VwGH vom 20.06.2023, Ra 2023/03/0021

VwGH vom 20.06.2023, Ra 2023/03/0021

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Mag. Nedwed, Mag. Samm, Dr. Faber und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Hermagor gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom , Zl. KLVwG-32/5/2023, betreffend Ausstellung eines Waffenpasses (mitbeteiligte Partei: S Z in D), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde und nunmehrige Amtsrevisionswerberin den Antrag des Mitbeteiligten, eines Polizeischülers, auf Ausstellung eines Waffenpasses für zwei Waffen der Kategorie B ab.

2Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Kärnten (Verwaltungsgericht) der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde Folge und dem Antrag auf Ausstellung eines Waffenpasses für zwei Waffen der Kategorie B statt. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

3Begründend hielt das Verwaltungsgericht zusammengefasst fest, der Mitbeteiligte sei Polizeischüler und habe als solcher seit einen Sondervertrag gemäß § 36 Vertragsbedienstetengesetz 1948 (VBG) für die exekutivdienstliche Ausbildung bei der Landespolizeidirektion Kärnten. Der Dienstvertrag sei auf 24 Monate befristet. Dem Mitbeteiligten sei zur Ausbildung als Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes seit eine Dienstwaffe dauerhaft zugeteilt worden. Im Rahmen seiner Ausbildung werde der Mitbeteiligte seit dem in den Bereichen Waffentechnik und Schießtechnik unterrichtet und unterwiesen. Der Mitbeteiligte sei bereits Inhaber einer von der belangten Behörde am ausgestellten Waffenbesitzkarte für fünf Schusswaffen der Kategorie B. Er sei bis zum Beginn seiner polizeilichen Grundausbildung über zehn Jahre lang als Berufssoldat beim Österreichischen Bundesheer im Dienst gestanden und habe in dieser Zeit zahlreiche Einsätze im In- und Ausland als Waffenträger absolviert.

4Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen Folgendes aus: Gemäß § 22 Abs. 2 Z 2 WaffG sei ein Bedarf an der Ausstellung eines Waffenpasses im Sinne des § 21 Abs. 2 WaffG jedenfalls als gegeben anzunehmen, wenn es sich um ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes handle, wozu gemäß § 5 Abs. 2 Z 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) unter anderem Angehörige des Wachkörpers Bundespolizei zählten. Nach der Legaldefinition in § 5 Abs. 6 SPG bestehe der Wachkörper Bundespolizei aus den Bediensteten der Besoldungsgruppe Exekutivdienst und Wachebeamte sowie allen in vertraglicher Verwendung stehenden Exekutivbediensteten, unbeschadet der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Dienststelle. Die Gesetzesmaterialien (Verweis auf ErläutRV 1726 BlgNR 24. GP) führten aus, dass zum Wachkörper Bundespolizei insbesondere Polizeischüler zählten, welche für die Dauer ihrer Ausbildung (24 Monate) einen Sondervertrag „Polizeiliche Grundausbildung“ erhalten.

Es sei unbestritten, dass der Mitbeteiligte einen Sondervertrag für die exekutivdienstliche Ausbildung gemäß § 36 VBG abgeschlossen habe. Er sei damit Angehöriger des Wachkörpers Bundespolizei und somit Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Sinne des § 5 Abs. 2 SPG. Vor diesem Hintergrund sei ex lege ein Bedarf nach § 22 Abs. 2 Z 2 WaffG gegeben. Aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlautes bestehe „kein Raum für eine einschränkende Interpretation“. Da auch die übrigen Voraussetzungen vorlägen, sei dem Mitbeteiligten ein Waffenpass für zwei Schusswaffen der Kategorie B auszustellen.

5Dagegen richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Amtsrevision der belangten Behörde, die zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob von dem in § 22 Abs. 2 Z 2 WaffG normierten Bedarf von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes auch Polizeischüler erfasst seien.

6Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er sich dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vollinhaltlich anschloss.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7Die Revision ist zur Klarstellung der in der Zulässigkeitsbegründung genannten Rechtsfrage zulässig. Sie ist auch begründet.

8Die maßgeblichen Bestimmungen des Waffengesetzes 1996 (WaffG), BGBl. I Nr. 12/1997 idF BGBl. I Nr. 211/2021, lauten (auszugsweise):

Ausstellung von Waffenbesitzkarte und Waffenpaß

§ 21. (1) ...

(2) Die Behörde hat verlässlichen EWR-Bürgern, die das 21. Lebensjahr vollendet haben und bei denen - soweit es sich nicht um Angehörige der in § 22 Abs. 2 Z 2 bis 4 genannten Berufsgruppen handelt - keine Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie einen verfassungsgefährdenden Angriff gemäß § 6 Abs. 2 Staatsschutz- und Nachrichtendienst-Gesetz, BGBl. I Nr. 5/2016, begehen werden und einen Bedarf zum Führen von Schusswaffen der Kategorie B nachweisen, einen Waffenpass auszustellen. Die Ausstellung eines Waffenpasses an andere verlässliche Menschen, die das 21. Lebensjahr vollendet haben und bei denen keine Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie einen verfassungsgefährdenden Angriff gemäß § 6 Abs. 2 Staatsschutz- und Nachrichtendienst-Gesetz begehen werden, liegt im Ermessen der Behörde.

...

Rechtfertigung und Bedarf

§ 22. (1) ...

(2) Ein Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 2 ist jedenfalls als gegeben anzunehmen, wenn

1.der Betroffene glaubhaft macht, dass er außerhalb von Wohn- oder Betriebsräumen oder seiner eingefriedeten Liegenschaften besonderen Gefahren ausgesetzt ist, denen am zweckmäßigsten mit Waffengewalt wirksam begegnet werden kann oder

2.es sich um ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes handelt (§ 5 Abs. 2 SPG) oder

3.es sich um einen Angehörigen der Militärpolizei oder

4.es sich um einen Angehörigen der Justizwache handelt.“

9Die Bestimmung des § 22 Abs. 2 Z 2 WaffG (ex lege Bedarf von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes) wurde in ihrem Kern mit dem Deregulierungs- und Anpassungsgesetz 2016 - Inneres, BGBl. I Nr. 120/2016, eingeführt. In der Fassung dieser Novelle war in § 22 Abs. 2 Z 2 WaffG (noch) vorgesehen, dass bei Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Waffenpass dahingehend zu beschränken sei, dass nur Waffen mit Kaliber 9 mm oder darunter geführt werden dürfen.

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (ErläutRV 1345 BlgNR 25. GP, 11) zu dieser Novellierung führen (auszugsweise) Folgendes aus:

Zu Z 5 (§ 22 Abs. 2):

Diese Bestimmung dient vor allem der Verwaltungsvereinfachung im Zusammenhang mit der Ausstellung von Waffenpässen für Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, die regelmäßig zur Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt ermächtigt sind. Momentan bedarf es bei der Ausstellung eines Waffenpasses entsprechend der einschlägigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH, , 2010/03/0058) stets einer Einzelfallüberprüfung. Anhand der vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Kriterien prüfen die Waffenbehörden ein Vorliegen der konkreten und qualifizierten Gefahrenlage für den Antragsteller sowie ob dieser Gefahr am zweckmäßigsten mit Waffengewalt wirksam begegnet werden kann. Entsprechend der vorgeschlagenen Änderung müssen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nun ihre konkrete und qualifizierte Gefährdungslage nicht mehr im Einzelnen glaubhaft machen.

Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind nach der Richtlinien-Verordnung BGBl. 1993/266 - sofern verhältnismäßig und nach den Umständen des Einzelfalls zumutbar - dazu verpflichtet, außerhalb ihres Dienstes einzuschreiten, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für das Leben, die Gesundheit, der Freiheit von Menschen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß notwendig ist. Keine andere Berufsgruppe hat eine derartige Verpflichtung.

Anderen Berufsgruppen, die wegen der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit auch außerhalb der Dienstzeit etwa aufgrund befürchteter Racheakte eine Schusswaffe der Kategorie B zur Abwehr von Gefahren benötigen (das sind insbesondere Strafrichter, Staatsanwälte und Organe der Justizwache oder andere Organe der öffentlichen Aufsicht) wird in Ansehung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig ein Waffenpass ausgestellt.

Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dürfen, sofern sie sich bei der Beantragung eines Waffenpasses auf Z 2 berufen, nur jene Waffen des Kalibers 9 mm oder darunter führen. Es handelt sich hierbei um eine sachgerechte Einschränkung, da Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Umgang mit Waffen und Munition dieser Größenordnung geschult und geübt sind. Die Einschränkung, dass das Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes mit dem Waffenpass nur Waffen des Kalibers 9 mm oder darunter erwerben, besitzen oder führen darf, ist im Waffenpass bei dem Punkt ‚Behördliche Eintragungen‘ zu vermerken.

Beruft sich ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei der Beantragung eines Waffenpasses nicht auf Z 2, gilt diese Einschränkung auf Waffen des Kalibers 9 mm oder darunter nicht, und der Antragsteller muss in diesem Fall wie zuvor seinen Bedarf zum Führen von Waffen im Sinne der Rechtsprechung nachweisen.

...“

10Mit der Novelle BGBl. I Nr. 97/2018 erhielt § 22 WaffG die bis dato geltende Fassung. Neben der Einfügung der Z 3 und Z 4 (ex lege Bedarf für Angehörige der Militärpolizei bzw. der Justizwache) erfolgte in Z 2 der Entfall der Kaliberbeschränkung.

In den Erläuterungen der Regierungsvorlage zu dieser Novellierung (ErläutRV 379 BlgNR 26. GP, 9) wird u.a. Folgendes ausgeführt:

Zu § 22 Abs. 2 Z 2:

Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind aufgrund ihrer umfassenden Waffenausbildung und der Absolvierung von regelmäßigen Weiterbildungen im Umgang mit Waffen und Munition geschult und geübt. Ihre Handhabungssicherheit ist demnach von der Größe des Kalibers unabhängig. Vor diesem Hintergrund wird vorgeschlagen, die Kaliberbeschränkung in § 22 Abs. 2 Z 2 entfallen zu lassen.“

„Zu § 22 Abs. 2 Z 3 und 4:

Entsprechend der mit dem Deregulierungs- und Anpassungsgesetz 2016 - Inneres, BGBl. I Nr. 120/2016, eingeführten Regelung, den Bedarf zum Führen einer Schusswaffe der Kategorie B für Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes jedenfalls als gegeben anzunehmen, soll dies auch für Angehörige der Militärpolizei und der Justizwache gelten, da sie aufgrund und im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit sowie beruflichen Nähe zu Personen mit erhöhtem Gewaltpotenzial besonderen Gefahren ausgesetzt sind, denen mit Waffengewalt zweckmäßig begegnet werden kann bzw. in einer mit den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes vergleichbaren Situation sind. Aufgrund einer dementsprechenden Aufnahme zweier zusätzlicher Ziffern in Abs. 2 (Z 3 und 4) müssen somit Angehörige der Militärpolizei und der Justizwache ihren Bedarf zum Führen von Schusswaffen der Kategorie B gemäß § 21 Abs. 1 künftig nicht mehr im Einzelnen nachweisen.“

11§ 5 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl. Nr. 566/1991 idF BGBl. I Nr. 61/2016, lautet (auszugsweise):

Besorgung des Exekutivdienstes

§ 5. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes versehen für die Sicherheitsbehörden den Exekutivdienst.

(2) Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind

1.Angehörige des Wachkörpers Bundespolizei,

2.Angehörige der Gemeindewachkörper,

3.Angehörige des rechtskundigen Dienstes bei Sicherheitsbehörden, wenn diese Organe zur Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt ermächtigt sind, und

4.sonstige Angehörige der Landespolizeidirektionen und des Bundesministeriums für Inneres, wenn diese Organe die Grundausbildung für den Exekutivdienst (Polizeigrundausbildung) absolviert haben und zur Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt ermächtigt sind.

...

(6) Der Wachkörper Bundespolizei besteht aus den Bediensteten der Besoldungsgruppen Exekutivdienst und Wachebeamte sowie allen in vertraglicher Verwendung stehenden Exekutivbediensteten, unbeschadet der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Dienststelle.

...“

Die Erläuterungen zur Novelle BGBl. I Nr. 50/2012, mit der § 5 Abs. 6 SPG eingefügt wurde (ErläutRV 1726 BlgNR 24. GP, 5), lauten (auszugsweise):

Zu Z 6 (§ 5 Abs. 6):

Art. 78d B-VG definiert den Begriff ‚Wachkörper‘ auf verfassungsrechtlicher Ebene (vgl. näher u.a. Funk, ÖJZ 1973, 627). Nunmehr soll auf einfachgesetzlicher Ebene eine Festlegung jener Personengruppen des Innenressorts erfolgen, die dem Wachkörper Bundespolizei angehören.

Zum Wachkörper Bundespolizei zählen demnach zum einen alle Angehörige der Besoldungsgruppen Exekutivdienst und Wachebeamte, wobei der Begriff ‚Besoldungsgruppe‘ an das dienst- und besoldungsrechtliche Begriffsverständnis anknüpft (vgl. § 2 GehG 1956) und zum anderen alle in vertraglicher Verwendung stehende Exekutivbedienstete. Zur letzteren zählen insbesondere Polizeischüler, welche für die Dauer ihrer Ausbildung (von in der Regel vierundzwanzig Monaten) einen Sondervertrag ‚Polizeiliche Grundausbildung‘ erhalten.

...“

12§ 1 Abs. 3 der auf Grund des § 31 SPG erlassenen Richtlinien-Verordnung, BGBl. Nr. 266/1993 idF BGBl. II Nr. 155/2012, lautet:

Aufgabenerfüllung

§ 1. ...

(3) Sofern sich nicht bereits auf Grund dienstrechtlicher Vorschriften die Verpflichtung außerhalb des Dienstes einzuschreiten ergibt, haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes diesfalls zur Erfüllung ihrer Aufgaben nur dann einzuschreiten, wenn sie erkennen, dass dies zur Abwehr einer gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Gefahr für Leben, Gesundheit, Freiheit von Menschen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß erforderlich, verhältnismäßig und ihnen dies nach den eigenen Umständen zumutbar ist. Im übrigen haben sie in Fällen, in denen Einschreiten durch Ausübung sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dringend geboten erscheint, die Sicherheitsbehörde hievon zu verständigen.“

13Die gemäß § 7 Abs. 4 SPG und § 4 BDG erlassene Verordnung der Bundesministerin für Inneres über die Durchführung von Prüfungen zur Feststellung der geistigen und körperlichen Eignung von Aufnahmewerbenden in den Exekutivdienst und von Bewerbern und Bewerberinnen für bestimmte Verwendungen (Eignungsprüfungsverordnung - Inneres), BGBl. II Nr. 400/2012 idF BGBl. II Nr. 84/2022, normiert u.a. Inhalte der Eignungsprüfung von Aufnahmewerbern in den Exekutivdienst sowie des Aufnahmeverfahrens.

14Gemäß § 1 dieser Verordnung sind Aufnahmewerber im Zuge des Auswahlverfahrens auf ihre körperliche und geistige Eignung zu prüfen.

15Gemäß § 3 leg. cit. kommen als objektive Tests zur Feststellung der körperlichen und geistigen Eignung folgende in Betracht:

1.psychologische Eignungsdiagnostik (§§ 10 ff),

2.ärztliche Untersuchung und klinisch-psychiatrische Testverfahren (§§ 14 f),

3.sportmotorische Tests (§ 16) oder

4.Kombinationen der angeführten Untersuchungen, Diagnostik oder Tests.

16§ 22 Abs. 2 Z 2 WaffG normiert, dass ein Bedarf zum Führen von Schusswaffen der Kategorie B im Sinne des § 21 Abs. 2 WaffG jedenfalls als gegeben anzunehmen ist, wenn es sich beim Waffenpasswerber um ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes handelt, und verweist hinsichtlich dieses Begriffes in einem Klammerausdruck auf § 5 Abs. 2 SPG.

17Zu den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach § 5 Abs. 2 SPG zählen u.a. Angehörige des Wachkörpers Bundespolizei (§ 5 Abs. 2 Z 1 SPG), der gemäß § 5 Abs. 6 SPG aus den Bediensteten der Besoldungsgruppen Exekutivdienst und Wachebeamte sowie „allen in vertraglicher Verwendung stehenden Exekutivbediensteten“, unbeschadet der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Dienststelle, besteht.

18Von dieser Definition erfasst sind auch (was von der Revision insoweit nicht in Frage gestellt wird) Polizeischüler wie der Mitbeteiligte, die einen Sondervertrag für die exekutivdienstliche Ausbildung gemäß § 36 VBG abgeschlossen haben (dies bekräftigen auch die oben wiedergegebenen Materialien zu § 5 Abs. 6 SPG, die Polizeischüler explizit als Angehörige des Wachkörpers Bundespolizei nennen).

19Die Revision vertritt aber (zusammengefasst) die Auffassung, dass der in § 22 Abs. 2 Z 2 WaffG enthaltene Verweis auf Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes iSd § 5 Abs. 2 SPG dahingehend teleologisch zu reduzieren sei, dass er nicht für Polizeischüler gelte, die noch die Grundausbildung absolvierten und noch keinerlei (exekutiv-)dienstliche Handlungen gesetzt hätten, die zu einer Gefährdungslage führen könnten.

20Diese Argumentation ist zielführend:

Die Rechtsfigur der teleologischen Reduktion verschafft der ratio legis gegen einen überschießend weiten Gesetzeswortlaut Durchsetzung. Voraussetzung ist stets der Nachweis, dass eine umschreibbare Fallgruppe von den Grundwertungen oder Zwecken des Gesetzes entgegen seinem Wortlaut gar nicht getroffen wird und dass sie sich von den eigentlich gemeinten Fallgruppen so weit unterscheidet, dass die Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre. Die „verdeckte“ Lücke besteht im Fehlen einer nach der ratio notwendigen Ausnahme (vgl. etwa , mwN).

21Für die fallbezogen demnach vorzunehmende Beurteilung vorauszuschicken ist zunächst, dass die Bestimmungen des WaffG, die den Besitz von Schusswaffen im „privaten“ Bereich bloß an eine Rechtfertigung binden, für das Recht auf das Führen von Schusswaffen im „öffentlichen“ Bereich aber den Nachweis eines Bedarfs bzw. eine positive Ermessensentscheidung verlangen, insofern vom Ziel bestimmt sind, die Zahl der Menschen zu begrenzen, die berechtigt sein sollen, Waffen zu führen (vgl. etwa ).

22Explizites Ziel der Einführung des § 22 Abs. 2 Z 2 WaffG (wonach der abseits einer Ermessensentscheidung für die Ausstellung eines Waffenpasses notwendige Bedarf „jedenfalls“ als gegeben anzunehmen ist, wenn es sich beim Antragsteller um ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes handelt) war die Verwaltungsvereinfachung im Zusammenhang mit der Ausstellung von Waffenpässen für Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes.

23Der Gesetzgeber hat - im Gegensatz zu der sonst sehr restriktiven Regelung betreffend das Vorliegen eines Bedarfs zum Führen einer Schusswaffe nach § 22 Abs. 2 Z 1 WaffG - aus mehreren Gründen Erleichterungen, nämlich die ex-lege-Annahme eines Bedarfs, als geboten angesehen:

24Einerseits ging er davon aus, dass für Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgrund der Ausübung ihrer Tätigkeit (etwa aufgrund von befürchteten Racheakten) regelmäßig eine erhöhte Gefährdung auch außerhalb der Dienstzeit besteht. Zum anderen sah er die Einführung des § 22 Abs. 2 Z 2 WaffG als zweckmäßig an, weil Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (wie keine andere Berufsgruppe) aufgrund der Richtlinien-Verordnung, BGBl. Nr. 266/1993, gegebenenfalls verpflichtet sind, sich auch außerhalb der Dienstzeit in den Dienst zu stellen. Der Gesetzgeber hatte bei der Einführung der in Rede stehenden Bestimmung weiters vor Augen, dass Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Umgang mit Waffen geschult und geübt sind (vgl. in diesem Sinne die oben wiedergegebenen Gesetzesmaterialien, ErläutRV 1345 BlgNR 25. GP, 11).

Mit dem Argument der umfassenden Waffenausbildung und der Absolvierung von regelmäßigen Weiterbildungen im Umgang mit Waffen und Munition, weshalb die Handhabungssicherheit von der Größe des Kalibers unabhängig sei, wurde zudem der mit der Novelle BGBl. I Nr. 97/2018 vorgenommene Entfall der Kaliberbeschränkung begründet (vgl. ErläutRV 379 BlgNR 26. GP, 9).

25Der Gesetzgeber wollte von der Bestimmung des § 22 Abs. 2 Z 2 WaffG also erkennbar nur solche Personen umfasst wissen, die eine umfassende Waffenausbildung erfahren haben (und in diesem Zusammenhang laufend Weiterbildungen absolvieren). Dafür spricht schon der Umstand, dass in § 22 Abs. 2 Z 2 WaffG in der Fassung BGBl. I Nr. 120/2016 zunächst noch eine Beschränkung des Waffenpasses auf Schusswaffen mit Kaliber 9 mm oder darunter vorgesehen war, weil der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Umgang mit Waffen und Munition dieser Größenordnung geschult und geübt sind. Im Rahmen der Novellierung des § 22 Abs. 2 Z 2 WaffG mit BGBl. I Nr. 97/2018, die den Wegfall dieser Kaliberbeschränkung beinhaltete, brachte der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck, dass er den Wegfall der Beschränkung deshalb für gerechtfertigt erachte, weil Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Umgang mit Waffen umfassend geschult sind und laufend Weiterbildungen absolvierten, sodass sie über Handhabungssicherheit mit Waffen - unabhängig vom Kaliber - verfügten.

26Eine derartige Ausbildung im Umgang bzw. Handhabungssicherheit mit Waffen kann für Polizeischüler jedoch noch nicht vorausgesetzt werden: Die Eignungsprüfungsverordnung - Inneres verlangt geistige und körperliche Eignung der Aufnahmewerber, lässt aber vor dem Hintergrund der in ihr beschriebenen, zur Feststellung der erforderlichen Eignung in Betracht kommenden Tests (vgl. § 3 leg. cit.) erkennen, dass Vorkenntnisse des Aufnahmewerbers im Umgang mit Waffen für die Aufnahme nicht erforderlich sind. Vielmehr erhalten Polizeischüler eine solche Schulung im Umgang mit Schusswaffen erst im Laufe der Grundausbildung für den Exekutivdienst. Es kann daher - mag es in einem Einzelfall auch anders sein - im Regelfall nicht davon ausgegangen werden, dass Polizeischüler bereits ab Beginn ihrer Ausbildung handhabungssicher im Umgang mit Schusswaffen sind.

27Der Gesetzgeber hat die ex-lege-Annahme eines Bedarfs für Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes auch deshalb für zweckmäßig angesehen, weil er davon ausging, dass diese Berufsgruppe aufgrund der ausgeübten Tätigkeit, nämlich durchgeführter Amtshandlungen, auch außerhalb des Dienstes in Gefahrensituationen gelangen könnte (etwa aufgrund von aus diesen Amtshandlungen resultierenden Racheakten).

28Auch dieses Argument ist, bezogen auf den im Revisionsfall zu beurteilenden Personenkreis (Polizeischüler), nicht stichhaltig: Die Revision weist im gegebenen Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass diese einen Bedarf begründenden bzw. substituierenden gesetzgeberischen Überlegungen auf einen Polizeischüler, der sich noch (im Wesentlichen) in theoretischer Ausbildung befindet und noch keine über eine praxisbezogene Ausbildung hinausgehende praktische Erfahrung im Exekutivdienst erworben bzw. noch keine Amtshandlung gesetzt hat, regelmäßig nicht zutreffen. Es ist evident, dass Polizeischüler nicht ab ihrem ersten Ausbildungstag selbst im exekutivdienstlichen Einsatz sind und Amtshandlungen führen, sondern dass vielmehr dem Einsatz der Polizeischüler eine theoretische und praktische Basisausbildung vorangeht (vgl. in diesem Sinne auch Anlage 1 der Grundausbildungsverordnung - Exekutivdienst BMI, BGBl. II Nr. 153/2017, und den von der Sicherheitsakademie erstellten Ausbildungsplan zur Grundausbildung für den Exekutivdienst (https://www.polizeikarriere.gv.at/files/BF_Ausbildungsplan-SIAK_062022.pdf), wonach erst nach einer Basisausbildung von 12 Monaten ein erstes Berufspraktikum von drei Monaten zum Kennenlernen des Dienstbetriebes stattfindet).

29Der Gesetzgeber hatte bei der Schaffung der Ausnahmebestimmung des § 22 Abs. 2 Z 2 WaffG weiters vor Augen, dass Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgrund der in § 1 Abs. 3 der Richtlinien-Verordnung normierten Verpflichtung gegebenenfalls auch außerhalb des Dienstes einzuschreiten haben (und daher im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen auch im Privaten sehr exponiert sind, in eine Gefahrensituation zu gelangen).

30§ 1 Abs. 3 Richtlinien-Verordnung bestimmt jene Voraussetzungen, die vorliegen müssen, damit ein Organ des Sicherheitsdienstes, das sich nicht im Dienst befindet, im Rahmen der Sicherheitspolizei einzuschreiten hat (vgl. im einzelnen etwa , mwN).

31Wenngleich es zutrifft, dass auch Polizeischüler, die sich in der polizeilichen Grundausbildung befinden, als Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes grundsätzlich vom Regelungsbereich des § 1 Abs. 3 Richtlinien-Verordnung erfasst sind und damit die mit der dort vorgesehenen Verpflichtung einhergehende Befugnis haben, sich unter bestimmten Voraussetzungen in den Dienst zu stellen, ist darauf hinzuweisen, dass § 1 Abs. 3 der Richtlinien-Verordnung ein Einschreiten außerhalb des Dienstes nur dann verlangt, wenndies - neben weiteren Voraussetzungen - „nach den eigenen Umständen zumutbar“ ist (vgl. , mwN). Unter dem Aspekt der Zumutbarkeit sind (gerade bei Polizeischülern) Ausbildungsstand und (fehlende) berufliche Erfahrung des Organwalters zu berücksichtigen (vgl. ). Auch insofern unterscheiden sich Polizeischüler, die die Grundausbildung absolvieren, von sonstigen Exekutivbediensteten in hier relevanter Weise.

32Vor diesem Hintergrund ist es zur Vermeidung einer sachlich ungerechtfertigten Gleichbehandlung von am Beginn ihrer Ausbildung stehenden Polizeischülern und sonstigen Angehörigen des Wachkörpers Bundespolizei und zur notwendigen Beschränkung auf das Erreichen der gesetzlichen Zielsetzung geboten, den Wortlaut des § 22 Abs. 2 Z 2 WaffG im Wege einer teleologischen Reduktion dahin einzuschränken, dass Polizeischüler, die noch nicht die zwölfmonatige Basisausbildung absolviert haben, nicht erfasst sind, also keinen ex lege Bedarf an der Ausstellung eines Waffenpasses nach § 22 Abs. 2 Z 2 WaffG haben. Dieses Auslegungsergebnis entspricht zudem dem einem Regel-Ausnahme-System (als ein solches ist der Sache nach die Konzeption des § 22 Abs. 2 WaffG anzusehen, die grundsätzlich die Glaubhaftmachung eines Bedarfs iSd Z 1 erfordert, wovon aber in den Fällen der Z 2 bis 4 abgesehen werden kann) immanenten Prinzip, wonach die Voraussetzungen für den Bestand einer Ausnahme streng zu prüfen sind (vgl. in diesem Sinn etwa , mwN).

33Das Verwaltungsgericht ist daher zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Mitbeteiligte einen Bedarf iSd § 22 Abs. 2 Z 2 WaffG nachgewiesen hat.

34Im Übrigen besteht eine weitere Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses:

35Der Mitbeteiligte verfügt - ausgehend von den Feststellungen des Verwaltungsgerichts - bereits seit über eine Waffenbesitzkarte zum Besitz von fünf Schusswaffen der Kategorie B.

36Während das WaffG für den Besitz von Schusswaffen der Kategorie B eine Rechtfertigung genügen lässt (§ 21 Abs. 1 WaffG), verlangt es für das - durch Ausstellung eines Waffenpasses zu erteilende - Recht zum Führen solcher Schusswaffen grundsätzlich (unbeschadet einer positiven Ermessensentscheidung) einen Bedarf (§ 21 Abs. 2 iVm § 22 Abs. 2 WaffG).

37Gemäß § 23 Abs. 1 WaffG ist im Waffenpass und in der Waffenbesitzkarte die Anzahl der Schusswaffen der Kategorie B, die der Berechtigte besitzen darf, festzusetzen.

38Nach § 23 Abs. 2 WaffG ist die Anzahl der Schusswaffen der Kategorie B, die der Berechtigte besitzen darf, mit zwei festzusetzen. Auf Antrag ist die Anzahl der Schusswaffen der Kategorie B, die der Berechtigte besitzen darf, auf höchstens fünf zu erhöhen, sofern seit der erstmaligen Festsetzung der Anzahl mindestens fünf Jahre vergangen sind. Unabhängig davon darf eine größere Anzahl, auch wenn eine weitere Bewilligung ausgestellt wird, nur erlaubt werden, sofern auch hierfür eine Rechtfertigung glaubhaft gemacht wird.

39§ 23 WaffG begrenzt die Anzahl der Schusswaffen der Kategorie B, die der aus einem Waffenpass und einer Waffenbesitzkarte Berechtigte besitzen darf. Diese Beschränkung gilt für den Berechtigungsumfang zum Besitz, wie er sich aus der Zusammenrechnung des Berechtigungsumfangs aus Waffenbesitzkarte und Waffenpass ergibt. Diese Begrenzung ist unabhängig davon, in welcher Reihenfolge diese Bewilligungen erworben werden und nach welcher Ziffer des § 22 Abs. 2 WaffG ein Bedarf zum Führen von Schusswaffen der Kategorie B behauptet wird (vgl. , mwN).

40Damit wäre für die vom Verwaltungsgericht verfügte Erweiterung des Berechtigungsumfanges für den Mitbeteiligten von fünf auf insgesamt sieben Schusswaffen der Kategorie B die Glaubhaftmachung einer Rechtfertigung im Sinne des § 23 Abs. 2 WaffG erforderlich.

41Auch wenn man, im Sinne eines argumentum a minori ad maius, davon ausgeht, dass nicht nur eine Rechtfertigung iSd § 21 Abs. 1 WaffG, sondern auch ein Bedarf iSd § 21 Abs. 2 WaffG die Bewilligung einer größeren Anzahl nach § 23 Abs. 2 dritter Satz WaffG erlaubt, wäre bei der Festsetzung der Anzahl der erlaubten Schusswaffen auf den Bedarf zum Führen einer Schusswaffe abzustellen, und demnach ein Waffenpass grundsätzlich nur für eine Schusswaffe der Kategorie B auszustellen, soferne nicht ein darüber hinausgehender Bedarf glaubhaft gemacht wird.

42Aus den genannten Gründen war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023030021.L00
Schlagworte:
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Ermessen VwRallg8

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