VwGH 02.02.1959, 1994/55
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Bei der Beurteilung der Frage, ob Beitragsrückstände nach den Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung verjährt sind, können ergänzungsweise die Verjährungsgrundsätze des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, insbesondere hinsichtlich der Hemmung und Unterbrechung der Verjährung, herangezogen werden. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsidenten Dr. Mahnig und die Räte Dr. Strau, Dr. Koprivnikar, Dr. Mathis und Dr. Härtel als Richter im Beisein des Richters Dr. Kirschner als Schriftführer, über die Beschwerde der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte in Linz gegen den Bescheid des Amtes der Oberösterreichischen Landesregierung vom , Zl. SV 391/4-1955, betreffend Sozialversicherung-Beitragszahlung zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird, soweit er die Verpflichtung des Mitbeteiligten, MM, zur Zahlung der in den Monaten Jänner bis März 1952 fällig gewordenen Sozialversicherungsbeiträge infolge Verjährung in Abrede stellt, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Das Kostenbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit der vorliegenden Beschwerde wird der Bescheid des Amtes der Oberösterreichischen Landesregierung vom , GZ. SV 391/4-1955, insoweit wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten, als darin festgestellt wird, der Mitbeteiligte, MM, sei nicht verpflichtet, die von der Beschwerdeführerin für die Zeit vom bis und vom bis nachverrechneten Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen, da diese zum Zeitpunkte der Vorschreibung verjährt gewesen seien, und als weiters die im Zusammenhang mit der Beitragsnachberechnung von der Beschwerdeführerin über den mitbeteiligten MM verhängte Ordnungsstrafe in der Höhe von S 30,-- erlassen wird. Die Verjährung sei durch die am vorgenommene Betriebsprüfung unterbrochen worden, weil bei diesem Anlasse vom Arbeitgeber anerkannt worden sei, daß der von ihm gemeldete Lohn für HK nicht richtig war, und weil ihm gleichzeitig mitgeteilt worden sei, daß von der Differenz zwischen dem gemeldeten und dem nach dem Kollektivvertrage gebührenden Lohne die Beiträge nachzuentrichten sind; die dementsprechend vom Betriebsprüfer ausgefertigte Änderungsanzeige sei vom Arbeitgeber selbst unterfertigt worden, sodaß die ziffernmäßige Ermittlung der Beiträge und die Zustellung der Beitragsvorschreibung vom nur Formsache gewesen sei. Überdies wäre zu untersuchen gewesen, ob nicht wegen absichtlicher Hinterziehung der Beiträge die zweijährige Frist des § 29 Abs. 1 RVO überhaupt hinfällig sei. Die belangte Behörde habe die von der Beschwerdeführerin über den Arbeitgeber gemäß § 530 RVO verhängte Ordnungsstrafe in der Höhe von S 30,-- erlassen, weil keine absichtliche Verletzung der Meldevorschriften vorliege. Eine solche sei aber durch diese Vorschrift gar nicht gefordert. Die verhängte Ordnungsstrafe sei durchaus angemessen, weil die Arbeitgeber nach dem Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 1497/48, wiederholt darauf aufmerksam gemacht worden seien, daß die Beiträge zur Sozialversicherung mindestens von dem kollektivvertraglich gebührenden Entgelte zu entrichten sind. Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens werde darin erblickt, daß der Beschwerdeführerin weder Gelegenheit gegeben wurde, zu der angenommenen Beitragsverjährung, die gar nicht eingewendet worden sei, Stellung zu nehmen, noch ihre Gründe für die Verhängung der Ordnungsstrafe darzulegen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:
In seinem Erkenntnisse vom , Slg. Nr. 4061/A, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, daß dann, wenn in Vorschriften des öffentlichen Rechtes Verjährungsbestimmungen ausdrücklich aufgenommen sind, bei Bedachtnahme auf § 7 ABGB, ergänzungsweise auf die Verjährungsvorschriften des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches gegriffen werden darf. Da nach § 29 Abs. 1 RVO der Anspruch auf Rückstände, soweit sie nicht absichtlich hinterzogen worden sind, in zwei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres der Fälligkeit verjährt, können also im übrigen die Verjährungsgrundsätze des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, insbesondere hinsichtlich der Hemmung und Unterbrechung der Verjährung, herangezogen werden, soweit nicht die Reichsversicherungsordnung hierüber Bestimmungen enthält. Nach § 1444 Abs. 3 RVO, unterbrechen wohl die von einer zuständigen Stelle an den Arbeitgeber gerichtete Mahnung und die Bereiterklärung des Arbeitgebers zur Nachentrichtung gegenüber einer solchen Stelle die Verjährung rückständiger Beiträge. Diese Bestimmung des sechsten Abschnittes des vierten Buches der Reichsversicherungsnovelle über das Beitragsverfahren in der Invalidenversicherung ist aber nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 Z. 1 des 1. Sozialversicherungsneuregelungsgesetzes, BGBl. Nr. 86/52, mit außer Kraft getreten und war überdies nur für den Bereich der Invalidenversicherung wirksam.
Es war also im vorliegenden Falle zu prüfen, ob im Sinne des § 1497 ABGB die Verjährung durch ausdrückliches oder stillschweigendes Anerkenntnis oder dadurch unterbrochen worden sei, daß der Arbeitgeber von der Beschwerdeführerin "belangt und die Klage gehörig fortgesetzt" wurde. Für den zweiten Unterbrechungsgrund, der im Regelfalle die prozessuale Geltendmachung und Verfolgung des Anspruches ist, kommen Erklärungen anläßlich der Betriebsprüfung jedenfalls nicht in Betracht. Der auf Seite 2 des Prüfungsberichtes zur Feststellung des Prüfers "10 Nachverr. (Lst. Diffz.) f. Kriechhammer" als Stellungnahme des Arbeitgebers, anscheinend von dessen Hand angebrachte Vermerk "Bedingt anerkannt" kann aber zufolge seiner ganz allgemein gehaltenen Einschränkung nicht als Anerkenntnis gerade für Teile der Nachberechnung gewertet werden, hinsichtlich welcher Verjährung eingetreten sein konnte, umsoweniger als aus den Bemerkungen auf der Rückseite des Prüfungsberichters hervorgeht, daß der mitbeteiligte Arbeitgeber anläßlich seiner Vorsprache bei der Beschwerdeführerin am gegen die Nachberechnung vom Verjährung eingewendet hat und die Beschwerdeführerin diesem Einwande nicht etwa mit dem Hinweis auf jenes bedingte Anerkenntnis, sondern auf den Erlaß des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom entgegengetreten ist. Mit der Unterfertigung der vom Prüfer ausgestellten Änderungsanzeige hat der Mitbeteiligte wohl anerkannt, daß die dort für die einzelnen Beschäftigungszeiten ausgewiesenen, nach dem Kollektivvertrag gebührenden Löhne der Beschwerdeführerin zu melden sind, ein Anerkenntnis der auf Grund dieser Meldung von der Beschwerdeführerin zu erstellenden Nachberechnung von Versicherungsbeiträgen kann aber daraus nicht abgeleitet werden. Die Auffassung der Beschwerdeführerin, daß durch Vorgänge anläßlich der Betriebsprüfung am die Verjährung unterbrochen worden sei, hält also einer Nachprüfung nicht stand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat aber in seinem Erkenntnisse vom , Zl. 2445/55, dargetan, daß durch die Eigenart der Regelung des § 29 RVO je nach dem Kalendermonat der Fälligkeit verschieden lange Verjährungsfristen gegeben waren, die durch die Fristenhemmung in ihrem Ausmaße weder verkürzt noch verlängert werden konnten und daher, soweit sie nicht schon vor der Hemmung zu laufen begonnen hatten, nach deren Wegfall noch zur Gänze offenstehen. Daraus ergibt sich, daß am die vor Ablauf der Fristenhemmung, also vor dem 1. April im Jahre 1952 fällig gewordenen Beiträge noch nicht verjährt waren.
Die von der Beschwerdeführerin wegen Verletzung der gesetzlichen Meldebestimmungen (§ 318 RVO) über den mitbeteiligten Arbeitgeber verhängte Ordnungsstrafe von S 30,-- wurde von der belangten Behörde im Hinblick auf die nicht absichtliche Verletzung der Meldevorschriften erlassen. Nach § 530 Abs. 1 RVO kann mit Ordnungsstrafe in Geld bestraft werden, wer seiner Pflicht zuwider, Versicherungspflichtige nicht anmeldet oder wer die Vorschriften über die Meldung Versicherungspflichtiger in anderer Weise verletzt. Bei Vorliegen dieser Tatbestände kann also eine Ordnungsstrafe verhängt werden. Es ist aber der freien Entschließung der hiezu berufenen Stelle überlassen, ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Die Strafe verhängt nach § 530 Abs. 2 RVO der Träger der Krankenversicherung. Auf Beschwerde entscheidet gemäß § 59 Abs. 2 des Behördenüberleitungsgesetzes das Amt der Landesregierung. Abweichend von der Regelung des § 405 Abs. 2 RVO ist also hier dem Versicherungsträger ein Bescheidrecht eingeräumt und es entscheidet das Amt der Landesregierung als Berufungsbehörde. Das der Unterbehörde zustehende freie Ermessen geht in Fällen der Berufung in vollem Maße auf die Berufungsbehörde über; denn diese ist nach § 66 Abs. 4 AVG berechtigt, auch im Spruch ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshof vom , Slg. Nr. 16.729/A). Wie in dem jenem Erkenntnisse zugrundeliegenden Beschwerdefalle könnte auch hier der belangten Behörde nur zum Vorwurfe gemacht werden, daß sie sich zur Begründung ihrer Entscheidung nicht ausdrücklich auf das ihr zustehende freie Ermessen berufen hat. Wie dort muß aber auch hier angenommen werden, daß die belangte Behörde mit dem Hinweis, daß eine absichtliche Verletzung der Meldevorschriften nicht vorliege, die Ausübung des ihr als Berufungsbehörde zustehenden freien Ermessens zum Ausdruck bringen wollte. Dabei könnte sie auch der Erwägung Raum geben, daß von der Verhängung einer Ordnungsstrafe abzusehen sei, wenn eine absichtliche Verletzung der Meldevorschriften nicht vorliege, wenngleich nach § 530 RVO die Tatsache der Verletzung an sich schon die Verhängung einer Ordnungsstrafe zulassen würde.
Ob eine absichtliche Verletzung der Meldevorschriften und ob Verjährung der Beitragsnachberechnung vorliege, sind Fragen der rechtlichen Beurteilung, die nicht Gegenstand des Parteiengehörs bilden können. Dieses kann sich vielmehr nur auf die Sachverhaltsermittlung erstrecken, welche Grundlage der rechtlichen Beurteilung bildet. Die belangte Behörde konnte dabei von dem Inhalte der Aktenunterlagen ausgehen, die ihr von der Beschwerdeführerin über die beim mitbeteiligten Arbeitgeber durchgeführte Betriebsprüfung und die darauffolgende Nachberechnung und Verhängung der Ordnungsstrafe vorgelegt worden waren. Aus diesen Unterlagen ergaben sich die für die Beurteilung der Fragen der Verjährung und der Verletzung der Meldevorschriften maßgebenden Tatsachen, insbesondere auch, daß die Beschwerdeführerin mit der Beitragsnachberechnung vom wegen Verletzung der gesetzlichen Meldebestimmungen eine Ordnungsstrafe von S 30,-- verhängt und daß der mitbeteiligte Arbeitgeber nach Erhalt der Beitragsnachberechnung bei der Beschwerdeführerin vorgesprochen und Verjährung eingewendet hat. Eine Verpflichtung der Behörde, der Beschwerdeführerin Gelegenheit zu geben, zu diesen aus ihren eigenen Bezugsakten hervorgehenden Tatsachen Stellung zu nehmen, bestand nicht. Daß die Beschwerdeführerin eine absichtliche Verletzung der Meldevorschriften angenommen habe, läßt sich weder der Beitragsnachberechnung vom noch auch ihrer Äußerung zur Beschwerde des mitbeteiligten Arbeitgebers gegen die Beitragsnachberechnung und Verhängung der Ordnungsstrafe, zu der sie von der belangten Behörde aufgefordert worden war, entnehmen. Der mitbeteiligte Arbeitgeber hatte in seiner Beschwerde auf die im Kollektivvertrag vorgesehene Möglichkeit einer Entlohnung nicht vollwertiger Arbeitskräfte unter den kollektivvertraglichen Sätzen und auf die minderwertige Arbeitsleistung des HK zum Teil in seinem landwirtschaftlichen Betrieb hingewiesen. Die Beschwerdeführerin hat diesem Vorbringen entgegengehalten, daß der mitbeteiligte Arbeitgeber nicht behauptet habe, die beanstandete Unterentlohnung gemäß § 10 des Kollektivvertrages den Landesorganisationen der vertragschließenden Teile gemeldet zu haben, und daß eine vorübergehende Beschäftigung in der Landwirtschaft für die Frage der kollektivvertraglichen Entlohnung der Arbeit im Gewerbebetriebe nicht ausschlaggebend sein könne. Sie ist aber der Tatsachenbehauptung des Arbeitgebers über die geringe Arbeitsleistung zum Teil in seinem landwirtschaftlichen Betriebe nicht entgegengetreten, noch weniger hat sie Beweisanträge gestellt, welche diese Behauptung widerlegen sollten. Die belangte Behörde hatte daher keine Veranlassung, noch von Amts wegen Ermittlungen in dieser Richtung durchzuführen, und konnte, von diesen Tatsachen ausgehend, zur Annahme gelangen, daß eine absichtliche Verletzung der Meldevorschriften nicht vorgelegen sei. Damit war aber auch die Annahme einer absichtlichen Hinterziehung von Beiträgen ausgeschlossen, welche die Anwendung der Verjährungsbestimmung des § 29 Abs. 1 RVO, gehindert hätte. Auch die Beschwerde hat nur wieder darauf hingewiesen, daß die Arbeitgeber im allgemeinen von der Beschwerdeführerin wiederholt auf die Verpflichtung zur Meldung des Kollektivvertragslohnes aufmerksam gemacht worden seien, was aber nicht ausschließt, daß der mitbeteiligte Arbeitgeber selbst bei Kenntnis dieser Mitteilungen sich zur Entlohnung des Hermann Kriechhammer unter dem Kollektivvertrag mit Rücksicht auf seine nicht vollwertige Arbeitsleistung und seine teilweise Beschäftigung in der Landwirtschaft berechtigt halten konnte. Die von der Beschwerde gerügten Verfahrensmängel liegen daher weder hinsichtlich der angeblichen Verletzung des Parteiengehörs noch auch hinsichtlich einer Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes vor.
Aus diesen Erwägungen mußte der angefochtene Bescheid, soweit er die Verpflichtung des Mitbeteiligten MM, zur Zahlung der in den Monaten Jänner bis März 1952 fällig gewordenen Sozialversicherungsbeiträge infolge Verjährung in Abrede stellt, gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1952 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben, im übrigen aber die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1952 als unbegründet abgewiesen werden. Die Abweisung des Kostenbegehrens gründet sich auf § 47 Abs. 1 VwGG 1952, weil im vorangegangenen Verwaltungsverfahren auch der obsiegenden Partei ein Anspruch auf Kostenersatz nicht zugestanden wäre. Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Sammlungsnummer | VwSlg 4860 A/1959 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1959:1955001994.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
JAAAF-56687