VwGH 07.09.2017, Ra 2017/08/0063
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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RS 1 | Für die Beantwortung der Frage, auf wessen Rechnung und Gefahr ein Betrieb geführt wird, ist maßgeblich, ob jene Person, deren Versicherungs- bzw. Beitragspflicht zu beurteilen ist, aus der Betriebsführung im Außenverhältnis (also im Verhältnis zu Dritten) berechtigt und verpflichtet wird. Wer aus der Betriebsführung in diesem Sinne berechtigt und verpflichtet wird, ist eine Rechtsfrage, die nicht nach bloß tatsächlichen Gesichtspunkten, sondern letztlich nur auf Grund rechtlicher Gegebenheiten beantwortet werden kann (vgl. VwGH Erkenntnis vom , 2007/08/0296 mwN). |
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RS 2 | Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Betrieb auf Rechnung und Gefahr mehrerer Personen geführt wird und somit mehreren Personen Dienstgebereigenschaft zukommt, insbesondere dann, wenn sie sich zu einer GesbR zusammengeschlossen haben (vgl. etwa VwGH Erkenntnis vom , 2013/08/0188, mwN). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Salzburger Gebietskrankenkasse in Salzburg, vertreten durch die Niederhuber & Partner Rechtsanwälte GmbH in 5020 Salzburg, Wilhelm-Spazier-Straße 2a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. L511 2005897- 2/3E, betreffend Feststellung von Versicherungspflichten gemäß § 4 Abs. 1 und 2 ASVG sowie § 1 Abs. 1 lit. a AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. A GmbH in B, vertreten durch die Haslinger/Nagele & Partner Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Roseggerstraße 58, 2. MM Kft, 3. MI Kft, beide in B, beide vertreten durch Mag. Ulrich Salburg, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/19, 4. Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 5. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1201 Wien, Adalbert Stifterstraße 65- 67, 6. R B, 7. R C, 8. I G, 9. P K, 10. T O; weitere Partei:
Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 2. Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom , 2008/08/0261, sowie auf das Vorabentscheidungsersuchen vom , Ro 2016/08/0013, verwiesen.
5 Die erstmitbeteiligte Partei (im Folgenden: A GmbH) mit Sitz in Österreich ist im Geschäftszweig der Vieh- und Fleischvermarktung tätig und betreibt in S seit 1997 einen gepachteten Schlachthof.
6 Im Jahr 2007 schloss die A GmbH (bzw. die S GmbH als deren Rechtsvorgängerin) mit der im Jahr 2004 gegründeten zweitmitbeteiligten Partei mit Sitz in Ungarn (im Folgenden MM Kft) einen Vertrag, in dem sich diese zu Fleischzerlegungs- und Verpackungsarbeiten im Ausmaß von 25 Rinderhälften pro Woche verpflichtete. Die Arbeiten wurden in den Räumlichkeiten der A GmbH von nach Österreich entsendeten Mitarbeitern ausgeführt. Werkzeug, Maschinen und Arbeitskleidung wurden von der A GmbH zur Verfügung gestellt. Mit gab die MM Kft den Bereich der Fleischzerlegung auf und führte fortan Schlachtungen für die A GmbH durch.
7 Am schloss die A GmbH mit der im Jahr 2004 gegründeten drittmitbeteiligten Partei mit Sitz in Ungarn (im Folgenden: MI Kft) einen Vertrag, in dem sich die MI Kft verpflichtete, im Zeitraum vom bis für die A GmbH 55.000 t Rinderhälften zu zerlegen. Die Arbeiten wurden in den (samt Betriebsausstattung angemieteten) Räumlichkeiten der A GmbH von nach Österreich entsendeten Mitarbeitern ausgeführt. Das erforderliche Material wie Messer, Sägen und Schutzkleidung stand im Eigentum der MI Kft Die A GmbH kaufte die Rinder, ließ sie von der MM Kft schlachten, teilen und in einem Kühlhaus zwischenlagern. Die in ihrem Eigentum verbleibenden Fleischteile wurden von der MI Kft übernommen und von deren Mitarbeitern weiter zerlegt und verpackt. Die A GmbH bzw. deren Mitarbeiter gaben der MI Kft bzw. deren Vorarbeiter Anordnungen über die benötigte Verarbeitung der Rinderhälften (Schnittpläne). Die MI Kft organisierte den weiteren Arbeitsablauf, erteilte ihren Arbeitnehmern die erforderlichen Weisungen und legte der A GmbH schließlich die vereinbarungsgemäß verarbeitete Ware zur Kontrolle der erbrachten Leistungen vor. Der Werklohn der MI Kft errechnete sich nach der Menge des verarbeiteten Fleisches. Er wurde herabgesetzt, wenn die Qualität des verarbeiteten Fleisches unzureichend war.
8 Ab dem verpflichtete die A GmbH wiederum die MM Kft, die genannten Fleischzerlegearbeiten in den genannten Einrichtungen mit deren Mitarbeitern durchzuführen.
9 Im streitgegenständlichen Zeitraum vom bis wurden von der MI Kft etwa 250 Mitarbeiter beschäftigt. Für einen großen Teil dieser Mitarbeiter hat der zuständige ungarische Sozialversicherungsträger Bescheinigungen über die Anwendung der ungarischen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit gemäß Art. 11 bis 16 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 (A1-Dokument bzw. "portable document A1") ausgestellt. In diesen Bescheinigungen ist die A GmbH als Arbeitgeber an dem Ort, an dem eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, genannt.
10 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht ausgesprochen, dass die sechst- bis zehntmitbeteiligte Partei (für die keine A1-Bescheinigungen ausgestellt worden waren) in näher bezeichneten Zeiträumen auf Grund der für die MI Kft ausgeübten Tätigkeiten ausschließlich als Dienstnehmer der MI Kft der Vollversicherung gemäß § 4 Abs. 1 und Abs. 2 ASVG sowie der Arbeitslosenversicherung gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterliegen.
11 Begründend führte das Verwaltungsgericht u.a. aus, der Schlachthof werde von der A GmbH betrieben. Diese lagere Arbeiten (wie Schlachtung, Zerlegung usw) an andere rechtlich und personell selbständige Unternehmen aus. Es habe keine Gewinn- oder Verlustbeteiligung der MM Kft oder der MI Kft gegeben. Diese seien subordinierte Werkvertragsnehmer der A GmbH gewesen. Eine gemeinsame Zweckverfolgung habe nicht bestanden. Die A GmbH, die MM Kft und die MI Kft hätten keine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gebildet. Die gegenständlichen Dienstnehmer seien ausschließlich bei der MI Kft in Beschäftigung gestanden.
12 3.1. Die revisionswerbende Gebietskrankenkasse führt zur Zulässigkeit der Revision aus, die entscheidende Rechtsfrage könne nur sein, "ob die Einbringung des baulichen Betriebs, des Kundenstocks, der Marktpräsenz sowie der Arbeitskraft eine zur gemeinsamen Zweckverfolgung geeignete Beitragsleistung darstellen kann bzw. inwieweit ein Subordinationsverhältnis zwischen mehreren Unternehmern sowie eine fehlende Gewinnbeteiligung dem Vorliegen einer gemeinsamen Zweckverfolgung - als weiteres Kriterium einer GesbR - entgegenstehen."
13 Überdies habe das Verwaltungsgericht (u.a.) über die Beschwerde einer nicht existierenden "M-M Kft" entschieden. Der Ausgangsbescheid sei von der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse u.a. an die "M-M Kft, inländische Zweigniederlassung" in Salzburg adressiert worden. Es handle sich dabei um eine Zweigniederlassung der "M-M Szolgaltato es Kereskedelmi Korlatolt felel?sseg? tarsasag" ("Korlatolt felel?sseg? tarsasag", abgekürzt Kft, bezeichnet eine ungarische Gesellschaft mit beschränkter Haftung;
"Szolgaltato es Kereskedelmi" bedeutet "Dienstleistungs- und Handels-"), der keine eigene Rechtspersönlichkeit zukomme. Die Beschwerde sei von der A GmbH, der MM Kft und von einer "M-M Kft" erhoben worden. Es existiere aber - mit gleichem Sitz wie die angebliche "M-M Kft" in Budapest - nur eine "M-M Szolgaltato es Kereskedelmi Kft".
14 3.2. Damit werden keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt.
15 Für die Beantwortung der Frage, auf wessen Rechnung und Gefahr ein Betrieb geführt wird, ist maßgeblich, ob jene Person, deren Versicherungs- bzw. Beitragspflicht zu beurteilen ist, aus der Betriebsführung im Außenverhältnis (also im Verhältnis zu Dritten) berechtigt und verpflichtet wird. Wer aus der Betriebsführung in diesem Sinne berechtigt und verpflichtet wird, ist eine Rechtsfrage, die nicht nach bloß tatsächlichen Gesichtspunkten, sondern letztlich nur auf Grund rechtlicher Gegebenheiten beantwortet werden kann (vgl. 2007/08/0296 mwN). Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Betrieb auf Rechnung und Gefahr mehrerer Personen geführt wird und somit mehreren Personen Dienstgebereigenschaft zukommt, insbesondere dann, wenn sie sich zu einer GesbR zusammengeschlossen haben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2013/08/0188, mwN). Eine solche Sachverhaltskonstellation hat das Verwaltungsgericht zu Recht nicht angenommen.
16 Da es keine juristische Person des Namens "M-M Kft" gibt, eine Verwechslung ausgeschlossen und es vorliegend auch nicht zweifelhaft ist, dass der M-M Szolgaltato es Kereskedelmi Kft Rechtssubjektivität zukommt, ist trotz des auf die österreichische Adresse bezogenen Zusatzes "Zweigniederlassung" im Ausgangsbescheid bzw. trotz der Nichtverwendung des vollständigen Namens "M-M Szolgaltato es Kereskedelmi Kft" nur diese Partei des Verfahrens (zur jederzeitigen Möglichkeit einer Berichtigung vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2007/08/0107).
17 4. In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017080063.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
NAAAF-49173