VwGH 03.09.2024, Ra 2023/13/0044
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Norm | |
RS 1 | Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind für die Entscheidung bei Nachsichtsersuchen die Vermögens- und Einkommensverhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Ansuchen maßgebend (vgl. Ritz, BAO3, § 236 Tz 10, mit Hinweis auf die hg. Judikatur). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2008/15/0221 E RS 1 |
Norm | |
RS 2 | Ist die Abgabenschuld tatsächlich nicht einbringlich, ist im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine persönliche Unbilligkeit (Existenzgefährdung durch eine drohende Abgabeneinhebung) im Sinne des § 236 BAO gegeben. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2006/15/0278 E RS 3 |
Normen | |
RS 3 | Eine sachliche Unbilligkeit ist - unbeschadet der in § 3 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl. II Nr. 435/2005, beispielsweise aufgezählten und hier nicht in Betracht kommenden Fälle - nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl. z.B. ; , 2006/15/0337, mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2018/15/0014 B RS 2 |
Normen | BAO §236 Abs1 VwRallg |
RS 4 | Ein Verstoß der Abgabenbehörden gegen den Grundsatz von Treu und Glauben kann eine Unbilligkeit iSd § 236 Abs 1 BAO begründen (Hinweis E , 56/64; E , 84/15/0041). Dies setzt allerdings einerseits voraus, daß ein (unrichtiges) Verhalten der Behörde, auf das der Abgabepflichtige vertraute, eindeutig und unzweifelhaft für ihn zum Ausdruck kam, andererseits, daß der Abgabepflichtige seine Dispositionen danach einrichtete und er nur als Folge hievon einen abgabenrechtlichen Nachteil erlitt. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 87/14/0079 E VwSlg 6249 F/1987; RS 1 |
Norm | |
RS 5 | Eine Abgabennachsicht gemäß § 236 BAO setzt die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung voraus; eine solche kann grundsätzlich nicht damit begründet werden, dass die Abgabenfestsetzung zu Unrecht erfolgt ist. Vielmehr muss die behauptete Unbilligkeit in Umständen liegen, die die Entrichtung der Abgabe selbst betreffen. Im Nachsichtsverfahren können daher nicht Einwände nachgeholt werden, die im Festsetzungsverfahren geltend zu machen gewesen wären (vgl. zusammenfassend mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Stoll, BAO, 2436). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2003/13/0062 E RS 1 (hier ohne den letzten Satz) |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Lukacic-Marinkovic, über die Revision der M AG als Gesamtrechtsnachfolgerin der M GmbH in R (Liechtenstein), vertreten durch die Sutterlüty Klagian Brändle Gisinger Rechtsanwälte GmbH in 6850 Dornbirn, Marktstraße 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7100764/2022, betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Revisionswerberin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Eingabe vom beantragte die revisionswerbende Partei (eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Liechtenstein; in der Folge auch als X FL bezeichnet) als Rechtsnachfolgerin (durch Verschmelzung) einer österreichischen GmbH (in der Folge X GmbH) die Nachsicht von Abgaben (Körperschaftsteuer 2005 bis 2008 samt Anspruchs-, Aussetzungs- und Stundungszinsen, insgesamt ca. 5,8 Mio. €, davon bezahlt ca. 3 Mio. €). Geltend gemacht wurde - mit näherer Begründung - persönliche und sachliche Unbilligkeit.
2 Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag auf Nachsicht ab.
3 Die revisionswerbende Partei erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Nach ausführlicher Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die Rechtsvorgängerin der revisionswerbenden Partei (die österreichische X GmbH) sei für einen Hersteller von Werkzeugmaschinen mit Hauptsitz in Deutschland (Y) tätig gewesen. Im Zusammenhang mit der Intensivierung der Geschäftsbeziehung zu Y habe die X GmbH Maßnahmen betreffend eine grenzüberschreitende Umstrukturierung getroffen. Die liechtensteinische Stiftung C, deren Stifter und Begünstigter A (Gesellschafter und Geschäftsführer der X GmbH) sei, habe per März 1998 die X FL gründen lassen. Deren Geschäftszweck sei u.a. die Konzeption und Beratung in den Bereichen Werbung, Marketing und Public Relations. Im September 1998 sei zwischen der X GmbH und der X FL ein „Kooperationsvertrag“ abgeschlossen worden. In diesem habe die X GmbH als „Auftraggeberin“ den von Y erhaltenen Werbeauftrag hinsichtlich bestimmter, im Detail angeführter Tätigkeiten, die in weiterer Folge unter dem Begriff „Key Accounting“ zusammengefasst worden seien, an die X FL als „Auftragnehmerin“ übertragen. Als Gegenleistung sei vereinbart worden, dass die X GmbH der X FL die gewöhnlichen, mit der Erfüllung des Auftrags in Zusammenhang stehenden Aufwendungen erstatte sowie 25% vom gesamten Auftragsvolumen zahle. Die Regelung betreffend Anspruch auf Kostenersatz sei auf Veranlassung der von der X GmbH im Vorfeld kontaktierten Großbetriebsprüfung nicht zusätzlich praktiziert bzw. als von der pauschalen Vergütungsregelung bereits abgedeckt angesehen worden. Unter Berufung auf den Kooperationsvertrag habe die X GmbH bereits für 1998 unter der Bezeichnung „Key Account Aufwand“ Betriebsausgaben in Höhe von ca. 1 Mio. € geltend gemacht. Im Zeitraum von 1998 bis habe die X GmbH an Betriebsausgaben einen „Key Account Aufwand“ in Höhe von ca. 82 Mio. € gewinnmindernd verbucht.
6 Bei zwei Außenprüfungen (betreffend die Jahre 1999 bis 2001; sowie 2002 bis 2004) seien die von der X GmbH geltend gemachten laufenden Key Account Aufwendungen unter dem Aspekt fremdüblicher Verrechnungspreise zum Prüfungsgegenstand gemacht worden. Beide Prüfungen hätten dazu im Ergebnis zu keiner Beanstandung geführt.
7 Eine dritte, durch die Großbetriebsprüfung vorgenommene Außenprüfung habe diese Vorgänge neuerlich untersucht. Dabei sei sie zum Ergebnis gekommen, dass den von der X GmbH an die Revisionswerberin unter der Bezeichnung Key Account Aufwand geleisteten Zahlungen kein Leistungsäquivalent gegenüberstehe. Es fehle die für die Anerkennung derartiger Zahlungen notwendige Voraussetzung einer konkreten und detaillierten Leistungsbeschreibung. Der Veräußerungsvorgang „Key Account“ vom September 1998 sei mangels Fremdüblichkeit nicht anzuerkennen und könne keine Grundlage für die steuerliche Anerkennung der späteren laufenden Zahlungen bilden. Die gewählte rechtliche Gestaltung stelle Missbrauch iSd § 22 BAO dar. Die Vermögensminderungen bei der X GmbH seien verdeckte Ausschüttungen.
8 Mit Bescheiden vom habe das Finanzamt u.a. die Verfahren betreffend Körperschaftsteuer 2005 bis 2008 wieder aufgenommen und habe die Körperschaftsteuer für diese Jahre neu festgesetzt; auch seien Anspruchszinsen für diese Jahre festgesetzt worden. Die dazu über Beschwerde ergangene Entscheidung des Bundesfinanzgerichts vom sei vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ra 2017/15/0041, aufgehoben worden. Mit der im fortgesetzten Verfahren ergangenen Entscheidung des Bundesfinanzgerichts vom seien die Abgaben festgesetzt worden, woraus sich die Nachforderungen in der im Nachsichtsantrag genannten Höhe ergeben hätten. Dagegen sei zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben worden, der deren Behandlung mit Beschluss vom , E 1836/2020, abgelehnt habe. Die gegen die Entscheidung des Bundesfinanzgerichts weiters eingebrachte Revision sei mit Beschluss vom , Ra 2020/15/0113, zurückgewiesen worden.
9 Eine persönliche Unbilligkeit liege aufgrund der bereits erfolgten Betriebseinstellung nicht vor. Im Nachsichtsverfahren sei geltend gemacht worden, die Republik Österreich sei der einzige Gläubiger der Revisionswerberin. Dies widerspreche aber der allgemeinen Lebenserfahrung, wonach für Vertretungen in Abgabenverfahren auch Honorarforderungen anfielen. Dass die Vertreter auf ihre Honorare verzichtet hätten oder bereit wären, erhaltene Zahlungen an die Revisionswerberin rückzuerstatten, sei nicht dargetan worden.
10 Zur sachlichen Unbilligkeit stütze sich die Revisionswerberin auf eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Der Revisionswerberin sei vom zuständigen Finanzamt (Dr. M) eine klare Auskunft erteilt worden; sie habe ihr steuerliches Verhalten danach ausgerichtet. Dem sei entgegenzuhalten, dass Dr. M im Zeitraum der behaupteten Gespräche (1998 bis 2000) Leiter der Großbetriebsprüfung gewesen sei; ein Prüfungsauftrag sei in jenem Zeitraum aber nicht vorgelegen, sodass Dr. M nicht Organwalter des Finanzamts gewesen sei. Aus den vorgelegten Unterlagen sei auch nicht ersichtlich, welche Auskunft Dr. M tatsächlich erteilt habe. Den vorgelegten Unterlagen könne nicht entnommen werden, dass eine endgültige Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes vorgenommen worden sei. Dass der steuerliche Vertreter zwischen dem Finanzamt und der Großbetriebsprüfung habe unterscheiden können, ergebe sich schon daraus, dass Eingaben zum Teil an das Finanzamt, zum Teil aber an die Großbetriebsprüfung (Dr. M) mit abweichenden Postanschriften adressiert worden seien.
11 Weiters habe die Revisionswerberin geltend gemacht, im Rahmen der beiden Außenprüfungen sei nicht nur das bisherige Verhalten des Abgabepflichtigen für gut befunden worden, sondern es sei auch in einem Aktenvermerk schriftlich bestätigt worden, wie weiter vorzugehen sei. Dem sei entgegenzuhalten, dass eine unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes von Treu und Glauben relevante Enttäuschung im Vertrauen auf eine von der Abgabenbehörde erteilte Rechtsauskunft u.a. nur dann vorliegen könnte, wenn diese Auskunft Grundlage für eine die Steuerfolgen auslösende Disposition des Steuerpflichtigen gewesen sei. Welche Dispositionen im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft von der Revisionswerberin getroffen worden seien, sei von ihr nicht dargetan worden; solche seien auch nicht erkennbar. Eine von einem Prüfungsorgan im Zuge der Überprüfung gegebene Auskunft könne schon mangels ihrer Verbindlichkeit keine auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruhende Bindung der Behörde bewirken. Der Aktenvermerk vom sei nur eine Bestätigung, dass die bisherige Berechnung für die geprüften Jahre angenommen worden sei. Im letzten Absatz werde aber ausdrücklich ausgeführt, dass eine jährliche Überprüfung hinsichtlich einer passenden Berechnungsmethode vorzunehmen sei. Damit liege keine bindende Erklärung des Prüfers zur Rechnungsmethode vor.
12 Für den gesamten Prüfungszeitraum (ab 2002) seien keine Unterlagen vorgelegt worden, die Aufschluss über Gegenstand, Umfang und Zeitpunkt (Zeitraum) der behaupteten Leistungserbringung durch die X FL in Zusammenhang mit den im Kooperationsvertrag angeführten Tätigkeiten geben könnten. Auch im Abgabenfestsetzungsverfahren sei den vorliegenden Materialien keine Dokumentation dahin zu entnehmen, welche (konkreten und detaillierten) Leistungen die X FL der X GmbH gegenüber im Einzelnen erbracht habe. Aus dem Aktenvermerk gehe nicht hervor, dass die Revisionswerberin angehalten worden sei, keine Leistungsaufzeichnungen zu führen. Für die Darlegung der betrieblichen Veranlassung von Zahlungen bedürfe es generell einer besonders exakten Leistungsbeschreibung, wenn Zahlungen für die Erbringung schwer fassbarer Leistungen erfolgt sein sollen. Könnten diese Nachweise nicht erbracht werden, könne es nicht Sinn eines Verfahrens nach § 236 BAO sein, das Abgabenfestsetzungsverfahren zu umgehen und das gewünschte steuerliche Ergebnis im Rahmen der Nachsicht zu erwirken.
13 Die Revisionswerberin mache weiters geltend, es liege eine Doppelbesteuerung vor. Die Erträge aus Werbeleistungen bei der X FL entsprächen dem Aufwand bei der X GmbH. Werde nunmehr dieser Aufwand bei der X GmbH nicht anerkannt und erfolge im Fürstentum Liechtenstein keine Gegenberichtigung, liege in diesem Umfang eine Doppelbesteuerung vor. Diesem Vorbringen sei entgegenzuhalten, dass es seit dem zur Beseitigung einer Doppelbesteuerung keiner Nachsicht mehr bedürfe, sondern § 295 Abs. 2a BAO die Möglichkeit einer verjährungsungebundenen Anpassung der Abgabenfestsetzung eröffne. Sämtliche von Österreich abgeschlossene Doppelbesteuerungsabkommen enthielten Bestimmungen zur Durchführung von Verständigungsverfahren. Ein solcher Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens sei offenbar von der Revisionswerberin eingebracht worden. Das Bundesministerium sei bemüht, den Fall durch Verständigung mit der zuständigen Behörde in Liechtenstein so zu regeln, dass eine abkommenswidrige Besteuerung vermieden werde. Es stehe daher derzeit nicht einmal fest, ob eine internationale Doppelbesteuerung nicht ohnedies durch eine Einigung im Verständigungsverfahren beseitigt werde. Eine sachliche Unbilligkeit liege daher nicht vor.
14 Die Einhebung von Aussetzungs- und Stundungszinsen sei nicht sachlich unbillig. Diese Zinsen seien jeweils durch einen Antrag auf Aussetzung oder auf Stundung ausgelöst. Anspruchszinsen seien wiederum eine objektive Rechtsfolge, um mögliche Zinsvorteile oder Zinsnachteile auszugleichen, die sich aus unterschiedlichen Zeitpunkten der Abgabenfestsetzung ergäben.
15 Da sohin eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nicht vorliege, sei für eine Ermessensentscheidung kein Raum.
16 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende Revision.
17 Die belangte Behörde hat nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
18 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
19 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein derartiger Beschluss ist nach § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
20 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
21 Zur Zulässigkeit der Revision wird zunächst geltend gemacht, das Unterlassen der Ladung der Zeugen Dr. M, Dr. K und M zur mündlichen Verhandlung begründe einen schwerwiegenden Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze. Die Aufnahme dieser Beweise sei zu dem Thema beantragt worden, dass die von diesen Personen mündlich und schriftlich erteilten Auskünfte in der Form von Aussagen und Aktenvermerken sowie Ähnlichem im Namen und Auftrag des zuständigen Finanzamtes erteilt worden seien. Ergänzend dazu wird auch gerügt, zur Frage, in wessen Namen und Auftrag und daher in Absprache mit wem die Rechtsauskünfte erteilt worden seien, fehlten Ermittlungen und seien Beweisaufnahmen unterblieben; die Behörde und das Verwaltungsgericht seien der Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit nicht nachgekommen. Das Verwaltungsgericht habe dazu auch das Parteivorbringen vollständig übergangen. Unrichtig sei auch die Rechtsansicht des Bundesfinanzgerichts, dass Dr. M nur im Rahmen einer beauftragten Prüfungshandlung Organwalter des Finanzamtes sei. Er sei insbesondere auch dann Organwalter des Finanzamtes, wenn er in dessen Auftrag und in Ab- und Rücksprache mit diesem Rechtsauskünfte erteile. Es liege insoweit keine unverbindliche Gefälligkeitsauskunft oder eine - von einer Auskunft abgrenzbare - bloße Stellungnahme vor.
22 Dazu macht die Revision auch geltend, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Fragen, ob ein Betriebsprüfer außerhalb einer vom Finanzamt beauftragten Betriebsprüfung im Namen und Auftrag des Finanzamtes und in Rück- und Absprache mit dem Finanzamt tätig werden (Rechtsauskünfte erteilen) könne, sodass dessen Handlung (Auskunft) dem Finanzamt zurechenbar sei; ob eine Disposition im Sinne der Anforderungen der Nachsichtsverordnung auch in einem Unterlassen (Beibehalten einer steuerlichen Behandlung geschäftlicher Vorgänge) liegen können; ob es zulässig sei, dass die Gewährung von Nachsicht durch die Behörde willkürlich aufgrund langer Verfahrensdauer verhindert werde, weil das fast 6 Jahre lang zu Unrecht finanzstrafrechtlich verfolgte Unternehmen, über dessen hier relevante Abgaben erst nach 11 Jahren rechtskräftig entschieden worden sei, bis zur Entscheidung über den Nachsichtsantrag dessen Geschäftsbetrieb stilllegen müsse.
23 Weiters macht die Revision zur Zulässigkeit geltend, der Denkprozess des Bundesfinanzgerichts zur Begründung des Erkenntnisses sei weder transparent noch nachvollziehbar und daher durch den Verwaltungsgerichtshof nicht überprüfbar.
24 Schließlich wird geltend gemacht, im vorliegenden Fall sei die Republik Österreich einzige Gläubigerin, weshalb die Nachsicht keinen anderen Gläubigern zugute komme. Dem könne auch nicht entgegengehalten werden, dass es - nach der allgemeinen Lebenserfahrung - weitere Gläubiger gebe. Mit der Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung dürfe das Vorliegen der persönlichen Unbilligkeit nicht verneint werden.
25 Mit diesem Vorbringen kann insgesamt die Zulässigkeit der Revision nicht aufgezeigt werden.
26 Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Diese Bestimmung findet nach § 236 Abs. 2 BAO auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.
27 Die Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO (BGBl. II Nr. 435/2005 idF BGBl. II Nr. 449/2013 und BGBl. II Nr. 236/2019) lautet auszugsweise:
„§ 1. Die Unbilligkeit im Sinn des § 236 BAO kann persönlicher oder sachlicher Natur sein.
§ 2. Eine persönliche Unbilligkeit liegt insbesondere vor, wenn die Einhebung
1. die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Angehörigen gefährden würde;
2. mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, etwa wenn die Entrichtung der Abgabenschuldigkeit trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Vermögensveräußerung möglich wäre und dies einer Verschleuderung gleichkäme.
§ 3. Eine sachliche Unbilligkeit liegt bei der Einhebung von Abgaben insbesondere vor, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches
1. von Rechtsauslegungen des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn im Vertrauen auf die betreffende Rechtsprechung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden;
2. in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die
a) dem Abgabepflichtigen gegenüber von der für ihn zuständigen Abgabenbehörde geäußert oder
b) vom Bundesministerium für Finanzen im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung oder im Internet als Amtliche Veröffentlichung in der Findok veröffentlicht
wurden, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung bzw. Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden.“
28 Eine persönliche Unbilligkeit liegt demnach insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlage des Nachsichtswerbers gefährdet. Hiefür genügt es, dass die Abstattung der Abgaben mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa, wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung etwa von Liegenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme (vgl. , mwN). Maßgebend sind insoweit die Vermögens- und Einkommensverhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Ansuchen (vgl. ).
29 Zunächst ist darauf zu verweisen, dass aus den mit dem Nachsichtsantrag vorgelegten Saldenlisten - entgegen dem Vorbringen der Revisionswerberin - hervorgeht, dass (zum Zeitpunkt Ende Mai 2021; dass insoweit in der Folge eine relevante Änderung eingetreten wäre, wird nicht behauptet) auch weitere Verbindlichkeiten (insbesondere Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten, per Ende Mai 2021 in Höhe von ca. 1,5 Mio. €) bestanden. Vor diesem Hintergrund ist der Ansicht des Bundesfinanzgerichts, es bestünden weitere Verbindlichkeiten, sodass eine Nachsicht den übrigen Gläubigern zugute kommen würde, im Ergebnis nicht entgegenzutreten.
30 Die Unbilligkeit muss in der Einhebung, also in Umständen liegen, die die Entrichtung der Abgabe selbst betreffen (vgl. ; , Ra 2022/13/0016). Ist eine Abgabenschuld nicht einbringlich, ist eine persönliche Unbilligkeit im Sinne einer Existenzgefährdung durch eine drohende Abgabeneinhebung nicht gegeben (vgl. ; , 2006/15/0278; , 2007/13/0135, je mwN).
31 Zwischen den Parteien ist unbestritten, dass eine Vollstreckung der Abgabenforderung nicht möglich ist, weil das Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Fürstentum Liechtenstein eine Amtshilfe bei Vollstreckung von Steuern (Art. 25b DBA-FL) erst für Steuerjahre, die am oder nach dem beginnen, vorsieht. Außerhalb des Fürstentums Liechtenstein bestehen wiederum - ebenfalls unbestritten - keine exekutierbaren Vermögenswerte. Eine persönliche Unbilligkeit im Sinne einer Existenzgefährdung durch eine drohende Abgabeneinhebung liegt sohin nicht vor.
32 Dass die bereits erfolgte Zahlung von Abgabenschuldigkeiten eine Unbilligkeit in diesem Sinne bewirkt hätte, ist nicht erkennbar; es liegt trotz dieser Zahlung ein positives Eigenkapital vor, eine Vermögensverschleuderung wird im Zusammenhang mit der bereits erfolgten Zahlung nicht behauptet. Dass aus diesen schon entrichteten Abgabenschuldigkeiten weitere Nachteile drohten, wird überdies nicht behauptet, sodass auch insoweit kein Anspruch auf Nachsicht besteht (vgl. ).
33 Die Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung steht im vorliegenden Fall (anders als nach dem Sachverhalt zu ) in keinem Zusammenhang mit einer allenfalls überlangen (rechtswidrigen) Dauer von (weiteren) Verfahren, sodass daraus eine Unbilligkeit nicht resultiert. Die Einstellung des Geschäftsbetriebs erfolgte - wie aus dem Vorbringen der Revisionswerberin hervorgeht - in Folge der Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Y, wofür wiederum (wie aus der Revision hervorgeht) ein „Eigentümerwechsel“ entscheidend war. Dass zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Nachsichtsantrag der Geschäftsbetrieb bereits eingestellt war, ist aber im vorliegenden Fall für die Versagung der Nachsicht im Hinblick auf die Uneinbringlichkeit nicht entscheidend.
34 Eine sachliche Unbilligkeit ist - unbeschadet der in § 3 der Verordnung BGBl. II Nr. 453/2005 beispielsweise aufgezählten Fälle - nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl. , mwN).
35 Ein Verstoß gegen das Prinzip von Treu und Glauben kann eine Unbilligkeit im Sinne des § 236 Abs. 1 BAO begründen (vgl. , mwN). Dies setzt einerseits voraus, dass ein (unrechtes) Verhalten der Behörde, auf das der Abgabenpflichtige vertraute, eindeutig und unzweifelhaft für ihn zum Ausdruck kam, und anderseits, dass der Abgabepflichtige seine Dispositionen danach einrichtete und er nur als Folge hievon einen abgabenrechtlichen Nachteil erlitt (vgl. ).
36 Unabhängig davon, ob die jeweiligen Äußerungen der in der Revision angesprochenen Personen dem zuständigen Finanzamt zurechenbar wären, würde eine Nachsicht sohin insbesondere voraussetzen, dass die Revisionswerberin (bzw. ihre Rechtsvorgängerin) entsprechend dieser Auskunft gehandelt hätte und gerade deswegen die Abgabenschulden entstanden sind.
37 Die Revisionswerberin stützt sich darauf, dass die „Ausgliederung eines Key Account“ (Veräußerung eines „Firmenwerts“ für „Key-Account-Tätigkeiten“ von der X GmbH an die X FL sowie Abschluss eines Kooperationsvertrages zwischen der X GmbH und der X FL im Jahr 1998) gegenüber dem zuständigen Finanzamt offen gelegt worden sei, wobei diese Vorgangsweise auch im Zuge von zwei Außenprüfungen akzeptiert und bestätigt worden sei; von den Prüfern sei dabei zum Ausdruck gebracht worden, dass weiterhin so vorzugehen sei und die Behandlung der Abgaben wie bisher korrekt sei. Die Revisionswerberin (bzw. die X GmbH) sei entsprechend dieser Auskunft vorgegangen und habe die bisherige Vorgangsweise fortgeführt (somit eine Änderung der Vorgangsweise unterlassen) und damit entsprechend disponiert. Erst anlässlich einer weiteren Außenprüfung sei diese Vorgangsweise in Frage gestellt und letztlich mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom verworfen worden.
38 Diesem Vorbringen kann aber nicht entnommen werden, dass die Revisionswerberin (oder die X GmbH) im Vertrauen auf eine Auskunft des Finanzamts nachteilige Dispositionen getroffen hätte. Hätte die X GmbH von vornherein die „Ausgliederung“ unterlassen, wären die aus dem Großauftrag mit Y erzielten Einkünfte in den Streitjahren weiterhin bei der X GmbH zu besteuern gewesen. Die Revisionswerberin legt auch nicht dar, welche Dispositionen, die allenfalls das Entstehen der strittigen Abgabenschuldigkeiten hätten verhindern können, sie unterlassen, aber getroffen hätte, wäre ihr die Unrichtigkeit der Auskunft bekannt gewesen. Dass allenfalls - bei Unterbleiben der Auskünfte - betreffend die (nähere) Dokumentation der Vorgänge Vorsorge getroffen worden wäre, könnte nicht zur Nachsicht führen (vgl. dazu ). Die Revisionswerberin hat hier lediglich jene Abgaben zu entrichten, von welchen sie nur auf Grund einer (allfälligen) seinerzeitigen Auskunft angenommen hatte, sie nicht entrichten zu müssen (vgl. ).
39 Vor diesem Hintergrund erweisen sich die in der Revision für ihre Zulässigkeit behaupteten Verfahrensmängel (Unterlassung der Befragung von Zeugen; fehlende Ermittlungstätigkeit und unterbliebene Beweisaufnahme; Übergehen von Parteienvorbringen; dies jeweils zur Frage, ob vom Vorliegen von Rechtsauskünften der zuständigen Abgabenbehörde auszugehen ist) als nicht relevant. Auch ein Begründungsmangel liegt - entgegen dem Revisionsvorbringen - nicht vor; die angefochtene Entscheidung ist sowohl für die Verfahrensparteien als auch für den Verwaltungsgerichtshof überprüfbar.
40 Soweit in der nunmehrigen Revision auch die Unrichtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2020/15/0113, geltend gemacht wird, so ist diese aber nicht Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens. Eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung kann (grundsätzlich) nicht damit begründet werden, dass die Abgabenfestsetzung zu Unrecht erfolgt sei (vgl. ; , Ra 2022/13/0016, mwN).
41 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.
42 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Normen | |
Schlagworte | Rechtsgrundsätze Treu und Glauben erworbene Rechte VwRallg6/2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023130044.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
UAAAF-95744