VwGH 21.09.1972, 1077/71
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Die Gebührenpflicht eines Schuldscheines (§ 33 TP 8 GebG), in welchem jemand bestätigt, ein Darlehen in bestimmter Höhe erhalten zu haben, entsteht nicht, wenn das Darlehen im Zeitpunkt der Errichtung der Urkunde noch nicht zugezählt war (Hinweis E , 2257/52, VwSlg 725 F/1953, E , 624/51, VwSlg 775 F/1953, E , 2887/55 und E , 987/65). Denn eine Gebührenpflicht für ein Rechtsgeschäft, das nicht (gültig) zustande kam, ist im Gesetz nicht vorgesehen. Der Darlehensvertrag ist ein Realkontrakt, der erst mit der Zuzählung der Valuta zustande kommt. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 1086/71 E VS VwSlg 4405 F/1972; RS 4 |
Normen | |
RS 2 | Der Klammerausdruck im § 33 TP 8 Abs 1 GebG bedeutet nicht, dass eine Gebührenfestsetzung zulässig wäre, ohne dass ihr ein Rechtsgeschäft zu Grunde liege. |
Normen | |
RS 3 | Es ist nicht zulässig, im verwaltungsgerichtlichen Verfahren den Rechtsgrund einer Gebührenfestsetzung auszuwechseln und derart Partei des Abgabenverfahrens die Möglichkeit abzuschneiden, gegen die Entstehung der Gebührenschuld nach einer nunmehr anderen Tarifbestimmung Einwendungen zu erheben. |
Norm | VwGG §48 Abs1 lita; |
RS 4 | Im Falle der Abtretung einer Beschwerde gem Art 144 Abs 2 B-VG gebührt dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren obsiegenden Bf kein Ersatz der Stempelgebühren, die er im vorangegangenen Verfahren vor dem VfGH entrichten musste (daher: nur Ersatz der Stempelmarken für die Beschwerdeergänzung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 1086/71 E VS VwSlg 4405 F/1972; RS 1 |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
1078/71
1221/71
1079/71
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dkfm. DDr. Dorazil und die Hofräte Dr. Frühwald, Dr. Schima, Dr. Reichel und Dr. Seiler als Richter, im Beisein des Schriftführers Finanzoberkommissär Dr. Leitner, über die Beschwerden 1. der A-sparkasse und 2. der "B-gesellschaft mbH in W, beide vertreten durch Dr. Gottfried Peloschek und Dr. Wolf-Dieter Arnold, Rechtsanwälte in Wien I, Wipplingerstraße 10, gegen den Bescheid der FLG für Wien, NÖ und Bgld v. , GA VIII- 1513/70, der Erstbfrin und 3. der C-GmbH in W, diese vertreten wie oben, gegen den Bescheid derselben FLD v. , GA VIII- 833/1/70, ferner der Erstbfrin gegen die Bescheide derselben FLD
v. , GA VIII-1527/70 und v. , GA VIII- 1432/70, alle betreffend Rechtsgebühr, nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Rechtsanwalt Dr. Gottfried Peloschek, und des Vertreters der belangten Behörde, Wirkl. Hofrat Dr. AR, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (FLD für Wien, NÖ und Bgld) hat der Erstbfrin Aufwendungen in der Höhe von S 5.460,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Erstbfrin gewährte verschiedene gemeinnützigen Bauträgern - darunter auch der Zweit- und der Drittbfrin - Darlehen für Wohnbauzwecke; die hierüber errichteten Schuldscheine nahm das FA für Gebühren und Verkehrsteuern in Wien zum Anlaß, um - ungeachtet der von den Vertragsteilen für diese Rechtsgeschäfte teils unter Berufung auf § 19 Abs. 2 d BG v betreffend Ausgestaltung des Staatlichen Wohnungsfürsorgefonds zu einem Bundes-Wohn- und Siedlungsfonds BGBl. 252 in der geltenden Fassung (BWSG), teils (hg. Verfahren Z 1221/71) unter Hinweis auf § 35 Abs. 1 des Wohnbauförderungsgesetzes 1968, BGBl. 1967/280 (WBFG 1968) in Anspruch genommenen Gebührenfreiheit - gem § 33 TP 8 des Gebührengesetzes 1957 BGBl. 267 Rechtsgebühren festzusetzen. Gegen die Abgabenfestsetzungen erhob die Erstbfrin jedoch Berufungen, denen die Zweitbfrin im hg Verfahren Z 1078/71 mit Schriftsatz v. die Drittbfrin im hg Verfahren Z 1221/71 mit einem am überreichten Schriftsatz gem § 257 der Bundesabgabenordnung BGBl. 1961/194 beitraten. In ihren Berufungen gegen die Abgabenfestsetzungen rügte die Erstbfrin, daß die Abgabenbehörde erster Instanz die in Anspruch genommene Gebührenbefreiung versagt habe, und wies überdies darauf hin, daß die festgesetzten Gebühren noch gar nicht "fällig" geworden seien, weil sie die in Rede stehenden Darlehen noch nicht zugezählt habe. Zum Beweis für die Richtigkeit dieses Vorbringens berief sich die Erstbfrin auf ihr "Gebührenjournal", das dem FA auch vorgelegen sei und auf weitere, noch zu bezeichnende Beweismittel.
Ohne auf das zuletzt erwähnte Vorbringen weiter einzugehen, wies das FA die Berufungen mit Berufungsvorentscheidung v als unbegründet ab (im hg. Verfahren Z 1221/71 ist keine Berufungsvorentscheidung ergangen). Dieser Bescheid gehört allerdings nicht mehr dem Rechtsbestand an, da die Erstbfrin den Antrag stellte, ihre Rechtsmittel der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vorzulegen.
Darauf hat die FLD für Wien, NÖ und Bgld als Abgabenbehörde zweiter Instanz die Berufungen mit den eingangs erwähnten Bescheiden endgültig als unbegründet abgewiesen und in deren Begründung den Standpunkt eingenommen, die strittige Gebührenbefreiung sei zu versagen, weil das BWSG jedenfalls mit dem Inkrafttreten des WBFG 1968 am seine Wirksamkeit verloren habe. Wohl habe der Gesetzgeber im § 36 Abs. 1 lit. b Z 3 WBFG 1968 u.a. auch die Befreiungsvorschrift des § 19 Abs. 2 BWSG aufrechterhalten, doch dürfe nicht übersehen werden, daß dies nur deswegen geschehen sei, um die Abwicklung der noch bis zum bewilligten Förderungsmaßnahmen nach dem BG v. sicherzustellen. Daraus folge, daß die Befreiungsvorschrift des § 19 Abs. 2 leg. cit. nach dem nur auf jene Rechtsgeschäfte angewendet werden könne, die noch unter Bedachtnahme auf die Förderungsbestimmungen dieses BG abgeschlossen worden seien, nicht aber auf Rechtsgeschäfte, mit denen die Förderung sogenannter neuer Bauvorhaben bezweckt werde.
Nun seien - so hat die FLD in der Begründung der Berufungsentscheidungen weiter ausgeführt - die in den vorliegenden Schuldscheinen beurkundeten Darlehensverträge jedoch nicht mehr unter Bedachtnahme auf die grundsätzlichen Förderungsbestimmungen des BG v. , also auch nicht im Rahmen der Abwicklung von nach diesem BG etwa bewilligten Förderungsmaßnahmen abgeschlossen worden. Für die Anwendung der Befreiungsbestimmung des § 19 Abs. 2 des besagten BG sei somit kein Raum gewesen. Im übrigen habe aber auch die Befreiungsbestimmung des § 35 Abs. 1 WBFG 1968 nicht angewendet werden können, weil als unmittelbar durch dieses Gesetz veranlaßt nur die in dessen § 10 aufgezählten Förderungsmaßnahmen, nicht aber Wohnbaudarlehen von dritter Seite (wie die gegenständlichen) anzusehen seien.
Auf das Vorbringen, die festgesetzten Gebühren seien noch gar nicht fällig geworden, ist die FLD in ihren Rechtsmittelentscheidungen ebenso wie die Abgabenbehörde erster Instanz in der Berufungsvorentscheidung vom nicht weiter eingegangen.
Da sich die beschwerdeführenden Parteien durch diese Rechtsmittelentscheidungen in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums beschwert erachteteten, erhoben sie dagegen gem. Art. 144 B-VG zunächst Beschwerde vor dem VfGH. Darin regten sie auch an, der VfGH möge gem. Art. 140 B-VG die Verfassungsmäßigkeit der Worte "unter den durch Verordnung festzusetzenden Voraussetzungen" im § 19 Abs. 2 BWSG und allenfalls auch gem. Art. 139 B-VG die Gesetzmäßigkeit der zur Durchführung dieser Gesetzesstelle erlassenen V v. , BGBl. 210 von Amts wegen prüfen.
In der Tat nahm der VfGH - neben anderen - auch die vorliegenden Beschwerden zum Anlaß eines Gesetzesprüfungsverfahrens und hob schließlich mit Erk. v. 16. 3. 1971 G 33/70 den ersten Satz im § 19 Abs. 2 BWSG als verfassungswidrig auf (vgl. hiezu die Kundmachung des BK v. , BGBl. 174). Die aufgehobene Gesetzesstelle hatte folgenden Wortlaut:
"Unter den durch Verordnung festzusetzenden Voraussetzungen kommt den Rechtsgeschäften, die zu den im § 4 des Gesetzes vom , RGBl. Nr. 242, bezeichneten Zwecken oder zum Zwecke der Errichtung von Wohn- oder Kleinwirtschaftssiedlungen abgeschlossen werden, sowie den aus diesem Anlasse erforderlichen Urkunden und grundbücherlichen Eintragungen die Befreiung von den Stempel- und Rechtsgebühren zu und sind die im Eigentum eines Selbstverwaltungskörpers, einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder Anstalt oder einer gemeinnützigen Bauvereinigung (§ 12 des Gesetzes vom , RGBl. Nr. 242) stehenden Gebäude, welche den angeführten Zwecken dienen, vom Gebührenäquivalent befreit."
In der Begründung seines Erk. v. führte der VfGH ferner noch aus, daß die zur Durchführung des § 19 Abs. 2 erster Satz BWSG erlassene V BGBl. 1925/210 (in der Fassung der V BGBl. 1926/40) seit dem nicht mehr dem geltenden Recht angehöre.
Im fortgesetzten Verfahren hat der VfGH schließlich die vorliegenden Beschwerden mit Erk. v. als unbegründet abgewiesen, sie jedoch zur Entscheidung darüber, ob die beschwerdeführenden Parteien durch die schon erwähnten Bescheide der FLD für Wien, NÖ und Bgld in einem sonstigen Recht verletzt worden sind, antragsgemäß an den VwGH abgetreten.
Dieser Gerichtshof hat beschlossen, die von den beschwerdeführenden Parteien mit Schriftsatz v. ergänzten, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobenen gegenständlichen Beschwerden in Anbetracht ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden. Er hat sodann nach Durchführung der von den beschwerdeführenden Parteien verlangten Verhandlung darüber erwogen:
Im Einklang mit ihrem Vorbringen im Abgabenverfahren halten die beschwerdeführenden Parteien daran fest, die belangte Behörde habe zu Unrecht "in sämtlichen Fällen die Gebühr vorgeschrieben", obschon es sich beim Darlehen um einen Realkontrakt handle. Daraus folge, daß eine Gebührenschuld nicht habe entstehen können, sei doch die Zuzählung der Darlehensvaluta durch die Erstbfrin in einem Falle (hg. Z 1078/71) überhaupt nicht, in den anderen Fällen erst nach Erlassung der angefochtenen Bescheide durch die belangte Behörde erfolgt.
Diesem Einwand kommt Berechtigung zu. Der VwGH hat sich mit dem nämlichen Vorbringen der Erstbfrin in gleichgelagerten Fällen im Erk eines verst. Senates (v. , 1086 ff/71, auf dessen Begründung zur Vermeidung von Wiederholungen unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der hg. GO BGBl. 1963/45 verwiesen wird) auseinandergesetzt und sich zur Rechtsmeinung bekannt, die Abgabenbehörden seien zur Aufforderung einer Rechtsgebühr gem. § 33 TP 8 des Gebührengesetzes 1957 nur dann berechtigt, wenn die Zuzählung der Darlehensvaluta noch vor der Errichtung des Schuldscheines über dieses Rechtsgeschäft erfolgt. In der Verhandlung vor dem Gerichtshof am hat der Vertreter der belangten Behörde dagegen zunächst vorgebracht, aus dem Klammerausdruck "die darüber errichteten Urkunden, wie Schuldscheine, Schuldbriefe, Schulderklärungen" im § 33 TP 8 Abs. 1 des Gesetzes sei wohl zu schließen, daß es zur Entstehung der Gebührenschuld genüge, wenn allein eine Schuldurkunde vorliege. Indes vermag der Gerichtshof diese Meinung nicht zu teilen, ergibt sich doch aus dem dritten Abschnitt des Gebührengesetzes - der mit "Gebühren für Rechtsgeschäfte" überschrieben ist - mit aller Deutlichkeit, daß jeder Gebührenfestsetzung eines der im Tarif angeführten Rechtsgeschäfte zugrunde liegen muß. Ebensowenig kann dem weiteren Einwand des Vertreters der belangten Behörde beigepflichtet werden, wenn schon nicht der Gebührentatbestand des § 33 TP 8 gegeben sei, so sei im Hinblick auf den Inhalt der Schuldurkunden der Gebührentatbestand der TP 18 jener Gesetzesstelle erfüllt, weil darin auch Hypothekarverschreibungen beurkundet worden seien. Es geht nämlich nicht an, den Rechtsgrund einer Abgabenfestsetzung willkürlich erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auszuwechseln, wenn derart der Partei des Abgabenverfahrens jede Möglichkeit abgeschnitten wird, etwa den mangelnden rechtsgeschäftlichen Willen unter Berufung auf § 17 Abs. 2 des Gebührengesetzes 1957 unter Beweis zu stellen. Daß sich aber die Abgabenbehörde erster Instanz und ihr folgend die belangte Behörde nur im Ausdruck vergriffen und die strittigen Gebührenfestsetzungen bloß irrtümlich auf § 33 TP 8 gestützt hätten, wird von der belangten Behörde selbst nicht behauptet.
Da die Behörde dies verkannt hat, waren die angefochtenen Bescheide gem. § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben, ohne daß auf das weitere Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien einzugehen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 im Zusammenhalt mit Art. I A Z. 1 und 2 d V d BKA v. , BGBl. 4. Das Kostenmehrbegehren auf Ersatz von Stempelgebühren in der Höhe von S 89,40 war abzuweisen, da es sich insoweit um Gebühren handelt, die im vorausgegangenen Verfahren vor dem VfGH zu entrichten waren und für die demnach ein Ersatzanspruch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht besteht (vgl. hiezu ebenfalls das hg. Erk. v. , 1086 ff/71). Im übrigen waren die mit der Beschwerdeergänzung überreichten Beilagen nur mit Stempelmarken im Werte von S 30,60 versehen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | GebG 1957 §33 TP18; GebG 1957 §33 TP8; VwGG §41 Abs1 impl; VwGG §42 Abs2 Z3 litc impl; VwGG §48 Abs1 lita; |
Schlagworte | Begründung Begründungsmangel Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Erklärung und Umfang der Anfechtung Anfechtungserklärung |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1972:1971001077.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
ZAAAF-53815