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VwGH 29.07.2004, 2003/16/0495

VwGH 29.07.2004, 2003/16/0495

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
B-VG Art132;
VwGG §27 Abs1;
RS 1
Nach stRsp des VwGH ist die Beschwerdeberechtigung nach Art. 132 B-VG von keiner anderen Voraussetzung als vom Ablauf der im § 27 VwGG vorgesehenen sechsmonatigen Frist abhängig. Von der Verletzung der Entscheidungspflicht kann allerdings dann nicht die Rede sein, wenn die Entscheidungsbefugnis durch ein gesetzliches Hindernis gehemmt ist.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 98/16/0162 B RS 1
Normen
B-VG Art132;
VwGG §27 Abs1;
RS 2
Ob die Säumnis der zuständigen Behörde auf deren Verschulden zurückzuführen ist oder nicht, hat auf die Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde gemäß Art. 132 B-VG und § 27 VwGG keinen Einfluss (Hinweis B , 889/74; B , 98/16/0162; B , 2000/17/0039).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2004/13/0023 B RS 3
Normen
BAO §249 Abs1;
BAO §260;
BAO §276 Abs1;
BAO §276 Abs4 idF 2002/I/097;
BAO §276 Abs6 idF 2002/I/097;
BAO §323 Abs10 idF 2002/I/097;
B-VG Art132;
UFSG 2003 §1 Abs1;
UFSG 2003 §26 Abs1;
UFSG 2003 §26 Abs2;
VwGG §27 Abs1;
ZollRDG 1994 §120 Abs1h;
ZollRDG 1994 §85c;
RS 3
Der ab neu zuständig gewordene UFS muss sich nicht die Verletzung der Entscheidungspflicht durch die früher zur Entscheidung zuständig gewesene Finanzlandesdirektion anrechnen lassen (Hinweis B , 2003/13/0010). Eine Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine andere Behörde liegt bei einer allfälligen Säumigkeit der Abgabenbehörde erster Instanz hinsichtlich der Vorlage der bei ihr eingelangten Berufungen und Vorlageanträge nämlich nicht vor.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2004/13/0023 B RS 4 [hier Eingangsabgabenangelegenheit; nach Angabe der belangten Behörde (des Unabhängigen Finanzsenates) ist die Beschwerde vom gegen die Berufungsvorentscheidung vom zwar bereits am beim Hauptzollamt Wien eingelangt. Das Hauptzollamt Wien habe die Beschwerde jedoch nachweislich erst am dem mit zur Entscheidung hierüber zuständig gewordenen Unabhängigen Finanzsenat vorgelegt. Auch im Beschwerdefall gibt es keine gesetzliche Anordnung, wonach sich der Unabhängige Finanzsenat die Verletzung der Entscheidungspflicht durch die früher zur Entscheidung zuständig gewesene Behörde (die Finanzlandesdirektion) anrechnen lassen muss. Die Frist des § 27 VwGG begann daher im Beschwerdefall mit dem Übergang der Entscheidungspflicht auf den Unabhängigen Finanzsenat am neu zu laufen.]
Norm
VwGG §55 Abs2;
RS 4
Der Kostenersatzanspruch für einen Beschwerdeführer ist nur dann nicht gegeben, wenn die belangte Behörde Gründe nachweisen kann, die eine fristgerechte Erlassung ihres Bescheides unmöglich gemacht haben und diese Gründe von ihr dem Beschwerdeführer vor Erhebung der Säumnisbeschwerde bekannt gegeben worden sind (Hinweis B , 98/16/0162). Die belangte Behörde hat die Beschwerdeführerin zwar auf den verspäteten Erhalt der Beschwerde und der Verwaltungsakten sowie auf die materiell- und verfahrensrechtliche Komplexität des Beschwerdefalles hingewiesen. Sie hat damit aber der Beschwerdeführerin keine triftigen Gründe bekannt gegeben, die eine rechtzeitige Entscheidung unmöglich gemacht hätten und die Kostenersatzpflicht der belangten Behörde ausschließen.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Höfinger und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Siegl, in der Beschwerdesache der S & Co AG in W, vertreten durch Doralt Seist Csoklich, Rechtsanwalts-Partnerschaft in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4, gegen den Unabhängigen Finanzsenat (Außenstelle Linz) wegen Verletzung der Entscheidungspflicht über die Beschwerde vom in einer Eingangsabgabenangelegenheit, den Beschluss gefasst:

Spruch

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 675,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die belangte Behörde hat innerhalb der mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom - dem Unabhängigen Finanzsenat am zugestellt - gesetzten und mit Verfügung vom - dem Unabhängigen Finanzsenat am zugestellt - verlängerten Frist den Bescheid vom erlassen und eine Ablichtung dieses Bescheides sowie des Rückscheines (welcher als Datum der Zustellung den ausweist) dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt.

Das Verfahren über die Säumnisbeschwerde war daher gemäß § 36 Abs. 2 VwGG einzustellen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 55 Abs. 1 VwGG, in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

In der den vorgelegten Akten angeschlossenen Gegenäußerung vom beantragte die belangte Behörde, die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen sowie eventualiter einen Kostenersatz an die Beschwerdeführerin nicht zuzusprechen. Sie führte begründend aus, die ihr gemäß § 27 Abs. 1 VwGG zur Verfügung stehende Frist von sechs Monaten sei noch nicht abgelaufen gewesen. Die Beschwerde vom gegen die Berufungsvorentscheidung vom sei zwar bereits am beim Hauptzollamt Wien eingelangt. Das Hauptzollamt Wien habe die Beschwerde jedoch nachweislich erst am dem erst mit zur Entscheidung hierüber zuständig gewordenen Unabhängigen Finanzsenat vorgelegt. Unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , 2003/13/0010, vertrat die belangte Behörde die Auffassung, dass sie sich die Verletzung der Entscheidungspflicht einer anderen Verwaltungsbehörde auf die Frist des § 27 Abs. 1 VwGG nicht anrechnen lassen müsse. Eine allenfalls vom Hauptzollamt Wien zu verantwortende Säumnis dürfe der belangten Behörde nicht angelastet werden, zumal diese - mangels Weisungsbefugnis bzw. Aufsichtsrechten - keinerlei Einfluss auf das Verwaltungshandeln der Berufungsbehörde und somit auch keine rechtliche Handhabe zur Verhinderung derartiger - möglicherweise organisatorischer - Unzukömmlichkeiten habe. Erst als am ein Urgenzschreibens der Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde eingelangt sei, habe diese Kenntnis von deren Beschwerde erlangt. Sie hätte daher bis zum darüber nicht entscheiden können. Auf Grund umfangreichen Aktenmaterials (insgesamt vier Aktenordner), der Komplexität der Materie (sowohl die Sachlage als auch die Rechtslage betreffend) und im Hinblick auf die Notwendigkeit ergänzender Sachverhaltsermittlungen unter Wahrung der Parteienrechte (insbesondere des Rechtes auf Parteiengehör) sei es der belangten Behörde faktisch unmöglich gewesen, über die Beschwerde binnen der gesetzlichen Entscheidungsfrist zu entscheiden. Die Beschwerdeführerin habe auch ihren Beweisantrag auf Einvernahme eines Zeugen zu wenig konkretisiert, sodass sich die belangte Behörde mittels Vorhaltverfahren darüber habe Klarheit verschaffen müssen. Mangels "Entscheidungsreife" des Verfahrens sei es auch nicht zumutbar gewesen, innerhalb des Zeitraumes von drei Monaten zwischen Einlangen der Beschwerde und Erhebung der Säumnisbeschwerde zur Verfügung stehenden Zeit eine den materiell- und verfahrensrechtlichen Anforderungen gerecht werdende Sachentscheidung zu erlassen.

Von der belangten Behörde wurde zum Antrag, der Beschwerdeführerin Kostenersatz nicht zuzusprechen, angeführt, dass sie die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom ausdrücklich davon in Kenntnis gesetzt habe, dass die Beschwerde samt den Verwaltungsakten erst am vorgelegt worden seien. Wenn die Beschwerdeführerin gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof angegeben habe, es sei davon auszugehen, dass die belangte Behörde spätestens Mitte März 2003 den in Rede stehenden Akt erhalten habe, so habe sie dies wider besseren Wissens behauptet. In diesem Schreiben vom habe die belangte Behörde die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die oben genannten Umstände ersucht, vorerst von der Erhebung einer - bereits im Urgenzschreiben vom angedrohten - Säumnisbeschwerde abzusehen. Daher liege ein dem § 55 Abs. 2 VwGG entsprechender Sachverhalt vor, der den Anspruch auf Kostenersatz im Falle einer Säumnisbeschwerde ausschließe.

Gemäß § 27 Abs. 1 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten, wenn aber das das einzelne Gebiet der Verwaltung regelnde Gesetz für den Übergang der Entscheidungspflicht eine kürzere oder längere Frist vorsieht (was im Beschwerdefall nicht zutrifft), nicht binnen dieser in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.

Gemäß § 85c ZollR-DG in der vor dem geltenden Fassung ist gegen Berufungsvorentscheidungen als Rechtsbehelf der zweiten Stufe die Beschwerde an den örtlich und sachlich zuständigen Berufungssenat (§ 85d Abs. 5) zulässig. Beschwerden können bei einer der Finanzlandesdirektionen oder bei jener Behörde eingebracht werden, die die Berufungsvorentscheidung erlassen hat.

Gemäß § 85c ZollR-DG in der ab geltenden Fassung des Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetzes (AbgRmRefG), BGBl. I Nr. 97/2002, ist gegen Berufungsvorentscheidungen als Rechtsbehelf der zweiten Stufe die Beschwerde an den Unabhängigen Finanzsenat (§ 1 UFSG) zulässig. Dieser wurde gemäß § 1 Abs. 1 iVm

§ 26 Abs. 1 und 2 UFSG mit für das Bundesgebiet errichtet.

§ 120 Abs. 1h ZollR-DG bestimmt, dass die Zuständigkeit für Entscheidungen über Beschwerden, über die mit noch nicht entschieden worden sind, mit diesem Zeitpunkt auf den Unabhängigen Finanzsenat übergeht.

Nach der dargestellten Rechtslage hatte ab der Unabhängige Finanzsenat über die Beschwerde vom zu entscheiden (vgl. in diesem Sinne auch die hg. Beschlüsse vom , 2004/14/0027, und vom , 2004/13/0023).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Beschwerdeberechtigung nach Art. 132 B-VG von keiner anderen Voraussetzung als vom Ablauf der in § 27 VwGG vorgesehenen Frist abhängig (vgl. Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 198, und die dort zitierte Rechtsprechung).

Von einer Verletzung der Entscheidungspflicht könnte allerdings dann nicht die Rede sein, wenn die Entscheidungsbefugnis durch ein gesetzliches Hindernis gehemmt ist (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , 98/16/0162, mwN).

Im Beschwerdefall wurde die Beschwerde bei einer vom Gesetz bezeichneten Stelle (der Abgabenbehörde erster Instanz) eingebracht. Damit wurde die oberste, nämlich die Abgabenbehörde zweiter Instanz, die im Verwaltungsverfahren angerufen werden konnte, angerufen, ohne dass binnen sechs Monaten von dem Tag an, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei jener Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen ist, in der Sache entschieden wurde. Ob die Säumnis der zuständigen Behörde auf deren Verschulden zurückzuführen ist oder nicht, hat auf die Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde gemäß Art. 132 B-VG und § 27 VwGG keinen Einfluss (vgl. mit weiteren Nachweisen etwa die hg. Beschlüsse vom , 98/16/0162, und vom , 2004/13/0023).

Anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der belangten Behörde angeführten Beschluss vom , 2003/13/0010, in dem der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass mangels einer gesetzlichen Anordnung der ab neu zuständig gewordene Unabhängige Finanzsenat sich nicht die Verletzung der Entscheidungspflicht der früher zur Entscheidung zuständig gewesenen Behörde - im damaligen Beschwerdefall die Finanzlandesdirektion - auf die Frist des § 27 VwGG anrechnen lassen muss. Auch im Beschwerdefall gibt es keine gesetzliche Anordnung, wonach sich der Unabhängige Finanzsenat die Verletzung der Entscheidungspflicht durch die früher zur Entscheidung zuständig gewesene Behörde anrechnen lassen muss. Die Frist des § 27 VwGG begann daher im Beschwerdefall mit dem Übergang der Zuständigkeit auf den Unabhängigen Finanzsenat am neu zu laufen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom , 2004/13/0023, ausgeführt hat, liegt im Übrigen eine Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine andere Behörde bei einer Säumigkeit der Abgabenbehörde erster Instanz hinsichtlich der Vorlage der bei ihr eingelangten Beschwerden nicht vor. Daraus ergibt sich, dass sich die belangte Behörde deren Säumigkeit zurechnen lassen muss.

Auch mit dem Vorbringen, es sei ihr mangels "Entscheidungsreife" des Verfahrens nicht zumutbar gewesen, bis zur Erhebung der Säumnisbeschwerde am eine den materiell- und verfahrensrechtlichen Anforderungen gerecht werdende Sachentscheidung zu treffen, zeigt die belangte Behörde nicht auf, dass der Entscheidung ein Hindernis im Sinne der Rechtsprechung entgegen gestanden wäre.

Was den eventualiter gestellten Antrag der belangten Behörde auf Ausschluss von der Kostenersatzpflicht gemäß § 55 Abs. 2 VwGG anlangt, ist darauf hinzuweisen, dass der Kostenersatzanspruch für den Beschwerdeführer nur dann nicht gegeben ist, wenn die belangte Behörde Gründe nachweisen kann, die eine fristgerechte Erlassung ihres Bescheides unmöglich gemacht haben und diese Gründe von ihr dem Beschwerdeführer vor Erhebung der Säumnisbeschwerde bekannt gegeben worden sind (vgl. den bereits zitierten hg. Beschluss vom , 98/16/0162).

In ihrem Schreiben vom hat die belangte Behörde die Beschwerdeführerin zwar auf den verspäteten Erhalt der Beschwerde und der Verwaltungsakten sowie auf die materiell- und verfahrensrechtliche Komplexität des Beschwerdefalles hingewiesen. Sie hat damit aber der Beschwerdeführerin keine triftigen Gründe bekannt gegeben, die eine rechtzeitige Entscheidung unmöglich gemacht hätten und die Kostenersatzpflicht der belangten Behörde ausschließen.

Die Aufwendungen waren daher der Beschwerdeführerin im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß zu ersetzen.

Wien, am

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Normen
BAO §249 Abs1;
BAO §260;
BAO §276 Abs1;
BAO §276 Abs4 idF 2002/I/097;
BAO §276 Abs6 idF 2002/I/097;
BAO §323 Abs10 idF 2002/I/097;
B-VG Art132;
UFSG 2003 §1 Abs1;
UFSG 2003 §26 Abs1;
UFSG 2003 §26 Abs2;
VwGG §27 Abs1;
VwGG §55 Abs2;
ZollRDG 1994 §120 Abs1h;
ZollRDG 1994 §85c;
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2004:2003160495.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
DAAAF-57379