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VwGH 26.04.1977, 1841/75

VwGH 26.04.1977, 1841/75

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Norm
EStG 1972 §35 Abs4;
RS 1
Für die Entscheidung der Frage, ob jemand den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen im Inland hat, ist der Umstand, daß der Betreffende nur eine befristete Aufenthaltsbewilligung besitzt, nicht von ausschlaggebender Bedeutung (Hinweis E , 1286/75 und , 1824/75).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 1020/75 E VwSlg 5048 F/1976 RS 1

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Schimetschek und die Hofräte Hofstätter, Dr. Simon, Dr. Iro und Dr. Drexler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Ministerialsekretär Papp, über die Beschwerde der SR in W, vertreten durch Dr. Erhard Doczekal, Rechtsanwalt in Wien VIII, Florianigasse 5a/17, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 5-1791/75, betreffend Abgeltungsbetrag gemäß § 35 Abs. 4 EStG 1972, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 2.078,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin hat am in Wien ihre erste Ehe geschlossen und beantragte am die Gewährung des Abgeltungsbetrages gemäß § 35 Abs. 4 EStG 1972 (Heiratshilfe). In diesem Antrag wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei jugoslawische Staatsbürgerin, habe sich vom bis zur Antragstellung ständig in Österreich aufgehalten und sei als Krankenschwester tätig. Sie habe den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in Österreich, besitze jedoch keine Daueraufenthaltsbewilligung für Österreich.

Das Finanzamt wies diesen Antrag mit der Begründung ab, daß bei einem Ausländer nur dann angenommen werden könne, daß er den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Inland habe, wenn nach den Umständen darauf geschlossen werden könne, daß er für dauernd im Inland verbleiben werde. Unumgänglich sei daher eine zeitlich unbegrenzte Berechtigung zum Aufenthalt im Inland und zwar bereits zum Zeitpunkt der Verehelichung; eine derartige Berechtigung besitze jedoch die Beschwerdeführerin nicht.

In der dagegen erhobenen Berufung vertrat die Beschwerdeführerin die Auffassung, daß für die Beurteilung der Frage, ob jemand den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in einem bestimmten Staat habe, primär den persönlichen Beziehungen, die die betreffende Person zu diesem Staat habe, besondere Bedeutung zukomme. Diese persönliche Beziehung lasse sich aber aus der Tatsache einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung sicherlich nicht beurteilen. Die Behörde hätte daher Erhebungen anstellen müssen, deren Ergebnis ihre positive Einstellung zur Republik Österreich bestätigt und zu einer Stattgebung des Antrags geführt hätte. Die Beschwerdeführerin halte sich seit im Staatsgebiet der Republik Österreich auf und sei in ungekündigter Stellung als Krankenschwester beschäftigt. Sie habe auch die Absicht, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben und sich gemeinsam mit ihrem Gatten einen österreichischen Bekanntenkreis geschaffen, und habe auch zahlreiche Investitionen für die gemeinsame Wohnung in Wien 21 getätigt.

Nachdem eine Berufungsvorentscheidung durch rechtzeitig gestellten Antrag auf Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz gegenstandslos geworden war, wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab:

Für die Beurteilung der Frage, ob die Steuerpflichtige den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen besitze, sei nicht bloß die persönliche Ansicht maßgebend, weil es sich bei dem Mittelpunkt der Lebensinteressen um einen Rechtsbegriff handle, für dessen Ermittlung nur nach außen in Erscheinung getretene und damit objektiv zu beurteilende Tatsachen wesentlich sein könnten. Die Beschwerdeführerin habe im Zeitpunkt der Eheschließung nur eine befristete Arbeitsbewilligung sowie eine ebenfalls nur befristete Aufenthaltsgenehmigung besessen. Es sei daher für sie zum Zeitpunkt der Verehelichung keineswegs sicher gewesen, ob sie nach Ablauf der Frist über diesen Zeitpunkt hinaus eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten würde. Dieser Umstand sei aber für die Entscheidung der Berufung von wesentlicher Bedeutung. Die zeitlich unbegrenzte Berechtigung zum Aufenthalt im Inland sei gerade deshalb geeignet, konkrete Anhaltspunkte für die Beantwortung der in Rede stehenden Frage zu bieten, weil die diesbezügliche Berechtigung die Basis für weitere Maßnahmen der Steuerpflichtigen darstelle, aus denen dann zusätzlich Schlüsse gezogen werden könnten, zu welchem Staat die stärksten persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen bestünden. Denn solange keine Gewißheit darüber bestehe, daß jemandem in einem Land der freie Aufenthalt ohne Einschränkung gewährleistet sei, könnten Umstände wie zum Beispiel die Ausübung einer Erwerbstätigkeit, die Verehelichung im Inland, die Gründung eines gemeinsamen Hausstandes, sowie die Schaffung eines österreichischen Bekanntenkreises bestenfalls als vorbereitende Maßnahmen für eine allenfalls beabsichtigte Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen nach Österreich angesehen werden. Doch könne die belangte Behörde nicht finden, daß in einem solchen Stadium bereits die stärksten wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen zu Österreich bestünden, weil einem Aufenthalt in Österreich unter derartigen Umständen nicht das Charakteristikum der Dauerhaftigkeit unterstellt werden könne. Da es nicht ausschließlich von der Dispositionsfreiheit des einzelnen abhänge, wie lange er sich überhaupt im Bundesgebiet aufhalten könne, könne ein solcher Aufenthalt vielmehr zunächst nur als Provisorium angesehen werden, bei dem sich eine mögliche Verlagerung der Lebensinteressen von einem Staat in einen anderen Staat abzuzeichnen beginne, wobei jedoch zumindest die Möglichkeit bedacht werden müsse, daß dem Aufenthalt in Österreich aus Gründen, auf die ein einzelner keinen Einfluß habe (z. B. Veränderung der politischen Situation, wirtschaftliche Lage u. ä.), die Grundlage entzogen werden könne. Auf Grund dieser Überlegungen liege die Annahme nahe, daß es im Zeitpunkt der Verehelichung der Beschwerdeführerin noch zu keiner Verankerung der Lebensinteressen im Bundesgebiet gekommen sei, sondern daß sich die Lebensinteressen noch in einem Schwebezustand befänden. Es möge zwar sein, daß sich die Beziehungen der Beschwerdeführerin zu Österreich in Zukunft weiter verdichten und schließlich tatsächlich eine Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen erfolgen werde. Da der Gesetzgeber das Vorliegen dieser Voraussetzungen jedoch zum Zeitpunkt der Eheschließung verlange, die Finanzlandesdirektion aber auf Grund der angeführten Überlegungen nicht der Ansicht beipflichten könne, daß der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Beschwerdeführerin bereits zu diesem Zeitpunkt im Bundesgebiet gelegen sei, habe dem Begehren der Beschwerdeführerin nicht Rechnung getragen werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die für die Neugründung des ersten gemeinsamen Hausstandes aus Anlaß einer nach dem erfolgten Eheschließung entstehenden Aufwendungen sind gemäß § 35 Abs. 4 EStG 1972 als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 EStG 1972 nur zu berücksichtigen, wenn sie im Zusammenhang mit der ersten Eheschließung erfolgen. Anspruch auf die Geltendmachung der außergewöhnlichen Belastung hat jede unbeschränkt steuerpflichtige Person, die sich erstmalig verehelicht und zum Zeitpunkt ihrer Verehelichung im Bundesgebiet ihren Wohnsitz und den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat. Die außergewöhnliche Belastung wird jedem Anspruchsberechtigten über Antrag durch Zahlung eines einmaligen Betrages von S 7.500,-- abgegolten.

Die belangte Behörde hat das Vorliegen der Voraussetzungen des Wohnsitzes im Bundesgebiet und der ersten Eheschließung für gegeben angenommen und lediglich die Frage verneint, ob die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Eheschließung den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Inland hatte. Sie hat das Vorhandensein des Mittelpunkts der Lebensinteressen in Österreich deshalb verneint, weil die Beschwerdeführerin noch nicht im Besitz einer unbegrenzten Aufenthaltsgenehmigung war, und hat daraus geschlossen, daß der Aufenthalt im Inland bis zur Erteilung einer unbegrenzten Aufenthaltsgenehmigung nur als Provisorium anzusehen sei, während dessen Dauer kein Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich begründet werden könnte.

Der belangten Behörde ist beizupflichten, wenn sie davon ausgeht, daß der Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet eine bestimmte Form der Bindung an Österreich voraussetzt, weshalb ein nur vorübergehender Aufenthalt im Inland nicht ausreicht, um diesen Tatbeistand zu erfüllen. Ein nur vorübergehender Aufenthalt kann aber in der Erteilung einer bloß befristeten Aufenthaltsbewilligung für sich allein noch nicht erblickt werden, besonders dann nicht, wenn diese erfahrungsgemäß immer wieder verlängert wird (vgl. Erkenntnisse vom , Zl. 1824/75, und vom , Zl. 1020/75). Der Erteilung einer bloß befristeten Aufenthaltsbewilligung ist daher für sich allein noch keine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen.

Da das die belangte Behörde verkannt hat, war der angefochtene Bescheid mit einer inhaltliehen Rechtswidrigkeit belastet und daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG 1965 und auf der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 4/1975.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Norm
EStG 1972 §35 Abs4;
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1977:1975001841.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
HAAAF-56063