VwGH 18.05.1988, 88/02/0010
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Bei der Zustellung zu eigenen Handen genügt für die Rechtswirksamkeit einer Hinterlegung, dass der Adressat zumindest am Tage des ersten Zustellversuches an seiner Abgabestelle anwesend gewesen ist und so Kenntnis erlangen konnte, dass ihm ein behördliches Schriftstück zugestellt werden soll (Hinweis auf E , 85/11/0245; , 86/02/0157). |
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RS 2 | Behauptet eine Partei, von einem Zustellvorgang infolge Abwesenheit von ihrer Abgabestelle keine Kenntnis erlangt zu haben, und verbindet sie die Setzung einer Verfahrenshandlung, die nach der Aktenlage verspätet ist, mit der Wendung "in offener Frist", so trifft die Behörde die Verpflichtung zur amtswegigen Prüfung der Richtigkeit dieser Behauptungen (Hinweis auf E , 87/11/0275). Die Partei ist auch nicht verpflichtet, von vornherein alle Umstände anzuführen, aus denen sie die Rechtzeitigkeit ihrer Verfahrenshandlung ableitet (Hinweis auf E , 86/03/0228). Sie ist aber verpflichtet, einer Aufforderung zur Mitwirkung an der Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes nachzukommen. Die Unterlassung der Mitwirkung kann zur Zurückweisung führen. |
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RS 3 | Wenn die Behörde das Vorbringen der Partei für nicht ausreichend hält, die geltend gemachte Abwesenheit von der Abgabestelle für glaubhaft zu erachten, so muss sie die Partei auffordern, die Glaubhaftmachung mit weiteren Mitteln zu ergänzen. Dass die Partei nicht von sich aus die in der Vorstellung der Behörde geeigneten Glaubhaftmachungsmittel gewählt hat, kann ihr (mangels vorangegangener Aufforderung zur Bekanntgabe bestimmter Glaubhaftmachungsmittel) nicht als Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht angerechnet werden. |
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RS 4 | Eine mindestens viertätige Abwesenheit von der Abgabestelle nimmt dieser gem § 4 ZustG noch nicht diese Eigenschaft. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde des Dr. RJ in W, vertreten durch Dr. Erhard Doczekal, Rechtsanwalt in Wien VIII, Florianigasse 5a, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 70-10/2022/87/Str, betreffend Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Ottakring, vom wurde der Beschwerdeführer einer Übertretung des Kraftfahrgesetzes 1967 für schuldig erkannt. Über ihn wurde deswegen eine Geldstrafe (Ersatzarreststrafe) verhängt. Dieses Straferkenntnis wurde laut Rückschein am beim zuständigen Postamt hinterlegt und lag von diesem Zeitpunkt an zur Abholung bereit.
Gegen das genannte Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer eine am zur Post gegebene Berufung, in der er eingangs ausführte, daß dies „in offener Frist“ erfolge und daß ihm das Straferkenntnis „am in seiner Abwesenheit“ zugestellt worden sei.
Mit Note der belangten Behörde vom wurde dem Beschwerdeführer vorgehalten, daß die Hinterlegung am erfolgt sei und daß die am zur Post gegebene Berufung daher offensichtlich verspätet eingebracht worden sei. Diese Note enthielt ferner folgenden Satz:
„Sollten Sie am Tag der Hinterlegung von der Abgabestelle abwesend gewesen sein, werden Sie zur Bekanntgabe des Tages der Rückkehr zu dieser (§ 4 Zustellgesetz), zur Glaubhaftmachung Ihrer Abwesenheit und zur Vorlage von Beweismitteln hinsichtlich des Tages Ihrer Rückkehr zur Abgabestelle aufgefordert.“
Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer mit seinem Schreiben vom an die belangte Behörde insoferne nach, als er ausführte, daß er zum Hinterlegungszeitpunkt nicht an der Abgabestelle anwesend gewesen sei; den „Hinterlegungszettel“ habe er erst einige Tage später am darauffolgenden Wochenende von MJ, an derselben Adresse wohnhaft, erhalten. In der Folge habe er dann das Straferkenntnis behoben und innerhalb offener Frist dagegen Berufung eingebracht. Zur Glaubhaftmachung der Richtigkeit seiner Angaben unterfertigte auch Frau MJ dieses Schreiben. Das Schreiben weist außer der Unterschrift des Beschwerdeführers eine als „J“ leserliche zweite Unterschrift auf.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als verspätet zurückgewiesen.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichte Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Gerichtshof hat erwogen:
Der Verwaltungsgerichtshof vermag an Hand der Aktenlage nicht zu prüfen, ob die Zurückweisung der Berufung zu Recht erfolgt ist.
Der Beschwerdeführer hat zwar im Verwaltungsstrafverfahren lediglich behauptet, daß er zum „Hinterlegungszeitpunkt“ am von seiner Abgabestelle „abwesend“ gewesen sei. Er hat nicht ausdrücklich seine Ortsabwesenheit an diesem Tage geltend gemacht. Sein - insgesamt unklares - Vorbringen läßt aber auch die Deutung zu, daß er die Unwirksamkeit der Hinterlegung ins Treffen führt, bedient er sich mit der Wendung „Abwesenheit von der Abgabestelle“ doch sogar der verba leglia des § 17 Abs. 3 des Zustellgesetzes. Es wäre daher der belangten Behörde oblegen, den Beschwerdeführer zu klaren und unmißverständlichen Angaben über Art und Dauer der „Abwesenheit von seiner Abgabestelle“ zu veranlassen.
Die Erstbehörde hat die Zustellung des Straferkenntnisses vom zu eigenen Handen des Beschwerdeführers angeordnet. Nach dem im vorgelegten Verwaltungsakt erliegenden Rückschein hat der erste (erfolglose) Zustellversuch am stattgefunden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes genügt für die Rechtswirksamkeit einer Hinterlegung, daß der Beschwerdeführer zumindest am Tage des ersten Zustellversuches an seiner Abgabestelle anwesend gewesen ist und so davon Kenntnis erlangen konnte, daß ihm ein behördliches Schriftstück zugestellt werden soll (vgl. die Erkenntnisse vom , Zl. 85/11/0245, und vom , Zl. 86/02/0157). Die belangte Behörde hätte daher auch erheben müssen, ob der Beschwerdeführer am ortsabwesend gewesen ist.
Behauptet eine Partei eines Verwaltungs(straf)verfahrens, von einem Zustellvorgang infolge Abwesenheit von ihrer Abgabestelle keine Kenntnis erlangt zu haben, und verbindet sie die Setzung einer nach der Aktenlage verspäteten Verfahrenshandlung mit der Wendung „in offener Frist“, so trifft die Behörde die Verpflichtung zur amtswegigen Prüfung der Richtigkeit dieser Behauptungen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 87/11/0275). Die Partei ist auch nicht verpflichtet, von vornherein alle Umstände anzuführen, aus denen sie die Rechtzeitigkeit ihrer Verfahrenshandlung ableitet (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 86/03/0228). Sie ist aber verpflichtet, einer Aufforderung der Behörde zur Mitwirkung an der Ermittlung des zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit maßgebenden Sachverhaltes nachzukommen. Sie hat es in Kauf zu nehmen, daß eine Verletzung dieser Verpflichtung dazu führen kann, daß die Behörde - mangels ihr bekannter und auch ohne Mitwirkung der Partei zugänglicher, für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit maßgebender tatsächlicher Umstände - von der nach der übrigen Aktenlage gegebenen Verspätung ausgeht.
Zur Aufforderung der belangten Behörde zur Glaubhaftmachung der Abwesenheit des Beschwerdeführers von seiner Abgabestelle ist ferner anzumerken, daß darin keine Einzelheiten über Art und Weise der Glaubhaftmachung angeführt sind. Es kann daher dem Beschwerdeführer nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn er sich zu diesem Zweck damit begnügte, seine Abwesenheit von seiner (offensichtlichen) Mitbewohnerin durch Unterfertigung seiner Stellungnahme bestätigen zu lassen. Wenn die belangte Behörde dies für nicht ausreichend befunden hätte, hätte sie ihn auffordern müssen, die Glaubhaftmachung mit anderen Mitteln zu ergänzen. Daß der Beschwerdeführer nicht von sich aus die in der Vorstellung der Behörde geeigneten Glaubhaftmachungsmittel gewählt hat, kann ihm nicht als Verletzung seiner Mitwirkungspflicht angerechnet werden.
Der Sachverhalt ist damit in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich im Hinblick auf das fortzusetzende Verfahren zu folgenden Feststellungen veranlaßt. Nach der Aktenlage bestand für den Zusteller kein Anlaß zu zweifeln, daß der Beschwerdeführer sich nicht regelmäßig an der Abgabestelle aufgehalten habe. Die vom Beschwerdeführer (im übrigen erstmals in der Beschwerde) behauptete mindestens 4-tägige Abwesenheit von der Abgabestelle nimmt dieser gemäß § 4 des Zustellgesetzes noch nicht diese Eigenschaft.
Die belangte Behörde ist auch damit im Recht, daß die Ausführungen des Beschwerdeführers über den Zeitpunkt des Erhaltes der Verständigung von der erfolgten Hinterlegung von seiten seiner Mitbewohnerin für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Berufung unbeachtlich ist.
Hinsichtlich der zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes wird an Art. 14 Abs. 4 seiner Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1988:1988020010.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
AAAAF-63607