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VwGH 03.12.1980, 3112/79

VwGH 03.12.1980, 3112/79

Entscheidungsart: ErkenntnisVS

Rechtssätze


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Normen
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
BauO Stmk 1968 §3;
BauO Stmk 1968 §62 Abs2;
BauRallg impl;
GewO 1973 §356 Abs3 impl;
VwGG §34 Abs1;
RS 1
Die Berufung eines präkludierten Nachbarn ist nicht zurückzuweisen, sondern abzuweisen (Abgehen von E VS , 33/60 VwSlg 5621 A/1961). Die Berufungsbehörde darf jedoch eine Prüfungsbefugnis nur in jenem Bereiche ausüben, in dem keine Präklusion eintreten konnte, etwa bei der Frage der Zuständigkeit der Unterinstanz (Hinweis E , 1026/67, VwSlg 7319 A/1968).
Normen
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
BauO Stmk 1968 §3;
BauO Stmk 1968 §62 Abs2;
BauRallg impl;
GewO 1973 §356 Abs3 impl;
VwGG §13 Abs1 Z1;
RS 2
Die Bestimmung des § 66 Abs 4 AVG bedeutet hinsichtlich der Befugnis, den Spruch des bei ihr angefochtenen Bescheides abzuändern, vornehmlich eine Absage an die Möglichkeit einer bloßen Kassation statt einer Reformation und eine Absage an das Verbot einer "reformatio in peius". § 66 Abs 4 AVG besagt nicht, dass in Fällen eines eingeschränkten Mitspracherechtes einer Partei auf Grund der von ihr eingebrachten Berufung über den Themenkreis hinausgegangen werden kann, indem sie mitzuwirken berechtigt ist. Sache im Sinne des § 66 Abs 4 AVG ist ausschließlich jener Bereich, in welchem dem Berufungswerber ein Mitspracherecht zusteht (Abkehr von dem Rechtsatz des VS E , 1381/56 VwSlg 4725 A/1958).
Normen
AVG §42 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
RS 3
§ 66 Abs 4 AVG kann allein nicht entnommen werden, wann eine Berufung zurückzuweisen ist. Auch § 63 AVG enthält keine vollständige Liste der Zurückweisungsgründe, doch geht aus Abs 1 dieses Paragraphen der Zurückweisungsgrund des Mangels der Berechtigung zur Erhebung der Berufung hervor, und § 63 Abs 3 legt fest, dass eine Berufung, um behandelt zu werden, eines begründeten Berufungsantrages bedarf. Eine Berufung ist zurückzuweisen, wenn es an einer Prozessvoraussetzung für das Berufungsverfahren fehlt.

Entscheidungstext

Beachte

Abgehen von Vorjudikatur (demonstrative Auflistung):

0878/72 B VwSlg 8681 A/1974 RS 3;

(RIS: abgv)

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Lehne und die Hofräte Dr. Hrdlicka, Dr. Straßmann, Dr. Draxler, Dr. Salcher, DDr. Hauer, Dr. Würth, Dr. Leukauf und Dr. Domittner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissär Dr. Forster, über die Beschwerde des Dipl.-Ing. FB in S, vertreten durch Dr. Hans Pirker, Rechtsanwalt in Irdning, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , GZ. 3-338 Ha 51/3-1979, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Bausache, Abweisung der Vorstellung (mitbeteiligte Parteien: 1. Dr. HS, B, 2. AS, B, 3. Marktgemeinde B, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von S 900,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Jänner 1978 hatten die mitbeteiligten Bauwerber beim Gemeindeamt der Marktgemeinde B um die Erteilung der Widmungsbewilligung für die Errichtung von zwei Tennisplätzen auf den Grundstücken. Nr. 353/1 und 3533/5 der KG X ersucht. Bei der im Zuge des Verfahrens durchgeführten mündlichen Verhandlung war unter anderem vereinbart worden, daß der Abstand der Tennisplätze von der westlichen Grundgrenze zum Grundstück des Beschwerdeführers von 10 m auf 22 m erhöht werden sollte. Mit Bescheid vom hatte sodann der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde die angestrebte baubehördliche Widmungsbewilligung erteilt.

Mit Ansuchen vom beantragten die mitbeteiligten Bauwerber die Erteilung der Widmungsbewilligung für die Errichtung eines dritten Tennisplatzes, und zwar angrenzend zur Grundstücksgrenze des Beschwerdeführers. Mit Kundmachung vom beraumte die Baubehörde erster Instanz für eine Bauverhandlung an, zu der der Beschwerdeführer als Nachbar unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 42 AVG 1950 geladen wurde. Dem im Akt erliegenden Zustellnachweis zufolge erreichte diese Ladung den Beschwerdeführer am . Zu der Verhandlung am erschien der Beschwerdeführer nicht und der Verhandlungsschrift zufolge war auch kein Vertreter des Beschwerdeführers bei dieser Verhandlung anwesend. Eine gleichfalls der Verhandlung beigezogene Nachbarin erhob Einwendungen gegen das Vorhaben der mitbeteiligten Widmungswerber. Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom wurde die beantragte Widmungsbewilligung erteilt.

Gegen diesen Bescheid erhoben sowohl der Beschwerdeführer als auch ein weiterer Nachbar in einem Schriftsatz das Rechtsmittel der Berufung, in welchem vor allem im Hinblick auf befürchtete Immissionen die Abweisung des Widmungsbegehrens gefordert wurde. Mit Beschluß des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom , ausgefertigt mit Bescheid vom , wurde die Berufung des Beschwerdeführers als unzulässig zurückgewiesen. Der Begründung dieses Berufungsbescheides kann entnommen werden, daß im Hinblick auf die Bestimmungen des § 42 AVG 1950 der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen als präkludiert erachtet wurde, was nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Zurückweisung der Berufung zur Folge habe.

Da mit einem Berufungsbescheid vom gleichen Tag auch die Berufung des anderen Nachbarn abgewiesen worden war, wurde in einem Schriftsatz vom Beschwerdeführer und dem anderen Nachbarn eine Vorstellung gegen diese Berufungsbescheide an die Gemeindeaufsichtsbehörde erhoben. Die Vorstellungswerber rügten, daß abweichend von der ursprünglichen Widmungsbewilligung nunmehr in geringem Abstand zu ihren Grundflächen für einen weiteren Tennisplatz die Widmungsbewilligung erteilt worden sei. Auf die Frage der Präklusion wurde in diesem Schriftsatz nicht eingegangen.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die Aufsichtsbehörde die Vorstellung des Beschwerdeführers mangels Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers als unbegründet ab. Im wesentlichen führte die Verwaltungsbehörde aus, daß der Beschwerdeführer an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen und auch bei der Behörde keine Einwendungen erhoben habe. Er sei daher nach der unwiderlegbaren Rechtsvermutung des § 42 AVG 1950 als dem Bauvorhaben zustimmend anzusehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei die Rechtsstellung einer Partei, die sich verschwiegen habe, die gleiche, als hätte sie nach Erlassung des Bescheides auf ihr Berufungsrecht verzichtet. Die Berufung des Beschwerdeführers sei daher zu Recht zurückgewiesen worden.

Mit einem Bescheid vom gleichen Tag behob die belangte Behörde den Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde auf Grund der Vorstellung des weiteren Nachbarn und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde. Die Aufsichtsbehörde erachtete eine Rechtsverletzung deshalb als gegeben, weil nach § 4 Abs. 3 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 dem Nachbarn ein Rechtsanspruch zusteht, daß auch größere Abstände als die im Abs. 1 festgelegten festzusetzen sind, wenn der Verwendungszweck von Bauten eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder eine Gefährdung der Nachbarschaft erwarten läßt. Zur Frage der Belästigung der Nachbarschaft hätte die Gemeindebehörde entsprechende Ermittlungen vornehmen müssen.

In seiner Beschwerde beantragt der Beschwerdeführer den Bescheid der belangten Behörde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben. Der Beschwerdeführer erblickt eine Rechtsverletzung darin, daß die Ladung zur Bauverhandlung nicht zeitgerecht zugestellt worden sei und der Abstand des Tennisplatzes zu seiner Grundgrenze nicht ausreichend bemessen worden sei.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Über diese Beschwerde sowie über die rechtzeitig erstattete Gegenschrift hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 13 VwGG 1965 verstärkten Senat erwogen:

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die belangte Behörde die Vorstellung des Beschwerdeführers gegen einen Berufungsbescheid als unbegründet ab, und zwar unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, betreffend die Rechtsstellung des im erstinstanzlichen Verfahren präkludierten Nachbarn im Berufungsverfahren. In dem auf dem Beschluß eines verstärkten Senates beruhenden Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 5621/A, hat der Gerichtshof die Auffassung vertreten, die Berufung eines Nachbarn, der gemäß § 42 Abs. 1 AVG 1950 einem Vorhaben als zustimmend anzusehen ist, sei als unzulässig zurückzuweisen. Die Entscheidung der Berufungsbehörde und der belangten Behörde entsprach daher bei Vorliegen der Präklusion des Beschwerdeführers der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Allein der Verwaltungsgerichtshof sieht sich nicht in der Lage, die damit zum Ausdruck gebrachte Rechtsanschauung aufrechtzuerhalten.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß sich der Verwaltungsgerichtshof wiederholt mit der Frage der Auslegung des Verhältnisses der Bestimmungen der §§ 42 und 66 AVG 1950 zueinander zu beschäftigen hatte. Der Gesetzgeber hat nämlich in § 42 Abs. 1 AVG 1950 zwar normiert, daß derjenige, der ordnungsgemäß zu einer mündlichen Verhandlung (unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 42 AVG 1950) geladen wurde, dem Vorhaben, welches Gegenstand der Verhandlung ist, als zustimmend anzusehen ist, jedoch weder in § 42 noch in § 66 AVG 1950 wurde bestimmt, welche rechtliche Konsequenzen sich daraus für das Berufungsverfahren ergeben. Obwohl diese wichtige Frage der Rechtsfolgen einer Präklusion schon in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor Einführung einer bundeseinheitlichen Verfahrensregelung durch die Verwaltungsverfahrensgesetze des Jahres 1925 große Schwierigkeiten bereitete (vgl. Tezner, Das österreichische Administrativverfahren 1922, Seite 32 ff) und bereits Koropatnicki, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1927, Seite 100, unmittelbar nach Inkrafttreten () dieser Gesetze darauf hinwies, daß diese Frage ungelöst blieb, hat der Bundesgesetzgeber bisher zur Klarstellung dieser Problematik keinen Beitrag geleistet. Die Beiträge in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Lösung dieser Frage blieben nicht frei von Widersprüchen.

In dem auf dem Beschluß eines verstärkten Senates beruhenden Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 4725/A, sprach der Verwaltungsgerichtshof aus, daß die durch ein vom Anrainer ergriffenes Rechtsmittel angerufene Berufungsbehörde eine Baubewilligung auch dann versagen könne, wenn die Abweisung hinsichtlich der vom Anrainer unter Beachtung der Vorschriften des § 42 AVG 1950 rechtzeitig erhobenen Einwendungen, mit denen die Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechtes zulässigerweise geltend gemacht worden ist, durch die Unterinstanz zwar dem Gesetz entsprach, der Erteilung der Baubewilligung aber andere gesetzliche Hindernisse entgegenstehen. Während diese Rechtsanschauung auf einer zu weiten Auslegung des § 66 Abs. 4 AVG 1950 beruht, hat der Verwaltungsgerichtshof sich in diesem Erkenntnis mit den Folgen beschränkter Mitspracherechte nach seiner jetzigen Anschauung nicht ausreichend befaßt. Dagegen hat der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 5621/A, auf Grund einer die Wirkung der Verschweigung nach § 42 AVG 1950 überwertenden Betrachtungsweise die Berufung einer präkludierten Partei, die nur als dem Vorhaben des Antragstellers zustimmend anzusehen ist, als unzulässig beurteilt.

Abweichend von der These, daß die Berufungsbehörde zur Zurückweisung der Berufung des Präkludierten verpflichtet ist, hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch in einer Reihe von Erkenntnissen (weiterhin) es als zulässig angesehen, daß die präkludierte Partei zu Recht die Unzuständigkeit der Unterbehörde mit Erfolg in ihrer Berufung geltend machen kann (vgl. etwa die Erkenntnisse vom , Slg. N.F. Nr. 1750/A, vom , Slg. N.F. Nr. 7385/A). Diese Rechtsauffassung hat den Wortlaut des § 66 Abs. 4 AVG 1950 für sich und entspricht nach Ansicht des erkennenden Senates auch dem Sinn und Zweck dieser Regelung, wie im folgenden dargetan wird.

§ 66 Abs. 4 AVG 1950 lautet wie folgt:

"(4) Außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern."

Wann eine Berufung zurückzuweisen ist, kann dem § 66 Abs. 4 AVG 1950 allein nicht entnommen werden. Auch § 63 AVG 1950 enthält keine vollständige Liste der Zurückweisungsgründe, doch geht aus dem Abs. 1 dieses Paragraphen der Zurückweisungsgrund des Mangels der Berechtigung zur Erhebung der Berufung hervor, und § 63 Abs. 3 legt fest, daß eine Berufung, um behandelt zu werden, eines begründeten Berufungsantrages bedarf. Der Verwaltungsgerichtshof erschließt aus diesen Regelungen den allgemeinen Gedanken, daß eine Berufung zurückzuweisen ist, wenn es an einer Prozeßvoraussetzung für das Berufungsverfahren fehlt.

Der Umstand, daß eine Partei des Verfahrens dem Vorhaben, welches Gegenstand einer Verhandlung war, auf Grund der Bestimmungen des § 42 AVG 1950 als zustimmend anzusehen ist, bedeutet zunächst nicht das Ausscheiden der Partei aus diesem Verfahren, wie auch der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom hervorhob. Der Präkludierte ist sohin weiterhin Partei des Verfahrens, eine Zurückweisung seiner Berufung mangels Parteistellung, mangels Berechtigung zur Erhebung der Berufung, ist demnach nicht zulässig. Ein solcher Zurückweisungsgrund wird auch in der Rechtsprechung nicht angenommen. Das hat aber zur Folge, daß die präkludierte Partei durchaus in der Lage ist, alle Fragen - ausgenommen jene Fragen, in denen sie als zustimmend anzusehen ist - aufzuwerfen, welche bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens des Antragstellers von der Behörde zu beantworten sind, also etwa die Frage der Zuständigkeit der Behörde. In der Frage der Zuständigkeit der Behörde ist eine Präklusion nicht eingetreten, kann doch nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 6 Abs. 2 AVG 1950 durch Parteienerklärung keine Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde nicht begründet werden.

Scheidet aber die präkludierte Partei nach den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 aus dem weiteren Verfahren nicht aus, ergibt sich aus diesem Gesetz kein Hinweis, daß die Rechtslage mit jener einer Partei zu vergleichen wäre, die auf das Recht, Berufung zu erheben, verzichtet hat. Diese Ansicht, welche der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom vertreten hat, läßt sich aus der positiven Rechtslage, aus den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 nicht begründen. Während auf eine Berufung nach § 63 Abs. 4 AVG 1950 nur ausdrücklich und nach Erlassung des Bescheides verzichtet werden kann, ordnet § 42 Abs. 1 AVG 1950 überhaupt bloß an, die Partei, die keine Einwendungen erhoben hat, sei dem Vorhaben als zustimmend anzusehen. Diese Rechtslage vermag nicht den Schluß zu rechtfertigen, die Berufung der präkludierten Partei sei zurückzuweisen, steht doch der Entscheidung über die Berufung nicht das Fehlen einer Prozeßvoraussetzung entgegen, vielmehr bedeutet die Beachtung der Präklusion für die Berufungsbehörde, daß ihre Entscheidungsbefugnis nach § 66 Abs. 4 AVG 1950 bloß wesentlich eingeschränkt ist. Die Berufungsbehörde darf also nur in jenem Bereich eine Überprüfungsfunktion ausüben, in dem keine Präklusion eintreten konnte, etwa bei der Frage der Zuständigkeit der Unterinstanz; die Berufungsbehörde ist allerdings auch berechtigt und verpflichtet zu prüfen, ob überhaupt eine Präklusion eingetreten ist. Jede andere Betrachtungsweise dieser Rechtslage würde dem Sinn und Zweck der Regelung zuwiderlaufen, könnte doch ansonsten die Berufungsbehörde sich über die Rechtsfolgen des § 42 Abs. 1 AVG 1950 hinwegsetzen, eine Ansicht, welche zwar scheinbar den Wortlaut des § 66 Abs. 4 AVG 1950 für sich hat, aber der Bestimmung des § 42 AVG 1950 jeden Sinngehalt rauben würde. Eine sich an dem Sinngehalt beider gesetzlichen Bestimmungen orientierende Auslegung darf nicht aus einer isolierten Betrachtung einer der gesetzlichen Bestimmungen ein Ergebnis erzielen, welches die andere Rechtsnorm in ihrem Wesensgehalt verkennt. Hat der Gesetzgeber die Rechtsfolge der Präklusion für den Fall des Verschweigens vor und während der mündlichen Verhandlung im Mehrparteienverfahren angeordnet, dann muß diese Rechtsfolge auch im Berufungsverfahren beachtet werden. Gewiß hätte der Gesetzgeber für diesen Fall die Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde in besonderer Weise regeln können, er hat dies nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch nicht getan, und es kann daher eine Unzulässigkeit der Berufung des Präkludierten ebensowenig angenommen werden wie eine Berechtigung der Berufungsbehörde, die eingetretene Präklusion nicht zu beachten. Eine inhaltliche Prüfung der Zulässigkeit des Bauvorhabens ist daher der Berufungsbehörde verwehrt. Der Verwaltungsgerichtshof lehnt sohin die gegenteilige, bisher in seiner Rechtsprechung teilweise vertretene Auffassung auf Grund der dargelegten Erwägungen ab.

Dem steht auch nicht die Bestimmung des § 66 Abs. 4 AVG 1950 entgegen, wonach die Berufungsbehörde, außer in den Fällen der Zurückweisung nach Abs. 2 und der Zurückweisung der Berufung als unzulässig oder verspätet, immer in der Sache selbst zu entscheiden hat und berechtigt ist, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterinstanz zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung hin abzuändern. Diese Bestimmung bedeutet hinsichtlich der Befugnis der Berufungsbehörde, den Spruch des bei ihr angefochtenen Bescheides abzuändern, vornehmlich eine Absage an die Möglichkeit einer bloßen Kassation eines rechtswidrigen unterinstanzlichen Bescheides statt einer Reformation und eine Absage an das Verbot einer "reformatio in peius" im administrativen Verwaltungsverfahren, anders als im Verwaltungsstrafverfahren. Sie besagt aber nicht, daß in Fällen eines eingeschränkten Mitspracherechtes einer Partei des Verwaltungsverfahrens aus Anlaß einer von ihr eingebrachten Berufung über den Themenkreis hinausgegangen werden kann, in dem diese Partei mitzuwirken berechtigt ist. Da nur jener Bereich überhaupt der Ingerenz dieser Partei unterliegt, kann auch die von ihr angerufene Berufungsbehörde nur über das zu entscheiden befugt sein, was diese Partei an sie heranzutragen berechtigt ist. Sache im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 ist sohin ausschließlich jener Bereich, in welchem dem Berufungswerber ein Mitspracherecht zusteht. Der Verwaltungsgerichtshof vermag daher die in dem auf dem Beschluß eines verstärkten Senates beruhenden Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 4725/A, zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht nicht mehr aufrecht zu erhalten.

Bemerkt sei noch, daß die aufgezeigte Einschränkung der grundsätzlich bestehenden Berechtigung der Berufungsbehörde, den angefochtenen Bescheid in jeder Richtung hin abzuändern, auch in anderen Berufungsfällen gegeben ist, etwa dann, wenn die Berufungsbehörde feststellt, daß die Unterinstanz zur Entscheidung über die Sache gar nicht zuständig war; hier hat die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid wegen Unzuständigkeit der Unterbehörde aufzuheben, eine andere Entscheidungsbefugnis kommt nicht in Betracht. Nicht anders ist die Rechtslage aber etwa auch dann, wenn bei einem antragsbedürftigen Verwaltungsakt die Berufungsbehörde feststellt, daß die Unterinstanz von Amts wegen zu Unrecht einen Bescheid erließ oder im Falle eines antragsbedürftigen Verwaltungsaktes irrtümlich das Vorliegen eines Antrages bejahte, in Wahrheit ein solcher Antrag jedoch nicht gestellt worden ist; auch hier hat die Berufungsbehörde mit einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides vorzugehen.

Für den Beschwerdefall bedeuten diese Ausführungen, daß die Berufungsbehörde die Berufung des Beschwerdeführers nicht als unzulässig zurückweisen hätte dürfen. Auf Grund der Aktenlage durfte jedoch die Berufungsbehörde berechtigterweise annehmen, daß dem Beschwerdeführer gegenüber Präklusion eingetreten war. Die Berufung wäre daher, weil der Beschwerdeführer dem Vorhaben der mitbeteiligten Widmungswerber als zustimmend anzusehen war, als unbegründet abzuweisen gewesen, zumal sich das Berufungsvorbringen darin erschöpfte darzutun, aus welchen Gründen das Widmungsvorhaben abgewiesen hätte werden müssen. In seiner Vorstellung an die Gemeindeaufsichtsbehörde ist der Beschwerdeführer den Annahmen der Berufungsbehörde bezüglich der eingetretenen Präklusion nicht entgegengetreten und die belangte Behörde hatte keine Veranlassung, eine von der Gemeindebehörde abweichende Ansicht zu vertreten. Mag auch entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Annahme der Präklusion zur Zurückweisung der Berufung geführt haben, so hat die Berufungsbehörde doch erkennen lassen, aus welchen Gründen sie diese Entscheidung fällte, sodaß die Verweigerung einer Sachentscheidung in Wahrheit nicht erfolgte. Zu einer Sachentscheidung im Sinne einer Abänderung der im erstinstanzlichen Verfahren erteilten Baubewilligung war aber die Berufungsbehörde auf Grund der von ihr wahrzunehmenden Präklusion des Beschwerdeführers nicht berechtigt. Im Ergebnis durfte sohin die belangte Behörde feststellen, daß auf Grund seines Vorbringens vor der Aufsichtsbehörde eine Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers im Verfahren vor den Gemeindebehörden nicht erfolgte. Wenn der Beschwerdeführer nunmehr erstmals in seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof behauptet, er habe eine Nachbarin "um seine Vertretung" anläßlich der Bauverhandlung ersucht und diese habe bei der Bauverhandlung darauf hingewiesen, dann muß ihm entgegengehalten werden, daß dieses Vorbringen gemäß § 41 Abs. 1 VwGG 1965 als eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung zu beurteilen ist, hatte er doch Gelegenheit, auf Verwaltungsebene, insbesondere in seiner Vorstellung an die Aufsichtsbehörde, die gegenteiligen Ausführungen in der Begründung des Berufungsbescheides zu widerlegen.

Soweit der Beschwerdeführer durchaus berechtigt rügt, daß er nicht zeitgerecht zur Bauverhandlung geladen worden sei, vermag er mit diesem Vorbringen keine andere Entscheidung herbeizuführen, weil er weder im Verfahren vor den Gemeindebehörden noch im Verfahren vor der Aufsichtsbehörde diesen Mangel geltend machte, geschweige denn einen Vertagungsantrag vor der Baubehörde erster Instanz gestellt hatte. Bei dieser Sach- und Rechtslage war auf die weiteren Ausführungen in der Beschwerde mangels rechtlicher Erheblichkeit nicht einzugehen.

Auf Grund der dargelegten Erwägungen erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 abzuweisen war.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die Bestimmungen der §§ 47 ff VwGG 1965 sowie die Verordnung BGBl. Nr. 542/1977.

Wien, am

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Normen
AVG §42 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
BauO Stmk 1968 §3;
BauO Stmk 1968 §62 Abs2;
BauRallg impl;
GewO 1973 §356 Abs3 impl;
VwGG §13 Abs1 Z1;
VwGG §34 Abs1;
Sammlungsnummer
VwSlg 10317 A/1980
Schlagworte
Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen
Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)
Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die
Sache Besondere Rechtsprobleme Verfahrensrechtliche Entscheidung
der Vorinstanz (siehe auch Inhalt der Berufungsentscheidung
Anspruch auf meritorische Erledigung)
Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde
subjektive Rechtsverletzung Besondere Rechtsgebiete Baurecht
Voraussetzungen des Berufungsrechtes Berufungsrecht und Präklusion
(AVG §42 Abs1)
Bauverfahren (siehe auch Behörden Vorstellung Nachbarrecht
Diverses) Berufungsverfahren BauRallg11/2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1980:1979003112.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
GAAAF-59202