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Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 25.02.2025, RV/7103466/2020

Naturalwohnungen und Sachbezug - Vorliegen eines Begründungsmangels beim Festsetzungsbescheid nach § 201 Abs. 2 Z 3 BAO

Beachte

Revision eingebracht (Amtsrevision).

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende Dr. Anna Radschek, die Richterin Mag. Sonja Stradner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Michael Heumesser und Mag. Andrea Prozek in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 1/23 (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Festsetzung Dienstgeberbeitrag für die Kalenderjahre 2012 - 2015, Steuernummer ***Bf-StNr***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Bei der Beschwerdeführerin (Bf.) fand für die Jahre 2012 bis 2015 eine Gemeinsame Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben (GPLA) statt. Der Schwerpunkt der GPLA lag dabei ua. in der Überprüfung der zur Verfügung gestellten Naturalwohnungen an Arbeitnehmer des ***Bf*** und der Frage, ob für die Überlassung geldwerte Vorteile gemäß § 15 Abs. 2 EStG 1988 anzusetzen seien. Beim "***Bf***" handelt es sich um eine dem ***BM*** nachgeordnete Dienststelle.

Infolge der Prüfung erließ das Finanzamt am jeweils für die Jahre 2012 bis 2015 Haftungsbescheide gemäß § 82 EStG betreffend Lohnsteuer, Abgabenbescheide für Dienstgeberbeitrag (DB) sowie Säumniszuschläge (SZ) für beide Abgaben. Die festgesetzten Mehrbeträge (Nachforderung) hinsichtlich des Dienstgeberbeitrages setzen sich wie folgt zusammen:

In der Begründung wurde jeweils auf den Bericht über die Außenprüfung vom und die Niederschrift über die Schlussbesprechung verwiesen. Zusammengefasst kam es zu einer Nachversteuerung von geldwerten Vorteilen aus der verbilligten Überlassung von Wohnraum an Arbeitnehmer. Den Bediensteten der Bf. sei von ihrem Arbeitgeber Wohnraum zur Verfügung gestellt und aufgrund arbeitsrechtlicher Bestimmungen - insbesondere gemäß § 24ff GehG - ein zu leistender Kostenersatz/zu leistende Vergütung vorgeschrieben worden. Dieser Kostenersatz sei jedoch in den meisten Fällen geringer gewesen, als der sich bei Anwendung des § 2 Sachverzugswerteverordnung ergebende geldwerte Vorteil.

Die Bf. erhob gegen diese Bescheide fristgerecht Beschwerde. Sie führte aus, dass insbesondere deshalb kein Sachbezug aus der verbilligten Überlassung von Wohnraum anzusetzen sei, da die Bediensteten des ***Bf*** entsprechend des Erlasses des Bundeskanzleramtes vom , GZ 923.101/35-II/2/86 (als "Dienst- und Naturalwohnungen, Durchführungsbestimmungen" bezeichnet), einen "angemessenen" Kostenersatz iSd § 24 ff GehG für die Überlassung der Wohnungen leisten, und die Anwendung der einschlägigen Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes sowie der Sachbezugswerteverordnung aus Sicht der Beschwerdeführerin durch diesen Erlass ausgeschlossen worden sei. Auch aufgrund des Erlasses des Bundesministeriums für Finanzen vom , GZ 923.101/1- VII/4/97, sei die Sachbezugswerteverordnung auf die verbilligte Überlassung von Wohnraum an Bedienstete des ***Bf*** nicht anwendbar. Überdies liege eine Verletzung verfahrensrechtlicher Bestimmungen vor, da die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht vorgelegen seien.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde betreffend Dienstgeberbeitrag ab. Begründend wurde ausgeführt, dass der nach § 24a GehG für die verbilligte Zurverfügungstellung von Wohnraum zu leistende Kostenersatz bzw. die zu leistende Vergütung einen geldwerten Vorteil nicht ausschließe. Die Beurteilung des Vorliegens eines geldwerten Vorteils aus der verbilligten Überlassung von Wohnraum habe zwingend nach der Sachbezugswerteverordnung zu erfolgen. Die nach dem Gehaltsgesetz festgelegte Angemessenheit des Kostenersatzes/der zu leistenden Vergütung habe dabei keinen Einfluss auf die Anwendbarkeit der Sachbezugswerteverordnung. Eine Angemessenheit des vom Bediensteten zu leistenden Kostenersatzes iSd GehG bedeute daher nicht, dass sich nach der Sachbezugswerteverordnung (bzw. nach § 15 Abs. 2 EStG 1988) kein steuerpflichtiger geldwerter Vorteil ergeben könne. Im Übrigen bestritt das Finanzamt die Verletzung verfahrensrechtlicher Bestimmungen.

Mit Schreiben vom beantragte die Bf., die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht (BFG) zur Entscheidung im Senat samt Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorzulegen.

Zusätzlich regte die Bf. die Verbindung der Verfahren in Bezug auf die Beschwerden des ***BM*** vom zu den Abgabenkonten ***StNr DS 1*** (***BM DS 1***) und ***StNr DS 2*** (***BM DS 2***) an, da die Kernfrage, nämlich ob die zur Verfügung-Stellung von Naturalwohnungen durch das ***BM*** unter den dargelegten rechtlichen Rahmenbedingungen eine Steuerpflicht im Sinne des § 15 EStG auslöse, für alle drei Beschwerden gleichlautend sei.

Das Finanzamt legte den Akt am dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor, wobei der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung der Fall am zugewiesen wurde.

Mit Erkenntnis vom zu RV/7103469/2020 entschied das BFG in einem der drei vorliegenden Verfahren zugunsten der Bf. und hob die angefochtenen Bescheide auf. Es stellte einen Begründungsmangel der Bescheide fest, der weder durch das Finanzamt (im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung) noch durch das Verwaltungsgericht sanierbar sei. Im Erkenntnis vom , Ra 2023/13/0074 ist der VwGH dieser Auffassung gefolgt (Zurückweisung der vom Finanzamt dagegen eingebrachten Revision in diesem Punkt).

Unter Verweis auf die Erkenntnisse des bzw. und bzw. wurde das Finanzamt mit Beschluss vom darüber informiert, dass der vom BFG in der angesprochenen Entscheidung monierte Begründungsmangel auch im gegenständlichen Fall vorliege. Es werde daher die Aufhebung der mit gegenständlicher Beschwerde angefochtenen Bescheide beabsichtigt, sofern das Finanzamt nicht detaillierte Gründe bekanntgebe, die gegen die intendierte Erledigung sprechen könnten. In seiner Stellungnahme vom wurden seitens des Finanzamtes keine Gründe aufgezeigt, die gegen die beabsichtigte Erledigung sprechen, und der Vorgangsweise zugestimmt.

Mit Schreiben vom zog die Bf. den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.

Mit Schriftsatz vom widerrief das Finanzamt seine bisher abgegebene Stellungnahme zum Beschluss vom ohne Angabe von Gründen und führte aus, dass für eine allfällige Zustimmung zur geplanten Vorgehensweise noch interne Abstimmungs-maßnahmen nötig seien.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Im Bereich der Bf. werden Bediensteten Naturalwohnungen zur Verfügung gestellt. Die Wohnungen stehen teils im Eigentum der Bf. oder werden mittels langfristiger Verträge angemietet und sind unterschiedlichen Wohnungskategorien zuzuordnen. Vermieter sind unterschiedliche natürliche und juristische Personen, darunter eine große Anzahl von Wohnbaugenossenschaften. Die Wohnungen werden den Bediensteten mit Bescheid zugewiesen. Die Wohnungsnutzer haben dafür nach § 24 ff GehG ein "angemessenes Entgelt" an die Bf. zu leisten und sämtliche Betriebskosten zu ersetzen.

Für Naturalwohnungen, deren Vergabe, Berechnung der zu leistenden Vergütung und Behandlung im Rahmen der Lohn- und Gehaltsverrechnung im Bund und damit auch im Bereich der Bf. sind die Bestimmungen des Erlasses des BKA vom , GZ 923.101/35-11/2/86, "Dienst- und Naturalwohnungen, Durchführungsbestimmungen" zu beachten.

Zur Administration der Naturalwohnungen verwendete die Bf. seit 1985 eine Wohnungsdatenbank (WOHNIS I). WOHNIS I wurde ab 1999 von der Weiterentwicklung "WOHNIS II" abgelöst. Die Datei erfasst alle Daten zu sämtlichen Wohnungen (Adresse, Größe, Vermieter, Wohnungsqualität nach Kategorie, die gezahlte Miete und die Betriebskosten) und zu den Wohnungsnutzern (SVNR, Dienststelle, Dienstgrad bzw. Amtstitel, Personenstand, Nutzungsübernahme, zu zahlende Grundvergütung und Betriebskosten).

Die Naturalwohnungen wurden bis Ende 2018 bei der Bf. nicht als Sachbezug behandelt und/oder versteuert. Nach Rechtsansicht der Bf. sei aufgrund § 24ff GehG eine angemessene Vergütung zu leisten. Es könne daher kein Vorteil aus dem Dienstverhältnis vorliegen, zumal der mit dem BMF abgestimmte Erlass des BKA vom , GZ 923.101/35- 11/2/86 einen Sachbezug ausdrücklich ausschließe.

Unter Punkt "D Wohnraumbewertung, Berücksichtigung bei der Ermittlung der Bemessungs-grundlage für Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer" des genannten Erlasses wird zunächst unter Punkt 1. die Benützung von echten Dienstwohnungen unter Beachtung der Sachbezugswerte anhand diverser Berechnungsbeispiele ausführlich dargelegt.

Punkt 2. lautet wörtlich:

2. Für die Benützer von Natural- und "unechten" Dienstwohnungen findet die Hinzurechnung des Wohnraumwertes bei der Ermittlung der o.a. Bemessungsgrundlagen nicht statt.

Aus dem Erlass des BKA vom , GZ 923.101/35-11/2/86 "Dienst- und Naturalwohnungen, Durchführungsbestimmungen" ist aus dem Verteiler und dem Text eindeutig ableitbar, dass der Inhalt des Erlasses mit der zuständigen Fachabteilung für Lohnsteuer im BMF (damals Abteilung IV/7) abgestimmt war. Derartige Abstimmungen eines ressortübergreifenden Erlasstextes - der alle verwaltungsinternen Stellen der jeweils betroffenen Ressorts einbindet - ist erfahrungsgemäß ein Vorgang der zumindest mehrere Wochen und zahlreiche Abstimmungssitzungen erfordert. Es ist daher davon auszugehen, dass der endgültige und hier vorliegende Erlasstext die Rechtsansicht des BMF, vertreten durch die zuständige Fachabteilung Lohnsteuer, zur steuerlichen Behandlung von Naturalwohnungen wiedergibt. Dabei ist aufgrund der komplexen Berechnungen und inhaltlichen Ausführungen zusätzlich davon auszugehen, dass der genannten Punkt D zur Gänze von der zuständigen Fachabteilung im BMF verfasst wurde. Dem BMF kann nicht unterstellt werden, dass bei (Mit-) Verfassung der die das BMF betreffenden Rechtsfragen - nämlich die steuerrechtliche Behandlung - nicht zuvor sämtliche Sachverhalts- und Rechtsgrundlagen umfassend ermittelt und ausführlich besprochen wurden. Ein inhaltlich diesbezüglich geänderter Erlass "Dienst- und Naturalwohnungen, Durchführungsbestimmungen" wurde soweit ersichtlich bis Ende 2015 nicht erlassen.

Auf Seite 35 des genannten Erlasses vom wird zudem darauf verwiesen, dass zur Festsetzung der Höhe der Vergütung für jede einzelne Wohnung die Zustimmung des BMF einzuholen ist. Erst nach Vorliegen dieser Zustimmungen werden die festgesetzten Vergütungsgrößen der zuständigen Dienstbehörde zur Durchführung der weiteren Verfahren bekanntgegeben.

Weder im Bericht über die Außenprüfung vom noch in den übrigen Unterlagen (Niederschrift), auf die der Bericht verweist, finden sich klare Aussagen darüber, welcher der beiden Tatbestände des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO herangezogen worden ist.

Für die festgesetzten Zeiträume hat die Bf. Dienstgeberbeiträge berechnet, gemeldet und abgeführt. Ausführungen, ob und gegebenenfalls welche neuen Tatsachen/Beweismittel für die Festsetzung der Dienstgeberbeiträge neu hervorgekommen sind, fehlen.

Es fehlen sämtliche Hinweise zur Ermessensübung.

2. Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus den vorgelegten Akten und den Unterlagen aus dem Arbeitsbogen der Außenprüfung (GPLA). Die Auswertungen aufgrund der Datenbank WOHNIS II liegen vor.

Die Feststellungen zur Erarbeitung eines interministeriellen Erlasses entsprechen der diesbezüglichen Lebenserfahrung.

Da es sich um drei zusammenhängende Verfahren handelt, deren Kernfrage die steuerliche Behandlung der zur Verfügung-Stellung von Naturalwohnungen durch das ***BM*** unter den dargelegten rechtlichen Rahmenbedingungen beinhaltet, fließen auch die Ergebnisse des BFG-Verfahrens RV/7103469/2020 in die Beweiswürdigung ein und wird auf diese verwiesen.

Dass die Bf. selbstberechnete Dienstgeberbeiträge in den streitgegenständlichen Zeiträumen abgeführt und somit dem Finanzamt gegenüber bekanntgegeben hat, ist unstrittig. Tatsächlich wird in den Festsetzungsbescheiden die bisherige Vorschreibung der Dienstgeberbeiträge berücksichtigt.

Dass sich weder im Bericht über die Außenprüfung noch in der Niederschrift, auf die der Bericht verweist, klare Aussagen darüber finden, welcher der beiden Tatbestände des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO zur Bescheiderlassung herangezogen worden ist bzw. welche neuen Tatsachen/Beweismittel neu hervorgekommen sind, hat das Finanzamt in seiner Stellungnahme vom bestätigt. Der Widerruf der Stellungnahme erfolgte am und somit fast vier Monaten nach Abgabe der ersten Stellungnahme. Entgegen der Aufforderung mit Beschluss vom erfolgte der Widerruf ohne Darlegung detaillierter Gründe, die gegen die intendierte Erledigungsabsicht des Gerichts sprechen würden, sondern führte lapidar interne Abstimmungsmaßnahmen an. Da keine detaillierte Darstellung erfolgte, worin die klaren Aussagen hinsichtlich der beiden Tatbestände des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO nun doch im Bericht und in der Niederschrift zu finden seien, geht das Gericht nach wie vor davon aus, dass diesbezüglich keine klaren Aussagen vorliegen. Der Widerruf der Stellungnahme wird daher als unzureichend, weil nicht begründet, und somit unbedeutend gewertet.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Gemäß § 25 Abs. 1 Z 1 lit. a EStG 1988 sind Bezüge und Vorteile aus einem bestehenden oder früheren Dienstverhältnis Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Arbeitslohn).

Gemäß § 47 Abs. 1 EStG 1988 wird bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 25) die Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben (Lohnsteuer), wenn im Inland eine Betriebsstätte (§ 81) des Arbeitgebers besteht. Arbeitnehmer ist eine natürliche Person, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezieht. Arbeitgeber ist, wer Arbeitslohn im Sinne des § 25 auszahlt.

Nach § 78 Abs. 1 EStG 1988 hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung einzubehalten und gemäß § 79 Abs. 1 EStG 1988 spätestens am 15. Tag nach Ablauf des Kalendermonates an das Finanzamt abzuführen.

Nach § 41 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben alle Dienstgeber, die im Bundesgebiet Dienstnehmer beschäftigen, den Dienstgeberbeitrag zu leisten. Dienstnehmer sind nach § 41 Abs. 2 FLAG 1967 Personen, die in einem Dienstverhältnis im Sinne des § 47 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes 1988 stehen. Gemäß § 41 Abs. 3 FLAG 1967 ist der Beitrag des Dienstgebers von der Summe der Arbeitslöhne zu berechnen, die jeweils in einem Kalendermonat an die im Abs. 1 genannten Dienstnehmer gewährt worden sind, gleichgültig, ob die Arbeitslöhne beim Empfänger der Einkommensteuer unterliegen oder nicht (Beitragsgrundlage). Arbeitslöhne sind dabei Bezüge gemäß § 25 Abs. 1 Z. 1 lit. a und b des Einkommensteuergesetzes 1988. Gemäß § 41 Abs. 5 FLAG 1967 idF beträgt der Dienstgeberbeitrag 4,5 v.H. der Beitragsgrundlage.

Ordnen die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen an, kann nach Maßgabe des § 201 Abs. 2 BAO von Amts wegen eine Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfolgen, wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist (§ 201 Abs. 1 BAO). Die Festsetzung kann gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO erfolgen, wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wurde oder bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden.

Sache einer Festsetzung nach § 201 BAO ist nicht nur die konkrete Festsetzung der konkreten Abgabe gemäß § 198 BAO, sondern auch der jeweils konkrete herangezogene Tatbestand des § 201 BAO (Ellinger/Sutter/Urtz, BAO, § 102 Rz 21).

Gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 kann eine Festsetzung erfolgen, wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 BAO die Voraussetzungen einer Wiederaufnahme vorliegen würden.

Weder im Bericht noch in den übrigen Unterlagen (Niederschrift), auf die der Bericht verweist, finden sich klare Aussagen darüber, welcher der beiden Tatbestände des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO herangezogen wurde. Nach der Rechtsprechung des VwGH erfordert § 201 BAO nicht, dass im Spruch angeführt wird, auf welchen Tatbestand des § 201 BAO der Bescheid gestützt wird. Der Tatbestand muss aber zumindest aus der Begründung des Bescheides hervorgehen. Eine allenfalls mangelhafte Begründung kann vom Verwaltungsgericht ersetzt werden (, , Ro 2016/16/0004). Es ist aber unzulässig, dass das Verwaltungsgericht oder die belangte Behörde im Rahmen der BVE Gründe für die Wiederaufnahme "nachschiebt" (, 0188).

Im Beschwerdefall verweisen die Festsetzungsbescheide zur Begründung auf den Bericht, die Niederschrift über die Schlussbesprechung und diese auf eine Beilage. Im Bericht wird in einem Satz ausgeführt, dass für die festzusetzenden Zeiträume noch keine selbstberechneten Beträge bekannt gegeben worden seien. In einem weiteren Satz wird darauf verwiesen, dass die Tatsachen oder Beweismittel, die neu hervorgekommen sind, der Niederschrift und den Sachverhaltsdarstellungen laut Beilage zu entnehmen seien. Dieser Beilage sind umfangreiche rechtliche Ausführungen zu entnehmen, an keiner Stelle wird jedoch dargestellt, ob die Festsetzung erfolgte, weil zuvor keine Dienstgeberbeiträge gemeldet wurden oder ob bzw. welche neue Tatsache(n) oder Beweismittel konkret neu hervorgekommen wären.

Im hier gegenständlichen Fall kann den Bescheiden bzw. der gesonderten Begründung nicht entnommen werden, ob diese auf § 201 Abs. 2 Z 3 erster Fall BAO oder auf § 201 Abs. 2 Z 3 zweiter Fall BAO gestützt werden, zumal beide Tatbestände angeführt wurden. Aus der Aktenlage ist jedoch erkennbar, dass die Bf. eine Selbstberechnung der Dienstgeberbeiträge vorgenommen und diese abgeführt und somit der Abgabenbehörde bekannt gegeben hat. Das Finanzamt konnte daher nicht von § 201 Abs. 2 Z 3 erster Fall BAO ausgehen. Ausführungen zu neuen Tatsachen/ Beweismitteln fehlen, womit insofern auch keine allenfalls mangelhafte Begründung vorliegt, die das Bundesfinanzgericht präzisieren bzw. ergänzen könnte. Auch wenn in der BVE in diesen Punkten ergänzende Ausführungen zu finden sind, darf nicht übersehen werden, dass der Erstbescheid bzw. dessen Begründungen den Tatsachenkomplex und damit die "Sache" des Beschwerdverfahrens determinieren (vgl. ).

Diese Frage war auch bereits Gegenstand ebenfalls das ***BM*** betreffender Verfahren, nämlich bzw. und bzw. .

Die (den Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen betreffende und dem Beschwerdebegehren Rechnung tragende) Entscheidung vom , RV/7103469/2020, hat das BFG ua. wie folgt begründet: Den zur Begründung der Festsetzungsbescheide verwiesenen Erledigungen (Bericht/ Niederschrift) sei nicht zu entnehmen, welcher der beiden Tatbestände des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO herangezogen worden sei; daraus gehe nicht hervor, ob die Festsetzung deshalb erfolgt sei, weil zuvor keine Abgabenbeträge gemeldet worden seien oder ob bzw. gegebenenfalls welche neue(n) Tatsache(n) oder Beweismittel konkret neu hervorgekommen sei(en).

Das BFG hat (unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des VwGH) weiters ausgeführt, dass es sich dabei um einen Begründungsmangel handelt, der weder durch das Finanzamt (im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung) noch durch das Verwaltungsgericht sanierbar ist. Im Erkenntnis vom , Ra 2023/13/0074 ist der VwGH dieser Auffassung gefolgt (Zurückweisung der vom Finanzamt dagegen eingebrachten Revision in diesem Punkt).

Es ist dem Bundesfinanzgericht verwehrt, in einem Erkenntnis erstmalig den konkreten Tatbestand des § 201 BAO zu benennen, auf den die Festsetzung gestützt wird.

Gemäß § 279 Abs. 1 BAO hat das Verwaltungsgericht außer in den Fällen des § 278 BAO immer in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen. Die Änderungsbefugnis des Bundesfinanzgerichts im Sinne des § 279 Abs. 1 zweiter Satz BAO ist durch die Sache nach § 279 Abs. 1 erster Satz BAO begrenzt (). Unter der Sache des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesfinanzgericht ist jene Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruchs des Bescheids der Abgabenbehörde erster Instanz bildet (; , Ra 2020/16/0137).

Das Bundesfinanzgericht darf in einer Angelegenheit, die überhaupt noch nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen war, kein Erkenntnis erlassen, das im Ergebnis einer erstmaligen Erlassung eines Sachbescheides gleichkommt. Ein solches Vorgehen ist als unzulässig anzusehen ().

Entscheidend ist im Fall einer amtswegigen (Neu)Festsetzung nach § 201 Abs. 2 Z 3 BAO somit, ob und gegebenenfalls welche für das Finanzamt seit der Selbstbemessung neu hervorgekommenen Umstände seitens des Finanzamtes dargetan wurden, die als Wiederaufnahmsgrund geeignet sind (). Bedeutsam ist in dem Zusammenhang somit ua, dass das Finanzamt seiner erstmaligen Abgabenfestsetzung auch - und mag es durch einen entsprechend konkreten Verweis auf die Niederschrift über die Schlussbesprechung anlässlich der Außenprüfung sein (; , Ra 2014/15/0058; , 2012/15/0030, sowie , 2012/15/0172) - klar erkennbar einen bestimmten Tatsachenkomplex zu Grunde gelegt hat. Ein Austausch (oder erstmaliger Ansatz) von Wiederaufnahmsgründen durch das Verwaltungsgericht ist - im Gegensatz zur bloßen Ergänzung der Begründung hinsichtlich des vom FA herangezogenen Wiederaufnahmsgrundes - auch im Rahmen des § 201 BAO (aufgrund der "sinngemäßen" Anwendung von § 303 BAO im "Gleichklang" mit diesem) nicht zulässig. Diesfalls wäre der Bescheid aufzuheben.

Auch zum Umstand des Neu-Hervorkommens sind Feststellungen zu treffen (warum/bis wann dem Finanzamt die Tatsachen nicht bekannt waren) (Ellinger/Sutter/Urtz, BAO, § 201 Anm 23). Führt das Finanzamt im Bericht aus, dass für die festzusetzenden Zeiträume noch keine selbstberechneten Beträge bekanntgegeben worden seien, so steht dies im krassen Widerspruch zu den tatsächlichen Gegebenheiten. Vielmehr hat die Bf. monatlich die Dienstgeberbeiträge selbst berechnet, abgeführt und somit dem Finanzamt gegenüber gemeldet/bekanntgegeben. In den Festsetzungsbescheiden hat das Finanzamt die bereits vorgeschriebenen Dienstgeberbeträge gegengerechnet und somit anerkannt, dass selbst berechnete Beträge bekanntgegeben worden waren. Die Feststellung im Bericht entbehrt daher jeder Grundlage. Hinsichtlich § 201 Abs. 2 Z 3 BAO iZm der sinngemäßen Anwendung des § 303 BAO finden sich weder im Bericht noch in der Niederschrift/Beilage Aussagen darüber, welche Tatsachen oder Beweismittel auf welche Weise neu hervorgekommen sind. Es ist aber Aufgabe des Finanzamtes, die verfügte Festsetzung durch unmissverständliche Hinweise dahingehend zu begründen, welche Tatsachen oder Beweismittel auf welche Weise neu hervorgekommen sind (). Nach Ansicht des Gerichts ist das Finanzamt daher seiner Begründungspflicht nicht ausreichend nachgekommen ist (). Eine Sanierung derartiger Begründungsmängel in Wiederaufnahme- bzw. Festsetzungsbescheiden ist im Rahmen des Beschwerdeverfahrens weder durch die Beschwerdevorentscheidung noch durch das Erkenntnis des Verwaltungsgericht möglich ().

Mit Beschluss vom wurde das Finanzamt darüber informiert, dass - aufgrund des genannten Begründungsmangels - die Aufhebung der mit gegenständlicher Beschwerde angefochtenen Bescheide beabsichtigt werde. Dem Finanzamt wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Mit Schreiben vom hat das Finanzamt der Vorgangsweise zugestimmt und wurden keine Gründe aufgezeigt, die gegen die intendierte Erledigung sprechen.

Mit Schreiben vom - somit fast vier Monate nach Abgabe der Stellungnahme - hat das Finanzamt seine Stellungnahme ohne Angabe von Gründen widerrufen. Ausgeführt wurde lediglich, dass eine allfällige Zustimmung noch von internen Abstimmungsmaßnahmen abhängig sei. Da keine detaillierte Darstellung erfolgte, worin die klaren Aussagen hinsichtlich der beiden Tatbestände des § 201 Abs. 2 Z 3 BAO nun doch im Bericht und in der Niederschrift zu finden seien, hat das Gericht keine Veranlassung, an der Richtigkeit des festgestellten Sachverhaltes zu zweifeln.

Da im Erstbescheid auch sämtliche Aussagen zur Ermessensübung fehlen, liegt der Schluss nahe, dass das Finanzamt im gegenständlichen Fall gänzlich auf die verfahrensrechtlichen Grundlagen der Festsetzungsbescheide vergessen hat.

Aufgrund des Fehlens der verfahrensrechtlichen Grundlagen zur Festsetzung nach § 201 BAO erweisen sich die angefochtenen Bescheide als mit Rechtswidrigkeit behaftet. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden und sind die Bescheide aufzuheben.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine derartige Rechtsfrage liegt hier nicht vor, zumal sich die gegenständliche Entscheidung an der zitierten Judikatur des VwGH orientiert.

Wien, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
JAAAF-79659