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Haftung von Prokuristen gemäß § 9 Abs 1 BAO?

Von Linde Redaktion am 07.10.2025

Der VwGH beantwortet Rechtsfrage zur Haftung von bevollmächtigten Personen

Michael Rauscher

Wie im BFGjournal 2023 berichtet wurde, hatte das BFG die Rechtsfrage zu entscheiden gehabt, ob ein Prokurist, der nach der Aktenlage bei zwei GmbH die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen gesellschaftsintern übernommen hatte, als „Vertreter“ im Sinne des § 83 BAO auf Grundlage des § 9 BAO zur Haftung für die nicht einbringlichen Abgaben der Gesellschaften herangezogen werden durfte.[1] Das BFG verneinte dies, die Abgabenbehörde erhob dagegen die Amtsrevision. Die Antwort auf diese Rechtsfrage hat nun der VwGH unter Heranziehung der Reichsabgabenordnung 1931 und der Gesetzesmaterialien zur Stammfassung der BAO gegeben.


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1. Die Vorgeschichte

Der Beschwerdeführer (Bf) war Prokurist von zwei GmbH und nach eigenen Angaben kaufmännischer Leiter und Leiter des Konzernrechnungswesens der Gruppe. Nach den Ausführungen der Abgabenbehörde im Verwaltungsakt soll der Bf „auf Grund seiner Funktion als Prokurist“ für die kaufmännischen und finanziellen Angelegenheiten der GmbH zuständig gewesen und ihm daher die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtung der GmbH oblegen gewesen sein.

Nach Beendigung des Konkursverfahrens und Löschung der beiden Firmen infolge Vermögenslosigkeit zog die Abgabenbehörde den Bf zur Haftung für Umsatzsteuer im Betrag von rund 36.000 Euro bzw zur Haftung für Umsatzsteuer im Betrag von insgesamt rund 332.000 Euro sowie lohnabhängige Abgaben im Betrag von insgesamt rund 52.000 Euro heran. In den Begründungen stützte sich die Abgabenbehörde im Wesentlichen darauf, der Bf sei „Vertreter der GmbH im Sinne der § 9 und 83 BAO gewesen. Gegen diese beiden Bescheide brachte der Bf die Beschwerden ein, wobei er ein Verschulden an der Uneinbringlichkeit der Abgaben bestritt.

Das BFG hob die angefochtenen Bescheide auf und begründete dies damit, dass § 83 BAO das Recht einer Partei normiere, sich vor der Abgabenbehörde - wenn nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert werde - vertreten zu lassen. Die Bestimmung begründe aber für den Vertreter - anders als nach § 80 und 81 BAO - keine (gesetzliche) Verantwortlichkeit für abgabenrechtliche Pflichten des Vertretenen.

Der Bevollmächtigte möge auf Grund der Vollmacht berechtigt sein, namens des Vertretenen jede Erklärung gegenüber der Abgabenbehörde abzugeben. Die Übertragung der Erfüllung der dem Vertretenen obliegenden Pflichten komme aber darin nicht zum Ausdruck. Die Heranziehung eines in § 83 Abs 1 BAO bezeichneten Vertreters zur Haftung gemäß § 9 BAO für Abgaben des Vertretenen sei daher nicht zulässig (Revision zugelassen).

2. Das VwGH-Erkenntnis

Der VwGH hob die Erkenntnisse des BFG[2] wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes auf[3] und begründete dies im Erkenntnis zur GZ Ro 2023/13/0020 zusammengefasst damit, dass § 109 Abs 1 AO 1931 eine persönliche Haftung der „Vertreter und [der] übrigen in den §§ 103 bis 108 bezeichneten Personen“ neben dem Steuerpflichtigen ua bei Verkürzung von Steueransprüchen durch schuldhafte Verletzung der diesen Personen „in den § 103 bis 108 auferlegten Pflichten“ vorgesehen habe.[4] In § 108 AO 1931 sei geregelt gewesen, dass „wer als Bevollmächtigter oder als Verfügungsberechtigter“ aufgetreten sei, die „Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 103)“ gehabt habe.[5]

Nach den Gesetzesmaterialien zur Stammfassung der BAO habe mit der Bestimmung des § 9 BAO die „bisher im § 109 AO den gesetzlichen Vertretern und sonstigen Bevollmächtigten auferlegte Haftung (...) übernommen werden sollen.“ [6] Dass die in § 9 Abs 1 BAO normierte Haftung sämtliche in den §§ 80 bis 83 BAO genannten Vertreter potenziell treffen könne, werde auch im Schrifttum vertreten (vgl Predota/Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger, Stoll-BAO2, § 9 Tz 11 und 16; Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren I BAO3, § 9 Rz 1; Unger in Althuber/Tanzer/Unger, BAO-HB, § 9, 46 f; Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 83 Anm 16; ebenso schon Stoll, BAO-Kommentar 116; widersprüchlich hingegen Ritz/Koran, BAO8, § 9 Rz 1 und 3). In diesem Sinne habe auch der Verwaltungsgerichtshof - im Erkenntnis vom , 81/14/0072 - bereits „zu erkennen gegeben“, dass auch eine durch den Steuerpflichtigen bevollmächtigte Person (die nicht ein berufsmäßiger Parteienvertreter ist) zum Kreis der in § 9 Abs 1 BAO genannten „in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter“ gehören könne.[7]

Auf den Punkt gebracht

Die Bestimmung des § 108 AO 1931, wonach „wer als Bevollmächtigter oder als Verfügungsberechtigter auftritt, [...] die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 103) [hat]“, wurde nicht in §§ 80 bis 83 BAO übernommen. Die BAO normiert im Gegensatz zu § 109 Abs 1 AO 1931 auch nicht ausdrücklich die Haftung der in § 108 AO 1931 bezeichneten Personen (nach § 9 Abs 1 BAO haften „die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter“, womit nicht zum Ausdruck kommt, ob dies auch noch für die in § 83 BAO genannten bevollmächtigten Personen gilt).

Die Gesetzesmaterialien zur Stammfassung der BAO sprechen aber von einer Übernahme der „bisher im § 109 AO den gesetzlichen Vertretern und sonstigen Bevollmächtigten auferlegten Haftung“. Der VwGH geht auf diese Aussage der Gesetzesmaterialien gestützt davon aus, dass der Gesetzgeber „mit der Einführung der BAO die Möglichkeit der Heranziehung eines Bevollmächtigten zur Haftung wie nach der bis dahin geltenden AO offenkundig (...) beibehalten wollte“.[8] Indem das BFG die Möglichkeit der Haftungsinanspruchnahme von Prokuristen gemäß § 9 Abs 1 BAO schon dem Grund nach verneint hat, hat es die Rechtslage verkannt.[9]

Michael Rauscher

Dr. Michael Rauscher ist Richter des Bundesfinanzgerichts (Außenstelle Graz).

Fundstelle(n):
BFGjournal 2025, 314
IAAAF-91302

1 Rauscher, Amtsrevision zur Haftung des Prokuristen gemäß § 9 Abs 1 BAO. BFG verneint Haftung des Prokuristen als Vertreter im Sinne des § 83 BAO. BFGjournal 2023, 208.

2 BFG 24. 4. 2023, RV/2100214/2023, und , RV/2100215/2023.

3 VwGH 25. 6. 2025, Ro 2023/13/0020, und , Ro 2023/13/0021.

4Vgl Rz 18 des Erkenntnisses.

5Vgl Rz 19 des Erkenntnisses.

6Vgl Rz 21 des Erkenntnisses.

7Vgl Rz 24 des Erkenntnisses

8Vgl Rz 23 des Erkenntnisses.

9Vgl Rz 25 des Erkenntnisses.

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Fundstelle(n):
QAAAG-03588