Anschaffung des (unbebauten) Grundstücks zu laufen (, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur). Diese einheitliche Betrachtung von Grund und Boden und den darauf errichteten Gebäuden als ein Wirtschaftsgut wurde mit der gesetzlichen Definition des Grundstücksbegriffes in § 30 Abs. 1 EStG 1988 (idF des 1. StabG 2012) aufgegeben (Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, Kommentar zum EStG, § 30, Tz 27).

3) Mit dem Abgabenänderungsgesetz 2015, BGBl. I Nr. 163/2015, wurde § 30 Abs. 4 EStG 1988 geändert. Der erste Satz lautet nunmehr: „Soweit Grundstücke am ohne Berücksichtigung von Steuerbefreiungen nicht steuerverfangen waren, sind als Einkünfte anzusetzen:“ Nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage sollte mit dieser Änderung klargestellt werden, dass „für die Frage, ob ein Grundstück am steuerverfangen war, lediglich die abstrakte Steuerbarkeit relevant ist, somit allfällige Befreiungsbestimmungen (insbesondere Hauptwohnsitzbefreiung und Herstellerbefreiung) hiefür keine Relevanz haben“. Für die Abgrenzung relevant sei „die Steuerverfangenheit gemäß § 30 idF vor dem 1. StabG 2012 dem Grunde nach, somit im Ergebnis lediglich der Zeitpunkt der Anschaffung des betreffenden Grundstückes“ (ErlRV 896 BlgNR XXV. GP, 7).

IV) Erwägungen

1) Im Beschwerdefall ist strittig, wie der Begriff der „Steuerverfangenheit“ in § 30 Abs. 4 EStG 1988 (idF BGBl. I Nr. 22/2012, somit vor der Änderung durch BGBl. I Nr. 163/2015) auszulegen ist. In der Fachliteratur wurden unterschiedliche Meinungen vertreten:

Nach Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, Kommentar zum EStG, § 30, Tz 258, sei darunter die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 30 idF vor dem 1. StabG 2012 zu verstehen. Die tatsächliche Steuerpflicht (einer Veräußerung am ) sei nicht erforderlich, andernfalls der Gesetzgeber auf die hypothetische Steuerpflicht im Falle einer Veräußerung zu diesem Tag abgestellt hätte. Ein Grundstück sei daher am steuerverfangen gewesen, wenn eine Veräußerung abstrakt steuerbar gewesen wäre. Nicht relevant sei, ob die Veräußerung zu diesem Tag tatsächlich zu einer Besteuerung geführt hätte oder ob diese zur Gänze oder teilweise auf Grund einer Steuerbefreiung unterblieben wäre. Entscheidend sei somit lediglich, ob die Veräußerung innerhalb der Spekulationsfrist nach § 30 Abs. 1 Z 1 idF vor dem 1. StabG 2012 erfolgt wäre (so auch Jakom/Kanduth-Kristen, EStG, 2015, § 30 Rz 47; Bodis/Hammerl, RdW 2013, 357; Fuchs, AFS 2013, 82; Klaushofer/Leitner in Urtz (Hrsg), Die neue Immobiliensteuer, ÖStZ-Spezial, 2. Auflage 2013, S. 139; Wagner in Haunold/Kovar/Schuch/Wahrlich (Hrsg), Immobilienbesteuerung, 3. Aufl. 2013; Kohler/Hauleithner in SWK 6/2016, 369 ).

Hingegen betrachten Bovenkamp/Fuhrmann/Kühmayr/Reisch/Resch/Sulz, Abgabenänderungsgesetz 2012, 2. Auflage 2013, S. 27, das Abstellen auf eine abstrakte Steuerpflicht nach § 30 EStG 1988 idF vor dem 1. StabG 2012 als „zu eng“, vielmehr seien auch alle Befreiungstatbestände dieser Bestimmung mit zu berücksichtigen. Eine abstrakte Betrachtung könne weder aus dem Gesetz noch aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage abgeleitet werden.

Auch nach Beiser, Die neue Immobiliensteuerung idF AbgÄG 2012, SWK-Spezial 2013, Beispiel 12 unter Tz 49, ist bei einem nach dem erfolgten Verkauf eines vor diesem Stichtag selbst hergestellten Mietgebäudes die Pauschalregelung des § 30 Abs. 4 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 22/2012 (hinsichtlich des Gebäudeanteiles) anwendbar, weil die Herstellerbefreiung nach alter Rechtslage auch selbst hergestellte Mietgebäude umfasst hatte.

Thunshirn (in ecolex 2014, 74) vertritt die Ansicht, selbst hergestellte Gebäude seien - unabhängig davon, ob sie auf Grund und Boden des „Altvermögens“ oder des „Neuvermögens“ errichtet wurden - zum nicht steuerhängig gewesen, weil sie nach dem alten Spekulationstatbestand, der eine Anschaffung voraussetzte, nicht Gegenstand einer Spekulationsbesteuerung gewesen seien. Die Ausnahmebestimmung des § 30 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 idF vor dem 1. StabG 2012 habe bloß klarstellende Wirkung gehabt.

2) § 30 Abs. 4 EStG 1988 idF des 1. StabG 2012 enthält keine Definition des Begriffes der „Steuerverfangenheit“ und auch die Gesetzesmaterialien (ErlRV 1680 BlgNR XXIV. GP, 8 ff) führen diesen Begriff nicht näher aus. Nach Meinung des Senates ist damit - im gegebenen Zusammenhang - die Steuerbarkeit  eines Veräußerungsvorganges (nach alter Rechtslage) und nicht dessen tatsächlicheSteuerpflicht gemeint: Zweck der Regelung des § 30 Abs. 4 EStG 1988 idF des 1. StabG 2012 ist es, bei „Altvermögen “ einerseits Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlagen (infolge lange zurückliegender Anschaffungs- bzw. Herstellungsvorgänge) hintanzuhalten und andererseits die Einbeziehung in die neue Grundstücksbesteuerung abzumildern (siehe dazu Jakom/Kanduth-Kristen, EStG, 2015, § 30 Rz 71). Diesem Gesetzeszweck entspricht es, maßgeblich auf den Zeitpunkt der Anschaffung eines Grundstücks abzustellen. „Steuerverfangen“ war ein Grundstück am somit dann, wenn an diesem Tag die Spekulationsfrist im Sinne des § 30 Abs. 1 Z 1 lit. a EStG 1988 idF vor BGBl. I Nr. 22/2012 noch nicht abgelaufen war (vgl. auch , Rn 36). Der Senat interpretiert § 30 Abs. 4 EStG 1988 in der Fassung des 1. StabG 2012 nicht anders als den seit dem AbgÄG 2015 geltenden Normtext. Wie auch in den Gesetzesmaterialien zum AbgÄG 2015 (siehe oben Punkt III.3.) zum Ausdruck kommt, sollte die Änderung nur der Klarstellung dienen.

3) Der von Thunshirn, ecolex 2014, 74, vertretenen Ansicht, wonach der Verkauf eines selbst hergestellten Gebäudes vom Tatbestand des § 30 idF vor dem 1. StabG 2012 nicht umfasst, also nicht „steuerbar“ gewesen wäre, steht die oben (Punkt III.2.) zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegen. Durch die Herstellung eines Gebäudes auf einem angeschafften Grundstück entstand nach der Sichtweise des  Verwaltungsgerichtshofes kein neues Wirtschaftsgut. Es lag folglich immer noch eine Anschaffung vor, sodass die Veräußerung des nunmehr bebauten Grundstücks den Spekulationstatbestand erfüllen konnte. Die Befreiung selbst hergestellter Gebäude hatte konstitutive Bedeutung (siehe Jakom/Kanduth-Kristen, EStG, 2012, § 30 Rz 35). Vor Ablauf der Spekulationsfrist war daher das bebaute Grundstück als Ganzes „steuerverfangen“, wenngleich für den auf das selbst hergestellte Gebäude entfallenden Veräußerungserlös die Befreiungsbestimmung des § 30 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 idF vor dem 1. StabG 2012 galt.

4) Gegenstand des streitgegenständlichen Veräußerungsgeschäftes vom waren 88/801-Anteile an dem Grundstück Nr. xxxx/x samt damit verbundenem Wohnungseigentum an der Wohnung Top W 6 sowie 4/801-Anteile an der genannten Liegenschaft samt damit verbundenem Wohnungseigentum am Autoabstellplatz P7. Nach Maßgabe des Anschaffungszeitpunktes des Grundstückes war am die Spekulationsfrist (§ 30 Abs. 1 EStG 1988 idF vor BGBl. I Nr. 22/2012) in Bezug auf die in der Folge errichteten Wohnungseigentumseinheiten noch nicht abgelaufen; sie waren daher am „steuerverfangen“, wobei die betreffenden Anteile an Grund und Boden und an dem in den Jahren 2007/2008 errichteten Gebäude diesbezüglich (nach alter Rechtslage) einheitlich zu beurteilen waren. Darauf, dass im Falle eines hypothetischen Verkaufs am die (auch vermietete Gebäude umfassende) Herstellerbefreiung nach § 30 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 idF vor dem 1. StabG 2012 zum Tragen gekommen wäre, kommt es nach Auffassung des Senates nicht an.

Unstrittig ist die Herstellerbefreiung nach neuer Rechtslage (§ 30 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 idF des 1. StabG 2012) auf das gegenständliche Veräußerungsgeschäft nicht anwendbar, weil die Wohnung Top W 6 (samt Autoabstellplatz) vor dem Verkauf der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung diente.

5) Die Einkünfte aus der Grundstücksveräußerung waren somit nach § 30 Abs. 3 EStG 1988 zu ermitteln. Dabei ist der Senat dem Eventualantrag des Bf. auf Berichtigung der im angefochtenen Bescheid angesetzten Bemessungsgrundlage gefolgt. In Bezug auf die dem Käufer überlassenen Einrichtungsgegenstände (Einbauküche, Badezimmermöbel, Beleuchtung), war unbestritten keine gesonderte Ablöse vereinbart worden. Nach Ansicht des Senates war deshalb davon auszugehen, dass mit dem Kaufpreis von 265.000 € auch der Wert des in der Wohnung befindlichen Inventars abgegolten wurde. Ein geringer - in Höhe der Buchwerte geschätzter - Kaufpreisanteil für das Inventar hatte daher bei der Ermittlung der Einkünfte aus der Grundstücksveräußerung außer Ansatz zu bleiben.
Im Übrigen ist die Neuberechnung der Einkünfte aus der Grundstücksveräußerung nicht strittig . Die Berechnungist im Beiblatt dargestellt.

V) Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Frage, wie der Begriff der "Steuerverfangenheit" in § 30 Abs. 4 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 22/2012 auszulegen ist, wurde - soweit ersichtlich - in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch nicht beantwortet. Eine Revision ist insoweit zulässig.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2016:RV.3101110.2014

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at