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VwGH 30.01.1950, 2077/49

VwGH 30.01.1950, 2077/49

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Norm
KOVG 1957 §90 Abs1;
RS 1
Im Verfahren in Kriegsopferfürsorgeangelegenheiten war es auch vor Inkrafttreten des KOVG, BGBl 197/1949, Aufgabe der Landesinvalidenämter, alles zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes Erforderliche zu unternehmen, den Parteien Gelegenheit zu geben, sich zu äußern, und auf diese Grundlage aus dem festgestellten Sachverhalte, ohne an Beweisregeln gebunden zu sein, schlüssige Folgerungen zu ziehen.
Normen
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
KOVG 1957 §90 Abs1;
KOVG 1957;
RS 2
Bei einander widersprechenden Gutachten des behandelnden Privatarztes und des Amtsarztes kann nicht schon die amtliche Eigenschaft des einen Sachverständigen den Ausschlag geben. Maßgebend ist vielmehr allein der Grad des erkennbaren inneren Wahrheitswertes.
Normen
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
KOVG 1957 §90 Abs1;
KOVG 1957;
RS 3
Die Behörde ist verpflichtet, in ihrer Entscheidung die Erwägungen, von denen sie sich bei der Würdigung einander widersprechender Sachverständigengutachten leiten ließ, zu begründen.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Hirn und die Räte Dr. Mahnig, Dr. Dietmann, Dr. Seibt und Dr. Chamrath als Richter, im Beisein des Ministerialsekretärs Dr. Lehne als Schriftführer, über die Beschwerde des WE in M, gegen den Bescheid des Landesinvalidenamtes für Steiermark in Graz vom , EV. Zl. 23966/7 Bem. Zl. 50534, betreffend Kriegsopferversorgung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Gesetzwidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheide wurde der Beschwerdeführer verständigt, dass die bei ihm bestehenden Gesundheitsstörungen

1) Leberschädigung nach Gelbsucht, 2) chron. Gelenksrheumatismus (Finger- und Schultergelenke) als Wehrdienstbeschädigung grundsätzlich anerkannt werden, dass diese Gesundheitsstörungen eine Versehrtheit nach Stufe I bedingen, wofür er eine monatliche Abschlagszahlung von 24 S 90 g erhalte, dass dagegen der Anspruch auf Fürsorge und Versorgung wegen Verlustes des linken Beines, Lungenabszess, Sehstörungen sowie Milz-, Nieren- und Zahnschäden mangels der gesetzlichen Voraussetzungen abgewiesen werde.

Nach Inhalt der Beschwerde wird dieser Bescheid insoweit angefochten, als der Anspruch auf Fürsorge und Versorgung wegen Verlustes des linken Beines und wegen des Lungenabszesses abgewiesen worden ist.

Hinsichtlich dieser beiden Leidenszustände enthalten die Akten des Verwaltungsverfahrens folgende Ermittlungsergebnisse:

1) Der Chefarzt der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses

N in H Privatdozent Dr. K hat mit Schreiben vom  mitgeteilt, dass WE vom bis wegen Durchblutungsstörungen in beiden Beinen in seiner Behandlung gestanden sei. WE habe seinerzeit angegeben, dass diese Beschwerden schon beim Militär aufgetreten seien und sie für häufiges Liegen im Nassen und in der Kälte zurückgeführt. Im Zusammenhange mit diesen Durchblutungsstörungen sei später der linke Oberschenkel amputiert worden. Der Zusammenhang dieser Amputation mit den im Kriegsdienst zugezogenen Durchblutungsstörungen der Beine dürfte nach ärztlichem Ermessen eindeutig gegeben sein.

2) Der leitende Arzt der chirurgischen Abteilung des oben angeführten Krankenhauses Dr. A hat am eine ärztliche Beurteilung des Inhaltes abgegeben, dass die Erkrankung des Beines im Einvernehmen mit dem Arzt Dr. K als eine Kriegsfolge angesehen worden sei. Es sei durch eine Nervenoperation nicht gelungen, die Ernährung des Beines in wünschenswerter Weise sicherzustellen. Da es plötzlich zu einem Verschluss durch einen Embolus des kranken Hauptgefässes gekommen sei, sei die Amputation des linken Beines im Oberschenkel notwendig geworden.

3) Mit Schreiben vom hat sich der leitende Arzt der medizinischen Abteilung des oben angeführten Krankenhauses Dr. S wie folgt geäussert: WE sei vom 29. März bis bei ihm in stationärer Behandlung gewesen. Im Jahre 1945 seien nach dessen Angaben Beschwerden in beiden Fussgelenken und Waden aufgetreten, die mit Kaltwerden der Füsse einhergegangen seien. Im Jahre 1947 habe WE deshalb erstmalig einen Arzt zu Rate gezogen, der eine Dysbasia intermittens festgestellt und ihn aus diesem Grunde am zur stationären Behandlung eingewiesen habe, bei der chirurgische Eingriffe vorgenommen worden seien. Unmittelbar nach der Entlassung aus dieser Behandlung seien plötzlich hohes Fieber, rötlicher Auswurf und heftige Schmerzen in der Brust aufgetreten. Wegen fortschreitender Verschlechterung sei er am in die medizinische Abteilung des Krankenhauses eingewiesen worden. Auf eine Behandlung mit Penicillin, Bluttransfusion und Sulfonamiden habe sich der Zustand zwar gebessert, es sei jedoch zu einem plötzlichen arteriellen Verschluss am linken Bein gekommen, so dass am eine Amputation des linken Beines notwendig geworden sei. Die Lungenabszesse seien wohl mit Sicherheit als Folgen einer Bronchopneumonie anzusehen, die im Verlaufe der stationären Behandlung bei Dr. K begonnen hätten. Die Dysbasia intermittens werde als Kriegsfolge angesehen, der Zusammenhang mit der chirurgischen Behandlung und mit den Lungenabszessen sei ohne Frage vorhanden.

4) Der behandelnde Arzt Dr. Z in G bei H hat in einem Schreiben vom zur Frage des ursächlichen Zusammenhanges im allgemeinen in bejahende Sinne Stellung genommen.

5) Der Beschwerdeführer hat am über Aufforderung der belangten Behörde einen schriftlichen Bericht erstattet, aus dem zu entnehmen ist, dass er Ende Oktober 1943 am italienischen Kriegsschauplatz durch längere Zeit auf feuchtem Boden habe nächtigen müssen, dass Anfang Dezember im linken Bein schmerzhaftes Ziehen und Kältegefühl an den Füssen aufgetreten seien, dass in der Folge die linksseitigen Gehbeschwerden zugenommen hätten, dass sich die Beschwerden Mitte April 1944 verschlimmert hätten, nachdem er nach einer Regennacht stundenlang in einem etwa 15 cm mit Wasser gefüllten Vorflutgraben habe liegen müssen, dass er im Mai oder Juni 1944 durch mehrere Stunden in einem versumpften Wiesenloch gelegen und völlig durchnässt worden sei, dass er im Frühjahr 1945 wegen der Partisanengefahr selten anders als auf dem Erdboden geschlafen hätte, dass er im Mai 1945 während eines mehrstündigen Feuergefechtes im "Schneematsch" habe liegen müssen und nachher sein linker Fuss gefühllos, das Bein von der Hüfte abwärts kalt und schwer beweglich gewesen seien, schliesslich dass er in der Gefangenschaft linksseitig so stark gehbehindert gewesen sei, dass ein Kamerad sein Gepäck habe tragen und er vier Tage und vier Nächte lang im Morast habe lagern müssen.

5) Nach der begutachtenden Äusserung des Facharztes für Lungenkrankheiten der Lungenabteilung des Landeskrankenhauses in G Dr. Z vom seien die bestehenden Lungenveränderungen als ursächlich mit dem Grundleiden, der Dysbasia intermittens, zusammenhängend zu betrachten.

6) Am hat der von der belangten Behörde mit der Erstattung eines ärztlichen Gutachtens betraute Arzt Dr. B folgendes ausgeführt: Die Oberschenkelamputation links und der Zustand nach Lungenabszess seien als Folgen der Operationen am Sympaticus anzusehen im Sinne einer postoperativen Pneumonie und anschliessender Embolie der Oberschenkelhauptschlagader links. Diese Oeprationen seien wegen Gefässstörungen durchgeführt worden, die glaublich während des Wehrdienstes begonnen hätten, wenn auch die Art dieser Erkrankung nicht restlos geklärt sei. Da sich jedoch die Gefässerkrankung im Wehrdienste glaublich verschlimmert und nachher zur Operation geführt habe, erscheine dem Untersucher der Zusammenhang wahrscheinlich.

7) Der leitende Arzt der belangten Behörde hat am nachstehende Äusserungen abgegeben: Der Verlust des linken Beines und die Lungenabszesse seien unbeabsichtigte Operationsfolgen (Embolie, Lungenentzündung). Die Ursache der im Jänner 1948 vorgenommenen Operation sei angeblich eine Dysbasia intermittens gewesen, die 1946, bzw. 1947 in Erscheinung getreten sei. Es handle sich dabei um eine anlagebedingtes Leiden (auch der rechte Fuss sei kühl). Aus der Aktenlage sei weder ein Trauma (Erfrierung) im Wehrdienste, noch eine wesentliche Verschlimmerung durch den Wehrdienst ersichtlich. Der Beschwerdeführer sei bereits im Juli 1945 aus dem Wehrdienste entlassen worden und habe erstmalig im Jahre 1947 wegen Kaltwerdens der Füsse einen Arzt zu Rate gezogen. Zwischen Juli 1945 und Jänner 1948 fehlten alle Brückensymptome. Dem oben unter 6) angeführten Gutachten könne daher nicht zugestimmt werden.

Hierauf hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid erlassen und darin ausgeführt, dass der Verlust des linken Beines und das Lungenabszess unbeabsichtigte Operationsfolgen (Embolie, Lungenentzündung) seien und mit dem Wehrdienst in keinen ursächlichen Zusammenhang gebracht werden könnten. Die belangte Behörde hat sich hiebei auf das amtsärztliche Gutachten vom berufen, der übrigen Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dagegen keine Erwähnung getan.

In der Gegenschrift der belangten Behörde wird die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes bestritten. Es wird ausgeführt, dass der angefochtene Bescheid nach den Vorschriften des § 90 des Gesetzes über das Versorgungswesen (Verf.Ges.) - gemeint ist offenbar das Gesetz über das Verfahren in Versorgungssachen (D.RGBl. S. 59/1922, Fassung D.RGBl. I S. 1113/1934) - nur durch Berufung anfechtbar sei, die bezüglichen Vorschriften des Verf. Ges. seien aber mit der Verordnung über das Versorgungswesen (D.RGBl. I S. 1686/1939) ausser Kraft getreten und nach § 3 Abs. 1 dieser Verordnung sei auch im vorliegenden Falle ein berufungsfähiger Bescheid nicht zu erteilen gewesen. Aus der Tatsache jedoch, dass die Bescheide der Landesinvalidenämter nach der - gemäss § 2 des Rechts-Überleitungsgesetzes, StGBl. Nr. 6/1945 in den österreichischen Rechtsbereich übergegangen und gemäss § 113 Abs. 2 Zl. 3 des Kriegsopferversorgungsgesetzes, BGBl. Nr. 197/1949, mit ausser Kraft getretenen - Verordnung über das Versorgungswesen, D.RGBl. I S. 1686/1939, keinem Instanzenzuge unterlagen, ergibt sich gemäss § 53 des Gesetzes vom , StGBl. Nr. 208 und Artikel 131, Abs. 1 B-VG eindeutig die Berechtigung der Beschwerdeführung an den Verwaltungsgerichtshof.

Bis zum Inkrafttreten des Kriegsopferversorgungsgesetzes war im Verfahren über Kriegsopferfürsorgeangelegenheiten das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz nicht unmittelbar anwendbar. Wie der Verwaltungsgerichtshof jedoch schon wiederholt (vgl. z.B. den Beschluss Zl. 199/49) ausgesprochen hat, mussten auch in solchen Angelegenheiten die allgemeinen Rechtsgrundsätze zur Anwendung gelangen, die in den Vorschrift dieses Gesetzes ihren Niederschlag gefunden haben. Zu den für das Ermittlungsverfahren im weitesten Umfange massgebenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört die Amtswegigkeit des Verfahrens und die freie Beweiswürdigung. Diese beiden Grundsätze waren in der Zeit der Geltung der Verfahrensvorschriften des Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetzes (§§ 142 ff) und des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen, im Bereiche des Ermittlungsverfahrens in keiner Weise beschränkt. Es war daher schon vor dem Inkrafttreten des Kriegsopferversorgungsgesetzes Aufgabe der Landesinvalidenämter, alles zur Feststellung des massgebenden Sachverhaltes Erforderliche zu unternehmen, den Parteien Gelegenheit zu geben, sich zu äussern und auf dieser Grundlage - demnach unter Bedachtnahme auf die gesamten Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens - aus dem festgestellten Sachverhalte, ohne an irgendwelche Beweisregeln gebunden zu sein, schlüssige Folgerungen zu ziehen. Die Landesinvalidenämter hatten daher auch unter der Geltung des alten Rechtes nicht die Befugnis, bei Aufnahme von Beweisen und bei Beurteilung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freiem Belieben vorzugehen und gewisse ärztliche Äusserungen aus dem Bereiche des Beweisverfahrens auszuschalten, andere dagegen - wie etwa die der beamteten Amtsärzte - als ausschliesslich beweismachend zu behandeln. Eine derartige Monopolstellung amtlicher Sachverständiger ist der österreichischen Rechtsordnung fremd. Wenn die Behörde neben einem Amtssachverständigen auch andere Sachverständige herangezogen hat, so kann bei einander widersprechenden Gutachten nicht schon die amtliche Eigenschaft des einen Sachverständigen den Ausschlag geben. Sein Gutachten ist nicht dem verfahrensrechtlichen Beweiswerte nach denen der privatärztlichen Sachverständigen übergeordnet, sondern die Gutachten stehen verfahrensrechtlich gleichwertig nebeneinander. Es ist aber nicht richtig, dass Äusserungen der behandelnden Ärzte verfahrensrechtlich geringer zu werten seien als die Äusserung anderer ärztlicher Sachverständiger. Bei den Beweismitteln der österreichischen Verfahrensgesetzen gibt es keine bloss nach deren Herkunft zu bewertende Rangstufen und kann es nicht geben, weil dies dem Grundsatze der freien Beweiswürdigung widersprechen würde. Die Äusserung eines sachverständigen Zeugen oder die Aussage der Partei hat als solche keinen geringeren verfahrensrechtlichen Beweiswert als das Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen. Dies bedeutet, dass die Behörde nicht berechtigt ist, der einen oder der anderen Aussage die Qualifikation als Beweismittel abzuerkennen oder ihr einen minderen verfahrensrechtlichen Rang zuzuteilen. Die in der Gegenschrift der belangten Behörde zum Ausdruck kommende Auffassung, dass die Äusserung der behandelnden Ärzte nicht "als für die Entscheidung des Landesinvalidenamtes massgebende Beweismittel" anzusehen seien, muss daher als vollkommen abwegig abgelehnt werden.

Der unterschiedliche Wert aufgenommener Beweise liegt demnach nicht im Bereiche des Verfahrensrechtes. Er besteht vielmehr in dem darin liegenden grösseren oder geringeren Anteil zur Klarstellung des aufgegebenen Beweisthemas, in der vorhandenen oder mangelnden Schlüssigkeit dieser oder jener Aussage, in der grösseren oder minderen Glaubwürdigkeit der einen oder der anderen Angabe, demnach im Grade ihres erkennbaren inneren Wahrheitswertes und der sich daraus ergebenden tatsächlichen Bewertung, die die Behörde den Beweisergebnissen auf Grund der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung zuteil werden lässt. Daraus, dass diese freie Würdigung nicht mit Willkür gleichbedeutend ist, ergibt sich die unabdingbare Pflicht der Behörde, in ihrer Entscheidung die Erwägungen, von denen sie sich bei der Würdigung leiten liess, zu begründen. Eine solche Begründung besteht in der Aufdeckung der Gedankengänge und Eindrücke, die massgebend waren, das eine Beweismittel dem anderen vorzuziehen und eine Tatsache für wahr oder unwahr zu halten. Eine Wiederholung des Gutachtens, auf das sich die Behörde - ohne hiefür einen Grund anzuführen - ausschließlich festgelegt hat und das sich mit den ihm widersprechenden Beweisergebnissen entweder gar nicht oder nicht in ausreichender Weise auseinandersetzt, kann nicht als eine zureichende Begründung der Beweiswürdigung anerkannt werden.

Die Begründung des angefochtenen Bescheides lässt in erster Linie eine Angabe darüber vermissen, welchen Tatbestand die belangte Behörde auf Grund des ihr zustehenden Rechtes der freien Beweiswürdigung als erwiesen annimmt, insbesondere ob sie die Angaben der Partei über das erste Auftreten der Beschwerden am linken Bein im Jahre 1943 und die seither infolge des Kriegsdienstes ständig fortgeschrittene Verschlechterung dieses Zustandes für wahr, verneinendenfalls aus welchen Gründen sie diese Angaben für unwahr hält. Solange die Behörde sich über diesen massgebenden Tatbestand nicht schlüssig geworden ist, steht das ärztliche Gutachten, das von einem bestimmten Tatbestande auszugehen hat, auf schwankendem Boden. Wenn daher der leitende Arzt der belangten Behörde in seinem Gutachten vom hervorgehoben hat, dass der Beschwerdeführer erst im Jahre 1947 wegen Kaltwerdens der Füsse einen Arzt zu Rate gezogen habe, womit wohl gesagt werden will, dass solche Beschwerden aus früherer Zeit nicht festgestellt seien, so kann dem angefochtenen Bescheid der Vorwurf unvollständiger und darum einseitiger sachlicher Grundlegung nicht erspart werden; es wird offenbar, dass hier ein Mangel vorliegt, der geeignet ist, das amtsärztliche Gutachten in einem wesentlichen Punkte zu erschüttern. Denn wenn die Angaben des Beschwerdeführers über die Entstehung der Fussbeschwerden als erwiesen anzunehmen wären - eine Würdigung, die ausschliesslich der belangten Behörde zusteht und nicht etwa dem Sachverständigen überlassen werden darf - dann müssten auch die weiteren Annahmen des Amtsarztes, dass es sich hier um ein anlagebedingtes Leiden handle und die Schädigungen als unbeabsichtigte Operationsfolgen mit dem Militärdienste in keinen ursächlichen Zusammenhang gebracht werden könnten, überprüfungsbedürftig erscheinen. Das Gutachten, das die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrundegelegt hat, kann daher bei der gegebenen Verfahrenslage wegen seiner Unschlüssigkeit den angefochtenen Bescheid nicht verlässlich tragen.

Der angefochtene Bescheid lässt ferner nicht erkennen, welche sachlichen Erwägungen für die belangte Behörde massgebend waren, das Gutachten des Amtsarztes vom allen anderen - den Kausalzusammenhang bejahenden - ärztliche Äusserungen vorzuziehen. Wie schon erwähnt, kann die Eigenschaft des Sachverständigen als Amtsarzt in verfahrensrechtlicher Beziehung nicht den Ausschlag geben. Der Vorsprung eines Gutachtens gegenüber anderen kann sich nur auf dem Wege der freien Beweiswürdigung ergeben, was aber die unbedingte Pflicht einer ausreichenden Begründung dieser Würdigung durch die Behörde zur Folge hat. Eine solche Begründung hat die belangte Behörde nicht gegeben. In diesem Zusammenhange sei bemerkt, dass die aus der Gegenschrift der belangten Behörde hervorgehende Auffassung, sie sei zur Vernehmung der behandelnden Ärzte nicht verpflichtet gewesen, mit dem, was im Streitfalle ihre Aufgabe war, unvereinbar ist. Die Behörde ist zu einer amtswegigen Klärung des Sachverhaltes verpflichtet. Wenn diese Klärung eine Vernehmung der behandelnden Ärzte erheischt, dann kann über die Pflicht der Behörde, solche Vernehmungen durchzuführen, kein Zweifel bestehen. Desgleichen ist die Auffassung der belangten Behörde, dass die amtswegige Beschaffung von Unterlagen wie etwa von Krankengeschichten, ihrem freien Ermessen überlassen sei, rechtlich unhaltbar. Richtig ist zwar, dass sich die behördliche Beweiswürdigung im allgemeinen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzieht, was jedoch dann nicht zutrifft, wenn festzustellen ist, dass diese Würdigung sich auf Tatsachenfeststellungen gründet, die in einem mangelhaften Verfahren zustandegekommen sind. Ein Verfahren ist aber mangelhaft, wenn die Behörde nicht alles, was zur Ermittlung des wesentlichen Sachverhaltes erforderlich ist, unternommen hat, wozu auch die Beschaffung von Krankengeschichten oder anderen Unterlagen gehören kann. Die Meinung, dass der Partei nicht das Recht zustehe, eine diesbezügliche Unterlassung der Behörde mit Erfolg zu rügen, beruht daher auf einer Verkennung der belangten Behörde obliegenden Aufgaben.

Die belangte Behörde geht offenbar von der Meinung aus, dass ihre Aufgabe mit der Sammlung des Prozessstoffes erschöpft sei, während die Verwertung der gesammelten Beweise einschliesslich der vorgelegten und eingeholten privatärztlichen Äusserungen zur Prüfung des erhobenen Parteibegehrens dem Amtssachverständigen obliege, dessen Ansicht die Behörde in ihren Bescheid zu übernehmen habe. Eine solche Auffassung würde die Behörde zum blossen Hilfs- und Vollzugsorgan des ärztlichen Sachverständigen erniedrigen und der Aufgabe nicht gerecht werden, die aus dem gesetzlichen Befehl zur Entscheidung in der Sache und der damit gegebenen freien Beweiswürdigung folgt. Eine Entscheidung, die nicht einmal Ansätze eigener Beurteilung des Tatsachenmaterials durch die Behörde erkennen lässt und sich auf abwegige verfahrensrechtliche Vorstellungen gründet, die zwangsläufig zu erheblichen Verfahrensmängeln führen mussten, lässt die Beschwerde begründet erscheinen, weshalb der angefochtene Bescheid gemäss § 42 Abs. 2 lit. c VwGG wegen Gesetzwidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Wien, am

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Normen
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
AVG §58 Abs2;
KOVG 1957 §90 Abs1;
KOVG 1957;
Sammlungsnummer
VwSlg 1213 A/1950
Schlagworte
Beweismittel Sachverständigenbeweis Besonderes Fachgebiet
Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Begründung
hinsichtlich einander widersprechender Beweisergebnisse
Gutachten Beweiswürdigung der Behörde widersprechende Privatgutachten
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1950:1949002077.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
NAAAF-57996