VwGH 03.09.1987, 87/16/0071
VwGH 03.09.1987, 87/16/0071
Rechtssätze
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Normen | Accordino 1957; WrÜbk über das Recht der Verträge Art31; |
RS 1 | Beim sogenannten "Accordino" handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen zwei Staaten. Die Auslegung und Anwendung des Abkommens richtet sich daher, soweit dieses nicht selbst dazu Regelungen trifft, nach allgemeinem Völkerrecht, also nach den Art 31 ff (Auslegung von Verträgen) des auf Gesetzesstufe stehenden Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, BGBl 1980/040 (WVK). Grundlagen für die Auslegung sind deshalb in erster Linie der Wortlaut der in Frage stehenden Vereinbarung und der darin zum Ausdruck gekommene Wille der Vertragsparteien. |
Norm | Accordino 1957; |
RS 2 | Das sogenannte "Accordino" wurde in Ausführung der als Beilage 4 in den Friedensvertrag zwischen Italien und den Alliierten und Assoziierten Mächten aufgenommenen Pariser Übereinkommens in der Absicht geschlossen, für die Bewohner der begünstigten Zonen die Nachteile der politischen Grenzziehung zu mildern. Es soll ein Mittel darstellen, durch welches die Wirtschaft der Bundesländer Tirol und Vorarlberg ihre traditionellen Verbindungen mit den durch den Staatsvertrag von Saint-Germain abgetretenen Gebieten des ehemaligen Kronlandes Tirol (ausgenommen die zur Provinz Belluno geschlagenen Gemeinden) einigermaßen aufrecht zu erhalten in der Lage ist (Hinweis E , 86/16/0109). |
Norm | Accordino 1957 Art1; |
RS 3 | Geht man vom Vertragswortlaut aus, so erhellt aus dem Umstand, daß nicht die Einfuhr von Waren, also das Gelangen von Erzeugnissen über die Zollgrenze, sondern der sich zwischen den in Art 1 Accordino genannten Gebieten "abspielende" Austausch von Waren erleichtert werden soll, eine Beschränkung des Verkehrs mit diesen Waren auf diese Gebiete. Dies wird ganz deutlich durch die Verwendung des verbum legale "abspielt", das dem Begriff des lokalen Warenaustausches eine in das Wirtschaftsleben der Region viel tiefer eingreifende Bedeutung verleiht als der Begriff der Einfuhr. |
Normen | Accordino 1957 Art1; Accordino 1957 Art2; Accordino 1957 Art5; BAO §115 Abs4; WrÜbk über das Recht der Verträge Art31 Abs1; WrÜbk über das Recht der Verträge Art31 Abs3 litb; ZollG 1955 §174 Abs3 litd; |
RS 4 | Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge darf grundsätzlich nicht beim Wortlaut stehenbleiben. Vielmehr ist ein völkerrechtlicher Vertrag gem Art 31 Abs 1 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge BGBl 1980/040 nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. Wesentlicher Zweck des Accordino ist, daß Waren mit Ursprung in den beiden Regionen "lokal" ausgetauscht werden. Von einem "lokalen Austausch" kann rechtens nicht mehr gesprochen werden, wenn die begünstigten Waren später an Unternehmer (§ 2 Abs 2 UStG) verkauft werden, die ihren Wohnsitz oder Sitz bzw ihre Betriebsstätte (§§ 26 ff BAO) im übrigen Bundesgebiet haben. Schließlich spricht für diese Auslegung des OGH (Hinweis auf Urteil vom , 11 Os 28-30/86), daß die Ursprungswaren aus den begünstigten Gebieten grundsätzlich zum Verbrauch in eben diesen Zonen verbleiben müssen, auch die langjährige Praxis der beiden Vertragstaaten. Nach Art 31 Abs 3 lit b Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge 1980/040 ist außer dem Zusammenhang in gleicher Weise jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht, zu berücksichtigen. Solcherart machen Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck des Abkommens ebenso wie die spätere Praxis der Vertragstaaten hinreichend deutlich, daß die durch das Accordino gewährte Zollbegünstigung begrifflich voraussetzt, daß die "lokal ausgetauschten " Waren nicht später an Unternehmer mit Wohnsitz (Sitz) im übrigen Bundesgebiet verkauft werden. |
Normen | |
RS 5 | Die Richtigkeit der vom OGH in seinem Urteil vom , 11 Os 28-30/86 zur Auslegung des Art 1 Accordino vertretenen Auffasung ergibt sich daraus, daß die Erleichterungen des Accordino nicht nur die in Art 2 conv. cit. normierten abgabenmäßigen Begünstigungen (insbesondere Zollfreiheit und Ausfuhrfreiheit) umfassen, sondern gemäß Art 5 conv. cit. auch die Befreiung von gesetzlichen Einfuhrverboten (zB nach dem AußHG) und die sonstigen gesetzlichen Beschränkungen (zB nach dem ViehWG und dem MOG), die beim Import von bestimmten Waren in das Gebiet der Vertragsstaaten zum Schutz bestimmter Wirtschaftszweige bestehen. Würde die Verbringung begünstigt eingeführter Waren zum weiteren Absatz in Gebiete außerhalb der begünstigten Regionen bedingungslos ohne Entrichtung der Abgaben möglich sein, würden damit die zum Schutze der inländischen Wirtschaft vom Gesetzgeber erlassenen Bestimmungen durchwegs unterlaufen werden. Jede andere Auslegung würde dazu führen, daß derjenige Unternehmer der seinen Sitz bzw Wohnsitz außerhalb der begünstigten Region hat und eine aufgrund der Erleichterungen eingeführte Ware erwirbt, gegenüber jedem anderem im Staatsgebiet, der durch die bestehenden gesetzlichen Einfuhrverbote und sonstigen Beschränkungen am Erwerb gleichartiger ausländischer Waren gehindert ist, einen dem Gleichheitsgebot widersprechenden Wettbewerbsvorteil erlangen würde. |
Norm | WrÜbk über das Recht der Verträge Art31 Abs3 litb; |
RS 6 | Als Auslegungsfaktor dient die "spätere Praxis" dazu, den geltenden Vertragssinn zu ermitteln, wobei sie neben anderen Auslegungsfaktoren die Überzeugung des Interpreten formt. |
Normen | Accordino 1957 Art1; Accordino 1957 Art2; Accordino 1957 Art5; WrÜbk über das Recht der Verträge Art31 Abs3 litb; |
RS 7 | Die Verwaltungen beider Vertragsstaaten des Accordino knüpfen die Erteilung der Einfuhrbewilligung (Österreich) bzw die Gewährung der Zollbegünstigung (Italien) an die jedem nachfolgenden Erwerber bis zum Detailisten mitzuteilende - bescheidmäßige und von beiden Vertragsstaaten nachträglich überprüfte Auflage, daß die Ursprungswaren aus den begünstigten Gebieten auch zum Verbrauch in eben diesen Zonen verbleiben müssen. Aus dieser langjährigen Prxis ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, daß nach Auffassung der beiden Vertragsparteien Übereinstimmung hinsichtlich der Anwendung des Abkommens bezüglich des grundsätzlichen Verbleibens der begünstigten Waren in den in Betracht kommenden Gebieten besteht. |
Entscheidungstext
Kein Text vorhanden
Zusatzinformationen
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Sammlungsnummer | VwSlg 6244 F/1987 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1987:1987160071.X01 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
LAAAF-63518