OGH 29.08.2023, 8ObA28/23k
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Rechtssätze
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RS0134580 | Weder aus den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung noch aus der nach den „subsidiären“ Vorschriften nach Art 7 in Anhang I der Richtlinie 2009/38/EG normierten Beachtung der jeweiligen Rechte und gegenseitigen Verpflichtungen lässt sich ableiten, dass der Europäische Betriebsrat bei Beiziehung eines Sachverständigen nur die Gratisinformation durch Interessensvertretungen eines bestimmten Mitgliedstaats in Anspruch nehmen dürfte. |
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RS0134581 | Ob sich der beigezogene Sachverständige weiterer Subsachverständiger zur Erbringung seiner Leistung bedient, ist nicht ausschlaggebend, soweit dadurch keine zusätzlichen Kosten entstehen. Dagegen können Kosten, die durch die Koordination mehrerer zu jeweils unterschiedlichen konkreten Fragestellungen – Fachgebieten – erforderlichen Sachverständigen entstehen, im Einzelfall als erforderlich angesehen werden. |
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RS0134582 | Das Gesetz begrenzt die Kosten mit den „für die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben erforderlichen Verwaltungsausgaben“. Naturgemäß lässt sich nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls beurteilen, welche der demonstrativ aufgezählten und allenfalls weitere Aufwendungen in welchem Umfang angemessen sind. Eine generalisierende Aussage kann dazu nicht getroffen werden. Damit liegt in der Frage, ob einzelne Kosten zu ersetzen sind, im Allgemeinen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn und die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Eurobetriebsrat M*, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M* Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Roland Gerlach, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei E* GmbH, *, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, wegen Freistellung (Streitwert 29.091,12 EUR sA), über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 22.323,50 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 49/22t-33, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 29 Cga 46/21b-20, nicht, der Berufung der klagenden Partei teilweise Folge gegeben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei und der Nebenintervenientin jeweils die Hälfte der mit 1.552,07 EUR (darin enthalten 258,68 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger ist Europäischer Betriebsrat (EBR) kraft Gesetzes (§ 191 ArbVG) der Division „P*“ der Beklagten. Die Beklagte ist die Konzernspitze der M* Unternehmensgruppe, welche sich weiter in die Divisionen „*K*“ und „*P*“ unterteilt.
[2] Der Kläger begehrte die Übernahme bzw Freistellung von Kosten gemäß § 197 ArbVG für im einzelnen aufgeschlüsselte, von ihm in Anspruch genommene Beratungs-, Anwalts- und Dolmetscherleistungen. Revisionsgegenständlich sind noch Rechnung der E* GmbH für diverse Beratungsleistungen. Insgesamt erstrecken sich die Beratungsleistungen auf etwa 2,5 Jahre.
[3] Die Beklagte bestritt die Kosten als unangemessen. Die Klägerin hätte die kostenfreie Beratung der Arbeiterkammer oder des Österreichischen Gewerkschaftsbundes in Anspruch nehmen müssen. Die Kostentragungspflicht der zentralen Leitung setze erst dort ein, wo Interessensvertretungen an die Grenzen ihrer Beratungsmöglichkeit stießen. Auch sei der verrechnete Stundensatz von 300 EUR überhöht. Ein angemessener Kostenersatz richte sich nach dem analog anzuwendenden RATG, subsidiär nach AHK. Der durchschnittliche Stundensatz für anwaltliche Leistungen liege bei 180 EUR. Auch sei die Kostenersatzpflicht auf einen Sachverständigen pro Beratungsgegenstand beschränkt. Daher seien die durch Subbeauftragungen entstandenen Kosten sowie solche, die durch Beauftragung zusätzlicher Sachverständiger entstanden seien, nicht zu ersetzen.
[4] Die E* GmbH trat im Revisionsverfahren dem Verfahren als Nebenintervenientin auf Seiten des Klägers bei.
[5] Mit Anerkenntnisurteil vom wurde dem Klagebegehren im Umfang von 7.015 EUR sA stattgegeben.
[6] Weiters gab das Erstgericht dem Klagebegehren im Umfang einer Freistellungsverpflichtung betreffend Rechnungen von insgesamt 21.074 EUR statt. Hinsichtlich des Freistellungsanspruchs von Rechtsanwaltskosten im Umfang von 6.767,62 EUR sA und und weiteren Rechnungen der E* GmbH über 1.249,50 EUR wies es das Klagebegehren ab.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten gegen den klagsstattgebenden Teil des Ersturteils nicht Folge. Der Berufung des Klägers gegen den klagsabweisenden Teil des Urteils gab es teilweise Folge und bejahte auch den Freistellungsanspruch hinsichtlich der Rechnungen der E* GmbH über 1.249,50 EUR. Es beurteile die erbrachten Beratungsleistungen als erforderlich und die dafür verrechneten Kosten als angemessen.
[8] Die Revision wurde vom Berufungsgericht zur Frage zugelassen, ob der Anspruch des Europäischen Betriebsrats auf Kostentragung durch die zentrale Leitung auf die Ansätze nach dem RATG beschränkt sei, wenn er in Zusammenhang mit der Erfüllung seiner Aufgaben rechtliche Beratung in Anspruch nehme. Weiters bedürfe es einer Klärung, ob der Europäische Betriebsrat zur Vermeidung einer Kostenbelastung der zentralen Leitung vorrangig eine Rechtsberatung durch eine gesetzliche Interessenvertretung in Anspruch nehmen müsse.
[9] Gegen den klagsstattgebenden Teil dieser Entscheidung wendet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass die Klage zur Gänze abgewiesen wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Kläger und die Nebenintervenientin beantragen, die Revision zurückzuweisen in eventu ihr nicht Folge zu geben.
[11] 1. Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision der Beklagten mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig.
[12] 2. Gemäß § 197 ArbVG sind die im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Europäischen Betriebsrats und des engeren Ausschusses anfallenden Kosten gemäß § 186 ArbVG von der zentralen Leitung zu tragen. Nach § 186 Abs 2 ArbVG gehören dazu die für die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben erforderlichen Verwaltungsausgaben, insbesondere die für die Veranstaltung der Sitzungen und jeweils vorbereitenden und nachbereitenden Sitzungen anfallenden Kosten einschließlich der Dolmetschkosten und der Kosten für jedenfalls einen Sachverständigen sowie die Aufenthalts- und Reisekosten für die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums und für jedenfalls einen Sachverständigen.
[13] Das Gesetz begrenzt die Kosten demnach mit den „für die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben erforderlichen Verwaltungsausgaben“. Naturgemäß lässt sich nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls beurteilen, welche der demonstrativ aufgezählten und allenfalls weitere Aufwendungen in welchem Umfang angemessen sind. Eine generalisierende Aussage kann dazu nicht getroffen werden. Damit liegt in der Frage, ob einzelne Kosten zu ersetzen sind, im Allgemeinen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung. Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem Berufungsgericht eine grobe, aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, wovon hier nicht auszugehen ist.
[14] 3. Die „subsidiären“ Vorschriften nach Art 7 in Anhang I der Richtlinie 2009/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen sehen – so wie die Vorgängerrichtlinie 94/45/EG des Rates vom – unter anderem vor, dass der Europäische Betriebsrat und der engere Ausschuss sich durch Sachverständige ihrer Wahl unterstützen lassen können, sofern dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist (Anhang I Abs 5). Auch das ArbVG regelt in den Bestimmungen zur europäischen Betriebsverfassung, in denen die Beiziehung eines Sachverständigen ausdrücklich normiert ist (§§ 182, 220, 235 ArbVG), dass es sich um einen Sachverständigen „seiner Wahl“ (Anm: daher nach Wahl des jeweiligen Organs der Arbeitnehmerschaft) handelt.
[15] 4. Dass im vorliegenden Fall die im Wesentlichen den Inhalt der Beratungsleistungen bildenden Fragen – Umfang der Informations- und Anhörungsrechte insbesondere in Zusammenhang mit der Einführung von Systemen zur Überwachung von Mitarbeitern und deren Arbeitsgeschwindigkeit sowie Erwerb einer in mehreren EU-Staaten tätigen Unternehmensgruppe mit rund 1.100 Mitarbeitern – die grundsätzliche Inanspruchnahme von Sachverständigenleistungen iSd §§ 186, 197 ArbVG rechtfertigen, wird in der Revision nicht in Frage gestellt.
[16] 5. Weder aus den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung noch aus der in der Richtlinie normierten Beachtung der jeweiligen Rechte und gegenseitigen Verpflichtungen lässt sich ableiten, dass der Europäische Betriebsrat bei Beiziehung eines Sachverständigen nur die – hier auch teilweise abgelehnte – Gratisinformation durch Interessensvertretungen eines bestimmten Mitgliedstaats in Anspruch nehmen dürfte.
[17] Dies ließe sich auch mit dem zuvor dargestellten Grundsatz der freien Wahl des Sachverständigen nicht vereinbaren. Aufgabe eines Sachverständigen ist es, die fehlende Sachkunde des Europäischen Betriebsrats zu ersetzen, ihn also hinsichtlich konkreter – sich häufig auf mehrere Rechtsordnungen erstreckende – Fragestellungen zu beraten, um ihn in die Lage zu versetzen, die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber sachkundig führen zu können. Die Auswahl des Sachverständigen hat sich daher an dem Inhalt und der Bedeutung der zu behandelnden Fragen zu orientieren.
[18] So hat der Oberste Gerichtshof zu 9 ObA 7/21a zur insoweit vergleichbaren Regelung des § 47 PBVG ausgeführt: „Inwieweit der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensaufwand im Anlassverfahren erforderlich war, ist eine Frage des Einzelfalls. Das trifft auch auf die Beurteilung zu, ob die Beiziehung eines Rechtsanwalts in einem Verfahren, in dem nach der Verfahrensordnung kein Vertretungszwang besteht bzw eine qualifizierte Vertretung durch Funktionäre und Arbeitnehmer einer gesetzlichen Interessenvertretung oder freiwilligen kollektiv-vertragsfähigen Berufsvereinigung zulässig ist, der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dient.“
[19] 6. Richtig ist zwar, dass aus der Beschränkung auf die „erforderlichen Verwaltungsausgaben“ in § 186 ArbVG folgt, dass ein Ersatz von höheren als den für die erbrachte Sachverständigenleistung angemessenen Kosten nicht zusteht. Nicht nur bei einer bewusst missbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen scheidet daher ein Ersatzanspruch aus. Welche Kosten konkret angemessen sind, ist aber wiederum eine Frage des Einzelfalls.
[20] 7. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin im Wesentlichen rechtliche Beratungsleistungen in Anspruch genommen, allerdings nicht durch einen Rechtsanwalt.
[21] Die Beklagte geht davon aus, dass Kosten über dem RATG jedenfalls nicht zu honorieren seien, da bei Beauftragung eines Rechtsanwalts höhere Kosten nicht entstanden wären. Sie lässt aber weitestgehend offen, um welchen ihrer Meinung nach konkret angemessenen Preis gleichartige Leistungen von einem Anwalt erbracht worden wären. Der bloße Verweis auf das RATG reicht dafür nicht aus, da dessen Anwendung auch das Vorhandensein entsprechender Tarife voraussetzen würde. Damit kann aber etwa die Erstattung von Rechtsgutachten nicht ohne Weiteres mit einem vorbereitenden Schriftsatz gleichgestellt werden. Leistungen in Zusammenhang mit einem Zivilrechtsverfahren wurden von der E* GmbH weder erbracht, noch verrechnet. Nach AHK wurden aber schon Stundensätze zwischen 220 und 400 EUR als angemessen beurteilt (7 Ob 259/10d mwN). Auch übergeht die Beklagte, dass gegenüber der eigenen Partei gemäß § 23 Abs 2 RATG nach Einzelleistungen abgerechnet werden kann, wodurch etwa die geführten Telefonate einzeln hätten verrechnet werden können.
[22] Zu berücksichtigen ist weiters, dass neben der ausgewiesenen Fachkunde im Bereich der europäischen Betriebsverfassung für die Klägerin nach den Feststellungen von Bedeutung war, dass die E* GmbH die Kosten ihrer Tätigkeit bzw beauftragter Subsachverständiger vorfinanziert. Da die Klägerin über kein eigenes Vermögen verfügt und die Finanzierung durch die Beklagte nicht sichergestellt war, kommt auch diesem Umstand Relevanz zu. Ob sich der beigezogene Sachverständige weiterer Subsachverständiger zur Erbringung seiner Leistung bedient, ist dabei letztlich nicht ausschlaggebend, soweit dadurch keine zusätzlichen Kosten entstehen. Dagegen können Kosten, die durch die Koordination mehrerer zu jeweils unterschiedlichen konkreten Fragestellungen – Fachgebieten – erforderlichen Sachverständigen entstehen (vgl etwa Mayr in Gahleitner/Mosler ArbVG4 § 186 Rz 11; Naderhirn/ Ritzberger-Moser in Jabornegg/Resch ArbVG Rz 5; zur „Erforderlichkeit“ auch Köck, Zur neuen „Europäischen Betriebsverfassung“ im Arbeitsverfassungsgesetz, in FS Tomandl, 228 uva), im Einzelfall als erforderlich angesehen werden.
[23] Mit der Beurteilung der vom Kläger geltend gemachten Kosten als angemessen hat das Berufungsgericht auch unter Berücksichtigung der Komplexität der grenzüberschreitenden Fragestellungen, des erheblichen Gesamtzeitraums und der Höhe der Kosten den gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten.
[24] 8. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
[25] 9. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger und die Nebenintervenientin haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00028.23K.0829.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
BAAAF-67574