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VwGH 12.02.2021, Ra 2019/13/0107

VwGH 12.02.2021, Ra 2019/13/0107

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
RS 1
Wie den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Abgabenänderungsgesetz 2016 (1352 BlgNR 25. GP 18 f) entnommen werden kann, sind die Bestimmungen des § 292 BAO über die Gewährung von Verfahrenshilfe den Regelungen der ZPO (§ 63 ff ZPO) nachgebildet. Dies gilt insbesondere für die Definition des notwendigen Unterhalts (§ 292 Abs. 2 BAO) und für die Definition der offenbar mutwillig oder aussichtlos erscheinenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung (§ 292 Abs. 5 BAO); diese entsprechen den Definitionen in der ZPO. Der Gleichklang der Bestimmungen über die Verfahrenshilfe in der BAO und in der ZPO ist jedoch nicht durchgängig, was sich gerade bei der Rechtsfrage der von der Verfahrenshilfe umfassten Verfahrensteile bzw. -schritte zeigt. Gemäß § 64 Abs. 1 ZPO kann die Verfahrenshilfe für einen bestimmten Rechtsstreit gewährt werden. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe nach § 63 ZPO wirkt somit für den gesamten Rechtsstreit, für den sie beantragt und bewilligt wurde; umfasst sind somit auch allfällige Rechtsmittelverfahren einschließlich eines Revisionsverfahrens (vgl. RIS-Justiz RS0036177); vgl. M. Bydlinski in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³, § 64 ZPO Rz 1 und Rz 24). Demgegenüber sieht § 292 Abs. 1 BAO die Gewährung der Verfahrenshilfe nur "für das Beschwerdeverfahren" vor (vgl. auch § 292 Abs. 5 BAO, zur Aussichtslosigkeit oder Mutwilligkeit einer "Beschwerde"). Als Beschwerdeverfahren kommen nur Verfahren über Bescheidbeschwerden (§ 243 BAO), Maßnahmenbeschwerden (§ 283 BAO) und Säumnisbeschwerden (§ 284 BAO), in Betracht (vgl. Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 292 Anm 3, mit Hinweis auf die Erläuterungen). Revisionsverfahren gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 1 (und Abs. 9) B-VG sind vom Begriff des "Beschwerdeverfahrens" nicht umfasst, womit die Verfahrenshilfe gemäß § 292 BAO nicht für Revisionsverfahren vor dem VwGH gewährt werden kann (vgl. Dietrich/Kudrna, BFGjournal 2017, 289 [292]). Die Gewährung der Verfahrenshilfe im Revisionsverfahren richtet sich ausschließlich nach § 61 VwGG.
Normen
RS 2
Aufgrund der Einschränkung der Verfahrenshilfe auf das zu führende "Beschwerdeverfahren" sind als "Kosten der Führung des Verfahrens" gemäß § 292 Abs. 1 Z 1 BAO auch nur die Kosten des Beschwerdeverfahrens anzusehen, somit jenes Verfahrens, für das Verfahrenshilfe gewährt werden kann. Für die Gewährung der Verfahrenshilfe nach § 292 BAO ist es somit nicht von Belang, ob die die Gewährung der Verfahrenshilfe beantragende Partei außerstande ist, die Kosten eines allfälligen Revisionsverfahrens zu bestreiten, ohne ihren notwendigen Unterhalt zu beeinträchtigen.
Normen
RS 3
Schon angefallene Kosten können die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Partei und damit auch ihre Fähigkeit zur Tragung der "Kosten der Führung des Verfahrens" beeinträchtigen. Gegenstand der Schätzung - dieser letztgenannten Kosten - können aber nur solche Kosten sein, von deren Tragung die Partei durch die Gewährung der Verfahrenshilfe befreit würde. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt der Beschluss, mit dem die Verfahrenshilfe gewährt wird, seine Wirkung entfaltet. Gemäß § 64 Abs. 3 ZPO treten, soweit die Verfahrenshilfe bewilligt wird, die Befreiungen und Rechte mit dem Tag ein, an dem sie beantragt worden sind. Die Befreiung für bestimmte Barauslagen kann nach der genannten Bestimmung sogar bis zu deren Entrichtung beantragt werden. Die Rückwirkung des § 64 Abs. 3 ZPO umfasst jedoch nicht die vorläufig unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts (vgl. M. Bydlinski in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³, § 64 ZPO Rz 32). Die Bestellung zum Verfahrenshelfer entfaltet erst Wirksamkeit mit Zustellung des Bestellungsbescheides des Ausschusses der zuständigen Rechtsanwaltskammer. Dies gilt auch, wenn ein Rechtsanwalt, der schon vor Zuerkennung der Verfahrenshilfe als Bevollmächtigter der antragstellenden Partei für diese Verfahrensschritte gesetzt hat (als frei gewählter Rechtsanwalt), zum Verfahrenshelfer bestellt wird. Der Ausschluss einer rückwirkenden Beigebung eines Verfahrenshelfers gewährleistet auch dann, wenn es sich um dieselbe Person handelt, eine klare Abgrenzung zwischen der auf privatrechtlicher Grundlage entfalteten Tätigkeit des frei gewählten Vertreters und der Tätigkeit des Verfahrenshelfers, dessen Verhältnis zur Partei ausschließlich öffentlich-rechtlicher Natur ist (vgl. OLG Linz , 2 R 93/84, RZ 1985,19; M. Bydlinski, a.a.O., § 64 ZPO Rz 17). Diese Grundsätze sind mangels gegenteiliger Regelung - und umso mehr, als die BAO keine dem § 64 Abs. 3 ZPO entsprechende Rückwirkungsanordnung enthält - auf § 292 BAO zu übertragen, was bedeutet, dass auch hier eine rückwirkende Bestellung zum Verfahrenshelfer nicht möglich ist. Demnach sind bei der Schätzung der "Kosten der Führung des Verfahrens" gemäß § 292 Abs. 1 Z 1 BAO nur zukünftig anfallende Kosten für den Rechtsvertreter zu berücksichtigen, weil bei Gewährung der Verfahrenshilfe in der Form der Beigebung eines Verfahrenshelfers der Antragsteller nur von diesen Kosten entlastet werden kann.
Normen
RS 4
Bei der Beurteilung, ob die Verfahrenskosten ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts bestritten werden können, ist auf die Einkommens- und Vermögenslage im Beurteilungszeitpunkt abzustellen. Bei Verschlechterung der Einkommens- und Vermögenslage nach Abweisung des Antrags auf Verfahrenshilfe kann ein neuerlicher Antrag gestellt werden, wohingegen eine Verbesserung der Einkommens- und Vermögenslage gemäß § 292 Abs. 13 BAO auch den Widerruf der zunächst gewährten Verfahrenshilfe zur Folge haben kann (vgl. § 68 Abs. 1 ZPO).
Normen
RS 5
Gemäß § 292 Abs. 1 Z 1 BAO ist zu prüfen, ob die antragstellende Partei imstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Abgabenänderungsgesetz 2016 (1352 BlgNR 25. GP 18) entspricht die Definition des "notwendigen Unterhalts" in § 292 Abs. 2 BAO jener in § 63 Abs. 1 zweiter Satz ZPO. Als notwendiger Unterhalt ist demnach ein zwischen dem "notdürftigen" und dem "standesgemäßen" Unterhalt liegender anzusehen, der abstrakt zwischen dem statistischen Durchschnittseinkommen eines unselbständig Erwerbstätigen und dem "Existenzminimum" liegt und unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine die Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigende bescheidene Lebensführung gestattet (vgl. ).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision der E in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Halm, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 1090 Wien, Berggasse 10, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. VH/7100007/2019, betreffend Gewährung der Verfahrenshilfe gemäß § 292 BAO in einem Beschwerdeverfahren hinsichtlich Umsatzsteuer 2005 und Festsetzung von Umsatzsteuer Jänner bis August 2006, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte des Revisionsfalles wird zunächst auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2017/13/0061 (im Folgenden: Vorerkenntnis), verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hob damit den im ersten Rechtsgang gefällten Beschluss des Bundesfinanzgerichtes, mit dem dieses den Antrag der Revisionswerberin auf Gewährung der Verfahrenshilfe gemäß § 292 BAO abgewiesen hatte, auf.

2 Der Verwaltungsgerichtshof sprach im Vorerkenntnis aus, dass bei der Prüfung der Frage, ob die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts aufgebracht werden können, eine Schätzung der auf Seiten der Revisionswerberin voraussichtlich anfallenden Kosten - bei Annahme eines durchschnittlichen Verfahrensablaufes - unerlässlich ist. Da eine Schätzung dieser Kosten in Verkennung der Rechtslage nicht erfolgt war, war der Beschluss des Bundesfinanzgerichtes mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

3 Im - nach dem Vorerkenntnis - fortgesetzten Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht legte die Revisionswerberin - in Beantwortung des Vorhalts des Bundesfinanzgerichtes vom  - mit Schreiben vom  eine detaillierte Aufstellung ihrer Einkommensverhältnisse (einnahmen- und ausgabenseitig) sowie der geschätzten Kosten „des Rechtsmittelverfahrens“ (Kosten des steuerlichen Vertreters) vor.

4 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wies das Bundesfinanzgericht den Antrag der Revisionswerberin auf Gewährung der Verfahrenshilfe gemäß § 292 BAO erneut ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

5 Das Bundesfinanzgericht führte - nach Schilderung des Verfahrensgangs und Feststellung des im bisherigen Verfahren unstrittigen Sachverhalts - im Wesentlichen aus, die von der Revisionswerberin geschätzten Kosten des Verfahrens seien nur zum Teil zu berücksichtigen.

6 Auszublenden seien dabei im Hinblick auf die Bestimmung des § 61 VwGG zunächst die angeführten Kosten für das bereits geführte Revisionsverfahren im ersten Rechtsgang (hinsichtlich der Verfahrenshilfe nach § 292 BAO) sowie - für den Fall der Abweisung der von der Revisionswerberin bereits eingebrachten Beschwerde gegen die Umsatzsteuerbescheide durch das Bundesfinanzgericht - für ein allfälliges Revisionsverfahren hinsichtlich der Umsatzsteuer. Weiters seien die bereits angefallenen Kosten für das Verfahren betreffend die Gewährung der Verfahrenshilfe nach § 292 BAO (Kosten des steuerlichen Vertreters für die Antragstellung sowie für die weiteren Eingaben an das Bundesfinanzgericht, insbesondere für die Beantwortung des Vorhalts des Bundesfinanzgerichtes vom ) nicht zu berücksichtigen, weil dieses Verfahren nicht das „Beschwerdeverfahren“ iSd § 292 Abs. 1 BAO sei. Schließlich seien auch die aufgrund eines angenommenen 10%igen Sicherheitszuschlags angegebenen Kosten nicht zu berücksichtigen, weil nach den Bestimmungen der BAO eine Schätzung nur nach Maßgabe des § 184 BAO - somit nur wenn die Grundlagen für die Abgabenerhebung von der Abgabenbehörde nicht ermittelt werden können - zulässig sei.

7 Unter Ausblendung der genannten Kosten und bei Annahme eines durchschnittlichen Verfahrenslaufes stellte das Bundesfinanzgericht voraussichtlich anfallende Kosten für das Beschwerdeverfahren in Höhe von 4.760 € fest.

8 Zur Frage, ob die Revisionswerberin außerstande sei, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung ihres notwendigen Unterhalts zu bestreiten, führte das Bundesfinanzgericht mit Hinweis auf die Bestimmung des § 63 ZPO im Wesentlichen aus, der Richtwert für den „notwendigen Unterhalt“ - ermittelt als Mittelwert zwischen dem mittleren Bruttojahreseinkommen eines unselbständig Beschäftigten in monatlicher Höhe von 1.805 € als „standesgemäßer Unterhalt“ und dem Ausgleichszulagenrichtsatz für alleinstehende Personen gemäß § 293 Abs. 1 lit. a ASVG in monatlicher Höhe von 933,06 € als „notdürftiger Unterhalt“ - betrage monatlich 1.370 €. Das monatliche Nettoeinkommen der Revisionswerberin in Höhe von 1.860 € gehe daher klar über den geforderten „notwendigen Unterhalt“ hinaus und entspräche sogar einem „standesgemäßen Unterhalt“.

9 Das Bundefinanzgericht hielt abschließend fest, dass die Revisionswerberin - nach Abzug ihrer monatlichen Fixkosten und von statistisch ermittelten durchschnittlichen Verbrauchsausgaben - bei durchschnittlicher Lebensführung einen monatlichen Betrag von 405 € zur freien Verfügung habe. Diesen Betrag könne die Revisionswerberin ansparen oder für eine ratenweise Begleichung der Honorarforderung eines steuerlichen Vertreters leisten. Zusammenfassend sprach das Bundefinanzgericht aus, dass die Revisionswerberin in der Lage sei, die notwendigen Mittel für die Verfahrensführung aufzubringen.

10 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

11 Zur Zulässigkeit der Revision wird - auf das Wesentliche zusammengefasst - ausgeführt, dass aufgrund der erst vor wenigen Jahren erfolgten Einführung des § 292 BAO Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle, insbesondere zur Frage, welche Kosten als „Kosten der Führung des Verfahrens“ iSd § 292 Abs. 1 Z 1 BAO anzusehen seien. Offen sei insbesondere die Rechtsfrage, ob auch „der notwendige Rechtsgang an den VwGH mit einzubeziehen ist“ sowie jene Kosten „miteinzubeziehen sind, welche bisher wegen der Nichtgewährung der Verfahrenshilfe angefallen sind“.

12 Weiters sei die Rechtsfrage offen, inwieweit bei der Schätzung des notwendigen Unterhalts „nicht vorhersehbare Ausgaben der Haushaltsführung oder Kosten für Heilbehandlungen und/oder Medikamente, welche nicht oder nur teilweise von der gesetzlichen Sozialversicherung bezahlt werden, mit einzubeziehen sind“. Schließlich sei auch die Rechtsfrage ungeklärt, inwieweit auch bei geringem Einkommen gelegentliche Ausgaben für „Urlaub und/oder Kuraufenthalt“ der Gewährung von Verfahrenshilfe entgegenstünden.

13 Die Revision ist - insbesondere hinsichtlich der Rechtsfrage, welche Kosten als „Kosten der Führung des Verfahrens“ iSd § 292 Abs. 1 Z 1 BAO anzusehen sind - zulässig. Sie ist aber nicht begründet.

14 § 292 BAO (in der Fassung BGBl. I Nr. 117/2016) lautet auszugsweise:

„(1) Auf Antrag einer Partei (§ 78) ist, wenn zu entscheidende Rechtsfragen besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweisen, ihr für das Beschwerdeverfahren Verfahrenshilfe vom Verwaltungsgericht insoweit zu bewilligen,

1. als die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten und

2. als die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

(2) Als notwendiger Unterhalt ist derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt.

[...]

(5) Offenbar aussichtslos ist eine Beschwerde insbesondere bei Unschlüssigkeit des Begehrens oder bei unbehebbarem Beweisnotstand. Bei einer nicht ganz entfernten Möglichkeit des Erfolges liegt keine Aussichtslosigkeit vor. Mutwillig ist eine Beschwerde dann, wenn sich die Partei der Unrichtigkeit ihres Standpunktes bewusst ist oder bewusst sein muss.

[...]

(11) Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder bzw. die Rechtsanwaltskammer hat mit Beschluss den Wirtschaftstreuhänder bzw. Rechtsanwalt zu bestellen, dessen Kosten die Partei nicht zu tragen hat. Wünschen der Partei über die Auswahl der Person des Wirtschaftstreuhänders oder Rechtsanwaltes ist im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Wirtschaftstreuhänder bzw. Rechtsanwalt nach Möglichkeit zu entsprechen. Von der Bestellung sind die Abgabenbehörde und das Verwaltungsgericht zu verständigen.

[...]“

15 Wie den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Abgabenänderungsgesetz 2016 (1352 BlgNR 25. GP 18 f) entnommen werden kann, sind die Bestimmungen des § 292 BAO über die Gewährung von Verfahrenshilfe den Regelungen der ZPO (§ 63 ff ZPO) nachgebildet. Dies gilt insbesondere für die Definition des notwendigen Unterhalts (§ 292 Abs. 2 BAO) und für die Definition der offenbar mutwillig oder aussichtlos erscheinenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung (§ 292 Abs. 5 BAO); diese entsprechen den Definitionen in der ZPO.

16 Der Gleichklang der Bestimmungen über die Verfahrenshilfe in der BAO und in der ZPO ist jedoch nicht durchgängig, was sich gerade bei der revisionsgegenständlichen Rechtsfrage der von der Verfahrenshilfe umfassten Verfahrensteile bzw. -schritte zeigt.

17 Gemäß § 64 Abs. 1 ZPO kann die Verfahrenshilfe für einen bestimmten Rechtsstreit gewährt werden. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe nach § 63 ZPO wirkt somit für den gesamten Rechtsstreit, für den sie beantragt und bewilligt wurde; umfasst sind somit auch allfällige Rechtsmittelverfahren einschließlich eines Revisionsverfahrens (vgl. RIS-Justiz RS0036177); vgl. M. Bydlinski in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³, § 64 ZPO Rz 1 und Rz 24).

18 Demgegenüber sieht § 292 Abs. 1 BAO die Gewährung der Verfahrenshilfe nur „für das Beschwerdeverfahren“ vor (vgl. auch § 292 Abs. 5 BAO, zur Aussichtslosigkeit oder Mutwilligkeit einer „Beschwerde“). Als Beschwerdeverfahren kommen nur Verfahren über Bescheidbeschwerden (§ 243 BAO), Maßnahmenbeschwerden (§ 283 BAO) und Säumnisbeschwerden (§ 284 BAO), in Betracht (vgl. Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 292 Anm 3, mit Hinweis auf die Erläuterungen). Revisionsverfahren gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 1 (und Abs. 9) B-VG sind vom Begriff des „Beschwerdeverfahrens“ nicht umfasst, womit die Verfahrenshilfe gemäß § 292 BAO nicht für Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gewährt werden kann (vgl. Dietrich/Kudrna, BFGjournal 2017, 289 [292]). Die Gewährung der Verfahrenshilfe im Revisionsverfahren richtet sich ausschließlich nach § 61 VwGG.

19 Aufgrund der Einschränkung der Verfahrenshilfe auf das zu führende „Beschwerdeverfahren“ sind als „Kosten der Führung des Verfahrens“ gemäß § 292 Abs. 1 Z 1 BAO auch nur die Kosten des Beschwerdeverfahrens anzusehen, somit jenes Verfahrens, für das Verfahrenshilfe gewährt werden kann. Für die Gewährung der Verfahrenshilfe nach § 292 BAO ist es somit nicht von Belang, ob die die Gewährung der Verfahrenshilfe beantragende Partei außerstande ist, die Kosten eines allfälligen Revisionsverfahrens zu bestreiten, ohne ihren notwendigen Unterhalt zu beeinträchtigen.

20 Im Hinblick darauf war es richtig, wenn das Bundesfinanzgericht bei der Schätzung der voraussichtlich anfallenden Kosten die von der Revisionswerberin angegebenen Kosten für das - bereits geführte sowie allenfalls noch zu führende - Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht berücksichtigt hat.

21 Zu dem in der Revision vertretenen Standpunkt, wonach bei der Schätzung der voraussichtlich anfallenden Kosten auch jene Kosten einzubeziehen seien, die bisher „wegen der Nichtgewährung der Verfahrenshilfe“ angefallen sind, ist anzumerken, dass schon angefallene Kosten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Partei und damit auch ihre Fähigkeit zur Tragung der „Kosten der Führung des Verfahrens“ beeinträchtigen können. Gegenstand der Schätzung - dieser letztgenannten Kosten - können aber nur solche Kosten sein, von deren Tragung die Partei durch die Gewährung der Verfahrenshilfe befreit würde.

22 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt der Beschluss, mit dem die Verfahrenshilfe gewährt wird, seine Wirkung entfaltet. Gemäß § 64 Abs. 3 ZPO treten, soweit die Verfahrenshilfe bewilligt wird, die Befreiungen und Rechte mit dem Tag ein, an dem sie beantragt worden sind. Die Befreiung für bestimmte Barauslagen kann nach der genannten Bestimmung sogar bis zu deren Entrichtung beantragt werden.

23 Die Rückwirkung des § 64 Abs. 3 ZPO umfasst jedoch nicht die vorläufig unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts (vgl. M. Bydlinski, a.a.O., § 64 ZPO Rz 32). Die Bestellung zum Verfahrenshelfer entfaltet erst Wirksamkeit mit Zustellung des Bestellungsbescheides des Ausschusses der zuständigen Rechtsanwaltskammer. Dies gilt auch, wenn ein Rechtsanwalt, der schon vor Zuerkennung der Verfahrenshilfe als Bevollmächtigter der antragstellenden Partei für diese Verfahrensschritte gesetzt hat (als frei gewählter Rechtsanwalt), zum Verfahrenshelfer bestellt wird. Der Ausschluss einer rückwirkenden Beigebung eines Verfahrenshelfers gewährleistet auch dann, wenn es sich um dieselbe Person handelt, eine klare Abgrenzung zwischen der auf privatrechtlicher Grundlage entfalteten Tätigkeit des frei gewählten Vertreters und der Tätigkeit des Verfahrenshelfers, dessen Verhältnis zur Partei ausschließlich öffentlich-rechtlicher Natur ist (vgl. OLG Linz , 2 R 93/84, RZ 1985,19; M. Bydlinski, a.a.O., § 64 ZPO Rz 17).

24 Diese Grundsätze sind mangels gegenteiliger Regelung - und umso mehr, als die BAO keine dem § 64 Abs. 3 ZPO entsprechende Rückwirkungsanordnung enthält - auf § 292 BAO zu übertragen, was bedeutet, dass auch hier eine rückwirkende Bestellung zum Verfahrenshelfer nicht möglich ist. Demnach sind bei der Schätzung der „Kosten der Führung des Verfahrens“ gemäß § 292 Abs. 1 Z 1 BAO nur zukünftig anfallende Kosten für den Rechtsvertreter zu berücksichtigen, weil bei Gewährung der Verfahrenshilfe in der Form der Beigebung eines Verfahrenshelfers der Antragsteller nur von diesen Kosten entlastet werden kann.

25 Die Revision wendet sich weiters gegen die Nichtberücksichtigung eines Sicherheitszuschlages zu den geschätzten Kosten des Verfahrens in Höhe von 10% durch das Bundesfinanzgericht. Diesem Vorbringen kann entgegengehalten werden, dass die vom Bundesfinanzgericht geschätzten Kosten des Verfahrens - bei Ausblendung jener Kosten, die nach dem bisher Gesagten nicht berücksichtigt werden dürfen - höher sind als von der Revisionswerberin angegeben und zwar auch unter Berücksichtigung des angeführten Sicherheitszuschlages. Damit kann die Revisionswerberin aufgrund der Nichtberücksichtigung eines - gesondert ausgewiesenen - Sicherheitszuschlages durch den angefochtenen Beschluss von vornherein nicht beschwert sein.

26 Wenn sich die Revisionswerberin weiters gegen die Nichtberücksichtigung unvorhersehbarer Ausgaben - etwa im Rahmen der Haushaltsführung oder aufgrund gesundheitlicher Erfordernisse - wendet, ist ihr zu entgegnen, dass bei der Beurteilung, ob die Verfahrenskosten ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts bestritten werden können, auf die Einkommens- und Vermögenslage im Beurteilungszeitpunkt abzustellen ist. Bei Verschlechterung der Einkommens- und Vermögenslage nach Abweisung des Antrags auf Verfahrenshilfe kann ein neuerlicher Antrag gestellt werden, wohingegen eine Verbesserung der Einkommens- und Vermögenslage gemäß § 292 Abs. 13 BAO auch den Widerruf der zunächst gewährten Verfahrenshilfe zur Folge haben kann (vgl. § 68 Abs. 1 ZPO).

27 Zum schließlich in der Revision vorgebrachten Einwand, es sei ungeklärt, inwieweit auch bei geringem Einkommen gelegentliche Ausgaben für „Urlaub und/oder Kuraufenthalt“ der Gewährung von Verfahrenshilfe entgegenstünden, ist auszuführen, dass gemäß § 292 Abs. 1 Z 1 BAO zu prüfen ist, ob die antragstellende Partei imstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten.

28 Wie bereits ausgeführt, entspricht nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Abgabenänderungsgesetz 2016 (1352 BlgNR 25. GP 18) die Definition des „notwendigen Unterhalts“ in § 292 Abs. 2 BAO jener in § 63 Abs. 1 zweiter Satz ZPO. Als notwendiger Unterhalt ist demnach ein zwischen dem „notdürftigen“ und dem „standesgemäßen“ Unterhalt liegender anzusehen, der abstrakt zwischen dem statistischen Durchschnittseinkommen eines unselbständig Erwerbstätigen und dem „Existenzminimum“ liegt und unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine die Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigende bescheidene Lebensführung gestattet (vgl. ).

29 Das Bundesfinanzgericht hat festgestellt, dass unter Berücksichtigung sämtlicher Fixkosten der Revisionswerberin sowie statistisch ermittelter, durchschnittlicher Verbrauchsausgaben (anhand einer von der Statistik Austria durchgeführten Konsumerhebung) der Revisionswerberin ein monatlicher Betrag von durchschnittlich 405 € zur freien Verfügung steht. In diesem Zusammenhang übersieht die Revisionswerberin, dass das Bundesfinanzgericht mit der Berücksichtigung der statistischen Verbrauchsausgaben im Rahmen der Kategorie „Freizeit, Sport und Hobby“ auch anteilige Kosten für Urlaubsreisen angesetzt hat (vgl. die von der Statistik Austria veröffentlichten Hauptergebnisse der Konsumerhebung 2014/15 - Verbrauchsausgaben, Tabelle A.01).

30 Anhand dieser Feststellungen ist das Bundesfinanzgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Beurteilung gelangt, dass der notwendige Unterhalt der Revisionswerberin durch die Bestreitung der geschätzten Verfahrenskosten nicht beeinträchtigt wird, zumal die Revisionswerberin angesichts der Dauer des Verfahrens (die Beschwerde wurde bereits im Jahr 2009 erhoben) die Möglichkeit gehabt hätte, entsprechende Rücklagen zu bilden, worauf das Bundesfinanzgericht zutreffend hinweist (vgl. dazu M. Bydlinski, a.a.O., § 63 ZPO Rz 1).

31 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 

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Fundstelle(n):
DAAAF-47659