Formelle Rechnungsmängel - Rechnungsberichtigung - materielle Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Wiebke Peperkorn in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch PKF Österreicher & Partner GmbH & Co KG Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung, Hegelgasse 8, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Umsatzsteuer 2015 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Die Umsatzsteuer für das Jahr 2015 wird festgesetzt mit EUR -54.252,72.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage ./I angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Zwischen den Parteien ist strittig, ob der Beschwerdeführerin (in der Folge kurz: Bf.) aus der Rechnung Nr 23 des ***U*** vom der Vorsteuerabzug zusteht.
Im Rahmen einer Umsatzsteuersonderprüfung für den Zeitraum 2/2015 bis 12/2015 wurde u.a. festgestellt, dass die Rechnungen 22 bis 24 von ***U*** nicht den Bestimmungen des § 11 i.V.m. § 12 UStG 1994 entsprächen und daher der Vorsteuerabzug zu versagen sei.
Am übermittelte der Geschäftsführer der Bf., ***GF1***, dem Prüfer ein Mail mit einer berichtigten Rechnung und der Frage, ob diese nun anerkannt werden könne. Der Prüfer verneinte dies mit Mail vom , nachdem er zuvor am darüber informierte, dass er hierfür intern zunächst Rücksprache mit dem zuständigen Fachbereich halten müsse.
Am erging der Umsatzsteuerbescheid 2015, in dem der erklärte Vorsteuerbetrag aus der Rechnung Nr 23 in Höhe von EUR 11.400,- nicht berücksichtigt wurde. Begründend wurde u.a. ausgeführt, dass aus der Rechnung nicht ersichtlich sei, dass es sich um eine Berichtigung handele, zudem liege für den Rechnungsaussteller für die angegebene Adresse keine aufrechte Meldung vor. Dagegen brachte die Bf. am Beschwerde ein und beantragte, die Vorsteuer in Höhe von EUR 11.400,- für die Berichtigung der Rechnung Nr 23 vom von ***U*** anzuerkennen.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde der Bf. als unbegründet abgewiesen. Die Bf. stellte daraufhin am den Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht und beantragte im Zuge dessen die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung und die Entscheidung durch den Senat gem. § 272 BAO.
Nach Zurückziehung des Antrags auf Senat fand am die mündliche Verhandlung vor der Einzelrichterin statt.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Die Bf. wurde im November des Jahres 2011 im Firmenbuch eingetragen. Seit vertritt ***GF1*** die Gesellschaft selbständig. Im Beschwerdezeitraum war überdies auch ***GF2*** alleinvertretungsbefugt.
Die Bf. erwarb mit Kaufvertrag vom / samt Nachtrag vom / die Liegenschaft EZ ***1234***, KG ***12345*** ***KG-Ort***. Auf dieser Liegenschaft befindet sich auch ein Hochhaus mit der Adresse ***Adresse1***, ***Ort 1***, das die Bf. zur Erzielung steuerpflichtiger Umsätze verwendete. Die Bf. erhielt die behördliche Auflage die Fenster auszutauschen und entschied sich dazu, im Zuge dessen auch die Fassade zu sanieren.
Mit der Sanierung wurde Anfang des Jahres 2015 zunächst das regionale Unternehmen ***A*** beauftragt. Über dieses wurde am das Konkursverfahren eröffnet.
In der Folge wurde das Unternehmen von ***U*** mit den Fassadensanierungsarbeiten beauftragt.
***U*** stellte am ein Angebot über die Fassadensanierung um EUR 230.226,80 netto (gesamt inkl. Umsatzsteuer EUR 276.262,16). Auf dem Angebot steht die Adresse ***Adresse2***, ***Ort 1*** und umfasst das folgende Leistungsverzeichnis:
Laut diesem Angebot war u.a. die erste Zahlung nach Gerüstaufstellung in Höhe von 25% vom gesamten Betrag, somit EUR 57.556,70 (netto) vereinbart.
Das Angebot wurde von ***U***, von dem bei ***U*** angestellten Baumeister ***B***, ***C*** in seiner Funktion als örtliche Bauaufsicht und der Bf. unterzeichnet.
An der im Angebot vom genannten Adresse ***Adresse2***, ***Ort 1*** befindet sich u.a. das Rathaus der Stadtgemeinde ***Ort1***. An dieser Adresse fand im streitgegenständlichen Jahr kein Bauvorhaben statt.
Die Bf. setzte in der Folge einen als "Zusatzbestimmungen zum Auftrag Fassadesanierung Hochhaus ***Ort1***, ***Adresse1***" bezeichneten Vertrag auf, der von ihr und ***U*** am unterschrieben wurde. Darin wird als Vertragsgegenstand die Sanierung der Fassade inkl. geeigneter Wärmedämmung des Bürohochhauses auf der Liegenschaft EZ ***1234***, KG ***12345*** ***KG-Ort***, ***Adresse1***, ***Ort 1*** vereinbart.
***U*** begann sodann mit den Fassadensanierungsarbeiten am Hochhaus an der Adresse ***Adresse1***, ***Ort 1***, stellte vereinbarungsgemäß das Gerüst für die Fassadensanierung auf und legte der Bf. in der Folge eine Rechnung mit dem Datum und der Nummer 23. Diese bezahlte die Bf. per Banküberweisung. Seine Adresse ist mit ***Adresse4*** ausgewiesen. Seine UID-Nummer ist nicht angeführt. Als Bauvorhaben wird die Adresse ***Adresse2***, ***Ort 1*** angeführt. Die angeführte Leistung wird beschrieben mit: "Erste Teil Rechnung Gerüst Aufstellen und Fassade Sanierung". Der Bruttobetrag beträgt EUR 68.400,-. Die Mehrwertsteuer ist mit EUR 11.400,- ausgewiesen. Ein Leistungszeitraum ist nicht angegeben.
Die Fassadensanierungsarbeiten durch ***U*** fanden bis Ende August/Anfang September 2015 statt.
Die Bf. erhielt im September 2015 ein Schreiben vom Finanzamt - Betrugsbekämpfung, in dem sie aufgefordert wurde, keine weiteren Auszahlungen mehr an ***U*** zu leisten. In der Folge beendete die Bf. das Vertragsverhältnis mit ***U*** mit Kündigungsschreiben vom .
***U*** stellte keine weiteren Rechnungen an die Bf. und bestätigte ihr schriftlich, dass die geleisteten Zahlungen die erbrachten Leistungen abdeckten und er keine Forderungen mehr gegenüber der Bf. habe.
Die Firma ***D*** setzte die Sanierungsarbeiten fort. Sie übernahm die Gewährleistung für das gesamte Bauvorhaben und trat in die Haftung ein.
Im Zuge einer im März/April 2016 stattgefundenen Umsatzsteuersonderprüfung für den Zeitraum 2-12/2015 wurde der Bf. der Vorsteuerabzug für die Rechnung Nr. 23 vom aufgrund formeller Mängel versagt. Daraufhin übermittelte die Bf. dem Prüfer am eine von ***U*** berichtigte Rechnung. Diese weist keinen ausdrücklichen Berichtigungsvermerk auf. Sie hat dasselbe Datum und dieselbe Rechnungsnummer wie die erste Rechnung und ist optisch nahezu ident bis auf folgende Änderungen: Die Adresse von ***U*** wurde geändert auf ***Adresse5***. Es ist nicht nur die UID der Bf., sondern auch die des Rechnungsausstellers genannt, eine Bankverbindung ist angegeben sowie der Leistungszeitraum -. Das Bauvorhaben ist mit der Adresse ***Adresse1***, ***Ort 1*** angeführt. Die angeführte Leistung wird beschrieben mit "Erste Teil Rechnung Gerüst Aufstellen und Fassade Sanierung laut Vertrag 1 Teilrechnung".
***U*** besaß seit dem eine aufrechte UID-Nummer. Diese wurde am begrenzt.
***U*** hatte im Beschwerdejahr bis auf einen Tag an der Adresse ***Adresse5*** keinen gemeldeten Wohnsitz in Österreich. Zuvor war er an der Adresse ***Adresse4*** gemeldet. Er hat auch aktuell keinen aufrecht gemeldeten Wohnsitz in Österreich.
Im Jahr 2015 gab ***U*** Umsatzsteuervoranmeldungen für den Zeitraum 03-08/2015 ab. Er hat jedoch weder Vorauszahlungen geleistet noch die Umsatzsteuer für das Jahr 2015 abgeführt.
Die Bf. wusste nicht und musste auch nicht wissen, dass der Umsatz aus der von ***U*** an sie erbrachten Leistung in eine von ihm als Rechnungsaussteller begangenen Steuerhinterziehung einbezogen war.
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen zur Bf. und den Vertretungsbefugnissen ergeben sich aus einem Firmenbuchauszug; die Vertretungsbefugnis des ***GF2*** wurde mit im Firmenbuch gelöscht.
Die Feststellung, wonach die Bf. mit Kaufvertrag vom / samt Nachtrag vom / die Liegenschaft EZ ***1234***, KG ***12345*** ***KG-Ort*** mit der Adresse ***Adresse1***, ***Ort 1*** erwarb, ergibt sich insbesondere aus dem Kaufvertrag samt Nachtrag, die für die Richterin aus dem Grundbuch ersichtlich waren. Dass die Bf. das Hochhaus zur Erzielung steuerpflichtiger Umsätze verwendete, ist zwischen den Parteien unstrittig.
Die Feststellungen zur behördlichen Auflage der Fenstersanierung und zur geplanten Fassadensanierung ergeben sich aus der glaubhaften Aussage der steuerlichen Vertretung der Bf. im Schreiben vom und in der mündlichen Verhandlung.
Die Feststellungen zum Unternehmen ***A*** sind zwischen den Parteien unstrittig und ergeben sich aus den von der Bf. mit Schreiben vom übermittelten Beilagen (Anlagen 1a und 1b). Aus diesen ist ersichtlich, dass die Firma ***A*** zunächst im Februar 2015 mit der Fenstersanierung beauftragt wurde. Aus der Zahlungsvereinbarung zum Auftrag ist auch die geplante Fassadensanierung ersichtlich, die mit einem Gesamtbetrag von EUR 139.550,00 (netto) angeführt ist. Die Eröffnung des Konkursverfahrens ergibt sich aus einem Auszug aus der Ediktsdatei von Februar 2015, den die Bf. vorlegte.
Die Feststellungen zum Angebot des ***U*** vom ergeben sich aus dem von der Bf. mit Schreiben vom vorgelegten Angebot. Dass der Baumeister ***B*** bei ***U*** angestellt war, ergibt sich aus einem von der Bf. vorgelegten Ausdruck über die ***GKK*** (***BL*** Gebietskrankenkasse) Meldung des Dienstnehmers ***B*** vom . Auch aus einem weiteren Auszug über die Dienstnehmermeldungen bei der ***GKK*** vom ist das Dienstverhältnis von ***B*** bei ***U*** ersichtlich. Aus letzterem ergibt sich, dass ***B*** vom bis bei ***U*** beschäftigt war. Beide Abfragen wurden der Richterin als Beilage zum Schreiben vom von der Bf. übermittelt.
Dass sich an der Adresse ***Adresse2***, ***Ort 1*** u.a. das Rathaus der Stadtgemeinde ***Ort1*** befindet, ergibt sich zunächst aus einer Google Maps Abfrage zu dieser Adresse. Auf Anfrage der Richterin bei der Stadtgemeinde ***Ort1*** wurde am per Mail die Auskunft erteilt, dass im Jahr 2015 bzw. in Jahren davor keine Bauvorhaben stattfanden und der Gemeinde auch das Unternehmen des ***U*** nicht bekannt ist. Warum diese Adresse auf dem Angebot (sowie später auf der Rechnung) steht, konnte die steuerliche Vertretung der Bf. in der mündlichen Verhandlung nicht sagen. Sie vermutete jedoch, dass die Adresse mit der behördlichen Auflage im Zusammenhang stand und daher von ***U*** herangezogen wurde. Die Richterin hält diese Erklärung für nachvollziehbar, zumal durch die Auskunft von der Gemeinde feststeht, dass an der Adresse ***Adresse2*** kein Bauvorhaben stattgefunden hatte, und sich auch aus den Zusatzbestimmungen vom , die sich ausdrücklich auf das Angebot beziehen, die richtige Adresse ergibt.
Die Feststellungen zum als "Zusatzbestimmungen zum Auftrag Fassadesanierung Hochhaus ***Ort1***, ***Adresse1***" bezeichneten Vertrag ergeben sich unmittelbar aus diesem. Dass die Bf. diesen Vertrag aufsetzte, bejahte die steuerliche Vertretung in der mündlichen Verhandlung vom . Auch dies ist durchaus schlüssig, weil es zeigt, dass die Anführung der unrichtigen Adresse durch ***U*** erfolgte, während die Bf. diesen Fehler nicht übernahm.
Dass ***U*** das Gerüst aufstellte, ergibt sich zunächst aus Fotos, die von ***C*** in seiner damaligen Funktion als örtliche Bauaufsicht der Richterin am übermittelt wurden. Diese Fotos, die mit dem jeweiligen Datum der Aufnahme versehen sind, zeigen, dass mit dem Gerüstaufbau um den begonnen wurde. Am Telefon bestätigte ***C***, dass die Fassadensanierung tatsächlich durch ***U*** und seine Dienstnehmer erfolgt ist. Wenngleich die Fassadensanierung bereits vor zehn Jahren stattgefunden hat und eine gute Erinnerung an damalige Umstände nicht selbstverständlich ist, konnte sich ***C*** bei dem ersten mit ihm geführten Telefonat am bei Nennung der Adresse ***Adresse1***, ***Ort 1*** sofort an das "10-stöckige Hochhaus" erinnern und dass der damalige Auftrag von Herrn ***GF***, dem Geschäftsführer der Bf., kam. Auf Nachfrage durch die Richterin, ob er sich an den Leistungserbringer ***U*** erinnere, bejahte er dies mit einem "Ja, leider". Hierzu führte er sodann aus, dass er sich an ein Protokoll erinnere, wo er "Beisitzer" war und mit dem Herr ***GF*** junior die Zusammenarbeit mit ***U*** beenden wollte. Herr ***GF*** hatte damals einen Brief von der Finanz bekommen und ***U*** sollte unterschreiben, dass er ihm nichts mehr schulde.
Die telefonischen Ausführungen von ***C*** sind vollkommen glaubhaft und decken sich mit den im Akt befindlichen Unterlagen. ***C*** wurde durch die Richterin kontaktiert und konnte sogleich am Telefon Auskunft geben, eine etwaige vorherige Rücksprache mit der Bf. war daher nahezu ausgeschlossen. Auch im Telefonat vom bestätigte ***C*** nochmals, dass ***U*** die Fassadensanierungsarbeiten durchgeführt hatte. Die tatsächliche Leistungserbringung wird durch die von ihm per Mail übermittelten Fotos belegt. Vom datierte Fotos dokumentieren auch bereits angebrachte Wärmedämmplatten.
Die von ***C*** übermittelten Fotos, die ein Datum aufweisen, haben eines im Zeitraum zwischen dem 2.7. und dem . Die datierten Fotos belegen daher eine Leistungserbringung innerhalb dieses Zeitraumes, der nach Vertragsabschluss mit ***U*** und vor Beendigung des Vertragsverhältnisses mit Kündigungsschreiben vom liegt. Auf einem der Fotos ist auf dem aufgestellten Gerüst das Firmenlogo von ***U*** deutlich sichtbar.
Nicht nur ***C*** bestätigte die tatsächliche Leistungserbringung durch ***U***. Die Tatsache, dass tatsächlich ***U*** die Fassadensanierung vorgenommen hat, lässt sich auch aus einer Überprüfung der Finanzpolizei bestätigen: Aus dem FinPol-Bericht vom zu GZ 033/10467/2715 ergibt sich, dass an diesem Tag die Gerüstbaufirma ***U*** mit fünf Dienstnehmern an der Baustelle in ***Ort 1***, ***Adresse1*** überprüft wurde. Es ergaben sich keine weiteren Veranlassungen.
Damit steht es für das Gericht aber außer Frage, dass die tatsächlichen Fassadensanierungsarbeiten bis zur Beendigung des Vertragsverhältnisses mit Kündigungsschreiben der Bf. vom durch ***U*** erbracht wurden.
Die Feststellungen zur ersten Rechnung mit der Nummer 23 vom ergeben sich aus der vorgelegten Rechnung selbst. Dass der Rechnungsbetrag gezahlt wurde, ist zwischen den Parteien unstrittig.
Dass die Fassadensanierungsarbeiten durch ***U*** bis Ende August bzw. Anfang September stattfanden, ergibt sich aus Folgendem:
Datierte Fotos von ***C*** belegen Arbeiten vom . Damit gilt es als nahezu gesichert, dass die Arbeiten bis Ende August stattfanden. Nach der Aussage der steuerlichen Vertretung der Bf. in der mündlichen Verhandlung vom hat ***U*** bis zur Beendigung des Vertragsverhältnisses im Zuge des Kündigungsschreibens der Bf. vom gearbeitet. Aus dem Kündigungsschreiben selbst ergibt sich exakter, dass die Arbeiten auf der Baustelle bereits zuvor eingestellt wurden, weil die Arbeiter von ***U*** nicht bezahlt wurden und sich daher weigerten, weiterzuarbeiten. Wann die Einstellung der Arbeiten konkret erfolgte, ergibt sich aus dem Schreiben nicht. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Bf. auf eine länger andauernde Arbeitsverweigerung bereits früher reagiert hätte. Auf den konkreten Zeitpunkt der tatsächlichen Beendigung der Arbeiten kommt es im vorliegenden Fall jedoch auch nicht an.
Dass die Bf. vom Finanzamt - Betrugsbekämpfung die schriftliche Aufforderung erhielt, keine weiteren Zahlungen mehr an ***U*** zu leisten, ergibt sich aus dem in der Folge aufgesetzten Kündigungsschreiben der Bf. an ***U*** vom . Die Richterin erhob aus dem elektronischen Akt (BP 2000) des Nachfolgeunternehmens, ***D***, den Bescheid vom des Finanzamtes an die Bf. betreffend die Pfändung einer Geldforderung betreffend ***U*** in Höhe von EUR 120.000,-. Auch in diesem Bescheid wird festgehalten, dass - aufgrund der Pfändung - keine weiteren Zahlungen mehr an den Abgabenschuldner erfolgen dürfen. Am selben Tag, dem , beendete die Bf. das Vertragsverhältnis mit ***U***. Aus dem aufgesetzten Kündigungsschreiben vom ergibt sich, dass bereits im Juli 2015 von der Bf. ein Teil des Rechnungsbetrages direkt an das Finanzamt gezahlt worden ist. Zum Beweis hierfür legte die steuerliche Vertretung in der mündlichen Verhandlung vom den an die Bf. gerichteten Bescheid über die Pfändung einer Geldforderung betreffend ***U*** vom vor, aus dem Abgabenschuldigkeiten i.H.v. EUR 21.202,09 gegenüber dem Finanzamt ersichtlich sind. Das Schreiben von der Betrugsbekämpfung sowie der im September folgende Bescheid über die Pfändung einer weiteren Geldforderung i.H.v. € 120.000 veranlassten die Bf. allerdings sodann zur Beendigung des Vertragsverhältnisses.
Es ist aktenkundig, dass ***U*** in der Folge keine weiteren Rechnungen legte. Vielmehr legte die Bf. dem Gericht mit ihrem Schreiben vom die schriftliche und unterschriebene Erklärung des ***U*** vor, wonach die geleisteten Zahlungen die Leistungen, die erbracht wurden, abdecken und er selbst bzw. seine Firma daher keine Forderungen gegenüber der Bf. mehr haben würde.
Die Feststellungen zur Übernahme des Auftrags durch die Firma ***D*** sowie den Gewährleistungs- und Haftungsvereinbarungen ergeben sich aus dem ebenfalls mit Schreiben vom übermittelten handschriftlichen Vertrag vom , der von den beiden beteiligten Vertragspartnern (der Bf. sowie ***D***) sowie vom Baumeister ***E*** und von ***C*** in seiner Funktion als örtliche Bauaufsicht unterschrieben wurde.
Die Feststellungen zur Berichtigung der Rechnung Nr. 23 in Folge der bei der Bf. stattgefundenen Umsatzsteuersonderprüfung ergeben sich zunächst aus Tz 1 des Berichts zur Umsatzsteuersonderprüfung vom , wonach der Vorsteuerabzug aufgrund der Nichterfüllung des § 11 i.V.m § 12 UStG 1994 versagt wurde. Das Mail, mit der die Bf. dem Prüfer des zuständigen Finanzamtes die zweite Rechnung mit der Frage, ob diese für den Vorsteuerabzug anerkannt werden könne, übermittelte, stellt eine Beilage zum Vorlageantrag der Bf. dar. Auch die zweite Rechnung selbst ist aktenkundig und ergeben sich die Feststellungen hierzu unmittelbar aus dieser.
Die Feststellungen zur Gültigkeit der UID des ***U*** ergeben sich aus einer Abfrage seiner Grunddaten im finanzbehördlichen Informationssystem durch die Richterin. Die Feststellungen zu den Meldungen seiner Wohnadressen ergeben sich aus einem aktuellen ZMR-Auszug und sind unstrittig. Ebenso unstrittig zwischen den Parteien sind die Feststellungen zu den Umsatzsteuervoranmeldungen betreffend den Zeitraum 03-08/2015 sowie zu den nicht geleisteten Vorauszahlungen und der Abfuhr der Umsatzsteuer für diese Zeiträume.
Die Feststellung, dass die Bf. nicht wusste und auch nicht wissen musste, dass der Umsatz aus der von ***U*** erbrachten Leistung in eine von ihm als Rechnungsaussteller begangenen Steuerhinterziehung einbezogen war, ergibt sich aus Folgendem:
Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Hinterziehung begeht oder feststeht, dass der Steuerpflichtige, dem die Gegenstände geliefert oder die Dienstleistungen erbracht wurden, die als Grundlage für die Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug dienen, wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt hat, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (, Aquila Part Prom Com, Rn 27 m.w.N.).
Ob der Steuerpflichtige vom Mehrwertsteuerbetrug wusste oder zumindest hätte wissen müssen, hängt von Tatfragen ab, die die Abgabenbehörde in freier Beweiswürdigung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen hat ( m.w.N.; , Ra 2024/13/0109).
Auch der EuGH stellt in seiner Rechtsprechung auf die jeweiligen (objektiven) Umstände des Einzelfalles ab: So hängt es wesentlich von den jeweiligen Umständen ab, welche Maßnahmen im konkreten Fall vernünftigerweise von einem Steuerpflichtigen, der sein Recht auf Vorsteuerabzug ausüben möchte, verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen von einem Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangenen Betrug einbezogen sind (, C.F., Rn. 46 m.w.N.).
Der - nachzuweisende - Vorwurf des "Hätte-Wissen-Müssens" resultiert nämlich aus der Missachtung bestimmter Sorgfaltspflichten, die dazu führt, dass das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wird (, Aquila Part Prom Com, Rn 42). Diesbezüglich hält der EuGH in seiner ständigen Rechtsprechung fest, dass es wiederum auf den konkreten Einzelfall ankommt, welche Maßnahmen vernünftigerweise von dem Steuerpflichtigen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in eine von einem Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangenen Steuerhinterziehung einbezogen sind. Liegen aber Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten oder eine Steuerhinterziehung vor, kann er sehr wohl verpflichtet sein, über einen Wirtschaftsteilnehmer, von dem er Gegenstände oder Dienstleistungen zu erwerben beabsichtigt, Auskünfte einzuholen, um sich von dessen Zuverlässigkeit zu überzeugen. Der EuGH hält jedoch fest, dass die Steuerbehörde vom Steuerpflichtigen nicht die Durchführung komplexer und umfassender Überprüfungen seines Lieferanten verlangen und ihm faktisch die ihr obliegende Kontrolle übertragen darf (vgl. hierzu ausführlich , Aquila Part Prom Com, Rn 48 ff mit Verweisen auf seine ständige Rechtsprechung).
Die Steuerbehörden haben die objektiven Umstände, die den Schluss zulassen, dass der Steuerpflichtige einen Mehrwertsteuerbetrug begangen hat oder wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung dieses Rechts geltend gemachte Umsatz in einen Betrug einbezogen war, rechtlich hinreichend nachzuweisen. Vermutungen oder Annahmen reichen hierfür nicht (vgl. , Aquila Part Prom Com, Rn 30, 34; vgl. auch , Ferimet, Rn 50, 52).
Die belangte Behörde wirft der Bf. in der Begründung zur Beschwerdevorentscheidung vor, ***U*** nicht an der von ihm im Angebot genannten Betriebsadresse aufgesucht zu haben. Dabei hätte sie sodann erkennen müssen, dass er an der genannten Adresse keinen Betrieb unterhält. In diesem Zusammenhang hält der VwGH in seiner Rechtsprechung jedoch fest, dass selbst in "gefährdeten Branchen" (in Bezug auf den Vorsteuerabzug) eine generelle Verpflichtung, vor Aufnahme neuer Lieferantenbeziehungen vor Ort (an der im Firmenbuch eingetragenen Anschrift) zu prüfen, ob handelnde Personen erreichbar seien und ein aktiver Betrieb unterhalten werde, nicht angenommen werden kann. Insbesondere kann eine wirtschaftliche Tätigkeit auch von anderen Orten als dem Gesellschaftssitz ausgeführt werden (vgl. betreffend den EDV-Handel Verweis auf EuGH-Rechtsprechung). Gleiches muss in Bezug auf Dienstleistungen im Allgemeinen und im konkreten Fall gelten: Dass die Bf. ***U*** nicht an der angegebenen Firmenadresse besucht hat, kann ihr nach Auffassung des Gerichts nicht zur Last gelegt werden. Es ist durchaus üblich, Bauvorhaben vor Ort zu besprechen, zumal nur durch unmittelbare Besichtigung des zu sanierenden Gebäudes das Ausmaß der erforderlichen Arbeiten ersichtlich ist. Zudem wurde unter Pkt. 1 dieses Erkenntnisses in Verbindung mit der hier unter Pkt. 2 angeführten Beweiswürdigung festgestellt, dass die Leistung von ***U*** im Ausmaß des in der Rechnung Nr. 23 angeführten Betrages tatsächlich erbracht wurde. Die Behörde kann sich daher nicht allein auf das Argument stützen, ***U*** sei ein Scheinunternehmer, um der Bf. den Vorsteuerabzug aufgrund eines Hätte-Wissen-Müssens zu versagen.
Vor Vertragsabschluss hat die Bf. die Identität des leistenden Unternehmers durch seinen Reisepass überprüft. Dies ergibt sich aus der von der Bf. mit Schreiben vom vorgelegten Kopie des Reisepasses. Auch das Beschäftigungsverhältnis des Baumeisters ***B*** wurde von Seiten der Bf. überprüft. So legte die Bf. ebenfalls im Zuge ihres Schreibens vom die Kopie einer elektronischen Abfrage bei der ***GKK*** (***BL*** Gebietskrankenkasse) vom vor, mit der die Anmeldung des Baumeisters ***B*** als Geschäftsführer bei ***U*** vom bestätigt wurde. Beide Überprüfungen ergaben keine Auffälligkeiten.
In der mündlichen Verhandlung gab die steuerliche Vertretung der Bf. außerdem an, dass die Gültigkeit der UID überprüft wurde und die Bf. sich von ***U*** im September 2015 die getätigte Umsatzsteuervoranmeldung für Juli habe vorgelegen lassen. Beides lässt sich nicht mittels Bestätigungen nachweisen, im Zuge einer Gesamtbetrachtung der durch die Bf. belegten vorgenommenen Überprüfungen sind diese Aussagen aber durchhaft glaubhaft.
Aufgrund der an die Bf. gerichteten Bescheide über die Pfändung einer Geldforderung vom sowie vom wurden der Bf. Abgabenschuldigkeiten des ***U*** bei der Abgabenbehörde kundgetan. Ein Hinweis auf eine Abgabenhinterziehung ergab sich daraus für sich noch nicht. Die Bf. nahm die Aufforderung des Finanzamtes, keine Zahlungen mehr an ***U*** zu leisten, jedoch zum Anlass, die Vertragsbeziehung mit ***U*** zu kündigen.
Nach Beendigung des Vertrages überprüfte die Bf. in der Folge auch die Anmeldungen der Dienstnehmer. Dies ergibt sich aus dem mit Schreiben vom vorgelegten Auszug der ***GKK*** vom . In einer Tabelle sind sämtliche Dienstnehmer angeführt, die im Jahr 2015 bei ***U*** angemeldet waren. Wenngleich diese Überprüfung - wie auch die belangte Behörde in der mündlichen Verhandlung hervorhob - im Nachhinein erfolgte, hätte eine Überprüfung vor Abschluss des Vertrages keine Auswirkung gehabt, weil nach diesem Auszug die Anmeldungen ordnungsgemäß erfolgten. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang nochmals, dass auch die Finanzpolizei am eine Überprüfung der Firma ***U*** an der Baustelle ***Adresse1***, ***Ort 1*** vornahm und keine Beanstandungen hatte.
In Hinblick auf die aufrechte UID-Nummer führte die belangte Behörde in der abweisenden BVE an, dass hierbei kein Vertrauensschutz bestehen könne, weil ein neu gegründetes Unternehmen seine Geschäftstätigkeit erst nach Vergabe der UID aufnehmen und die UID daher nicht von der Finanz zuvor geprüft werden kann. Hierzu ist allerdings zu beachten, dass aus einer von der Richterin vorgenommenen Einsicht in die finanzbehördliche Grunddatenverwaltung ***U*** mit einen Betrieb bei der Finanzverwaltung gemeldet hatte und seitdem eine aufrechte UID-Nummer besaß, die erst am begrenzt wurde.
Ein Steuerpflichtiger kann bei Vorliegen von Anhaltspunkten für Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung dazu verpflichtet sein, über einen anderen Wirtschaftsteilnehmer, von dem er Gegenstände oder Dienstleistungen zu erwerben beabsichtigt, Auskünfte einzuholen, um sich von dessen Zuverlässigkeit zu überzeugen. Die Steuerverwaltung kann jedoch von einem Steuerpflichtigen nicht generell verlangen, einerseits zu prüfen, ob der Aussteller der Rechnung über die Gegenstände und Dienstleistungen verfügte und sie liefern konnte und seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Erklärung und Abführung der Mehrwertsteuer nachgekommen ist, um sich zu vergewissern, dass auf der Ebene der Wirtschaftsteilnehmer einer vorhergehenden Umsatzstufe keine Unregelmäßigkeiten und Steuerhinterziehung vorliegen, oder andererseits entsprechende Urkunden vorzulegen ( mit Verweis auf EuGH-Rechtsprechung).
Die Abfrage bei der ***GKK*** vom sowie die (nochmalige) Überprüfung der Gültigkeit der UID-Nummer vom zeigen, dass die Bf. nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses Auskünfte über ***U*** eingeholt hat. Auch wenn sie all diese Auskünfte vor Abschluss des Vertrages eingeholt hätte, hätten sich daraus keine Auffälligkeiten ergeben.
Festzuhalten ist auch, dass der vereinbarte Preis als Gegenleistung für die Fassadensanierung höher war als jener, der noch mit dem in Konkurs gegangenen Vorgängerunternehmen vereinbart wurde (vgl. die Zahlungsvereinbarung der ***A*** laut Anlage 1a zum Schreiben der steuerlichen Vertretung der Bf. vom ).
Die Richterin gelangte daher zur der Überzeugung, dass die Bf. den Umstand, dass ***U*** die Umsatzsteuer im Zusammenhang mit der erbrachten Leistung an der Adresse ***Adresse1***, ***Ort 1*** nicht abführen werde, nicht hätte erkennen können. Anhaltspunkte für die Kenntnis der Bf. um die Steuerhinterziehung des Bf. fehlen zur Gänze.
Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Bf. wusste oder hätte wissen müssen, dass der Umsatz aus der von ***U*** erbrachten Leistung in eine von ihm als Rechnungsaussteller begangenen Steuerhinterziehung einbezogen war.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
Gem. § 12 Abs. 1 Z 1 lit. a UStG 1994 kann ein Unternehmer u.a. die von anderen Unternehmen in einer Rechnung (§ 11) an ihn gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die im Inland für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.
Gem. § 12 Abs. 14 UStG 1994 entfällt das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Unternehmer wusste oder wissen musste, dass der betreffende Umsatz im Zusammenhang mit Umsatzsteuerhinterziehungen oder sonstigen, die Umsatzsteuer betreffenden Finanzvergehen steht. Dies gilt insbesondere auch, wenn ein solches Finanzvergehen einen vor- oder nachgelagerten Umsatz betrifft.
In der vorliegenden Beschwerdesache wurde der Bf. durch das Finanzamt der Vorsteuerabzug einerseits aufgrund der Bestimmung des § 12 Abs. 14 UStG 1994, andererseits aufgrund formeller Rechnungsmängel versagt. Zudem hält das Finanzamt im angefochtenen Bescheid fest, dass ein ausdrücklicher Berichtigungshinweis auf der berichtigten Rechnung fehle.
In der mündlichen Verhandlung vom verweist die belangte Behörde auf die nunmehrige ständige Rechtsprechung des EuGH und des VwGH betreffend die formellen Rechnungskriterien und gibt an, dass sich die strittige Frage betreffend die Gewährung des Vorsteuerabzugs vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung auf die materielle Ebene verlagert hat. Da es sich bei ***U*** um einen Scheinunternehmer handeln würde, habe dieser die Leistung nicht erbringen können.
Die traditionelle Rechtsprechung des VwGH ging davon aus, dass das Vorliegen einer Rechnung i.S.d. § 11 UStG 1994 eine materiellrechtliche Voraussetzung des Vorsteuerabzugs ist. Wies eine Urkunde nicht die in § 11 Abs. 1 UStG 1994 geforderten Angaben auf, berechtigte sie nach der traditionellen Sicht auch nicht zum Vorsteuerabzug (vgl. hierzu Ruppe/Achatz, UStG6 § 12 Rz 43 m.w.N. zur früheren VwGH-Judikatur).
Diese Rechtsansicht wurde vom VwGH aufgrund der zwischenzeitlich ergangenen EuGH-Judikatur nicht aufrechterhalten.
3.1.1. Materielle Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH stellt das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die für die von ihnen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe erworbenen Gegenstände und empfangenen Dienstleistungen geschuldet wird oder entrichtet wurde, einen fundamentalen Grundsatz des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems dar. Das in den Art. 167 ff. der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug ist somit integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Es kann für die gesamte Mehrwertsteuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden. Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Steuerpflichtige nämlich vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden (, Feudi di San Gregorio Aziende Agricole, Rn 27 m.w.N.; zuletzt , Weatherford Atlas Gip, Rn 21).
Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet demnach die völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von deren Zweck und deren Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich ihrerseits der Mehrwertsteuer unterliegen. Soweit ein Steuerpflichtiger zum Zeitpunkt des Erwerbs eines Gegenstands oder einer Dienstleistung als solcher handelt und den Gegenstand bzw. die Dienstleistung für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, ist er berechtigt, die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für diesen Gegenstand oder diese Dienstleistung abzuziehen (zuletzt , Weatherford Atlas Gip, Rn 22 m.w.N.).
Nach der neueren, nunmehr ständigen Rechtsprechung des VwGH, die der Rechtsprechung des EuGH folgt, ist der Vorsteuerabzug somit zu gewähren, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat (vgl. hierzu zuletzt , SEM Remont, Rn 40; ; , Ro 2022/15/0030; , Ra 2024/13/0109).
In diesem Zusammenhang hat auch VwGH mit Verweis auf die EuGH-Rechtsprechung explizit klargestellt, dass der Vorsteuerabzug nicht davon abhängig ist, ob in der Rechnung die Anschrift angegeben ist, unter der der Rechnungsaussteller seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt (; , Ra 2017/15/0003).
Die Steuerverwaltung darf das Recht auf Vorsteuerabzug in einem solchen Fall nicht verweigern, wenn sie über sämtliche Daten verfügt, um zu prüfen, ob die für dieses Recht geltenden materiellen Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei darf sich die Steuerverwaltung nicht auf die Prüfung der Rechnung selbst beschränken. Sie hat auch die vom Steuerpflichtigen beigebrachten zusätzlichen Informationen zu berücksichtigen (vgl. ; , Ro 2017/13/0011; , Ro 2019/13/0030; , Ra 2020/13/0068).
Von grundlegender Bedeutung für die Gewährung des Vorsteuerabzugs ist daher die Frage, ob die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sind:
Die für die Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug erforderlichen materiellen Voraussetzungen sind in Art 168 Buchstabe a der Richtlinie 2006/112/EG aufgezählt. Demnach ist es erforderlich, dass der Betroffene Steuerpflichtiger (im Sinne der Richtlinie) ist und dass die zur Begründung des Abzugsrechts angeführten Leistungen vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden und dass diese Leistungen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen erbracht werden (; , Ro 2019/13/0030; , Ra 2020/13/0068; , Ro 2022/15/0030).
Liegen die materiellen Voraussetzungen nicht vor, etwa weil der Leistende (oder der Leistungsempfänger) kein Unternehmer war bzw. der wahre Leistende nicht festgestellt werden kann oder die Leistung nicht bewirkt wurde, besteht kein Recht auf Vorsteuerabzug (vgl. hierzu ; , Ra 2021/13/0096; , Ra 2021/15/0014).
Der Vorsteuerabzug ist zudem zu versagen, wenn der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden. Ebenso ist das Recht auf Vorsteuerabzug zu verweigern, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird. Wusste der Steuerpflichtige, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, oder hätte er dies wissen müssen, so ist der Vorsteuerabzug zu verweigern ( m.w.N.).
Im vorliegenden Fall ist die Unternehmer- bzw. Steuerpflichtigeneigenschaft (im Sinne der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie, im Folgenden: MwStSyst-RL) der Bf. unstrittig. Unstrittig zwischen den Parteien ist weiters, dass der streitgegenständliche Eingangsumsatz der Bf. im Zusammenhang mit steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen steht.
Dass ***U*** die in der Rechnung angeführte Leistung tatsächlich erbracht hat, wurde in Pkt. 1 i.V.m. Pkt. 2 dieses Erkenntnisses festgestellt.
Zur Frage, ob ***U*** als Leistungserbringer im Zeitpunkt der Leistungserbringung Unternehmer (und damit Steuerpflichtiger im Sinn der MwStSyst-RL) war, ist Folgendes festzuhalten:
Die Unternehmereigenschaft richtet sich nach § 2 UStG 1994. Unternehmer ist demnach, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt. In Pkt. 1 (Sachverhalt) dieses Erkenntnisses wurde festgestellt, dass ***U*** für die Bf. auf ihrer Baustelle ***Adresse1***, ***Ort 1*** gegen Entgelt bis Ende August bzw. Anfang September tatsächlich tätig war.
Seine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltete er in diesem Zeitraum jedenfalls auf der Baustelle (vgl. hierzu auch Art 9 Abs. 1 der MwStSyst-RL).
Es kommt für die Unternehmereigenschaft auch nicht darauf an, ob die Pflichten zur Abgabe einer Steuererklärung und zur Entrichtung der Mehrwertsteuer erfüllt werden ().
Die Unternehmereigenschaft kann ***U*** daher nicht abgesprochen werden.
Damit sind die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt.
3.1.2. Rechnungsberichtigung
Wenngleich die belangte Behörde in der mündlichen Verhandlung vom einräumte, dass es für die Gewährung des Vorsteuerabzugs im konkreten Fall auf das Vorliegen der materiellrechtlichen Voraussetzungen ankomme, wird im Folgenden auch noch auf die Rechnungsberichtigung selbst eingegangen:
Im vorliegenden Fall wurde aufgrund der finanzbehördlichen Prüfung und der dortigen Versagung des Vorsteuerabzugs die Rechnung Nr 23 vom korrigiert, indem eine neue Rechnung ausgestellt wurde. Die neue Rechnung weist das gleiche Datum und die gleiche Rechnungsnummer aus. Sie ist nahezu ident mit der ersten Rechnung mit der Ausnahme, dass nun die in der Außenprüfung normierten Mängel behoben wurden.
Nach Auffassung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid liegt jedoch keine Berichtigung der Rechnung vor, weil sich auf dieser kein ausdrücklicher Hinweis auf die vorgenommene Berichtigung findet.
Nach dem Unionsrecht stützt sich die Möglichkeit einer Rechnungsberichtigung, insbesondere wenn sie falsch ist oder von ihr bestimmte zwingende Angaben fehlen, auf Art 219 der MwStSyst-RL (vgl. hierzu , Wilo Salmson France, Rn 97). Nach Art 219 der MwStSyst-RL ist einer Rechnung jedes Dokument und jede Mitteilung gleichgestellt, das bzw. die die ursprüngliche Rechnung ändert und spezifisch und eindeutig auf diese bezogen ist. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn in diesem Dokument die fortlaufende Nummer der ursprünglichen Rechnung angegeben ist (vgl. BFH , XI R 10/17).
Durch die Neuausstellung, insbesondere mit derselben Rechnungsnummer und dem Datum, ist somit im Sinne des Art 219 der MwStSyst-RL ein eindeutiger Bezug auf die ursprüngliche Rechnung gegeben. Der Umstand, dass ein ausdrücklicher Berichtigungshinweis fehlt, schadet somit nicht.
Der EuGH hat der Rechnungsberichtigung in der Rs Senatex (, Senatex) Rückwirkung und damit ex tunc-Wirkung zuerkannt. Er hält in seinem Erkenntnis fest, dass das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich für den Zeitraum auszuüben ist, in dem zum einen dieses Recht entstanden und zum anderen der Steuerpflichtige im Besitz einer Rechnung ist (, Senatex, Rn 35 m.w.N.). Das Grundprinzip der Mehrwertsteuerneutralität verlangt, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Bedingungen nicht genügt hat. Der Besitz einer Rechnung stellt eine formelle und keine materielle Bedingung für das Recht auf Vorsteuerabzug dar (, Senatex, Rn 38). Werden formelle Bedingungen für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts nicht erfüllt, sind die Mitgliedstaaten befugt, Sanktionen vorzusehen. Um die Nichtbefolgung formeller Anforderungen zu ahnden, kommen jedoch andere Sanktionen als die Versagung des Vorsteuerabzugsrechts für das Jahr der Rechnungsausstellung in Betracht, etwa die Auferlegung einer Geldbuße oder einer finanziellen Sanktion, die in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Verstoßes steht (, Senatex, Rn 41f).
Dieser Rechtsprechung folgt auch der VwGH (vgl. (Vorab); , Ro 2015/15/0039; , Ro 2015/15/0016; vgl. ferner nochmals zum Abstellen auf die materiellen Voraussetzungen ), weshalb der Rechnungsberichtigung im konkreten Fall Rückwirkung zukommt.
Die Rechnungsberichtigung wurde vor Erlassung des angefochtenen Bescheides vorgenommen. Im Übrigen ist aber auch aus dem UStG 1994 keine etwaige zeitliche Befristung für die Vornahme einer (rückwirkenden) Berichtigung abzuleiten (vgl. zur grundsätzlichen Möglichkeit einer innerstaatlichen Regelung betreffend die zeitliche Begrenzung von Rechnungsberichtigungen in Hinblick auf die Ausübung des Rechts auf Mehrwertsteuererstattungen , NestradeSA, Rn 31 ff).
Das Recht auf Vorsteuerabzug kann der Bf. daher auch aus formellen Gründen nicht versagt werden.
3.1.3. Wissen oder Wissen hätte müssen
Ist der Vorsteuerabzug zwar dem Grunde nach zu gewähren, entfällt das Recht auf Vorsteuerabzug nach § 12 Abs. 14 UStG 1994, wenn der Unternehmer wusste oder wissen musste, dass der betreffende Umsatz im Zusammenhang mit Umsatzsteuerhinterziehungen oder sonstigen, die Umsatzsteuer betreffenden Finanzvergehen steht. Dies gilt insbesondere auch, wenn ein solches Finanzvergehen einen vor- oder nachgelagerten Umsatz betrifft.
Die belangte Behörde wirft der Bf. vor, dass sie vom Mehrwertsteuerbetrug des ***U*** wissen musste und (auch) aus diesem Grund der Vorsteuerabzug zu versagen sei.
Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ein Ziel, das von der Richtlinie 2006/112 anerkannt und gefördert wird. Dabei hat der EuGH wiederholt entschieden, dass eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht erlaubt ist. Der Vorsteuerabzug ist daher zu versagen, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass es in einer Weise geltend gemacht wird, die eine Steuerhinterziehung oder einen Rechtsmissbrauch darstellt oder dass der Steuerpflichtige, dem die Gegenstände geliefert oder die Dienstleistungen erbracht wurden, die als Grundlage für die Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug dienen, wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt hat, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (vgl. hierzu , Dyrektor Izby Administraji Skarbowej w Warszawie, Rn 41f m.w.N.).
Da die Versagung des Vorsteuerabzugsrechts eine Ausnahme von dem Grundprinzip ist, das dieses Recht darstellt, obliegt es den Steuerbehörden, diese objektiven Umstände rechtlich hinreichend nachzuweisen (vgl. hierzu , Dyrektor Izby Administraji Skarbowej w Warszawie, Rn 43 m.w.N.; hierzu auch bereits unter Punkt 2 dieses Erkenntnisses).
Wie unter Pkt. 1 und Pkt. 2 (Sachverhalt und Beweiswürdigung) dieses Erkenntnisses festgehalten, hatte die Bf. von der Mehrwertsteuerhinterziehung durch ***U*** weder gewusst noch hätte sie davon wissen müssen.
Der Bf. ist aus diesen Gründen der Vorsteuerabzug aus der Rechnung Nr. 23 vom zu gewähren.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Unzulässigkeit der Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das vorliegende Erkenntnis gründet sich auf die nunmehr ständige Rechtsprechung des VwGH sowie des EuGH. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung lag demnach nicht vor, weshalb die Unzulässigkeit der Revision auszusprechen war.
Klagenfurt am Wörthersee, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 12 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 § 12 Abs. 1 Z 1 lit. a UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 § 12 Abs. 14 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 § 2 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 § 11 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2025:RV.7102988.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
MAAAF-79029