VwGH vom 21.10.2022, Ro 2022/09/0007
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des Disziplinaranwaltes beim Bundesministerium für Inneres gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W116 2252604-1/6E, betreffend Disziplinarstrafe nach dem BDG 1979 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesdisziplinarbehörde; mitbeteiligte Partei: A B in C, vertreten durch Dr. Hans-Moritz Pott, Rechtsanwalt in 8940 Liezen, Döllacher Straße 1; weitere Partei: Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
11. Die Mitbeteiligte steht als Polizistin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Mit Wirkung vom wurde sie aus dem Planstellenbereich der LPD D zur PI X im Bereich der LPD E versetzt.
22.1. Mit Urteil des LG Leoben vom wurde die Mitbeteiligte wegen des Vergehens des schweren Diebstahls durch Einbruch oder mit Waffen gemäß den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5, 129 Abs. 1 Z 2 StGB schuldig gesprochen und nach § 129 Abs. 1 StGB zu zehn Monaten Freiheitsstrafe sowie gemäß § 389 Abs. 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt. Die Mitbeteiligte habe im Tatzeitraum am Tatort eine fremde bewegliche Sache einem anderen durch Öffnen eines Behältnisses mit einem widerrechtlich erlangten Schlüssel mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie im Haus ihrer Schwiegereltern den im Esszimmer verwahrten Tresorschlüssel an sich genommen, mit diesem den Tresor geöffnet und daraus Bargeld im Wert von € 173.600,-- und eine näher bezeichnete Goldmünze in unbekanntem Wert der F und des G weggenommen habe.
3Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wurde der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren bedingt nachgesehen. Gemäß § 369 Abs. 1 StPO wurde die Mitbeteiligte schuldig gesprochen, den Privatbeteiligten jeweils einen Schadenersatzbetrag in der Höhe von € 45.800,-- binnen 14 Tagen zu bezahlen.
4Mildernd wurde vom Strafgericht das Geständnis, der bisherige ordentliche Lebenswandel, die teilweise Schadensgutmachung und die Bereitschaft der vollständigen Schadensgutmachung gewertet; erschwerend dagegen die hohe Schadenssumme und der Umstand, dass die Tat als Exekutivbeamtin vorgenommen worden sei.
52.2. Mit Beschluss des LG Leoben vom wurde die über die Mitbeteiligte verhängte Freiheitsstrafe gemäß § 31a StGB nachträglich auf acht Monate gemildert, weil diese mittlerweile den vollen Schaden wieder gut gemacht habe.
63. Mit Disziplinarerkenntnis der belangten Behörde vom wurde die Mitbeteiligte nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung schuldig gesprochen, durch die auch vom Strafgericht inkriminierte Tathandlung ihre Dienstpflicht nach § 43 Abs. 2 BDG 1979, nämlich in ihrem gesamten Verhalten darauf zu achten, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung ihres Amtes erhalten bleibe, gemäß § 91 BDG 1979 schuldhaft verletzt zu haben. Gemäß § 92 Abs. 1 Z 4 BDG 1979 wurde über die Mitbeteiligte die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt.
74.1. Das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) gab der lediglich gegen den Strafausspruch dieses Disziplinarerkenntnisses erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung Folge und setzte als Disziplinarstrafe anstelle der Entlassung gemäß § 92 Abs. 1 Z 3 BDG 1979 die Disziplinarstrafe der Geldstrafe in der Höhe von fünf Monatsbezügen fest (Spruchpunkt A). Weiters sprach es aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig sei (Spruchpunkt B).
84.2. Das Verwaltungsgericht traf u.a. folgende Feststellungen: Die Mitbeteiligte stehe als Polizistin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Mit Wirkung vom sei sie vom Planstellenbereich der LPD D in jenen der LPD E versetzt worden; zu diesem Zeitpunkt habe sie sich nach der Geburt ihres dritten Kindes bereits in Karenzurlaub befunden. Mit Bescheid der LPD E vom sei ihr gemäß § 75 Abs. 1 BDG 1979 Karenzurlaub gegen Entfall der Bezüge von bis gewährt worden. Am habe die Mitbeteiligte im Zuge eines Besuchs im Haus ihrer Schwiegereltern den im Esszimmer verwahrten Tresorschlüssel widerrechtlich an sich genommen, damit den Tresor geöffnet und aus diesem Bargeld im Wert von € 173.600,-- sowie eine Goldmünze weggenommen, das der Schwester der Schwiegermutter und deren Ehemann gehörten, um sich damit unrechtmäßig zu bereichern. Einen Teil des Geldes (ca. € 40.000,--) habe die Mitbeteiligte verwendet, um offene Kreditraten und laufende Rechnungen zu bezahlen, für ca. € 15.000,-- habe sie Kinderwaren eingekauft, welche sie in der Folge über einen Onlineshop gewinnbringend habe wiederverkaufen wollen, um damit das aus dem Tresor genommene Geld wieder zurückzahlen zu können. Im April 2021 habe die Schwiegermutter das Fehlen des Geldes bemerkt. Da im Zuge einer daraufhin abgehaltenen Familiensitzung nicht hervorgekommen sei, wer das Geld genommen habe, sei man übereingekommen, dass jene fünf Personen, die dafür in Frage gekommen seien, das Geld gemeinsam zurückzahlen sollten. Dabei habe es sich um die Mitbeteiligte, ihren Ehemann, den Bruder des Ehemannes und die Schwiegereltern gehandelt, also jene Familienmitglieder, denen der Aufenthaltsort des Tresorschlüssels bekannt gewesen sei. Die Eigentümer des Geldes hätten dieser Vereinbarung zugestimmt. Durch diese familiäre Situation habe sich die Mitbeteiligte zunehmend unter Druck gesetzt gefühlt, was schließlich dazu geführt habe, dass sie wenige Tage später der Schwiegermutter gestanden habe, das Geld genommen zu haben. Noch am selben Tag sei der Bruder des Ehemannes mit Polizeibeamten im Haus der Mitbeteiligten erschienen. Die Mitbeteiligte habe ein Geständnis abgelegt, den Opfern der Straftat den noch in ihrem Besitz befindlichen Teilbetrag von € 81.800,-- sowie die Goldmünze zurückgegeben, sich entschuldigt und volle Schadenswiedergutmachung versprochen.
94.3. Das Verwaltungsgericht führte unter Zitierung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aus, die Mitbeteiligte habe „grundsätzlich“ ein Verhalten gesetzt, das geeignet sei, das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung ihrer dienstlichen Aufgaben als Polizistin schwer zu erschüttern, und dass sie damit auch einen Verstoß gegen die in § 43 Abs. 2 BDG 1979 normierte Dienstpflicht begangen habe. Die Pflicht des Beamten, in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erhalten bleibe, umfasse nämlich sowohl sein dienstliches als auch sein außerdienstliches Verhalten.
10Die Mitbeteiligte sei als Polizistin nach dem SPG grundsätzlich auch zur Abwehr und Verfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen nach dem StGB berufen. Wenn eine Polizistin außerhalb ihres Dienstes selbst Vergehen nach dem StGB begehe, verletze sie damit eben jene Rechtsgüter, die sie im Dienst zu schützen habe. Dazu komme, dass die Mitbeteiligte in der Vergangenheit auch tatsächlich regelmäßig mit kriminalpolizeilichen Aufgaben betraut worden sei. Ein besonderer Funktionsbezug liege daher vor.
11Auch gebe es einen disziplinären Überhang; ein Einbruchsdiebstahl einer Polizistin sei grundsätzlich geeignet, das Vertrauen der Allgemeinheit nicht nur in die sachliche Wahrnehmung ihrer Aufgaben, sondern auch in das rechtmäßige Vorgehen der Exekutive an sich schwer zu beeinträchtigen. Aufgrund der sensiblen Aufgaben der Exekutive sei gerade in diesem Bereich das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtstreue ihrer Organe für ein ordnungsgemäßes Funktionieren des Polizeibetriebes unverzichtbar. Die Verhängung einer zusätzlichen Disziplinarstrafe erscheine daher nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes jedenfalls notwendig, um allen Exekutivbediensteten das mit ihrer besonderen Stellung verbundene hohe Maß an Verantwortung vor Augen zu führen.
12Zu Recht sei die belangte Behörde von einer schweren Dienstpflichtverletzung ausgegangen. Der Gesetzgeber habe für das von der Mitbeteiligten verwirklichte Delikt der Eigentumskriminalität einen Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen, wobei auch die hohe Schadenssumme bei der objektiven Schwere mit zu berücksichtigen sei. Außerdem habe die Mitbeteiligte gerade jene Werte verletzt, zu deren Schutz sie als Polizistin berufen sei, was bei der Beurteilung der Schwere als gravierend ins Gewicht falle.
13In subjektiver Sicht habe die Mitbeteiligte nach den bindenden Feststellungen des Strafgerichtes vorsätzlich gehandelt.
14Allerdings sei gemäß dem nach § 93 Abs. 1 dritter Satz BDG 1979 zu berücksichtigenden § 32 StGB auch darauf Bedacht zu nehmen, inwieweit die Tat auf eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters und inwieweit sie auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen sei, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnten.
15Die Mitbeteiligte habe sich zur Tatzeit offensichtlich steigendem finanziellen und auch familiärem Druck ausgesetzt gesehen, weil sie sich bereits mehrere Jahre zur Betreuung ihrer damals ein, vier und sechs Jahre alten Kinder in Karenz befunden und damit zunächst ein geringeres und schließlich gar kein Einkommen mehr gehabt habe, aber von ihrem Ehemann dennoch erwartet worden sei, dass sie für die monatlichen Kreditrückzahlungen und laufenden Betriebskosten weiter alleine aufkommen solle, weil er der Ansicht gewesen sei, dass er bereits die gemeinsame Wohnraumbeschaffung zum Großteil finanziert habe. Die Mitbeteiligte, die anfangs noch mit finanzieller Unterstützung ihres Vaters habe rechnen können, sei bei der Bezahlung der offenen Rechnungen immer mehr in Schwierigkeiten geraten. Gegenüber ihrem Ehemann und dessen Familie habe sie diese Probleme „offenbar aus Scham oder falschem Stolz“ nicht angesprochen. Schließlich habe sie die Gelegenheit eines Besuchs bei den Schwiegereltern genützt, um den Schlüssel für den Safe, dessen Aufbewahrungsort sie gekannt habe, an sich zu nehmen, diesen zu öffnen und sich das darin von der Schwester der Schwiegermutter und deren Ehemann verwahrte Bargeld anzueignen, zumal sich die beiden für ein halbes Jahr in Südafrika aufgehalten hätten und die Mitbeteiligte gehofft habe, mit zukünftigen Einnahmen aus einem von ihr geplanten Webshop ausreichend Geld zu verdienen, um das Geld wieder zurücklegen zu können, bevor die Tat bemerkt werde. Diese Tatumstände würden die Tat zwar weder zu rechtfertigen noch zu entschuldigen vermögen, ließen jedoch ebensowenig auf eine generell gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Haltung schließen.
16Zusammengefasst habe die Mitbeteiligte eine in objektiver Hinsicht schwere Dienstpflichtverletzung begangen, wobei ihr auch subjektiv ein hoher Grad an Verschulden vorzuwerfen sei.
17Für die Strafbemessung im engeren Sinne sei das Verwaltungsgericht davon überzeugt, dass die Mitbeteiligte die Tat zutiefst bereue und in Zukunft weder weitere strafbare Handlungen noch Dienstpflichtverletzungen begehen werde. Sie sei sich ihrer Schuld bewusst und habe sich mit aller Kraft um Schadenswiedergutmachung bemüht. Vor dem Hintergrund dieser positiven Zukunftsprognose bedürfe es keiner zusätzlichen Disziplinarstrafe, um die Mitbeteiligte von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten.
18Aus generalpräventiven Gründen sei zu überlegen, dass in Anbetracht der vorliegenden objektiv und subjektiv schwerwiegenden Dienstpflichtverletzung und ihrer potentiell negativen Auswirkungen auf das notwendige Vertrauen der Öffentlichkeit in die für ein ordnungsgemäßes Funktionieren unerlässliche Rechtstreue ihrer Organe grundsätzlich auch eine strenge Disziplinarstrafe geboten erscheine, um allen Exekutivbediensteten das mit ihrer besonderen Stellung verbundene hohe Maß an Verantwortung vor Augen zu führen und diese so von der Begehung derartiger Pflichtverletzungen in Zukunft abzuhalten.
19Es seien im vorliegenden Fall jedoch auch Milderungsgründe zu berücksichtigen: der bisherige ordentliche Lebenswandel und die Tatsache, dass die Tat in auffallendem Widerspruch zu ihrem sonstigen Verhalten stehe; der Umstand, dass sie ihren Dienst bisher ohne Beanstandung erfüllt habe und dafür sogar dreimal Belobigungen für besonderen Fleiß und ausgezeichnete Leistungen erhalten habe; das reumütige Geständnis sowie die Verhinderung weiterer finanzieller Nachteile für den Dienstgeber, indem sie sich weiterhin unter Entfall der Bezüge habe karenzieren lassen. Darüber hinaus sei zusätzlich die vollständige Schadenswiedergutmachung zu berücksichtigen. Es gebe keine Erschwerungsgründe, weil die vom Strafgericht herangezogenen Erschwerungsgründe bereits bei der Schwere der Pflichtverletzung zu berücksichtigen gewesen sei. Aus diesen Gründen sei eine lediglich aus generalpräventiven Erwägungen zu verhängende Entlassung im vorliegenden Fall „keinesfalls zu rechtfertigen“. Eine Geldstrafe von fünf Monatsbezügen sei ausreichend, um eine entsprechende abschreckende Wirkung bei allen anderen Exekutivorganen zu erzielen, um diese wirksam von der Begehung derartiger Dienstpflichtverletzungen abzuhalten.
204.4. Die Revision sei zulässig, weil die maßgebliche Rechtsfrage, ob gegen einen Beamten, dem zum gemäß § 92 Abs. 2 BDG 1979 für die Berechnung von Geldbußen und Geldstrafen maßgeblichen Zeitpunkt keine Bezüge gebührten, im Disziplinarverfahren eine solche Strafe ausgesprochen werden könne, vom Verwaltungsgerichtshof noch nicht entschieden sei.
215.1. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des Disziplinaranwaltes beim Bundesministerium für Inneres mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
225.2. Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zurück- in eventu die Abweisung der Revision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
23Die Revision erweist sich mit dem Vorbringen der revisionswerbenden Partei, das Verwaltungsgericht habe aus näher dargelegten Gründen seine Strafbemessung in gesetzwidriger Weise durchgeführt, als zulässig. Sie ist diesbezüglich auch begründet.
24Die Rechtslage nach dem BDG 1979, BGBl. Nr. 333/1979 idF BGBl. I Nr. 147/2008, BGBl. I Nr. 153/2009 und BGBl. I Nr. 58/2019, stellt sich dar wie folgt:
„Allgemeine Dienstpflichten
§ 43. (1) Der Beamte ist verpflichtet, seine dienstlichen Aufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung treu, gewissenhaft, engagiert und unparteiisch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus eigenem zu besorgen.
(2) Der Beamte hat in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, daß das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt.
[...]
Dienstpflichtverletzungen
§ 91. (1) Der Beamte, der schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt, ist nach diesem Abschnitt zur Verantwortung zu ziehen.
[...]
Disziplinarstrafen
§ 92. (1) Disziplinarstrafen sind
1.der Verweis,
2.die Geldbuße bis zur Höhe eines Monatsbezugs,
3.die Geldstrafe in der Höhe von mehr als einem Monatsbezug bis zu fünf Monatsbezügen,
4.die Entlassung.
(2) In den Fällen des Abs. 1 Z 2 und 3 ist von dem Monatsbezug auszugehen, der dem Beamten auf Grund seiner besoldungsrechtlichen Stellung im Zeitpunkt der Fällung des Disziplinarerkenntnisses der Bundesdisziplinarbehörde beziehungsweise im Zeitpunkt der Verhängung der Disziplinarverfügung gebührt. Allfällige Kürzungen des Monatsbezuges sind bei der Strafbemessung nicht zu berücksichtigen.
Strafbemessung
§ 93. (1) Das Maß für die Höhe der Strafe ist die Schwere der Dienstpflichtverletzung. Dabei ist darauf Rücksicht zu nehmen, inwieweit die beabsichtigte Strafe erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten oder der Begehung von Dienstpflichtverletzungen durch andere Beamte entgegenzuwirken. Die nach dem Strafgesetzbuch für die Strafbemessung maßgebenden Gründe sind dem Sinne nach zu berücksichtigen; weiters ist auf die persönlichen Verhältnisse und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beamten Bedacht zu nehmen.
(2) Hat der Beamte durch eine Tat oder durch mehrere selbständige Taten mehrere Dienstpflichtverletzungen begangen und wird über diese Dienstpflichtverletzungen gleichzeitig erkannt, so ist nur eine Strafe zu verhängen, die nach der schwersten Dienstpflichtverletzung zu bemessen ist, wobei die weiteren Dienstpflichtverletzungen als Erschwerungsgrund zu werten sind.
Zusammentreffen von strafbaren Handlungen mit Dienstpflichtverletzungen
§ 95. (1) Wurde der Beamte wegen einer gerichtlich oder verwaltungsbehördlich strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt und erschöpft sich die Dienstpflichtverletzung in der Verwirklichung des strafbaren Tatbestandes, ist von der disziplinären Verfolgung des Beamten abzusehen. Erschöpft sich die Dienstpflichtverletzung nicht in der Verwirklichung des strafbaren Tatbestandes (disziplinärer Überhang), ist nach § 93 vorzugehen.
(2) Die Disziplinarbehörde ist an die dem Spruch eines rechtskräftigen Urteils zugrunde gelegte Tatsachenfeststellung eines Strafgerichtes (Straferkenntnis eines Verwaltungsgerichts) gebunden. Sie darf auch nicht eine Tatsache als erwiesen annehmen, die das Gericht (das Verwaltungsgericht) als nicht erweisbar angenommen hat.“
25Die Strafbemessung unterliegt als Ermessensentscheidung nur insofern der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof im Rahmen von dessen Befugnissen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG, als dieser gegebenenfalls zu prüfen hat, ob von dem im Gesetz eingeräumten Ermessen im Sinn des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde. Das Verwaltungsgericht ist verpflichtet, in der Begründung seines Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG die für die Überprüfung der Ermessensübung maßgeblichen Gründe insoweit offen zu legen als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien und die Nachprüfung der Ermessensentscheidung auf ihre Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes durch den Verwaltungsgerichtshof erforderlich sein kann (vgl. ).
26Wie der Verwaltungsgerichtshof ferner bereits ausgesprochen hat, handelt es sich bei der Entscheidung über ein Disziplinarerkenntnis nicht um eine Verwaltungsstrafsache im Sinn des Art. 130 Abs. 3 B-VG. Kommt das Verwaltungsgericht zur selben sachverhaltsmäßigen und rechtlichen Beurteilung, darf es vor dem Hintergrund des Art. 130 Abs. 3 B-VG nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle der Ermessensübung durch die Disziplinarbehörde setzen. Jedoch ist das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung über die Bemessung einer Disziplinarstrafe nicht von der Verpflichtung zur Beurteilung entbunden, ob die Ermessensübung durch die Disziplinarbehörde auf gesetzmäßige Weise erfolgte. Das Verwaltungsgericht hat im Fall einer gesetzwidrigen Entscheidung der Verwaltungsbehörde im Fall des § 28 Abs. 2 VwGVG (Art. 130 Abs. 4 B-VG) in der Sache selbst zu entscheiden und dabei auch eine Ermessensentscheidung zu treffen (vgl. wiederum ).
27Gemäß § 93 Abs. 1 erster Satz BDG 1979 ist die Schwere der Dienstpflichtverletzung als „Maß für die Höhe der Strafe“ festlegt. Dieser Maßstab richtet sich nach dem Ausmaß der Schuld im Sinne der „Strafbemessungsschuld“ des Strafrechtes. Für die Strafbemessung ist danach sowohl das objektive Gewicht der Tat maßgebend wie auch der Grad des Verschuldens (vgl. die ErläutRV zur Vorgängerbestimmung des § 93 BDG 1979 BDG 1977, 500 BlgNR 14. GP 83). Das objektive Gewicht der Tat (der „Unrechtsgehalt“) wird dabei in jedem konkreten Einzelfall - in Ermangelung eines typisierten Straftatbestandskatalogs im Sinne etwa des StGB - wesentlich durch die objektive Schwere der in jedem Einzelfall konkret festzustellenden Rechtsgutbeeinträchtigung bestimmt. Es ist ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei Beurteilung der Schwere einer Dienstpflichtverletzung gemäß § 93 Abs. 1 BDG 1979 als gravierend ins Gewicht fällt, wenn ein Beamter durch die ihm vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen gerade jene Werte verletzt, deren Schutz ihm in seiner Stellung oblag (vgl. etwa ).
28Durch die Dienstrechts-Novelle 2008 wurde im zweiten Satz des § 93 Abs. 1 BDG 1979 die Zielsetzung „der Begehung von Dienstpflichtverletzungen durch andere Beamte entgegenzuwirken“, als zusätzliches Strafbemessungskriterium in das Gesetz eingefügt. Gründe der Generalprävention sind wie solche der Spezialprävention für die Bemessung der Strafe gleichrangig zu berücksichtigen. Ist eine Disziplinarstrafe in einem bestimmten Ausmaß geboten, um der Begehung von Dienstpflichtverletzungen durch andere Beamte entgegenzuwirken, dann haben gegebenenfalls spezialpräventive Überlegungen, die eine solche Disziplinarstrafe nicht als erforderlich erscheinen lassen würden, demgegenüber zurückzutreten.
29Dementsprechend enthalten die Gesetzeserläuterungen die Aussage, es solle nach der Novelle möglich sein, dass „bei besonders schweren Dienstpflichtverletzungen allein schon aus generalpräventiven Gründen eine Entlassung auszusprechen“ sein werde.
30Aus der Einführung von generalpräventiven Strafbemessungsgründen mit der Novelle BGBl. I Nr. 147/2008 geht auch die in den wiedergegebenen Gesetzeserläuterungen (RV BlgNR 24. GP, 1) hervorgehobene Konsequenz hervor, dass dann, wenn aus generalpräventiven Gründen eine Entlassung erforderlich ist, zur Vermeidung einer Entlassung nicht mehr geprüft werden muss, ob es für den Beamten eine Verwendungsmöglichkeit gibt, in welcher er nicht in Gefahr geraten würde, weitere Dienstpflichtverletzungen zu begehen (vgl. näher ).
31Wenngleich es, wie auch in den Gesetzeserläuterungen ausgeführt, nunmehr möglich ist, „bei besonders schweren Dienstpflichtverletzungen allein schon aus generalpräventiven Gründen eine Entlassung auszusprechen“, so bedeutet dies jedoch nicht, dass bei besonders schweren Dienstpflichtverletzungen Milderungsgründe nicht auch zu berücksichtigen wären und die Strafbemessung nicht auch hier in einer Gesamtbetrachtung insbesondere sowohl der Erschwerungs- als auch der Milderungsgründe unter Einbeziehung und Würdigung aller für die Ausmessung der Strafe gemäß § 93 Abs. 1 BDG 1979 maßgeblichen Gesichtspunkte geboten wäre (vgl. zum Ganzen auch ).
32Für den vorliegenden Fall bedeutet das Folgendes:
33Das Verwaltungsgericht hat den von ihm angenommenen Milderungsgründen des reumütigen Geständnisses, des bisherigen unbescholtenen Lebenswandels, der Schadenswiedergutmachung, der Vermeidung weiterer finanzieller Nachteile für den Dienstgeber und der unbeanstandeten Dienstversehung in den Jahren 2009 bis 2011 besonderes Gewicht beigemessen und ist aufgrund dieser Gewichtung zur Überzeugung gelangt, dass die Verhängung der Entlassung nicht gerechtfertigt sei.
34Zunächst hat das Verwaltungsgericht dabei übersehen, dass der Milderungsgrund des § 34 Abs. 1 Z 2 StGB (bisheriger ordentlicher Lebenswandel) im Disziplinarrecht dem Milderungsgrund der bisher korrekten Diensterfüllung und positiven Dienstbeurteilung sowie den Beamten vor der Dienstpflichtverletzung zuteil gewordenen Belobigungen entspricht (vgl. die in Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, S. 112, wiedergegebene Judikatur). Schon das Heranziehen von zwei Milderungsgründen - sowohl dem ordentlichen Lebenswandel als auch der unbeanstandeten Dienstversehung - erweist sich daher als rechtswidrig.
35Darüber hinaus hat sich das Verwaltungsgericht bei seiner Abwägung nicht mit allen Aspekten der Tat der Mitbeteiligten auseinandergesetzt und diese in seine Gesamtbetrachtung miteinbezogen: So hat sich die Mitbeteiligte etwa nicht nur kurzfristig in einem unüberlegten Moment rechtswidrig einen Geldbetrag zur Deckung der unmittelbaren Grundbedürfnisse ihrer Kinder angeeignet, sondern vielmehr nach den Feststellungen in Verwirklichung eines Tatplanes auch durch Erlangung eines die Schulden weit übersteigenden Geldbetrages Mittel für ein langfristiges Projekt (Online-Shop) zugeeignet und diese Geldmittel über einen langen Zeitraum behalten und das nicht unmittelbar Benötigte auch nicht sofort retourniert. Zuletzt hat die Mitbeteiligte ihr rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten auch nicht bei erster sich bietender Gelegenheit eingestanden, sondern erst als sie sich - nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes - „unter Druck“ gesetzt fühlte. Alle diese Verhaltensweisen der Mitbeteiligten, die auf eine nicht unbeträchtliche kriminelle Energie schließen lassen, sind jedoch in die Gesamtbetrachtung miteinzubeziehen, sodass nicht ohne weiteres gesagt werden kann, dass das zahlenmäßige Überwiegen der Milderungs- gegenüber den Erschwerungsgründen angesichts der Tatumstände jedenfalls zugunsten der Mitbeteiligten ausschlaggebend sein kann.
36Indem das Verwaltungsgericht in Verkennung der Rechtslage einen Milderungsgrund doppelt herangezogen hat und in der Folge in seine Strafbemessung nicht alle Aspekte des deliktischen Handelns mitbeinbezogen hat, aber dennoch sein Ermessen an die Stelle jenes der belangten Behörde gesetzt hat, war das angefochtene Erkenntnis aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
37Abschließend ist auszuführen, dass der Verwaltungsgerichtshof zu der vom Verwaltungsgericht aufgeworfenen Rechtsfrage der Berechnung einer Geldstrafe bei karenzierten Beamten bereits mit Erkenntnis vom , 2013/09/0001, zum BDG 1979 klargestellt hat, dass die Frage der ziffernmäßigen Berechnung der Geldstrafe keine Frage der in der Entscheidung über die Verhängung einer Disziplinarstrafe vorzunehmenden Strafbemessung ist, sondern ein bloßer Rechenvorgang, der erst beim Vollzug der Geldstrafe erfolgen kann. Mangels Präjudizialität der aufgeworfenen Rechtsfrage für das vorliegende Disziplinarverfahren gehen die diesbezüglichen Ausführungen - auch der revisionswerbenden Partei - daher ins Leere.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RO2022090007.J00 |
Schlagworte: | Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Besondere Rechtsgebiete Ermessen VwRallg8 |
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