VwGH 15.04.2016, Ra 2016/02/0058
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | 31989L0391 Arbeitnehmer-RL Sicherheit Gesundheitsschutz Art16 Abs1; 31989L0391 Arbeitnehmer-RL Sicherheit Gesundheitsschutz; 32009L0104 Arbeitnehmer-RL Sicherheit Gesundheitsschutz 02te Art2 litb; 32009L0104 Arbeitnehmer-RL Sicherheit Gesundheitsschutz 02te; ArbeitsmittelV 2000 §17 Abs1; ASchG 1994 §130 Abs1 Z16; B-VG Art133 Abs4; EURallg; VwGG §34 Abs1; VwRallg; |
RS 1 | Abgesehen davon, dass dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 ArbeitsmittelV 2000 nicht zu entnehmen ist, dass der Tatbestand auf in "Dauerbetrieb" befindliche Arbeitsmittel eingeschränkt zu verstehen ist, gebietet auch das Unionsrecht eine weite, den "Tippbetrieb" mitumfassende Auslegung: Das ASchG 1994 dient, wie auch die ArbeitsmittelV 2000, unter anderem der Umsetzung der Richtlinie 89/655/EWG (nunmehr 2009/104/EG) über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung von Arbeitsmitteln durch Arbeitnehmer bei der Arbeit (Zweite Einzelrichtlinie iSd Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG). Der Richtlinie 2009/104/EG geht es wiederum insbesondere um den Arbeitnehmerschutz bei der "Benutzung von Arbeitsmitteln", worunter gemäß Art. 2 lit. b der Richtlinie alle ein Arbeitsmittel betreffenden Tätigkeiten verstanden werden, wie An- oder Abschalten, Gebrauch, Transport, Instandsetzung, Umbau, Instandhaltung und Wartung, einschließlich insbesondere Reinigung. Es unterliegt damit keinem Zweifel, dass auch ein "Tippbetrieb" vom Anwendungsbereich des § 17 Abs. 1 ArbeitsmittelV 2000 umfasst ist. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage liegt damit auch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor (vgl. B , Ra 2015/02/0143). |
Normen | |
RS 2 | Soweit der Rw in der Zulässigkeitsbegründung ausführt, zur Bestimmung des § 17 Abs. 2 ArbeitsmittelV 2000 fehle jegliche Rechtsprechung des VwGH, sodass zur Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale eine erstmalige Entscheidung für die Rechtssicherheit notwendig und geboten sei, zeigt er damit nicht auf, dass das rechtliche Schicksal der Revision von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängt (vgl. B , Zl. Ra 2015/02/0200). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Dr. Lehofer und Dr. N. Bachler als Richter, unter Beiziehung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des H in P, vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer, Dr. Siegfried Sieghartsleitner, Mag. Dr. Michael Pichlmair und Ing. MMag. Michael A. Gütlbauer, Rechtsanwälte in 4600 Wels, Eisenhowerstraße 27, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom , Zl. LVwG-300742/15/Kl/SH, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis vom verhängte die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck über den Revisionswerber als zur Vertretung nach außen berufenes, verwaltungsstrafrechtlich verantwortliches Organ der D KG eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 600,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 24 Stunden). Er habe nicht dafür Sorge getragen, dass die Vorschriften des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) in Verbindung mit der Arbeitsmittelverordnung (AM-VO) eingehalten würden. Anlässlich einer Unfallerhebung durch den Arbeitsinspektor Dipl.-Ing. (FH) L. des Arbeitsinspektorates Vöcklabruck am in der Arbeitsstätte der D KG in V. sei festgestellt worden, dass am (Tatzeit) der Arbeitnehmer S. an der "Drucker Spaltanlage" Einstell- und Reparaturarbeiten durchgeführt habe, obwohl die Maschine in Betrieb gewesen sei und auch keine geeigneten Maßnahmen gegen ein unbeabsichtigtes, unbefugtes oder irrtümliches Einschalten des Arbeitsmittels gesetzt worden seien. Einstell-, Wartungs-, Instandhaltungs- und Reinigungsarbeiten sowie Arbeiten zur Beseitigung von Störungen dürften nicht an in Betrieb befindlichen Arbeitsmitteln durchgeführt werden. Durch geeignete Maßnahmen sei ein unbeabsichtigtes, unbefugtes oder irrtümliches Einschalten der Arbeitsmittel zu verhindern. Der Revisionswerber habe dadurch die Bestimmungen des § 130 Abs. 1 Z 16 ASchG i.V.m. § 17 Abs. 1 AM-VO verletzt.
2 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Diese wurde vom Verwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis "als unbegründet mit der Maßgabe abgewiesen, dass im Spruch des Straferkenntnisses im 2. Absatz der letzte Halbsatz ‚und auch keine ... gesetzt wurden', und im 3. Absatz der zweite Satz ‚Durch geeignete ... zu verhindern' zu entfallen hat."
Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass gemäß § 25a VwGG gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
3 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
4 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
5 Die Revision führt zur Zulässigkeit zunächst aus, dass das angefochtene Erkenntnis die von der Rechtsprechung entwickelte Kontroll- und Sorgfaltspflicht überspannt habe und von dieser abgewichen sei. Die "rein theoretische Begründung" des Verwaltungsgerichtes sei mit den Erfordernissen der Praxis nicht kompatibel und die ohnedies strenge Kontrollpflicht würde erweitert, sodass der Revisionswerber seine Mitarbeiter bei sämtlichen Routinearbeiten und Routinehandgriffen kontrollieren müsste. Bei weisungs- und ordnungsgemäßer Handhabung sei von vornherein jedwede Gefährdung ausgeschlossen gewesen.
6 Der Revisionswerber ist darauf zu verweisen, dass sich (betriebliche) Kontrollsysteme in der Regel nicht gleichen und daher einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge daher nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgte und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis führte (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. Ra 2016/02/0030).
7 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es nicht Aufgabe der Behörde ist, Anleitungen dahingehend zu geben, wie ein funktionierendes Kontrollsystem aussehen müsste, sondern nur zu überprüfen, ob das behauptete Kontrollsystem ausreichend gestaltet ist, um mangelndes Verschulden darzutun (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/02/0045, m.w.N.). Dem Revisionswerber ist selbst unter Berücksichtigung des gesamten im Verfahren erstatteten Vorbringens zum Kontrollsystem die Darstellung eines wirksamen Kontrollsystems nicht gelungen, zumal zwar von jährlich stattfindenden Schulungen durch eine externe Sicherheitsfachkraft und allgemeinen Unterweisungen die Rede ist, jedoch kein wie von der Rechtsprechung gefordertes "System" dahinter erkennbar ist. Insbesondere gelang es dem Revisionswerber nicht aufzuzeigen, welche konkreten Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen verpflichtet war, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften auch tatsächlich befolgt und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen hat, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, das heißt sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene gelangen und dort auch tatsächlich befolgt werden. Nach den (unbestritten gebliebenen) Feststellungen des Verwaltungsgerichtes nahm der verunfallte Arbeitnehmer - entgegen der allgemeinen Anweisung, Einstell- und Reparaturarbeiten nur bei stillstehenden Maschinen durchzuführen, aber entsprechend einer Einweisung an der konkreten Maschine - die zum Unfall führenden Reparaturarbeiten bei eingeschalteter Maschine vor. Auch dieser Umstand zeigt, dass im gegenständlichen Fall kein funktionierendes Kontrollsystem vorlag, da dieses gerade für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften Platz zu greifen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/02/0263).
8 Der Revisionswerber bringt weiters vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob ein "Tippbetrieb", welcher konkret vom leitenden Werkmeister am angewendet worden sei, unter § 17 Abs. 1 AM-VO zu subsumieren sei. Die Maschine sei nicht im "Dauerbetrieb", sondern lediglich für etwa eine Sekunde bzw. in dem für die Einstellung notwendigen kurzfristigen Ausmaß in Betrieb gewesen.
9 Abgesehen davon, dass dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 AM-VO nicht zu entnehmen ist, dass der Tatbestand auf in "Dauerbetrieb" befindliche Arbeitsmittel eingeschränkt zu verstehen ist, gebietet auch das Unionsrecht eine weite, den "Tippbetrieb" mitumfassende Auslegung: Das ASchG dient, wie auch die AM-VO, unter anderem der Umsetzung der Richtlinie 89/655/EWG (nunmehr 2009/104/EG) über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung von Arbeitsmitteln durch Arbeitnehmer bei der Arbeit (Zweite Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG). Der Richtlinie 2009/104/EG geht es wiederum insbesondere um den Arbeitnehmerschutz bei der "Benutzung von Arbeitsmitteln", worunter gemäß Art. 2 lit. b der Richtlinie alle ein Arbeitsmittel betreffenden Tätigkeiten verstanden werden, wie An- oder Abschalten, Gebrauch, Transport, Instandsetzung, Umbau, Instandhaltung und Wartung, einschließlich insbesondere Reinigung. Es unterliegt damit keinem Zweifel, dass auch ein "Tippbetrieb" vom Anwendungsbereich des § 17 Abs. 1 AM-VO umfasst ist. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage liegt damit auch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Zl. Ra 2015/02/0143).
10 Soweit der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung schließlich ausführt, zur Bestimmung des § 17 Abs. 2 AM-VO fehle jegliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, sodass zur Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale eine erstmalige Entscheidung für die Rechtssicherheit notwendig und geboten sei, zeigt er damit nicht auf, dass das rechtliche Schicksal der Revision von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängt (vgl. zu diesem durch § 28 Abs. 3 VwGG gebotenen Erfordernis etwa den hg. Beschluss vom , Zl. Ra 2015/02/0200, m.w.N.).
11 Vor diesem Hintergrund war auch nicht näher auf die in der Zulässigkeitsbegründung behaupteten Verfahrensmängel einzugehen. Der Revisionswerber vermag daher nicht aufzuzeigen, inwieweit die Revision von ihnen abhängt, d.h. insbesondere, inwieweit ihm bei Unterbleiben der behaupteten Verfahrensmängel die Darstellung eines funktionierenden Kontrollsystems möglich gewesen wäre.
12 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am
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Normen | 31989L0391 Arbeitnehmer-RL Sicherheit Gesundheitsschutz Art16 Abs1; 31989L0391 Arbeitnehmer-RL Sicherheit Gesundheitsschutz; 32009L0104 Arbeitnehmer-RL Sicherheit Gesundheitsschutz 02te Art2 litb; 32009L0104 Arbeitnehmer-RL Sicherheit Gesundheitsschutz 02te; ArbeitsmittelV 2000 §17 Abs1; ArbeitsmittelV 2000 §17 Abs2; ASchG 1994 §130 Abs1 Z16; B-VG Art133 Abs4; EURallg; VwGG §28 Abs3; VwGG §34 Abs1; VwRallg; |
Schlagworte | Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4 Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016020058.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
RAAAF-50601