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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.02.2015, RV/6100304/2009

Haftungsbescheid; faktischer Geschäftsführer

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Michael Schrattenecker in der Beschwerdesache XP, O-Dorf, vertreten durch Ferner Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH, 5020 Salzburg, Hellbrunnerstraße 11, gegen den Bescheid des Finanzamtes Salzburg-Land vom , betreffend die Heranziehung zur Haftung gemäß §§ 9 und 80 BAO zur Recht erkannt:

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Haftungsbescheid ersatzlos aufgehoben.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

Entscheidungsgründe

Übergangsbestimmung:

Mit wurde der Unabhängige Finanzsenat (UFS) aufgelöst. Die Zuständigkeit zur Weiterführung der mit Ablauf des bei dieser Behörde anhängigen Verfahren geht gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG auf das Bundesfinanzgericht (BFG) über. Dementsprechend normiert § 323 Abs. 38 Bundesabgabenordnung (BAO), dass die am beim UFS als Abgabenbehörde zweiter Instanz anhängigen Berufungen vom BFG als Beschwerde im Sinne des Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigen sind.

Mit Bescheid vom wurde der Beschwerdeführer (vormals Berufungswerber) XP gemäß §§ 9 und 80 BAO als Haftender für Abgabenschuldigkeiten der P-GmbH im Ausmaß von € 58.098,71 in Anspruch genommen. Dem Haftungsbescheid war eine Rückstandsaufgliederung angeschlossen, aus der die einzelnen Abgabenarten und Zeiträume ersichtlich waren. Der Haftungsbetrag setzte sich aus Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer, Kapitalertragsteuer und diversen Nebengebühren zusammen und umfasste Zeiträume zwischen 2001 und 2008.

In der Begründung verwies das Finanzamt auf § 9 BAO und hielt fest, dass diese Haftungsbestimmung grundsätzlich auch rechtsgeschäftlich bevollmächtigte Vertreter iSd. § 83 BAO umfasse. Der Geschäftsführer als gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft könne einem Dritten Handlungsvollmacht erteilen und diesen damit zu allen Geschäften und Rechtshandlungen ermächtigen die der Betrieb des Unternehmens gewöhnlich mit sich bringe. Die Bevollmächtigung könne nach zivilrechtlichen Bestimmungen und Rechtsprechung schriftlich, mündlich oder auch schlüssig erteilt werden. Aus Vernehmungsniederschriften der Beschuldigten YP und aus dem im Strafverfahren eingeholten Gutachten des Sachverständigen lasse sich eindeutig eine schlüssig erteilte Handlungsvollmacht ableiten. Frau YP habe bei der Vernehmung am zu Protokoll gegeben, dass sie zwar als de jure Geschäftsführerin der P-GmbH auftrete, aber tatsächlich ihr Mann, XP  die Firma leite. Sie habe auf die ihr vorgelegten Schriftstücke die Unterschrift darunter gesetzt, aber vielfach nicht gewusst, worum es sich dabei gehandelt habe. Die Letztentscheidungsbefugnis habe ihr Gatte gehabt.

Die Abgabenschuldigkeiten seien bei der Primärschuldnerin uneinbringlich weil diese weder über Einnahmen noch Vermögen verfüge und Exekutionsmaßnahmen erfolgslos verlaufen seien.

Der nunmehrige Beschwerdeführer war gem. § 83 BAO als faktischer Geschäftsführer  Vertreter der Gesellschaft und daher zur Entrichtung der Abgaben aus deren Mitteln verpflichtet.

Die Haftung bestehe zur Gänze, weil der Haftungspflichtige auf den Vorhalt des Finanzamtes nicht reagiert habe und keine Unterlagen vorgelegt habe, aus denen hervorgehe, dass er alle Gläubiger gleich behandelt habe bzw. die Finanzverwaltung bei der Verteilung der vorhandenen Mittel nicht schlechter gestellt habe .

Gegen diesen Haftungsbescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom das Rechtsmittel der Beschwerde (vormalig Berufung). Der angefochtene Haftungsbescheid sei inhaltlich rechtswidrig und ohne ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zustande gekommen. Es sei unrichtig, dass die Haftung des § 9 BAO auch rechtsgeschäftlich bevollmächtigte Vertreter treffen würde. Dies würde dazu führen, dass jeder Prokurist und jeder leitender Angestellter haften würde. Das Finanzamt Salzburg-Land setze sich mit dieser völlig einzigartigen Rechtsansicht über die herrschende Lehre und Rechtsprechung hinweg. Auch der Verwaltungsgerichtshof habe in mehreren Entscheidungen ausgesprochen, dass ein faktischer Geschäftsführer nicht zu Vertretung der Gesellschaft nach außen berufen sei und somit nicht als Vertreter im Sinne des § 80 BAO anzusehen sei. Trotz Hinweises des Vertreters in seiner Stellungnahme vom habe das Finanzamt diese völlig klare Rechtslage ignoriert. Die Erlassung des Haftungsbescheides zum jetzigen Zeitpunkt gehe nur darauf zurück, dass man schnell einen Haftungsbescheid erwirken wollte, um die Auszahlung eines dem Berufungswerber zustehenden Vorsteuerguthabens zu verhindern.
Davon abgesehen habe die P-GmbH ihre Geschäfte seit Jahren eingestellt. Seit der faktischen Einstellung der Geschäfte sei der Berufungswerber auch nicht mehr faktischer Geschäftsführer. Für alles was nach dem Jahr 2003 fällig geworden sei, sei er daher auch nach der vom Finanzamt unrichtigerweise vertretenen Rechtsauffassung nicht verantwortlich.
Weiters werde im angefochtenen Bescheid auf die ausführliche Stellungnahme des Beschwerdeführers überhaupt nicht eingegangen, was einen wesentlichen Verfahrensmangel darstelle. Das Finanzamt habe kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren abgeführt. Die in der vorangegangenen Betriebsprüfung getroffenen Feststellungen seien unzutreffend. Der Beschwerdeführer sei nicht Partei des Verfahrens gewesen und konnte daher keine Rechtsmittel ergreifen. Ein solches Rechtsmittel wäre notwendig und auch aussichtsreich gewesen, es wäre dann gar nicht zur Vorschreibung der gegenständlichen Abgabenbeträge gekommen.

In der weiteren Begründung werden inhaltliche Einwendungen zu den strittigen BP-Feststellungen „Vorsteuer für Bauvorhaben Hof“, „Fehlverbuchung von Rechtsberatungskosten“ und „Abdeckung Konto Landeshypo“ näher ausgeführt. Zur Vermeidung von Wiederholungen ist auf den bekannten Inhalt der Beschwerde zu verweisen.

Zusammenfassend beantragt der Beschwerdeführer die ersatzlose Behebung des Haftungsbescheides und die Einstellung des Haftungsverfahrens.

Mit Beschwerdevorentscheidung (vormalig Berufungsvorentscheidung) vom wurde diesem Rechtsmittel teilweise Folge gegeben und der Haftungsbetrag auf € 51.375,71 herabgesetzt. Dem Grunde nach wurde die Beschwerde abgewiesen.
Das Finanzamt stellte fest, dass sich der Beschwerdeführer nicht gegen die Feststellung der Abgabenbehörde wende, dass er als faktischer Geschäftsführer der GmbH aufgetreten sei. Diese Schlussfolgerung ergebe sich eindeutig aus den Gerichtsakten. Der Beschwerdeführer übersehe, dass § 9 Abs. 1 BAO nicht auf § 80 allein, sondern auch auf die nachfolgenden Bestimmungen (die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter) verweise, zu denen auch die gewillkürten Vertreter gem. § 83 BAO zählen.

Grundsätzlich seien faktische Geschäftsführer, d.h. Personen die nicht als Geschäftsführer im Firmenbuch eingetragen seien, aber dennoch wie ein solcher tatsächlich tätig werden, nicht zur Vertretung der Gesellschaft berufen und könnten daher auch nicht zur Haftung herangezogen werden. Allerdings greife die Haftung des § 9 Abs. 1 BAO weiter und erstrecke sich auch auf rechtsgeschäftlich bevollmächtigte Personen. Das Finanzamt verwies dazu auf Literaturstellen und die Rechtsprechung des OGH im Falle einer unterlassenen Konkursantragstellung.
Die Beendigung der Geschäftstätigkeit sei nicht im Jahr 2003 sondern frühestens mit September 2004 erfolgt (Verkauf der Eigentumswohnung). Aus der Aktenlage ergebe sich, dass zumindest bis April 2005 der GmbH Mittel zur Begleichung von Verbindlichkeiten zur Verfügung standen. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen zu den Themen fehlendes Verschulden, Beweislast und fehlende Mittel darf wiederum auf den bekannten Inhalt der Berufungsvorentscheidung verwiesen werden.

Durch den am eingelangten Vorlageantrag gilt die Beschwerde wiederum als unerledigt. In diesem Vorlageantrag wird auf ein weiteres Vorbringen zur Sache verzichtet, der Antrag auf ersatzlose Aufhebung des Haftungsbescheides jedoch wiederholt.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

§ 9 Abs. 1 BAO lautet:
Die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben in Folge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

§ 80 Abs. 1 BAO lautet:

Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Die Haftung des § 9 trifft Vertreter gemäß den §§ 80 bis 83, somit insbesondere Geschäftsführer einer GmbH (§ 18 Abs. 1 GmbHG), Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft, den Vorstand einer Genossenschaft, die Mitglieder eines Stiftungsvorstandes einer Privatstiftung, Insolvenzverwalter, Personen, die nach den Statuten zur Vertretung eines Vereines berufen sind und Verwalter im Sinne des § 80 Abs. 2 BAO.

Die Bestimmung des § 9 stellt nicht auf eine faktische Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten ab. Nach der Rechtsprechung ist ein De-facto-Geschäftsführer kein Vertreter iSd § 80 Abs. 1 BAO und des § 18 Abs. 1 GmbHG, seine Heranziehung zur Haftung ist daher unzulässig (; ; ).
Maßgebend für die Vertreterhaftung ist die gesellschaftsrechtliche Stellung als Geschäftsführer der GmbH. Dies gilt unabhängig davon, ob die betreffende Person tatsächlich als Geschäftsführer tätig ist oder z. B. nur ein „Pro-Forma-Geschäftsführer“ () ist oder die Geschäftsführerfunktion  „nur auf dem Papier“ ausübt ().
Die tatsächliche Führung der Geschäfte genügt nicht.

Die vom Finanzamt im angefochtenen Bescheid vertretene Rechtsauffassung nimmt die vom Gesetzgeber durch das AbgÄG 2012 vorgenommene Gesetzesänderung gleichsam voraus. Mit dem durch diese BAO-Novelle neu eingefügten § 9a wird der Personenkreis, den die Haftung des § 9 trifft, auf Personen erweitert, die entweder faktische Geschäftsführer sind (und damit de facto an der Stelle des Vertreters die abgabenrechtlichen Pflichten des Vertretenen erfüllen bzw. verletzen) oder die den Vertreter dahingehend beeinflussen, dass abgabenrechtliche Pflichten durch den Vertreter verletzt werden. § 9a BAO ist mit in Kraft getreten, § 9a Abs. 1 normiert eine abgabenrechtliche Pflicht jener Personen, die tatsächlich Einfluss auf die Erfüllung der Pflichten des Abgabepflichtigen und der Vertreter iSd §§ 80 ff nehmen. Diese Pflicht besteht ab Inkrafttreten dieser Bestimmung, somit ab . Sie kann daher auch erst ab diesem Zeitpunkt verletzt werden. Die Haftungsinanspruchnahme nach § 9a Abs. 2 kommt somit erstmals für ab erfolgte Pflichtverletzungen in Betracht.

Da diese Voraussetzung im gegenständlichen Fall nicht gegeben ist, war spruchgemäß zu entscheiden und de angefochtene Haftungsbescheid ersatzlos aufzuheben.

Zulässigkeit der Revision:

Die Revision an den VwGH ist nicht zulässig. Gemäß Art. 133 Abs. 4 und Abs. 9 B-VG iVm § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) kann gegen die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes Revision erhoben werden, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Beschluss von der Rechtsprechung des VwGH abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen  Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beantwortet wurde.

Die gegenständliche Beschwerdeentscheidung weicht weder von der Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt diese und der Lösung der Rechtsfrage kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung zu, da das Bundesfinanzgericht in rechtlicher Hinsicht der in der Entscheidung dargestellten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes folgt.

Salzburg-Aigen, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2015:RV.6100304.2009

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at