OGH 23.09.2024, 7Ob110/24p
Rechtssätze
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Normen | |
RS0121516 | Der Oberste Gerichtshof ist auch zur Auslegung von AGB-Klauseln nicht "jedenfalls", sondern nur dann berufen, wenn die zweite Instanz Grundsätze höchstgerichtlicher Rechtsprechung missachtete oder für die Rechtseinheit und Rechtsentwicklung bedeutsame Fragen zu lösen sind. Es entspricht jedoch ständiger Rechtsprechung, dass die Auslegung von Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen bestimmter Geschäftsbranchen, welche regelmäßig für eine größere Anzahl von Kunden und damit Verbrauchern bestimmt und von Bedeutung sind, eine erhebliche Rechtsfrage darstellt, sofern solche Klauseln bisher vom Obersten Gerichtshof noch nicht zu beurteilen waren. |
Normen | ABE 2017 Art14.3.2.3 AHVB 2004 Art7.5.3. ARB 2008 Art7.1.6 ARB 2014 Art3.3. AUVB 2016 §10 AVB Art2.1.b AWB 2009 Art2.4. VersVG §6 Abs3 VersVG §15a Luftfahrt Haftpflichtversicherung AHVB 2009 idF 2012 Art 7.5.1 Haushaltsversicherung Art 2.2.1. ABHE 2017 Rechtsschutzversicherung allg Sturmschadenversicherung BB 6808 Art1.3. Betriebshaftpflichtversicherung AHVB 2005 Art7.1.3 AKHB 2015 Art21.2.1 AKHB 2015 Art8.2 Sturmschadenversicherung AStB 2002 Art1 |
RS0080166 | Bei der Risikobegrenzung wird von Anfang an ein bestimmter Gefahrenumstand von der versicherten Gefahr ausgenommen, ohne dass es dabei auf ein schuldhaftes, pflichtwidriges Verhalten des Versicherungsnehmers ankäme. Obliegenheiten hingegen fordern gewisse Verhaltensweisen des Versicherungsnehmers und bestimmte Rechtsfolgen nur für ihre willkürliche und schuldhafte Verletzung. |
Normen | ABE 2017 Art14.3.2.3 ABWH/RV 06.2014 Art3.5 ABWH/RV 06.2014 Art3.7 ARB 2008 Art7.1.6 AUVB 2016 §10 AVB Art2.1.b VersVG §6 Luftfahrt Haftpflichtversicherung AHVB 2009 idF 2012 Art 7.5.1 Betriebshaftpflichtversicherung AHVB 2005 Art7.1.3 Sturmschadenversicherung AStB 2002 Art1 |
RS0080068 | Mit einem Risikoausschluss begrenzt der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz. Diese Umstände kann der Versicherungsnehmer nicht durch sein späteres Verhalten beeinflussen oder kontrollieren. Demgegenüber stellt die von der Einhaltung einer Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer abhängig gemachte Deckungspflicht des Versicherers dem Versicherungsnehmer gegenüber auf das Gebot gewissen Handlungen bzw Unterlassungen ab, an deren Einhaltung der Versicherer ein legitimes Interesse hat. |
Normen | AStB Art1 Abs3 lita Sturmschadenversicherung AStB 1998 Art1.2.1 |
RS0127591 | Unmittelbares Einwirken ist gegeben, wenn die Naturgewalt einzige oder letzte Ursache für den Schaden ist. |
Normen | |
RS0080644 | "Unvermeidliche" Folgen im Sinne des Art 1 Abs 5 lit b AFB bedeutet jede adäquate Folge ohne Rücksicht darauf, ob die Folge abzuwenden gewesen wäre; ob Folgeschäden verhindert werde hätten können, ist gesondert nach § 62 Abs 2 VersVG, Art 4 Abs 2 AFB zu prüfen. |
Normen | ABE 2017 Art14.3.1.1. ABH 1984 AbschnI Art1 A litc ABH 1984 AbschnII Art3 Abs1 Haushaltsversicherung Art 2.2.1. ABHE 2017 Sturmschadenversicherung AStB 1998 Art1.2.1 |
RS0109771 | Sturm wirkt dann unmittelbar ein, wenn er die zeitlich letzte Ursache des Sachschadens ist. "Unmittelbare Einwirkung" ist es zum Beispiel, wenn versicherte Sachen durch den Druck oder den Sog aufprallender Luft beschädigt oder zerstört werden oder abhanden kommen, insbesondere wenn bewegliche Sachen umgeworfen oder aus erhöhter Position auf eine tiefergelegene Fläche heruntergeworfen werden und dadurch zerbrechen oder sonstwie beschädigt werden. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. M* M*, vertreten durch Dr. Mario Petutschnig, Rechtsanwalt in Villach, gegen die beklagte Partei A* Versicherungs AG, *, vertreten durch die Dr. Alexander Klaus Rechtsanwalts GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 201.555,97 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 47/24t-17, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Zwischen den Streitteilen besteht ein Bündelversicherungsvertrag, der unter anderem eine Sturmschadenversicherung für das Grundstück des Klägers beinhaltet und dem die Allgemeinen Bedingungen für die Sturmversicherung (AStB 1998) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:
„Artikel 1
Versicherte Gefahren und Schäden
1. Versicherte Gefahren:
[…]
1.2 Hagel: Hagel ist ein wetterbedingter Niederschlag in Form von Eiskörnern.
[...]
2. Versicherte Schäden:
Versichert sind Schäden, die
2.1 durch die unmittelbare Einwirkung einer versicherten Gefahr (Schadenereignis) eintreten; [...]
2.2 als unvermeidliche Folge eines Schadenereignisses eintreten;
[...]
Artikel 2
Nicht versicherte Schäden
Nicht versichert sind, auch nicht als unvermeidliche Folge eines Schadenereignisses:
[...]
4. Schäden durch Wasser.
Schäden durch Schmelz- oder Niederschlagswasser sind aber versichert, wenn das Wasser dadurch in ein Gebäude eindringt, dass feste Baubestandteile oder ordnungsgemäß verschlossene Fenster oder Außentüren durch ein Schadenereignis beschädigt oder zerstört wurden. […]“
[2] Am fand im Bereich der versicherten Liegenschaft des Klägers ein Gewitter mit Starkregen und Hagel statt. Durch die damit einhergehenden Wassermengen kam es zu einem Wassereintritt in das Kellergeschoß des auf der Liegenschaft befindlichen Gebäudes.
[3] Der Kläger begehrt Zahlung von 201.555,97 EUR sA. Nach dem Hagelunwetter hätten die Hagelkörner den Acker des Klägers mit einer Schicht von rund 10 cm Höhe bedeckt. Durch den warmen Regen seien die Hagelkörner schnell abgeschmolzen. Als unvermeidliche Folge des Hagelschlags habe sich die Erdkruste des Ackers, welche durch die Hagelschloßen an der Oberfläche durchschlagen worden sei, gelöst. Die dadurch entstandenen Wassermassen mit Ackerschlamm hätten im hinteren Außenbereich des nahe gelegenen Gebäudes derart stark angedrückt, dass dort eine Ausschwemmung erfolgt und das Wasser in weiterer Folge in den Kellerraum des Gebäudes eingedrungen sei. Dadurch sei es im Keller zu Schäden gekommen. Die Versicherung habe den Schaden gemäß Art 1.2.2 AStB 1998 zu decken.
[4] Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Der Schaden auf der Liegenschaft des Klägers sei durch das in das Gebäude eingedrungene Wasser verursacht worden und nicht durch Hagel oder als dessen unvermeidliche Folge eingetreten. Im Übrigen seien die Risikoausschlüsse gemäß Art 2 AStB 1998, welche Schäden durch Wasser ausdrücklich vom Versicherungsschutz ausschließen, anzuwenden.
[5] Das Erstgericht wies die Klage ab.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Aus dessen Vorbringen lasse sich der Anspruch auf Versicherungsdeckung nicht schlüssig ableiten; außerdem greife der Risikoausschluss gemäß Art 2.4. AStB 1998.
Rechtliche Beurteilung
[7] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers.
[8] 1.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).
[9] 1.2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikobegrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]; vgl RS0080068).
[10] 2.1. Gemäß Art 1.2.1 AStB 1998 sind Schäden versichert, die durch die unmittelbare Einwirkung einer versicherten Gefahr (hier: Hagel) eintreten. Unmittelbares Einwirken ist gegeben, wenn die Naturgewalt einzige oder letzte Ursache für den Schaden ist (7 Ob 110/11v mwN; vgl RS0109771; RS0127591).
[11] 2.2. Dass der Hagel die Gebäudehülle beschädigt hätte und aufgrund dieser Beschädigung das Wasser in das Gebäude eingedrungen wäre, behauptet der Kläger nicht. Vielmehr waren die zeitlich letzte Ursache des Schadeneintritts nach dem Vorbringen des Klägers die Wassermassen mit Ackerschlamm, die in das Gebäude eindrangen. Damit liegt auch keiner der nach Art 1.2.1 zweiter Halbsatz der unmittelbaren Einwirkung gleichgehaltenen Fälle vor. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Kläger habe den Versicherungsfall gemäß Art 1.2.1 AStB 1998 nicht schlüssig dargetan, ist daher nicht korrekturbedürftig.
[12] 3. Darüber hinaus sind nach Art 1.2.2 AStB 1998 Schäden versichert, die als unvermeidliche Folge eines Schadenereignisses eintreten. Nach der Rechtsprechung zu inhaltsähnlichen Bestimmungen ist als „unvermeidlich“ jede weitere (durch Vermittlung von Zwischentatsachen herbeigeführte) adäquate Folge zu verstehen und zwar unabhängig davon, ob sie abzuwenden gewesen wäre oder nicht (vgl RS0080644; 7 Ob 142/19m; 7 Ob 187/23k). Ob die vom Kläger behaupteten Schäden unvermeidliche Folge des Hagelereignisses waren, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, weil jedenfalls der von der Beklagten eingewendete Risikoausschluss greift:
[13] 4.1. Gemäß Art 2.4. AStB 1998 sind Schäden durch Wasser nicht versichert, auch nicht als unvermeidliche Folge eines Schadenereignisses. Hingegen sind Schäden durch Schmelz- oder Niederschlagswasser versichert, wenn das Wasser dadurch in ein Gebäude eindringt, dass feste Baubestandteile oder ordnungsgemäß verschlossene Fenster oder Außentüren durch ein Schadenereignis beschädigt oder zerstört wurden (sekundärer Risikoeinschluss: allgemein dazu Schauer, Versicherungsvertragsrecht3 147 f; Perner, Privatversicherungsrecht2 Rz 1.33).
[14] 4.2. Der Kläger bestreitet nicht, dass im vorliegenden Fall die Schäden durch „Wasser“ entstanden sind und weder feste Baubestandteile noch ordnungsgemäß verschlossene Fenster oder Außentüren durch den Hagel selbst beschädigt oder zerstört wurden. Er meint jedoch, der sekundäre Risikoeinschluss würde greifen, weil mit dem Begriff „Schadenereignis“ in Art 2.4. AStB 1998 nicht das versicherte Ereignis gemeint sei, sondern ein „Schadenereignis schlechthin“. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Begriff „Schadenereignis“ in Art 1.2.1 AStB 1998 eindeutig im Sinn von „versicherte Gefahr“ definiert ist und diese Definition unzweifelhaft auch für Art 2.4. AStB 1998 gilt.
[15] 4.3. Die vom Kläger geltend gemachten Schäden sind daher nach dem eindeutigen, keinen Auslegungsspielraum zulassenden Wortlaut von Art 2.4. AStB 1998 nicht gedeckt (vgl RS0121516 [T6]), sodass die klageabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen nicht korrekturbedürftig sind.
[16] 5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00110.24P.0923.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
WAAAF-92194