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OGH 26.01.2022, 3Ob1/22a

OGH 26.01.2022, 3Ob1/22a

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* G*, vertreten durch Dr. Hartmut Ramsauer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei W* G*, vertreten durch Dr. Johann Eder, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 6.551,10 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 22 R 255/21k-15, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom , GZ 31 C 146/21t-10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Streitteile sind seit Dezember 1979 verheiratet; sie leben aber bereits seit längerer Zeit getrennt.

[2] Die Klägerin gewährte dem Beklagten am ein Darlehen über 300.000 ATS (21.8001,85 EUR) zu einem jährlichen Zinssatz von 7 %. Der aushaftende Darlehensbetrag war nach dem Verbraucherpreisindex 1976, Basis November 1977, wertgesichert.

[3] Die Klägerin begehrte den Teilbetrag von 30.000 ATS (2.180,19 EUR) unter Berücksichtigung der Wertsicherung, insgesamt daher 6.551,10 EUR sA.

[4] Das Erstgericht stellte die Klagsforderung mit 6.551,10 EUR, die vom Beklagten eingewendete Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend fest und erkannte den Beklagten schuldig, der Klägerin 6.551,10 EUR samt 7 % Zinsen aus 2.180,18 EUR seit zu bezahlen.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der bloße Umstand, dass die Klägerin das Darlehen nicht früher eingefordert habe, sei für einen schlüssigen Verzicht nicht ausreichend, weil aus der bloßen Nichtausübung eines Rechts selbst über einen längeren Zeitraum noch kein Verzicht abgeleitet werden könne. Entgegen der Ansicht des Beklagten liege auch kein Verstoß gegen § 1335 ABGB vor, weil für die Zinsenobergrenze nicht der fällig gestellte Teilbetrag, sondern die Höhe der Hauptschuld ausschlaggebend sei. Im Anlassfall sei der Klägerin kein über die Höhe des Kapitals übersteigender Zinsbetrag zuerkannt worden.

[6] Über Antrag des Beklagten nach § 508 ZPO sprach das Berufungsgericht nachträglich aus, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei, weil zur Frage, ob die Zinsen nach § 1335 ABGB nur bis zum eingeklagten Teilbetrag verlangt werden könnten, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

[7] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Beklagten, die auf die Abweisung des Klagebegehrens abzielt.

[8] Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[9] 1. Trotz Zulässigerklärung der Revision durch das Berufungsgericht muss der Rechtsmittelwerber eine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Macht er hingegen nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, so ist das Rechtsmittel ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs zurückzuweisen. Der Umstand, dass der Oberste Gerichtshof zu einer bestimmten Frage oder Sachverhaltskonstellation noch nicht ausdrücklich Stellung genommen hat, begründet dann keine erhebliche Rechtsfrage, wenn die Rechtslage eindeutig ist oder die relevanten Grundsätze in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs geklärt sind (RS0102181; 4 Ob 105/19y; vgl auch RS0118640).

[10] Dies ist hier für die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage zu § 1335 ABGB der Fall. Auch sonst liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor.

[11] 2.1 Gemäß § 1335 ABGB kann der Gläubiger vom Kapital keine Zinsen mehr verlangen, sobald die bereits entstandenen Zinsen die Höhe der Hauptschuld erreicht haben. Nach dem eindeutigen Wortlaut ist für die Zinsenobergrenze die Höhe der Hauptschuld (des Kapitals) maßgebend (vgl RS0113097 = 6 Ob 326/99f; vgl auch 3 Ob 47/95).

[12] 2.2 In der Entscheidung zu 1 Ob 142/16p wurde zu § 1335 ABGB unter anderem ausgesprochen:

„Diese Bestimmung regelt das Verbot des ultra alterum tantum. Lässt der Gläubiger die Zinsen bis auf den Betrag der Hauptschuld steigen, ohne seine Forderung gerichtlich geltend zu machen, stehen ihm keine weiteren Zinsen mehr zu. Da der Wortlaut des Gesetzes nicht unterscheidet, wird in der älteren Literatur überwiegend vertreten, dass diese Vorschrift sowohl bei gesetzlichen als auch bei vertragsgemäßen Zinsen anzuwenden ist. Nach anderer Ansicht soll § 1335 ABGB nur auf Verzugszinsen Geltung haben, weil vertraglich vereinbarte Zinsen als Entgelt und damit als eigenständige Hauptforderung anzusehen seien. Allgemein wird aber angenommen, dass § 1335 ABGB eine Art Wuchergrenze beinhaltet und damit insofern den Schutz des Schuldners bezweckt; die den Schuldner treffenden Zinsen sollen nicht in eine für ihn bedenkliche Höhe anschwellen. Dieser Schutzzweck muss grundsätzlich unabhängig von der jeweiligen Gattung der Zinsen zum Tragen kommen.“

[13] 2.3 Wie sich aus dieser Entscheidung im Einklang mit dem Wortlaut des § 1335 ABGB ergibt, geht diese Bestimmung als Regelfall davon aus, dass der Gläubiger seine Forderungen auf Kapital und Zinsen bisher nicht gerichtlich geltend gemacht hat. Dementsprechend ist mit „den Zinsen“ der (noch nicht geltend gemachte) Zinsenrückstand gemeint.

[14] § 1335 ABGB enthält demnach eine Art Wuchergrenze für rückständige Zinsen, die durch die Säumigkeit des Gläubigers gerechtfertigt ist. Nach Satz 2 leg cit wird der Zinsenlauf mit Streitanhängigkeit aber auch dann neuerlich in Gang gesetzt und „perpetuiert“ (laufende Zinsen), wenn die rückständigen Zinsen die Höhe des Kapitals im Zeitpunkt der Klage bereits überschritten haben. Damit wird die den Gläubiger belastende Säumnis durch die gerichtliche Einklagung seiner Forderungen beendet. Dafür ist vorausgesetzt, dass über den Klagsbetrag und die zukünftig daraus resultierenden Zinsen noch nicht rechtskräftig abgesprochen wurde (1 Ob 142/16p).

[15] 2.4 Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass § 1335 ABGB dann nicht zur Anwendung gelangt, wenn sich durch Rückzahlung die Kapitalschuld vermindert, sodass der Zinsenrückstand, der bisher die Höhe der Hauptschuld noch nicht erreicht hatte, nunmehr den Rest der Hauptschuld übersteigt (RS0031973).

[16] 2.5 Aus diesen in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen folgt, dass es sich bei der für die Zinsenobergrenze maßgebenden Hauptschuld um die ursprüngliche Hauptschuld, also das vom Schuldner ursprünglich aufgenommene Kapital handelt (1 Ob 72/17w; vgl auch Reischauer in Rummel3 § 1335 Rz 2; Wittwer in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKomm5 § 1335 Rz 1). Die in mehreren Entscheidungen im gegebenen Zusammenhang getroffene Aussage ist daher dahin zu präzisieren, dass rückständige Zinsen das bisher (zur Gänze) uneingeklagte Kapital nicht übersteigen dürfen (vgl RS0119802).

[17] 2.6 Wie das Berufungsgericht unbeanstandet ausgeführt hat, belaufen sich die mit dem Ersturteil zuerkannten Zinsen bis zum Entscheidungszeitpunkt auf 6.675,65 EUR, wobei dieser Betrag nicht nur rückständige, sondern auch laufende Zinsen betrifft. Dementsprechend steht die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass im Anlassfall kein die Höhe des ursprünglichen Kapitals übersteigender Zinsenbetrag zuerkannt und die Zinsenobergrenze des § 1335 ABGB nicht verletzt worden sei, mit den dargelegten Rechtsprechungsgrundsätzen im Einklang.

[18] 3.1 Auch zur Frage des schlüssigen Verzichts der Klägerin auf die Rückforderung des Darlehens liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor:

[19] Ob eine Erklärung einen Verzicht enthält, ist nach den §§ 914 f ABGB zu ermitteln. Verzichtserklärungen sind nach ständiger Rechtsprechung einschränkend auszulegen (RS0038546). Bei der Annahme eines stillschweigenden Verzichts ist überhaupt besondere Vorsicht geboten (RS0014146 [T2]; vgl auch RS0014190). Er darf immer nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er ernstlich gewollt ist (RS0014190). Maßgebend ist, ob der Verpflichtete unter Bedachtnahme auf die im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten oder Gebräuche unter Überlegung aller Umstände den zweifelsfreien Schluss auf den Verzichtswillen des Berechtigten ziehen durfte (3 Ob 197/08d; 6 Ob 209/15a). Aus einer bloßen Untätigkeit selbst über einen längeren Zeitraum allein kann nicht auf einen Verzicht geschlossen werden (vgl RS0014440; RS0014109 [T27]; 6 Ob 209/15a). Die Tatsachen, aus denen auf das Vorliegen eines schlüssigen Verzichts geschlossen werden kann, sind von jener Partei zu behaupten und zu beweisen, die sich auf den Verzicht beruft (vgl 10 Ob 13/20i). Letztlich richtet sich die Beurteilung nach den Umständen des Einzelfalls, weshalb in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage vorliegt (vgl RS0109021 [T5]; RS0014158 [T8]).

[20] 3.2 Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass im Anlassfall keine ausreichenden Umstände vorliegen, um von einem Verzicht der Klägerin auf die Darlehensrückforderung auszugehen, hält sich im Rahmen der Rechtsprechungsgrundsätze. Soweit der Beklagte in der Revision ausführt, dass die in Rede stehende Beurteilung des Berufungsgerichts aufgrund der langen Zeitspanne nur im Ausnahmefall gerechtfertigt sei und es an der Klägerin gelegen gewesen sei, besondere Gründe für einen Verzicht vorzubringen, geht er von einer unrichtigen Verteilung der Behauptungs- und Beweislast aus.

[21] 4. Insgesamt gelingt es dem Beklagten mit seinen Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die Revision war daher zurückzuweisen.

[22] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00001.22A.0126.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
GAAAF-68472