VwGH 05.09.2012, 2012/15/0166
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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RS 1 | Das Recht auf Akteneinsicht stellt keinen Selbstzweck dar, sondern gibt dem Abgabepflichtigen ein Hilfsmittel zur Hand, seine abgabenrechtlichen Interessen zu verfolgen. Während eines laufenden Verfahrens wird es dem Abgabepflichtigen durch die Akteneinsicht ermöglicht, kontrollierend und vorbeugend Fehlannahmen und unzutreffenden Vermutungen der Behörden entgegenzutreten. Eine abgabenbehördliche Prüfung ist Teil eines solchen Verfahrens. Wird dem Abgabepflichtigen im Verlaufe einer Betriebsprüfung die Akteneinsicht verweigert, kann dies die im Gefolge der Prüfung ergehenden und auf das Prüfungsgeschehen Bezug nehmenden Abgabenbescheide mit einem Verfahrensmangel belasten. Eine derartige Rechtswidrigkeit kann mit Berufung gegen die auf den Prüfungsergebnissen aufbauenden Abgabenbescheide bekämpft werden. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2000/13/0037 E RS 2 |
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RS 2 | Nach § 311 Abs. 1 BAO (idF des AbgRmRefG, BGBl. I Nr. 97/2002) sind die Abgabenbehörden verpflichtet, über Anbringen der Parteien ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden. Die Entscheidungspflicht besteht auch dann, wenn die Entscheidung - wie im Fall der Verweigerung der Akteneinsicht in einem laufenden Verfahren - nicht abgesondert anfechtbar ist (vgl. Ritz, BAO4, § 311 Tz 11). |
Normen | BAO §90 Abs1; VwGG §27; |
RS 3 | Der Verwaltungsgerichtshof kann aus dem Titel der Verletzung der Entscheidungspflicht nur dann angerufen werden, wenn eine Behörde mit einer gegenüber der Partei zu erlassenden Sachentscheidung in Verzug geblieben ist. Ein tatsächliches Verhalten - etwa die Gewährung von Akteneinsicht - könnte vom Verwaltungsgerichtshof in Stattgebung der Säumnisbeschwerde nicht an Stelle der belangten Behörde gesetzt werden. Das Verlangen nach Setzung eines tatsächlichen Vorganges für sich genommen löst keine Verpflichtung der Behörden zur Erlassung einer Sachentscheidung aus (vgl. den hg. Beschluss vom , 2008/12/0022). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Büsser und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, in der Beschwerdesache der EB in H, vertreten durch Dr. Nikolaus Schertler, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Kirchstraße 4, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit betreffend Akteneinsicht, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Aus der Beschwerde ergibt sich folgender Sachverhalt:
Beim Finanzamt ist eine abgabenbehördliche Prüfung der Beschwerdeführerin für die Jahre 2005 bis 2009 sowie den Nachschauzeitraum 2010 und 2011 anhängig.
Am sprach ein Bevollmächtigter der Beschwerdeführerin beim Finanzamt vor und gab zu Protokoll, dass er die Ausdehnung der Betriebsprüfung auf das Jahr 2004 und Akteneinsicht beantrage. Das Finanzamt, von der Beschwerde als belangte Behörde bezeichnet, hat diesen Antrag bis zur Erhebung gegenständlicher Säumnisbeschwerde "nicht bearbeitet bzw. keinen dementsprechenden Bescheid erlassen". Auf Grund dieser Untätigkeit erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Entscheidung verletzt.
Gemäß § 90 BAO ist den Parteien die Einsicht und Abschriftnahme der Akten oder Aktenteile zu gestatten, deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer abgabenrechtlichen Interessen oder zur Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten erforderlich ist. Abs. 3 leg. cit. bestimmt, dass gegen die Verweigerung der Akteneinsicht ein abgesondertes Rechtsmittel nicht zulässig ist.
Das Recht auf Akteneinsicht stellt keinen Selbstzweck dar, sondern gibt dem Abgabepflichtigen ein Hilfsmittel zur Hand, seine abgabenrechtlichen Interessen zu verfolgen. Während eines laufenden Verfahrens wird es dem Abgabepflichtigen durch die Akteneinsicht ermöglicht, kontrollierend und vorbeugend Fehlannahmen und unzutreffenden Vermutungen der Behörden entgegenzutreten. Wird dem Abgabepflichtigen im Verlaufe einer Betriebsprüfung die Akteneinsicht verweigert, kann dies die im Gefolge der Prüfung ergehenden und auf das Prüfungsgeschehen Bezug nehmenden Abgabenbescheide mit einem Verfahrensmangel belasten. Eine derartige Rechtswidrigkeit kann mit Berufung gegen die auf den Prüfungsergebnissen aufbauenden Abgabenbescheide bekämpft werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2000/13/0037).
Nach § 311 Abs. 1 BAO (idF des AbgRmRefG, BGBl. I Nr. 97/2002) sind die Abgabenbehörden verpflichtet, über Anbringen der Parteien ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden.
Die Entscheidungspflicht besteht auch dann, wenn die Entscheidung - wie im Fall der Verweigerung der Akteneinsicht in einem laufenden Verfahren - nicht abgesondert anfechtbar ist (vgl. Ritz, BAO4, § 311 Tz 11).
Werden Bescheide der Abgabenbehörde erster Instanz der Partei nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen der Anbringen oder nach dem Eintritt der Verpflichtung zu ihrer amtswegigen Erledigung bekannt gegeben, so kann nach § 311 Abs. 2 BAO jede Partei, der gegenüber der Bescheid zu ergehen hat, den Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung auf die Abgabenbehörde zweiter Instanz beantragen (Devolutionsantrag). Devolutionsanträge sind bei der Abgabenbehörde zweiter Instanz einzubringen.
Nach Abs. 3 leg. cit. hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz der Abgabenbehörde erster Instanz aufzutragen, innerhalb einer Frist bis zu drei Monaten ab Einlangen des Devolutionsantrages zu entscheiden und gegebenenfalls eine Abschrift des Bescheides vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht oder nicht mehr vorliegt.
Gemäß § 27 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde säumig ist, die im Verwaltungsverfahren - sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrags auf Übergang der Entscheidungspflicht - angerufen werden konnte.
Im Beschwerdefall kann dahingestellt bleiben, ob im Verwaltungsverfahren überhaupt ein Verlangen auf Erlassung eines Bescheides gestellt wurde, weil die Beschwerdeführerin vor Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes jedenfalls einen Antrag auf Übergang der Entscheidungspflicht hätte stellen müssen.
Sollte sich das Begehren der Beschwerdeführerin hingegen lediglich auf ein tatsächliches Verhalten der Behörde (die Gewährung von Akteneinsicht) gerichtet haben, ist die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes gleichfalls ausgeschlossen. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, kann er aus dem Titel der Verletzung der Entscheidungspflicht nur dann angerufen werden, wenn eine Behörde mit einer gegenüber der Partei zu erlassenden Sachentscheidung in Verzug geblieben ist. Ein tatsächliches Verhalten - etwa die Gewährung von Akteneinsicht - könnte vom Verwaltungsgerichtshof in Stattgebung der Säumnisbeschwerde nicht an Stelle der belangten Behörde gesetzt werden. Das Verlangen nach Setzung eines tatsächlichen Vorganges für sich genommen löst keine Verpflichtung der Behörden zur Erlassung einer Sachentscheidung aus (vgl. den hg. Beschluss vom , 2008/12/0022).
Die Beschwerde war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen. Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Verletzung der Entscheidungspflicht Allgemein Behördliche Angelegenheiten |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2012:2012150166.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
BAAAF-51892