VwGH 06.08.2019, Ra 2019/13/0066
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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RS 1 | Einwendungen betreffend die Festsetzungsverjährung können nur im Verfahren nach § 248 BAO und nicht im Haftungsverfahren geltend gemacht werden. |
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RS 2 | Ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder dem Hervorkommen der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung anderseits ist ein Umstand, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht lassen darf. Ein solcher Umstand kann jedoch auch lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten sein, die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sind. Inwieweit dieser Gesichtspunkt beim Ermessen Berücksichtigung findet, hängt vom Einzelfall ab. Eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensmissbrauch läge dann vor, wenn ein solcher Umstand bei der Ermessensentscheidung überhaupt nicht berücksichtigt würde (vgl. , mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2021/13/0132 E RS 2 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des W, vertreten durch Ullmann - Geiler und Partner, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 17-19, der gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/3100753/2016, betreffend Haftung gemäß § 9 und § 80 BAO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Innsbruck), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.
Begründung
1 Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG ist der Revision auf Antrag die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses für die revisionswerbende Partei ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Die Unverhältnismäßigkeit des Nachteils ist im Fall der Verpflichtung zu einer Geldleistung nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes schon im Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch zahlenmäßige Angaben über die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse der revisionswerbenden Partei zu konkretisieren (vgl. z.B. ).
2 Der Revisionswerber erschöpft sich in seinem Antrag auf das allgemein gehaltene Vorbringen, wonach seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse eine Erfüllung des bekämpften Erkenntnisses nicht zulassen würden, die Forderungen für ihn ruinös seien und exekutive Einbringungsmaßnahmen, wie eine Fahrnisexekution, mit unwiederbringlichen Nachteilen für den Revisionswerber verbunden sein könnten. Der Antrag enthält aber keine konkreten Aussagen über die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Revisionswerbers, weshalb diesem nicht stattzugeben war. Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungsdatum:
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des E in I, vertreten durch Dr. Hans-Peter Ullmann, Dr. Stefan Geiler, Mag. Priska Seeber, MMag. Dr. Stefan Dorner und MMag. Dr. Simon Schafferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 17-19, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/3100753/2016, betreffend Haftung gemäß § 9 und § 80 BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Haftungsbescheid des Finanzamts vom teilweise Folge und nahm den Revisionswerber gemäß § 9 iVm § 80 BAO als Haftungspflichtigen für bei der E GmbH aushaftende Abgabenschuldigkeiten (samt Aussetzungszinsen, Anspruchszinsen und Säumniszuschlägen) iHv insgesamt 136.558,35 € in Anspruch. Weiters sprach das Bundesfinanzgericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
2 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht zusammengefasst aus, der Revisionswerber sei ab bis zur Auflösung der E GmbH deren Alleingeschäftsführer gewesen. Mit Beschluss vom habe das Landesgericht Innsbruck die Konkursabweisung mangels Vermögens verfügt und ausgesprochen, dass die E GmbH aufgelöst sei.
3 Mit Vorhalt vom sei der Revisionswerber von der beabsichtigen Haftungsinanspruchnahme in Kenntnis gesetzt und zum Nachweis der Gläubigergleichbehandlung aufgefordert worden. Eine Stellungnahme sei nicht erfolgt.
4 Mit Haftungsbescheid vom habe das Finanzamt den Revisionswerber für näher bezeichnete Abgabenschuldigkeiten (samt Aussetzungszinsen, Anspruchszinsen und Säumniszuschlägen) der E GmbH iHv insgesamt 181.466,51 € in Anspruch genommen.
5 In der dagegen erhobenen Beschwerde habe der Revisionswerber u.a. vorgebracht, dem Haftungsbescheid fehlten Ausführungen zum Verschulden des Revisionswerbers. Weder habe das Finanzamt den Insolvenzakt eingesehen, noch die ihm vorliegenden Geschäftsunterlagen, wie Jahresabschlüsse, Steuererklärungen und Betriebsprüfungsberichte, verwertet. Auch habe das Finanzamt die persönliche Situation des Revisionswerbers nicht im Rahmen der Ermessensübung berücksichtigt.
6 Mit Beschwerdevorentscheidung vom habe das Finanzamt die Beschwerde des Revisionswerbers abgewiesen, woraufhin dieser die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht beantragt habe.
7 Der Revisionswerber habe in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, dass hinsichtlich aller haftungsgegenständlichen Abgaben Einhebungsverjährung eingetreten sei. Hinsichtlich näher bezeichneter Abgaben (und Säumniszuschläge) iHv insgesamt 44.908,16 € sei dies der Fall, weil zwischen deren Fälligkeit und der ersten Einbringungshandlung, dem Vorhalt vom , unstrittig mehr als fünf Jahre verstrichen seien. Dies gelte nicht für die Umsatzsteuer 2000, die Umsatzsteuer 2001 und die Normverbrauchsabgabe Jänner bis Dezember 1999. Hinsichtlich dieser Abgaben sei die Festsetzungsverjährung (§ 207 BAO) aufgrund diverser Verlängerungshandlungen im Festsetzungsverfahren im Jahr 2007 noch nicht eingetreten gewesen. Hinsichtlich der Umsatzsteuer 2000 und der Normverbrauchsabgabe Jänner bis Dezember 1999 sei im Zeitraum vom bis zum , hinsichtlich der Umsatzsteuer 2001 im Zeitraum vom bis zum die Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO verfügt worden. Daher sei die Einhebungsverjährung während dieser Zeiträume gemäß § 212a BAO gehemmt gewesen und durch den Vorhalt des Finanzamts vom gemäß § 238 Abs. 2 BAO unterbrochen worden. Auch hinsichtlich der übrigen im Jahr 2007 fälligen Abgaben sei die Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO bis zum verfügt worden, sodass die Einhebungsverjährung nicht eingetreten sei.
8 Das Vorbringen des Revisionswerbers, das Finanzamt habe aus ihm vorliegenden Jahresabschlüssen der E GmbH ersehen können, dass keine Mittel zur Entrichtung der Abgaben vorhanden gewesen seien, sei nicht geeignet, ein fehlendes Verschulden des Revisionswerbers an der Nichtentrichtung der haftungsgegenständlichen Abgaben darzustellen. Aus Jahresabschlüssen, Steuererklärungen, Betriebsprüfungsberichten oder Insolvenzakten der E GmbH könnten keine Erkenntnisse zur Liquiditätssituation zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten der haftungsgegenständlichen Abgaben gewonnen werden. Es wäre am Revisionswerber gelegen gewesen, den Nachweis der Gläubigergleichbehandlung zu erbringen. Im Übrigen ergebe sich schon aus dem Beschwerdevorbringen, dass liquide Mittel vorhanden gewesen und andere Gläubiger befriedigt worden seien. So habe der Revisionswerber angegeben, dass im Jahr 2007 eine Eigentumswohnung verkauft und aus dem Erlös „anteilige Hypothekarlasten“ abgedeckt worden seien, sowie dass per ausnahmslos Taxiumsätze getätigt und aus diesen Zug um Zug Aufwendungen bezahlt worden seien. Auch seien laut dem Revisionswerber sämtliche Erlöse aus Vermietung und Verpachtung den Banken zur Besicherung der Immobilieninvestments abgetreten worden.
9 Die Ermessensübung des Finanzamts erweise sich ebenfalls nicht als mangelhaft. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes könnten die persönlichen Verhältnisse des Haftungspflichtigen bei der Haftungsinanspruchnahme außer Betracht bleiben. Auch habe der Revisionswerber keine Gründe aufgezeigt, aus denen seine Haftungsinanspruchnahme unbillig erscheine.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, erwogen hat:
11 Die Revision ist zulässig und begründet.
12 In der Revision wird zunächst vorgebracht, das Bundesfinanzgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es in Ansehung jener Abgaben, für welche der Revisionswerber in Anspruch genommen worden sei, insbesondere hinsichtlich der Umsatzsteuer 2000, der Umsatzsteuer 2001 und der Normverbrauchsabgabe Jänner bis Dezember 1999 keine Verjährung erkannt habe. Es werde ohne jede Grundlage auf Verlängerungshandlungen im Festsetzungsverfahren abgestellt.
13 Das Bundesfinanzgericht hat im angefochtenen Erkenntnis zu der Umsatzsteuer 2000, der Umsatzsteuer 2001 und der Normverbrauchsabgabe Jänner bis Dezember 1999 zunächst darauf hingewiesen, dass hinsichtlich dieser (im Jahr 2007 bescheidmäßig festgesetzten) Abgaben die Festsetzungsverjährung (§ 207 BAO) aufgrund diverser Verlängerungshandlungen im Festsetzungsverfahren im Jahr 2007 noch nicht eingetreten gewesen sei.
14 Soweit der Revisionswerber dazu vorbringt, das Bundesfinanzgericht habe ohne jede Grundlage auf Verlängerungshandlungen im Festsetzungsverfahren abgestellt, ist darauf hinzuweisen, dass Einwendungen betreffend die Festsetzungsverjährung nur im Verfahren nach § 248 BAO und nicht im Haftungsverfahren geltend gemacht werden können. Geht einem Haftungsbescheid (nach § 9 BAO) ein Abgabenbescheid voran, so ist die Behörde daran gebunden und hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an den Abgabenbescheid zu halten (vgl. etwa , mwN). Über die gleichzeitig erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach § 248 BAO wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis nicht abgesprochen.
15 Das Bundesfinanzgericht hat im angefochtenen Erkenntnis festgestellt, dass hinsichtlich der Umsatzsteuer 2000 und der Normverbrauchsabgabe Jänner bis Dezember 1999 im Zeitraum vom bis zum und hinsichtlich der Umsatzsteuer 2001 im Zeitraum vom bis zum die Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO verfügt war. Ausgehend davon hat das Bundesfinanzgericht ausgeführt, dass die Einhebungsverjährung während dieser Zeiträume gemäß § 212a BAO gehemmt und durch den Vorhalt des Finanzamts vom gemäß § 238 Abs. 2 BAO unterbrochen war. Damit durfte das Bundesfinanzgericht aber davon ausgehen, dass hinsichtlich dieser Abgaben zum Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme noch keine Einhebungsverjährung vorlag. Gleiches gilt für die übrigen im Jahr 2007 fälligen Abgaben, für die nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts bis zum die Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO verfügt war.
16 In der Revision wird weiters vorgebracht, das Bundesfinanzgericht habe tragende Grundsätze des Verfahrensrechts verletzt, weil es sich nicht mit den vom Revisionswerber zur Verfügung gestellten Unterlagen auseinandergesetzt und in aktenwidriger Weise eine schuldhafte Pflichtverletzung des Revisionswerbers unterstellt habe.
17 Mit diesem Vorbringen wird ein relevanter Verfahrensmangel nicht aufgezeigt, behauptet der Revisionswerber doch gar nicht, der Aufforderung des Finanzamts im Vorhalt vom zum Nachweis der Gläubigergleichbehandlung durch Vorlage der geforderten Liquiditätsrechnung (Auflistung sämtlicher Gläubiger mit zu den Fälligkeitszeitpunkten der Abgaben fälligen Forderungen, der auf die einzelnen Verbindlichkeiten geleisteten Zahlungen sowie aller verfügbaren liquiden Mittel) nachgekommen zu sein.
18 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat aber der Vertreter den Nachweis der Gläubigergleichbehandlung zu führen und darzutun, aus welche Gründen ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich war, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Verletzung iSd § 9 Abs. 1 BAO annehmen darf (vgl. etwa ).
19 Dass das Bundesfinanzgericht entgegen der im angefochtenen Erkenntnis vertretenen Ansicht aus den Jahresabschlüssen, Steuererklärungen, Betriebsprüfungsberichten oder Insolvenzakten der E GmbH Erkenntnisse zur Liquiditätssituation zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten der haftungsgegenständlichen Abgaben hätte gewinnen können und aus dem Beschwerdevorbringen nicht darauf hätte schließen dürfen, dass liquide Mittel vorhanden gewesen und andere Gläubiger befriedigt worden seien, vermag die Revision nicht mit Erfolg aufzuzeigen.
20 Zur Zulässigkeit der Revision wird abschließend vorgebracht, das Bundesfinanzgericht habe im Zusammenhang mit der Kürzung der Haftungssumme Billigkeitserwägungen sowie die Ermessensentscheidung eklatant unrichtig und in unvertretbarer Weise ausgeübt.
21 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder dem Hervorkommen der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits ein Umstand, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht lassen darf. Ein solcher Umstand kann jedoch auch lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten sein, die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sind. Inwieweit dieser Gesichtspunkt beim Ermessen Berücksichtigung findet, hängt vom Einzelfall ab. Eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensmissbrauch läge dann vor, wenn ein solcher Umstand bei der Ermessensentscheidung überhaupt nicht berücksichtigt würde (vgl. , mwN).
22 Das Bundesfinanzgericht hat sich mit dieser Frage im Rahmen der Ermessensentscheidung nicht auseinandergesetzt. Dies belastet das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.
23 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat aufzuheben.
24 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Norm | VwGG §30 Abs2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019130066.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
GAAAF-47645