VwGH 23.05.2018, Ro 2018/22/0003
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | |
RS 1 | Ist eine Person, für die das zuzustellende Dokument inhaltlich bestimmt ist (Empfänger im materiellen Sinn), durch eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person vertreten, so ist deren Kanzlei ausschließliche Abgabestelle. In einer solchen Konstellation ist der berufsmäßige Parteienvertreter Empfänger (im formellen Sinn) nach § 2 Z 1 ZustG. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2009/07/0095 E RS 2 |
Normen | |
RS 2 | Die in § 17 Abs. 2 ZustG genannte Verständigung des Empfängers von der Hinterlegung (Hinterlegungsanzeige) ist eine öffentliche Urkunde und macht Beweis über die Zustellung (vgl. etwa , mwN). Als öffentliche Urkunde begründet eine "unbedenkliche" - d.h. die gehörige äußere Form aufweisende - Hinterlegungsanzeige die Vermutung der Echtheit und der inhaltlichen Richtigkeit des bezeugten Vorgangs, doch ist der Einwand der Unechtheit oder der Unrichtigkeit zulässig. Gemäß § 17 Abs. 3 ZustG gilt eine hinterlegte Sendung mit dem ersten Tag der Abholfrist als zugestellt. Der Hinweis auf einen internen Vermerk eines Postmitarbeiters auf dem hinterlegten Schriftstück stellt für sich allein keinen Einwand der Unechtheit oder der Unrichtigkeit der Hinterlegungsanzeige dar. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/06/0262 B RS 1
(hier ohne den letzten Satz) |
Normen | VwGG §45 Abs1 Z2; VwGG §54; |
RS 3 | Im Falle der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VwGG besteht kein Anspruch auf Kostenersatz. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2014/07/0001 E RS 1 |
Normen | |
RS 1 | Eine Zweckänderung von einem Aufenthaltstitel "Studierender" auf eine "Rot-Weiß-Rot - Karte plus", mit der ein uneingeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt verbunden ist, ist nicht schon deswegen zulässig, weil die Voraussetzung des Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 erfüllt ist (vgl. ). Die in diesem Erkenntnis getroffenen Aussagen sind auf Fälle nach dem zweiten Spiegelstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gleichermaßen anwendbar (vgl. ). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, über den Antrag der S K, vertreten durch Dr. Metin Akyürek, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Köstlergasse 1/23, auf Wiederaufnahme des mit Beschluss vom zu Ro 2018/22/0003 abgeschlossenen Verfahrens, den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Antrag wird stattgegeben.
Der Antrag auf Erstattung der Kosten des Wiederaufnahmeantrages wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom wurde das Verfahren betreffend die gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW-151/009/2663/2017-1, erhobene Revision eingestellt. Begründend wurde ausgeführt, dass die Revisionswerberin der gemäß § 30a Abs. 2 erster Halbsatz VwGG ergangenen Aufforderung des Verwaltungsgerichts Wien vom , näher bezeichnete Formmängel der gegen das angeführte Erkenntnis eingebrachten Revision binnen einer Woche zu beheben, nicht nachgekommen sei. Gemäß dem zweiten Halbsatz der genannten Bestimmung gelte das als Zurückziehung der Revision, sodass das Revisionsverfahren gemäß § 33 Abs. 1 zweiter Satz VwGG mit Beschluss einzustellen gewesen sei. Dieser Beschluss wurde der Antragstellerin am zugestellt.
2 Am stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Begründend führte sie aus, dass der Verbesserungsauftrag des Verwaltungsgerichts vom nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Das Schriftstück sei nach einem erfolglosen Zustellversuch an die Kanzlei des Rechtsvertreters der Antragstellerin beim zuständigen Postamt hinterlegt worden. Allerdings sei auf der bei der Abgabestelle hinterlassenen Hinterlegungsanzeige nicht der berufsmäßige Parteienvertreter als Empfänger ausgewiesen, sondern der Name der Antragstellerin angeführt gewesen. Es läge daher ein Wiederaufnahmegrund gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VwGG vor.
3 Hierüber hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
4 § 45 Abs. 1 Z 2 VwGG lautet:
Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 45. (1) Die Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis oder Beschluss abgeschlossenen Verfahrens ist auf Antrag einer Partei zu bewilligen, wenn
...
2. das Erkenntnis oder der Beschluss auf einer nicht von
der Partei verschuldeten irrigen Annahme der Versäumung einer in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Frist beruht oder
..."
5 Gemäß § 17 Abs. 2 Zustellgesetz (ZustG) ist der Empfänger von der Hinterlegung schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.
6 Ist eine Person, für die das zuzustellende Dokument inhaltlich bestimmt ist (Empfänger im materiellen Sinn), durch eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person vertreten, so ist deren Kanzlei ausschließliche Abgabestelle. In einer solchen Konstellation ist der berufsmäßige Parteienvertreter Empfänger (im formellen Sinn) nach § 2 Z 1 ZustG (vgl. ).
7 Die Antragstellerin macht im Ergebnis geltend, dass ihrem rechtsfreundlichen Vertreter der Mängelbehebungsauftrag nicht rechtmäßig zugestellt worden sei, weil vom Zusteller in der Hinterlegungsanzeige die Antragstellerin als Empfängerin angeführt worden sei.
8 Mit Schreiben des Verwaltungsgerichtes Wien vom wurde die Antragstellerin aufgefordert, näher bezeichnete Formmängel der gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom eingebrachten Revision binnen einer Woche zu beheben. Die Antragstellerin war in diesem Verfahren rechtsfreundlich vertreten. Das Verwaltungsgericht verfügte die Zustellung dieses Mängelbehebungsauftrages an die Antragstellerin zu Handen ihres rechtsfreundlichen Vertreters. Gemäß dem im Akt erliegenden Rückschein wurde das Schreiben nach einem erfolglosen Zustellversuch an der Kanzleianschrift des Rechtsanwaltes am beim Postamt hinterlegt, wobei als Beginn der Abholfrist der angeführt wurde. Vom Zusteller wurde laut Rückschein eine Verständigung von der Hinterlegung an der Abgabestelle zurückgelassen.
9 Nach ständiger hg. Rechtsprechung ist die in § 17 Abs. 2 ZustG genannte Verständigung des Empfängers von der Hinterlegung (Hinterlegungsanzeige) eine öffentliche Urkunde und macht Beweis über die Zustellung. Als öffentliche Urkunde begründet eine "unbedenkliche" - d.h. die gehörige äußere Form aufweisende - Hinterlegungsanzeige die Vermutung der Echtheit und der inhaltlichen Richtigkeit des bezeugten Vorgangs, doch ist der Einwand der Unechtheit oder der Unrichtigkeit zulässig (vgl. , Rn. 6, mwN). Gemäß § 17 Abs. 3 ZustG gilt eine hinterlegte Sendung mit dem ersten Tag der Abholfrist als zugestellt.
10 Die mit dem Wiederaufnahmeantrag vorgelegte gegenständliche Hinterlegungsanzeige weist das Verwaltungsgericht Wien als Absender, den Ort der Hinterlegung, Beginn und Dauer der Abholfrist aus und weist auf die Wirkung der Hinterlegung hin. Die Hinterlegungsanzeige führt jedoch die Antragstellerin als Empfängerin und nicht ihren rechtsfreundlichen Vertreter an. Es liegt somit - wie in Rn. 6 dargelegt - ein Zustellmangel vor. Für eine Heilung dieses Zustellmangels gemäß § 7 ZustG finden sich keine Anhaltspunkte im Akt. Der Mängelbehebungsauftrag des Verwaltungsgerichtes Wien vom wurde somit nicht ordnungsgemäß zugestellt.
11 Der hg. Beschluss vom beruht daher gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VwGG auf einer nicht von der Partei verschuldeten irrigen Annahme der Versäumung einer in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Frist (vgl. und 0031), sodass dem Antrag auf Wiederaufnahme stattzugeben war.
12 Die Antragstellerin begehrte Kostenersatz im Zusammenhang mit dem Antrag auf Wiederaufnahme. § 54 VwGG sieht einen solchen Kostenersatz aber nur für die - hier nicht vorliegenden - Wiederaufnahmefälle des § 45 Abs. 1 Z 1 und § 45 Abs. 4 VwGG vor. Im Fall der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VwGG besteht kein Anspruch auf Kostenersatz, weshalb dem Antrag nicht stattzugeben war (vgl. und 0002, Rn. 3).
Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Beschluss
Entscheidungsdatum:
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, in der Revisionssache der S K in W, vertreten durch Dr. Metin Akyürek, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Köstlergasse 1/23, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW-151/009/2663/2017-1, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine türkische Staatsangehörige, verfügte seit über Aufenthaltsbewilligungen "Studierender", zuletzt mit Gültigkeit bis . Am stellte sie einen Verlängerungsantrag und einen Antrag auf Zweckänderung auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus". Dabei berief sie sich auf eine unselbstständige Tätigkeit seit dem und darauf, dass sie Rechte aus Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) erworben hätte.
2 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde der Revisionswerberin gegen den abweisenden Bescheid der Behörde vom betreffend den Zweckänderungsantrag ab.
3 Begründend stellte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen fest, dass die Revisionswerberin die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 erfülle. Weiters führte das Verwaltungsgericht aus, dass das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) keinen spezifischen Aufenthaltstitel für jene türkischen Staatsangehörigen kenne, die bereits eine Rechtsposition nach Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 erreicht hätten. Daraus lasse sich jedoch nicht der Schluss ziehen, dass der Revisionswerberin (konstitutiv) ein über ihre aus dem ARB 1/80 derzeit erlangte Rechtsposition hinausgehender Aufenthaltstitel (mit freiem Zugang zum Arbeitsmarkt) in Form der beantragten "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" zu erteilen wäre.
4 Die Zulässigkeit einer ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, welcher Aufenthaltstitel nach dem NAG einem türkischen Staatsangehörigen, der ein Aufenthaltsrecht gemäß Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 erworben habe und künftig einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgehen wolle, zu erteilen sei.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. 6 In ihrer Zulässigkeitsbegründung bringt die Revision vor,
dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu fehle, welcher Aufenthaltstitel nach dem NAG gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 aufenthaltsberechtigten türkischen Staatsangehörigen zu erteilen sei. Weiters habe das Verwaltungsgericht verkannt, dass der Revisionswerber bereits Rechte aus Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 erworben hätte.
7 Die Revision ist entgegen dem - den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden (§ 34 Abs. 1a VwGG) - Ausspruch des Verwaltungsgerichtes im Hinblick auf das zwischenzeitig ergangene hg. Erkenntnis vom , Ro 2017/22/0015, nicht zulässig (vgl. zum nachträglichen Wegfall einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auch für ordentliche Revisionen etwa , Rn. 14, mwN).
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem genannten Erkenntnis Ro 2017/22/0015, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, zu einem in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ähnlich gelagerten Fall ausgeführt, dass eine Zweckänderung von einem Aufenthaltstitel "Studierender" auf eine "Rot-Weiß-Rot - Karte plus", mit der ein uneingeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt verbunden ist, nicht schon deswegen zulässig ist, weil die Voraussetzung des Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 erfüllt ist.
9 Die in diesem Erkenntnis getroffenen Aussagen sind auf Fälle nach dem zweiten Spiegelstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gleichermaßen anwendbar (vgl. , Rn. 4). Somit könnte die Revisionswerberin auch aus Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 kein Recht auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG ableiten.
10 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen. Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | AVG §47; VwGG §45 Abs1 Z2; VwGG §54; ZPO §292; ZustG §13 Abs4; ZustG §17 Abs2; ZustG §17 Abs3; ZustG §2 Z1; ZustG §2 Z4; ZustG §5; ZustG §9 Abs3; |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2018:RO2018220003.J00.1 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
GAAAF-49748