OGH 20.02.2024, 4Ob20/24f
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj *, geboren * 2021, wohnhaft bei der und vertreten durch die Mutter *, diese vertreten durch die hba Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Unterhalt, infolge des „außerordentlichen“ Revisionsrekurses des Vaters *, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere, Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 2 R 221/23v-63, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
[1] Der Vater war zuletzt zur Leistung eines laufenden Unterhalts von monatlich 438 EUR verpflichtet worden.
[2] Mit Beschluss vom gab das Erstgericht einem Erhöhungsantrag des Minderjährigen Folge, setzte den laufenden Unterhalt ab mit 640 EUR fest und verpflichtete den Vater zur Zahlung eines Unterhaltsrückstands von gesamt 3.724 EUR (im Sinne des Differenzbetrags für den Zeitraum 1. 1. – von 438 EUR auf 580 EUR und von 1. 1. – von 438 EUR auf 640 EUR).
[3] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei.
[4] Gegen diese Entscheidung erhebt der Vater einen „außerordentlichen Revisionsrekurs“ an den Obersten Gerichtshof, mit dem er eine Abänderung im Sinne einer Abweisung des Erhöhungsantrags anstrebt, und der vom Erstgericht direkt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt wurde.
Rechtliche Beurteilung
[5] Diese Vorlage ist jedoch verfrüht:
[6] 1. Nach § 62 Abs 3 AußStrG ist der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert 30.000 EUR nicht übersteigt und das Rekursgericht den Revisionsrekurs nach § 59 Abs 1 Z 2 AußStrG für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen kann eine Partei nur nach § 63 AußStrG einen Antrag an das Rekursgericht stellen, den Zulässigkeitsausspruch dahin abzuändern, dass der Revisionsrekurs doch für zulässig erklärt werde; mit dieser Zulassungsvorstellung ist der ordentliche Revisionsrekurs zu verbinden.
[7] 2. Im Unterhaltsbemessungsverfahren ist der Entscheidungsgegenstand rein vermögensrechtlicher Natur und besteht ausschließlich in einem Geldbetrag. Der Wert des Entscheidungsgegenstands bestimmt sich nach § 58 Abs 1 JN grundsätzlich mit dem 36-fachen des monatlichen Unterhalts (vgl RS0042366). Wird – wie hier – eine Erhöhung oder Herabsetzung eines Unterhaltsbetrags begehrt, so bildet den Streitwert nicht der Gesamtbetrag, sondern nur der dreifache Jahresbetrag der begehrten Erhöhung oder Herabsetzung (vgl RS0046543).
[8] 3. Da die Wertgrenze nicht überschritten wird, kommt dem Obersten Gerichtshof im derzeitigen Verfahrensstadium keine Entscheidungskompetenz zu.
[9] Das Erstgericht wird zu beurteilen haben, ob es die Eingabe als Zulassungsvorstellung nach § 63 AußStrG wertet und dem Rekursgericht vorlegt, oder aber ein Verbesserungsverfahren durchführt (vgl RS0109505).
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj *, geboren * 2021, wohnhaft bei der und vertreten durch die Mutter *, diese vertreten durch die hba Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters *, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 2 R 221/23v-63, womit infolge Rekurs des Vaters der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom , GZ 234 Pu 200/21a-51, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Das Erstgericht verpflichtete den Vater zunächst zu einem monatlichen Unterhalt in Höhe des doppelten Regelbedarfsatzes (als „Luxusgrenze“ bzw „Unterhaltsstopp“, vgl RS0007138) von 426 EUR von 1. 5. bis und von 438 EUR ab , wofür es von einem monatlichen Durchschnittsnettoeinkommen von „zumindest 2.800 EUR“ ausging und einer dahingehenden Außerstreitstellung des Vaters.
[2] Sodann erhöhte das Erstgericht über Antrag des Kindes den Unterhalt entsprechend der geänderten Regelbedarfsätze für den Zeitraum bis auf monatlich 580 EUR und ab auf 640 EUR, dies ausgehend von einem monatlichen Einkommen von nunmehr „zumindest 4.000 EUR“. Beweiswürdigend verwies es auf das Antragsvorbringen, § 16 Abs 2, §§ 32 ff AußStrG und die (weiterhin) fehlende Mitwirkung des Vaters, der als Landwirt und Geschäftsführer einer GmbH selbständig tätig sei. Dieser habe entgegen seiner Prozessförderungspflicht und Behauptungs- und Beweislast jegliche Überprüfung seiner Einkünfte durch das Gericht und die bestellte Sachverständige verhindert; es könne mit ausreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass er finanziell in der Lage sei, Unterhalt bis zum „Unterhaltsstopp“ zu leisten.
[3] Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und verwies darauf, dass als Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht der steuerliche, sondern der tatsächlich verbleibende Reingewinn maßgeblich sei. Wirke der Unterhaltsschuldner nicht im Sinne des § 16 Abs 2 AußStrG bei der Feststellung seiner Einkommensverhältnisse mit, könne sein Einkommen nach freier Würdigung geschätzt werden. Der Vater habe im erstinstanzlichen Verfahren mehrfach ausdrücklich erklärt, dass er weder der Sachverständigen, noch dem Gericht weitere Unterlagen zur Verfügung stellen werde und das Gericht von der freien Beweiswürdigung Gebrauch machen solle. Das Vorgehen und die Beweiswürdigung des Erstgerichts seien daher nicht zu beanstanden, zumal die Nichtmitwirkung des Vaters nicht verständlich wäre, wenn er das vom Antragsteller behauptete Einkommen tatsächlich nicht erzielen würde.
[4] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich unter Hinweis auf die Entscheidung 1 Ob 41/20s zu, laut der sich aus der Aktenlage ausreichend konkrete Anhaltspunkte für das Vorhandensein von für die Bemessungsgrundlage relevanten Umständen ergeben müssten.
Rechtliche Beurteilung
[5] Der – vom Kind beantwortete – Revisionsrekurs des Vaters, mit dem er eine Änderung des angefochtenen Beschlusses in eine Antragsabweisung, in eventu dessen Aufhebung begehrt, ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruchs des Rekursgerichts nicht zulässig.
[6] 1. Der Revisionsrekurs wendet sich einzig gegen die Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage.
[7] Der Oberste Gerichtshof ist aber auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz, weshalb Fragen der Beweiswürdigung nicht an ihn herangetragen werden können (RS0007236 [T7], RS0006737); die Bekämpfung der Tatsachenfeststellungen mit Revisionsrekurs ist nicht möglich (RS0108449).
[8] Auch eine vom Rekursgericht verneinte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz, die nicht unter § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG subsumiert werden kann, kann im Revisionsrekurs nicht mehr geltend gemacht werden (vgl RS0121265 [T12]).
[9] Da das Erstgericht ein durchschnittliches Nettoeinkommen des Vaters von monatlich zumindest 4.000 EUR feststellte und das Rekursgericht seiner Beweis- und Verfahrensrüge nicht Folge gab, liegt insoweit eine bindende Sachverhaltsgrundlage vor, die die Unterhaltserhöhung in rechtlicher Hinsicht rechtfertigt.
[10] 2. Zwar kann mit Revisionsrekurs geltend gemacht werden, dass das Rekursverfahren an einem Mangel leidet, der geeignet war, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache zu hindern (§ 66 Abs 1 Z 2 AußStrG), wozu auch das Fehlen einer nachvollziehbaren Begründung durch das Rekursgericht oder eine nur unvollständige Erledigung einer Verfahrens- und/oder Beweisrüge zählt (vgl 1 Ob 37/16x, 3 Ob 211/19d jeweils mwN).
[11] Es gehört jedoch zum Wesen der freien Beweiswürdigung, dass sich die Tatsacheninstanz für eine von mehreren widersprechenden Darstellungen aufgrund ihrer Überzeugung, dass diese mehr Glaubwürdigkeit beanspruchen kann, entscheidet (vgl RS0043175 zu § 272 ZPO). Gemäß § 32 AußStrG sind im Rahmen der freien Beweiswürdigung (ebenso wie nach § 272 ZPO) nicht nur die Beweisergebnisse im engeren Sinn, sondern die Ergebnisse des gesamten Verfahrens zu berücksichtigen, sodass die Vorinstanzen zu Recht auch das Vorbringen und Verhalten des Vaters in ihre Erwägungen miteinbezogen.
[12] Nach § 16 Abs 2 AußStrG ist der Vater als Partei des Unterhaltsverfahrens verpflichtet, dem Gericht vollständig und wahrheitsgemäß alle ihm bekannten, für die Entscheidung maßgebenden Tatsachen und Beweise vorzubringen und anzubieten und alle darauf gerichteten Fragen zu beantworten. Auch nach § 102 Abs 1 AußStrG haben Personen, deren Einkommen oder Vermögen für die Entscheidung über den gesetzlichen Unterhalt zwischen in gerader Linie verwandten Personen von Belang ist, dem Gericht hierüber Auskunft zu geben und die Überprüfung von deren Richtigkeit zu ermöglichen.
[13] Das Gesetz sieht zwar keine ausdrückliche Sanktion für den Fall der Verletzung dieser Aufklärungspflichten vor, dieses Verhalten kann nach herrschender Ansicht aber im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden (vgl 7 Ob 99/15g mwN).
[14] Ob der Unterhaltsschuldner seiner ihm obliegenden Mitwirkungspflicht nachgekommen ist, widrigenfalls das Gericht die Unterhaltsbemessungsgrundlage schätzen kann, kann im Übrigen nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (vgl RS0047430 [insb T3], RS0047432; zur unterlassenen Mitwirkung an Sachverständigengutachten s 2 Ob 58/08f, 3 Ob 170/20a).
[15] Soweit der Vater beanstandet, dass er nie einvernommen wurde und daher nicht alle Beweismittel ausgeschöpft worden seien, ist ihm entgegenzuhalten, dass er keine konkreten Behauptungen zu seinen unterhaltsrechtlich relevanten Tätigkeiten und Einkünften aufstellte, zu denen er befragt hätte werden können. Die Pflicht des Gerichts zur amtswegigen Prüfung des Sachverhalts endet aber dort, wo ein Vorbringen der Parteien überhaupt nicht vorliegt oder trotz richterlicher Anleitung nicht so konkretisiert wird, dass eine Überprüfung möglich ist (vgl RS0083783).
[16] Schließlich ging es hier auch nicht um den Nachweis einer Änderung der Einkommensverhältnisse im engeren Sinne (vgl RS0006348), weil das Erstgericht in seinem ersten Beschluss das Einkommen des Vaters keineswegs mit 2.800 EUR ermittelte und derart feststellte, sondern nur – entsprechend seines Zugeständnisses im Sinne des § 33 Abs 1 AußStrG – von einem Einkommen zumindest in dieser Höhe ausging.
[17] Die vom Rekursgericht für die Zulassung herangezogene Entscheidung 1 Ob 41/20s ist nicht einschlägig, weil dort nicht feststand, dass der Unterhaltsschuldner neben seiner selbständigen Tätigkeit (für einen bestimmten Zeitraum) auch einer unselbständigen Beschäftigung nachging oder sonst Anspruch auf einen dem Einkommen vergleichbaren Bezug hatte. Hier ist jedoch unstrittig, dass der Vater laufend Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit als Landwirt und Geschäftsführer bezieht, und nur deren Höhe fraglich.
[18] Dass die Vorinstanzen die mangelnde Mitwirkung des Vaters zu seinen Lasten werteten und von einem Einkommen zumindest in einer Höhe ausgingen, die einen Unterhalt bis zur „Luxusgrenze“ rechtfertigt, begegnet daher keinen Bedenken.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00020.24F.0220.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
KAAAF-66894