VwGH 24.01.2017, Ra 2016/08/0181
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Norm | |
RS 1 | Bloße Vertretungsregelungen und Mitspracherechte im Rahmen einer flexiblen Diensteinteilung bzw. Dienstplanerstellung, wie sie im Arbeitsleben häufig vorkommen, aber auch das - die Organisation des Arbeitsablaufes durch den Arbeitgeber erleichternde - Anerbieten an den Erwerbstätigen, für den Fall seiner Verhinderung eine Ersatzarbeitskraft stellig zu machen (vgl. in diesem Zusammenhang auch § 35 Abs. 1 ASVG betreffend die Indienstnahme durch Mittelspersonen), haben mit dem für das Fehlen der persönlichen Arbeitspflicht herausgearbeiteten Kriterium eines "generellen Vertretungsrechts" nichts zu tun und berühren die in der Phase der Beschäftigung bestehende persönliche Abhängigkeit nicht. Der "tatsächliche Gebrauch" solcher Vertretungsbefugnisse könnte sich allenfalls darauf auswirken, ob kontinuierliche oder tageweise abhängige Beschäftigungsverhältnisse vorliegen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2012/08/0268, und vom , Zl. 2013/08/0093). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2013/08/0258 E RS 4 |
Normen | |
RS 2 | Die Entscheidung über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung iSd § 4 Abs. 2 ASVG ist das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Gesamtabwägung der maßgeblich für bzw. gegen das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sprechenden Umstände und Merkmale. Wurde diese auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen, so ist eine solche einzelfallbezogene Beurteilung im Allgemeinen nicht revisibel (vgl. den hg. Beschluss vom , Ro 2014/05/0097). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht diese Gesamtabwägung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Ra 2015/08/0003). Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. die hg. Beschlüsse vom , Ro 2014/04/0022, und vom , Ra 2014/07/0026, mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2015/08/0055 B RS 1 |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
Ra 2016/08/0180
Ra 2016/08/0183
Ra 2016/08/0182
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. H. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revisionen der
P GesmbH in T, vertreten durch Mag. Alois Pirkner, Rechtsanwalt in 5580 Tamsweg, Kuenburgstraße 6, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom ,
1) Zl. L503 2118379-1/2E (Ra 2016/08/0180), 2) Zl. L503 2118379- 2/3E (Ra 2016/08/0181), 3) Zl. L503 2118379-3/3E (Ra 2016/08/0183) und 4) Zl. L503 2118379-4/3E (Ra 2016/08/0184), betreffend Pflichtversicherungen und Beitragsnachverrechnung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Oberösterreichische Gebietskrankenkasse in 4010 Linz, Gruberstraße 77; mitbeteiligte Parteien: 1. L P, L, 2. P T, H, 3. N Z, L,
4. Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 5. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1201 Wien, Adalbert Stifterstraße 65-67; weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 2. Mit den jeweils in Revision gezogenen zu 2) bis 4) ergangenen Erkenntnissen wurde festgestellt, dass der Erst-, Zweit- und Drittmitbeteiligte hinsichtlich ihrer für die revisionswerbende Partei ausgeübten Tätigkeiten (als Trockenbauer und Verspachtler) vom bis der Vollversicherung nach § 4 Abs. 1 und 2 ASVG sowie der Arbeitslosenversicherung gemäß § 1 Abs. 1 lit a AlVG unterliegen. Mit dem zu 1) genannten Erkenntnis wurde die revisionswerbende Partei verpflichtet, an allgemeinen Beiträgen EUR 25.364,91 sowie einen Beitragszuschlag von EUR 7.420,90 zu entrichten.
5 3. Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revisionen vor, das Verwaltungsgericht habe § 24 Abs. 4 VwGVG nicht beachtet und die beantragte mündliche Verhandlung nicht durchgeführt. Die belangte Behörde habe im Beschwerdeverfahren eine Stellungnahme erstattet, die der revisionswerbenden Partei nicht zur Kenntnis gebracht worden sei.
6 Die Zulässigkeit einer Revision setzt neben dem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Entscheidung über die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Dies ist im Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel nur dann der Fall, wenn die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird. Der geltend gemachte Mangel muss abstrakt dazu führen, im Falle eines mängelfreien Verfahrens eine andere - für die revisionswerbenden Parteien günstigere - Sachverhaltsgrundlage zu schaffen (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Ra 2015/05/0006, mwN). Die revisionswerbende Partei hat diesbezüglich kein Vorbringen erstattet und sohin nicht aufgezeigt, dass die Entscheidung über die Revision von der Lösung der geltend gemachten Rechtsfrage abhängt.
7 4. Die revisionswerbende Partei bringt weiters vor, das Verwaltungsgericht habe "die ständige Rechtsprechung des VwGH zur Abgrenzung eines Werkvertrages von einem Dienstvertrag nicht beachtet bzw. nicht richtig angewendet" und es sei nicht festgestellt worden, dass den Erst-, Zweit- und Drittmitbeteiligten eine persönliche Arbeitspflicht getroffen habe.
8 Auch damit zeigt die revisionswerbende Partei keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf. Nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen haben der Erst-, Zweit- und Drittmitbeteiligte (ungeachtet der schriftlich ausgestellten "Werkverträge") nach dem wahren wirtschaftlichen Gehalt (§ 539a ASVG) ausschließlich für die revisionswerbende Partei mit deren Betriebsmitteln unter der Aufsicht eines Bauleiters für die revisionswerbende Partei stundenweise abgerechnete Trockenbau- und Verspachtelungsarbeiten durchgeführt. Dies hat das Verwaltungsgericht als abhängige Beschäftigung iSd § 4 Abs. 2 ASVG qualifiziert. Für ein Fehlen der persönlichen Arbeitspflicht boten die Feststellungen keine Anhaltspunkte. Bloße Vertretungsregelungen und Mitspracherechte im Rahmen einer flexiblen Diensteinteilung bzw. Dienstplanerstellung, wie sie im Arbeitsleben häufig vorkommen, aber auch das - die Organisation des Arbeitsablaufes durch den Arbeitgeber erleichternde - Anerbieten an den Erwerbstätigen, für den Fall seiner Verhinderung eine Ersatzarbeitskraft stellig zu machen, haben mit dem für das Fehlen der persönlichen Arbeitspflicht herausgearbeiteten Kriterium eines "generellen Vertretungsrechts" nichts zu tun und berühren die in der Phase der Beschäftigung bestehende persönliche Abhängigkeit nicht. Der "tatsächliche Gebrauch" solcher Vertretungsbefugnisse könnte sich allenfalls darauf auswirken, ob kontinuierliche oder tageweise abhängige Beschäftigungsverhältnisse vorliegen. Auch die Befugnis eines Erwerbstätigen, angebotene Beschäftigungsmöglichkeiten auszuschlagen, berührt die persönliche Arbeitspflicht in keiner Weise, mag diese Befugnis auch als "sanktionsloses Ablehnungsrecht" (in einem weiteren Sinn) bezeichnet werden. Zwischen der sanktionslosen Ablehnung der Erbringung einzelner Leistungen, etwa bei deren Abruf im Zuge einer Rahmenvereinbarung bei verpflichtender Tätigkeit im Fall der Zusage, und einem generellen sanktionslosen Ablehnungsrecht, das die persönliche Abhängigkeit ausschließt, ist ein deutlicher Unterschied zu machen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2006/08/0193, vom , Zl. 2012/08/0268, und vom , Zl. 2013/08/0093).
9 Die Entscheidung über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung iSd § 4 Abs. 2 ASVG ist im Übrigen das Ergebnis einer im jeweiligen Einzelfall vorzunehmenden Gesamtabwägung der maßgeblich für bzw. gegen das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sprechenden Umstände und Merkmale. Wurde diese auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen, so ist eine solche einzelfallbezogene Beurteilung im Allgemeinen nicht revisibel. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht diese Gesamtabwägung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte. Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. zum Ganzen den hg. Beschluss vom , Ra 2015/08/0055, mwN).
10 5. In den Revisionen werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie waren daher zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Dienstnehmer Begriff Persönliche Abhängigkeit |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016080181.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
NAAAF-48927