VwGH 11.12.2019, Ra 2019/13/0025
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | ABGB §21 Abs1 ABGB §268 Abs1 ABGB §276 Abs1 ABGB §276 Abs2 ABGB §278 ABGB §279 Abs4 ABGB §282 MRK Art4 Abs3 litd UStG 1994 §6 Abs1 Z18 UStG 1994 §6 Abs1 Z25 UStG 1994 §6 Abs1 Z7 VSPBG 1990 §8 idF 2006/I/0092 VwGG §38b 12010E267 AEUV Art267 12010P/TXT Grundrechte Charta Art5 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Anh3 Z15 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art132 Abs1 litg 61993CJ0453 Bulthuis-Griffioen / Inspecteur der Omzetbelasting VORAB 61997CJ0216 Gregg VORAB 62000CJ0141 Kügler VORAB 62003CJ0498 Kingscrest Associates und Montecello VORAB 62004CJ0415 Kinderopvang Enschede VORAB 62008CJ0492 Kommission / Frankreich 62011CJ0174 Zimmermann VORAB 62013CJ0594 «go fair» Zeitarbeit VORAB 62014CJ0335 Les Jardins de Jouvence VORAB 62014CJ0543 Ordre des barreaux francophones und germanophone VORAB 62017CJ0416 Kommission / Frankreich |
RS 1 | Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist Art. 132 Abs. 1 Buchstabe g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen, dass Dienstleistungen eines Rechtsanwaltes, die dieser als vom Gericht bestellter Sachwalter - soweit es sich nicht um anwaltstypische Leistungen handelt - erbringt, von der Mehrwertsteuer befreit sind? |
Normen | 12010E267 AEUV Art267 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art132 Abs1 litg 62019CJ0846 Administration de l'Enregistrement VORAB |
RS 1 | Das mit Beschluss vom , Ra 2019/13/0025 (EU 2019/0007), dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegte und zu C-1/20 protokollierte Ersuchen um Vorabentscheidung wird zurückgezogen. |
Normen | |
RS 1 | |
Normen | EURallg 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art132 Abs1 litg 62014CJ0335 Les Jardins de Jouvence VORAB 62019CJ0657 Finanzamt D VORAB |
RS 2 | Die Bestimmung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG findet auf Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen Anwendung, die zum einen "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden" sind und zum anderen durch "Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen" erbracht werden (vgl. Les Jardins de Jouvence, C-335/14, Rn. 29; , Finanzamt D, C-657/19, Rn. 30, mwN). Zu prüfen sind somit zwei Voraussetzungen. |
Normen | ABGB §268 Abs1 idF 2013/I/015 EURallg 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art132 Abs1 litg 62019CJ0846 Administration de l'Enregistrement VORAB |
RS 3 | Bei Leistungen als vom Gericht bestellter Sachwalter gemäß § 268 Abs. 1 ABGB (idF BGBl. I Nr. 15/2013) handelt es sich - ebenso wie bei jenen, die dem Verfahren des EuGH zu C-846/19 zu Grunde lagen (vgl. zu diesen Leistungen insbesondere die Ausführungen des Generalanwalts in dessen Schlussanträgen, Rn. 53, und den Verweis hierauf im Urteil des EuGH, Rn. 61) - um Dienstleistungen, die an geistig hilfsbedürftige Personen erbracht werden und zu deren Schutz bei zivilrechtlichen Handlungen dienen, wenn die Betroffenen nicht in der Lage sind, für diese selbst zu sorgen, ohne Gefahr zu laufen, ihren eigenen Interessen zu schaden (vgl. , Rn. 63; vgl. dazu § 268 Abs. 1 ABGB). Diese Dienstleistungen sind auch unerlässlich, um die Betroffenen vor Handlungen zu schützen, die ihnen schaden (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 64). Tätigkeiten der Beratung rechtlicher Art, die mit den speziellen Kenntnissen eines Anwalts verbunden sind, fallen hingegen nicht in den Bereich dieser Steuerbefreiung, selbst wenn sie im Kontext des einer nicht geschäftsfähigen Person geleisteten Beistands erbracht werden (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 66). |
Normen | ABGB §268 Abs1 idF 2013/I/015 EURallg UStG 1994 §6 Abs1 Z18 UStG 1994 §6 Abs1 Z23 UStG 1994 §6 Abs1 Z24 UStG 1994 §6 Abs1 Z25 UStG 1994 §6 Abs1 Z7 VwRallg 31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art13 TeilA Abs1 litg 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art132 Abs1 litg 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art133 Abs1 lita |
RS 4 | Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage sollte Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie (die Vorgängerbestimmung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG) mit § 6 Abs. 1 Z 7 und 18 UStG 1994 umgesetzt werden. Die Leistungen eines Rechtsanwalts (oder auch eines Vereins oder eines Mitarbeiters dieses Vereins), der vom Gericht zum Sachwalter bestellt wurde, fallen nicht unter die dort (oder unter die in § 6 Abs. 1 Z 23 oder 24 UStG 1994) aufgezählten Leistungen. Damit hat der nationale Gesetzgeber von der in Art. 133 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG eingeräumten Möglichkeit der Beschränkung der Befreiung auf Einrichtungen, die keine systematische Gewinnerzielung anstreben, für die Leistungen eines Sachwalters keinen Gebrauch gemacht, da sich die Regelung nach § 6 Abs. 1 Z 25 UStG 1994 nur auf die in § 6 Abs. 1 Z 18, 23 und 24 UStG 1994 angeführten Leistungen bezieht. |
Normen | ABGB §268 Abs1 idF 2013/I/015 EURallg UStG 1994 §6 Abs1 Z18 UStG 1994 §6 Abs1 Z23 UStG 1994 §6 Abs1 Z24 UStG 1994 §6 Abs1 Z7 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art132 Abs1 litg 62005CJ0106 L.u.P. VORAB 62008CJ0262 CopyGene VORAB 62011CJ0174 Zimmermann VORAB 62014CJ0335 Les Jardins de Jouvence VORAB 62019CJ0846 Administration de l'Enregistrement VORAB |
RS 5 | Regelungen, nach denen ein (anderer als die in § 6 Abs. 1 Z 7, 18, 23 oder 24 UStG 1994 aufgezählten) Rechtsträger als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt würde, sieht das österreichische Umsatzsteuerrecht nicht vor. Die gerichtliche Bestellung eines Rechtsanwalts zum Sachwalter im Einzelfall begründet noch nicht die Anerkennung dieses (konkreten) Rechtsanwalts als "Einrichtung mit sozialem Charakter" (vgl. , EuGH C-846/19, Rn. 83: die Betrauung mit der Tätigkeit durch die Justizbehörde ist nur ein Umstand, der für die Beurteilung dieser Frage zu berücksichtigen ist). Private Einrichtungen mit Gewinnerzielungsabsicht (wie ein Rechtsanwalt) können nicht allein deshalb als Einrichtungen mit sozialem Charakter qualifiziert werden, weil sie auch Leistungen mit sozialem Charakter erbringen (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 72). Entscheidend ist, ob ein Rechtsanwalt sein Unternehmen unter Bedingungen betreibt, die eine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter rechtfertigen (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 78). Es ist aber für die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter nicht erforderlich, dass der Rechtsanwalt nur mehr Leistungen als Sachwalter erbringt (vgl. insbesondere den Tenor EuGH C-846/19: "... in den Grenzen dieser Dienstleistungen ..."; vgl. weiters L. u. P., C-106/05, Rn. 53 f; , Zimmermann, C-174/11, Rn. 37; diesen Entscheidungen lagen jeweils nationale Regelungen zu Grunde, die eine bestimmte Schwelle für die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter vorsahen, was impliziert, dass das Vorliegen nicht begünstigter Umsätze der grundsätzlichen Anerkennung im Übrigen nicht entgegensteht). Anwaltliche Leistungen, die im Rahmen von Sachwalterschaften oder auch außerhalb dieser erbracht werden, sind aber steuerlich schon deswegen nicht begünstigt, weil es sich hiebei nicht um eng mit der Sozialfürsorge verbundene Leistungen handelt (vgl. - neuerlich - EuGH C-846/19, Rn. 66). Ob der Rechtsanwalt als Einrichtung mit sozialem Charakter anzuerkennen ist, ist anhand sämtlicher maßgeblicher Umstände zu prüfen (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 81). Kriterien, die dabei zu berücksichtigen sind, finden sich insbesondere in Rn. 70 und Rn. 83 bis 87 des angeführten Urteils. Wenn eines dieser Kriterien nicht erfüllt ist, schließt dies eine Anerkennung im Rahmen der Gesamtabwägung nicht jedenfalls aus (vgl. CopyGene, C-262/08, Rn. 71; vgl. auch Les Jardins de Jouvence, C-335/14, Rn. 39). |
Normen | ABGB §268 Abs1 idF 2013/I/015 ABGB §276 Abs4 EURallg 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art132 Abs1 litg 62019CJ0846 Administration de l'Enregistrement VORAB |
RS 6 | Dass mit der Tätigkeit des Sachwalters Gemeinwohlinteresse verbunden ist, ist evident (vgl. u.a., VfSlg. 19532, Punkt III. 2.3.4). Das Entgelt (und die Entschädigung) des Sachwalters sind aber nach der österreichischen Rechtslage nicht von öffentlichen Stellen (etwa Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträgern), sondern von der betroffenen Person selbst zu tragen; diese Ansprüche des Sachwalters bestehen insoweit nicht, als durch sie die Befriedigung der Lebensbedürfnisse des Pflegebefohlenen gefährdet wäre (§ 276 Abs. 4 ABGB). |
Entscheidungstext
Beachte
Vorabentscheidungsverfahren:
* EU-Register: EU 2019/0007
* Vorabentscheidungsantrag mit Ra 2019/13/0025 B zurückgezogen
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski sowie die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des B in W, vertreten durch die Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte LLP & Co KG in 1010 Wien, Schottenring 25, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7101028/2017, betreffend Antrag auf Aufhebung gemäß § 299 BAO (Umsatzsteuer 2014) (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Wien 9/18/19 Klosterneuburg), den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 132 Abs. 1 Buchstabe g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen, dass Dienstleistungen eines Rechtsanwaltes, die dieser als vom Gericht bestellter Sachwalter - soweit es sich nicht um anwaltstypische Leistungen handelt - erbringt, von der Mehrwertsteuer befreit sind?
Begründung
1 A. Sachverhalt und bisheriges Verfahren:
2 Der Revisionswerber ist Rechtsanwalt. Er macht geltend, er sei seit vielen Jahren im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit fast nur mehr als von Gerichten bestellter Sachwalter tätig. Auch in diesem Bereich habe er für die betroffenen Personen typisch anwaltliche Tätigkeiten zu verrichten, jedoch nur in ganz geringem Umfang. Frei gewählte Mandate übernehme er nicht mehr. Seine übrige Tätigkeit als Sachwalter bestehe aus sozialarbeiterischer Fürsorge (Personensorge) für die ihm von den Gerichten anvertrauten Personen. Die Bestellung erfolge für Personen, die psychisch krank oder geistig behindert und deshalb außerstande seien, alle oder einzelne Angelegenheiten zu erledigen, und derart in Gefahr gerieten, Nachteile zu erleiden. Die Tätigkeit eines Sachwalters sei eine, die der sozialen Sicherheit diene. Bei richtiger Umsetzung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG müssten Umsätze des Sachwalters im Zusammenhang mit seinen Betreuungs- und Vertretungshandlungen von der Umsatzsteuer ausgenommen werden.
3 In dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Erkenntnis behandelte das Bundesfinanzgericht - wie schon zuvor das Finanzamt - die Umsätze des Revisionswerbers aus Tätigkeiten als Sachwalter als steuerpflichtig.
4 Das Bundesfinanzgericht führte hiezu im Wesentlichen aus, der Revisionswerber übe den Beruf eines Rechtsanwaltes aus. Im Rahmen seines Unternehmens sei er auch vom Gericht als Sachwalter bestellt worden und habe aus dieser Tätigkeit Entschädigungen gemäß § 276 Abs. 1 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) bezogen. Die Berufsgruppe der Rechtsanwälte sei aber nicht als anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter anzusehen (Hinweis auf Ordre des barreaux francophones et germanophone u.a., C-543/14). Die Umsätze des Revisionswerbers aus seiner Tätigkeit als Sachwalter seien daher nicht steuerbefreit. Soweit ein Verstoß gegen die gebotene Gleichbehandlung geltend gemacht werde, sei zu bemerken, dass Sachwalter-Vereine gemäß § 6 Abs. 1 Z 25 UStG 1994 von der Umsatzsteuer befreit seien. Diese seien jedoch - anders als Rechtsanwälte - nicht auf Gewinn ausgerichtet. Somit lägen aber auch keine vergleichbaren Dienstleistungen vor, die gleich behandelt werden müssten.
5 Der Revisionswerber erhob gegen die Entscheidung des Bundesfinanzgerichts auch Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom , E 153/2019-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung dieser Beschwerde ab. In der Begründung verwies der Verfassungsgerichtshof insbesondere darauf, es sei dem Gesetzgeber im Rahmen seines weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes unbenommen, für die Tätigkeit von Rechtsanwälten als Sachwalter keine Umsatzsteuerbefreiung vorzusehen. Dies gelte selbst für den Fall, dass mit dem Bundesfinanzgericht davon auszugehen wäre, dass Vereine als gemeinnützige Rechtsträger mit ihren Leistungen gemäß § 6 Abs. 1 Z 25 UStG 1994 von der Umsatzsteuer befreit wären, da letztere - anders als Rechtsanwälte - die aus der Tätigkeit erzielten Einnahmen für die Förderung abgabenrechtlich begünstigter Zwecke zu verwenden hätten.
6 In der Revision legt der Revisionswerber - betreffend den tatsächlichen Sachverhalt vom Finanzamt in der Revisionsbeantwortung nicht bestritten - näher dar, er habe, um den Anforderungen als Sachwalter gerecht zu werden, Sozialarbeiterinnen angestellt und sein Personal sozialarbeiterisch geschult. Er verfüge auch über ein großes außerbetriebliches Netz, so über mehrere Personen, die Besuchsdienste erbringen. Seine Leistungen beschreibt er damit, dass es sich um Tätigkeiten handle, mit denen man üblicherweise keinen Anwalt beauftrage, auch wenn einzelne Tätigkeiten einen juristischen Bezug hätten. Dabei handle es sich etwa um das Stellen von Anträgen auf die Gewährung von diversen Beihilfen oder Befreiungen; um die „Organisation“ von sozialen Diensten, Arztterminen, Begleitung zu diesen Terminen; auch um die (Organisation der) Durchführung von Großreinigungen von „vermüllten“ Wohnungen, Beschaffung von Ersatzquartieren, Besorgung von Handwerkern und ähnlichem.
7 B. Maßgebende Bestimmungen
8 1. Nationales Recht
9 § 6 Umsatzsteuergesetz 1994 (UStG 1994) lautet (in der hier anwendbaren Fassung BGBl. I Nr. 112/2012) auszugsweise:
„Steuerbefreiungen
§ 6. (1) Von den unter § 1 Abs. 1 Z 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei:
[...]
7. die Umsätze der Träger der Sozialversicherung und ihrer Verbände, der Krankenfürsorgeeinrichtungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 2 des Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 200/1967, und der Träger des öffentlichen Fürsorgewesens untereinander und an die Versicherten, die mitversicherten Familienangehörigen, die Versorgungsberechtigten oder die Hilfeempfänger oder die zum Ersatz von Fürsorgekosten Verpflichteten;
[...]
18. die Umsätze der Kranken- und Pflegeanstalten, der Alters-, Blinden- und Siechenheime sowie jener Anstalten, die eine Bewilligung als Kuranstalt oder Kureinrichtung nach den jeweils geltenden Rechtsvorschriften über natürliche Heilvorkommen und Kurorte besitzen, soweit sie von Körperschaften des öffentlichen Rechts bewirkt werden und es sich um Leistungen handelt, die unmittelbar mit der Kranken- oder Kurbehandlung oder unmittelbar mit der Betreuung der Pfleglinge im Zusammenhang stehen;
[...]
25. die in den Ziffern 18, 23 und 24 genannten Leistungen, sofern sie von Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§§ 34 bis 47 der Bundesabgabenordnung), bewirkt werden. Dies gilt nicht für Leistungen, die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes, eines Gewerbebetriebes oder eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes im Sinne des § 45 Abs. 3 der Bundesabgabenordnung ausgeführt werden; [...]“
10 Die Bestimmungen der zitierten Ziffern 7 und 18 dienten, wie aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 (Stammfassung), hervorgeht (1715 der Beilagen 18. Gesetzgebungsperiode, Seiten 52 und 54), der Umsetzung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom .
11 Die Bestimmungen zum Sachwalterrecht (und zur hier nicht verfahrensgegenständlichen Bestellung von Kuratoren) im Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) lauteten im Streitjahr 2014 in der Fassung BGBl. I Nr. 15/2013 (u.a.) wie folgt:
„§ 268. (1) Vermag eine volljährige Person, die an einer psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist (behinderte Person), alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen, so ist ihr auf ihren Antrag oder von Amts wegen dazu ein Sachwalter zu bestellen. [...]
(3) Je nach Ausmaß der Behinderung sowie Art und Umfang der zu besorgenden Angelegenheiten ist der Sachwalter zu betrauen
1. mit der Besorgung einzelner Angelegenheiten, etwa der Durchsetzung oder der Abwehr eines Anspruchs oder der Eingehung und der Abwicklung eines Rechtsgeschäfts,
2. mit der Besorgung eines bestimmten Kreises von Angelegenheiten, etwa der Verwaltung eines Teiles oder des gesamten Vermögens, oder,
3. soweit dies unvermeidlich ist, mit der Besorgung aller Angelegenheiten der behinderten Person. [...]“
„§ 274. (1) [...]
(2) Ein Rechtsanwalt oder Notar kann die Übernahme einer Sachwalterschaft (Kuratel) nur ablehnen, wenn ihm diese unter Berücksichtigung seiner persönlichen, familiären, beruflichen und sonstigen Verhältnisse nicht zugemutet werden kann. Dies wird bei mehr als fünf Sachwalterschaften (Kuratelen) vermutet.“
„§ 275. (1) Die Sachwalterschaft (Kuratel) umfasst alle Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die dem Sachwalter (Kurator) übertragenen Angelegenheiten zu besorgen. Der Sachwalter (Kurator) hat dabei das Wohl des Pflegebefohlenen bestmöglich zu fördern. [...]“
„§ 276. (1) Dem Sachwalter (Kurator) gebührt unter Bedachtnahme auf Art und Umfang seiner Tätigkeit, insbesondere auch im Bereich der Personensorge, und des damit gewöhnlich verbundenen Aufwands an Zeit und Mühe eine jährliche Entschädigung. Diese beträgt fünf Prozent sämtlicher Einkünfte nach Abzug der hievon zu entrichtenden Steuern und Abgaben, wobei Bezüge, die kraft besonderer gesetzlicher Anordnung zur Deckung bestimmter Aufwendungen dienen, nicht als Einkünfte zu berücksichtigen sind; bei besonders umfangreichen und erfolgreichen Bemühungen des Sachwalters kann das Gericht die Entschädigung auch mit bis zu zehn Prozent dieser Einkünfte bemessen. Übersteigt der Wert des Vermögens des Pflegebefohlenen 10 000 Euro, so ist darüber hinaus pro Jahr zwei Prozent des Mehrbetrags an Entschädigung zu gewähren. Das Gericht hat die Entschädigung zu mindern, wenn es dies aus besonderen Gründen für angemessen hält.
(2) Nützt der Sachwalter (Kurator) für Angelegenheiten, deren Besorgung sonst einem Dritten entgeltlich übertragen werden müsste, seine besonderen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten, so hat er hiefür einen Anspruch auf angemessenes Entgelt. Dieser Anspruch besteht für die Kosten einer rechtsfreundlichen Vertretung jedoch nicht, soweit beim Pflegebefohlenen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe gegeben sind oder diese Kosten nach gesetzlichen Vorschriften vom Gegner ersetzt werden.
(3) Die zur zweckentsprechenden Ausübung der Sachwalterschaft (Kuratel) notwendigen Barauslagen, die tatsächlichen Aufwendungen und die Kosten einer zur Deckung der Haftung nach § 277 abgeschlossenen Haftpflichtversicherung sind dem Sachwalter vom Pflegebefohlenen jedenfalls zu erstatten, soweit sie nach gesetzlichen Vorschriften nicht unmittelbar von Dritten getragen werden.
(4) Ansprüche nach den vorstehenden Absätzen bestehen insoweit nicht, als durch sie die Befriedigung der Lebensbedürfnisse des Pflegebefohlenen gefährdet wäre.“
„§ 278. (1) Das Gericht hat die Sachwalterschaft (Kuratel) auf Antrag oder von Amts wegen einer anderen Person zu übertragen, wenn der Sachwalter (Kurator) stirbt, nicht die erforderliche Eignung aufweist, ihm die Ausübung des Amtes nicht zugemutet werden kann, einer der Umstände des § 273 Abs. 2 eintritt oder bekannt wird oder das Wohl des Pflegebefohlenen dies aus anderen Gründen erfordert. [...]
(3) Das Gericht hat in angemessenen, fünf Jahre nicht überschreitenden Zeitabständen zu prüfen, ob das Wohl des Pflegebefohlenen die Beendigung oder Änderung der Sachwalterschaft (Kuratel) erfordert.“
„§ 279. (1) Bei der Auswahl des Sachwalters ist besonders auf die Bedürfnisse der behinderten Person und darauf Bedacht zu nehmen, dass der Sachwalter nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis oder in einer anderen engen Beziehung zu einer Krankenanstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung steht, in der sich die behinderte Person aufhält oder von der sie betreut wird. Wünsche der behinderten Person, insbesondere solche, die sie vor Verlust der Geschäftsfähigkeit und Einsichts- und Urteilsfähigkeit geäußert hat (Sachwalterverfügung), und Anregungen nahe stehender Personen sind zu berücksichtigen, sofern sie dem Wohl der behinderten Person entsprechen.
(2) Einer behinderten Person ist eine geeignete, ihr nahe stehende Person zum Sachwalter zu bestellen. Wird eine behinderte Person volljährig, so ist ein bisher mit der Obsorge betrauter Elternteil zum Sachwalter zu bestellen, sofern dies dem Wohl der behinderten Person nicht widerspricht.
(3) Ist eine geeignete, nahe stehende Person nicht verfügbar, so ist ein geeigneter Verein mit dessen Zustimmung zum Sachwalter zu bestellen. Kommt auch ein Verein nicht in Betracht, so ist nach Maßgabe des § 274 Abs. 2 ein Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder Notar (Notariatskandidat) oder eine andere geeignete Person mit deren Zustimmung zu bestellen.
(4) Ein Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder Notar (Notariatskandidat) ist vor allem dann zum Sachwalter zu bestellen, wenn die Besorgung der Angelegenheiten vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert, ein geeigneter Verein vor allem dann, wenn sonst besondere Anforderungen mit der Sachwalterschaft verbunden sind.
(5) Eine Person darf nur so viele Sachwalterschaften übernehmen, wie sie unter Bedachtnahme auf die Pflichten eines Sachwalters, insbesondere jene zur persönlichen Kontaktnahme, ordnungsgemäß besorgen kann. Es wird vermutet, dass eine Person - ausgenommen ein geeigneter Verein - insgesamt nicht mehr als fünf, ein Rechtsanwalt oder Notar nicht mehr als 25 Sachwalterschaften übernehmen kann; Sachwalterschaften zur Besorgung einzelner Angelegenheiten bleiben dabei außer Betracht.“
„§ 282. Der Sachwalter hat mit der behinderten Person in dem nach den Umständen des Einzelfalls erforderlichen Ausmaß persönlichen Kontakt zu halten und sich darum zu bemühen, dass der behinderten Person die gebotene ärztliche und soziale Betreuung gewährt wird. Sofern der Sachwalter nicht bloß zur Besorgung einzelner Angelegenheiten bestellt ist, soll der Kontakt mindestens einmal im Monat stattfinden.“
12 Wie in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum 2. Erwachsenenschutz-Gesetz, BGBl. I Nr. 59/2017, 1461 der Beilagen 25. Gesetzgebungsperiode, Seite 45, ausgeführt wurde, verneint die (zivilgerichtliche) Rechtsprechung zur bisherigen - im vorliegenden Verfahren anwendbaren - Rechtslage einen Zuspruch der Umsatzsteuer zusätzlich zur Entschädigung; dies werde im Wesentlichen damit begründet, dass die in § 276 Abs. 1 ABGB normierten Prozentsätze Obergrenzen im Sinn von Belastungshöchstgrenzen seien, die nicht durch die zusätzliche Verrechnung einer Umsatzsteuer überschritten werden dürften. Künftig (nach der mit BGBl. I Nr. 59/2017 neu gestalteten, im vorliegenden Verfahren noch nicht anwendbaren Rechtslage) solle die Entschädigung ausdrücklich zuzüglich der allenfalls zu entrichtenden Umsatzsteuer gebühren. Ob Umsatzsteuer zu entrichten sei, richte sich aber nach den jeweiligen umsatzsteuerrechtlichen Bestimmungen.
13 § 130 Außerstreitgesetz (in der Fassung BGBl. I Nr. 92/2006) lautet:
„§ 130. Der Sachwalter hat dem Gericht in angemessenen Abständen, mindestens jedoch jährlich, über seine persönlichen Kontakte mit der betroffenen Person, deren Lebensverhältnisse sowie deren geistiges und körperliches Befinden zu berichten. Das Gericht kann dem Sachwalter auch einen Auftrag zu einem solchen Bericht erteilen.“
14 Der Grundgedanke des Sachwalterrechts liegt darin, dass einem psychisch kranken oder geistig behinderten Menschen, der wegen dieser Einschränkung zur eigenständigen Wahrnehmung seiner Angelegenheiten nicht ausreichend in der Lage ist, ein Sachwalter als gesetzlicher Vertreter in den von diesem Defizit betroffenen Bereichen an die Seite gegeben wird (vgl. Stabentheiner in Rummel/Lukas, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Auflage, § 268 Rz 1).
15 2. Unionsrecht
16 Die folgenden Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind von Bedeutung:
„KAPITEL 2
Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten
Artikel 132
(1) Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer: [...]
g) eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden; [...]“
„Artikel 133
Die Mitgliedstaaten können die Gewährung der Befreiungen nach Artikel 132 Absatz 1 Buchstaben b, g, h, i, l, m und n für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, im Einzelfall von der Erfüllung einer oder mehrerer der folgenden Bedingungen abhängig machen:
a) Die betreffenden Einrichtungen dürfen keine systematische Gewinnerzielung anstreben; etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, dürfen nicht verteilt, sondern müssen zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden.
[...]“
„Artikel 134
In folgenden Fällen sind Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen von der Steuerbefreiung des Artikels 132 Absatz 1 Buchstaben b, g, h, i, l, m und n ausgeschlossen:
a) sie sind für die Umsätze, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich;
b) sie sind im Wesentlichen dazu bestimmt, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt werden.“
17 C. Erläuterungen zur Vorlagefrage
18 1. Relevanz der Vorlagefrage
19 Im Verfahren ist nicht strittig, dass Leistungen, die der Revisionswerber als Anwalt erbringt, und auch jene Leistungen, die er als vom Gericht für behinderte Personen (§ 268 Abs. 1 ABGB) bestellter Sachwalter unter Nutzung seiner besonderen beruflichen Kenntnisse erbringt und hiefür Anspruch auf Entgelt nach § 276 Abs. 2 ABGB hat, der Umsatzsteuer unterliegen.
20 Der Revisionswerber macht aber - abweichend von der Ansicht des Finanzamtes und des Bundesfinanzgerichts - geltend, jene Leistungen, die er als vom Gericht bestellter Sachwalter erbringe und für die eine „Entschädigung“ im Sinne des § 276 Abs. 1 ABGB zustehe, seien steuerfrei zu behandeln. Insoweit ist aber ebenfalls unbestritten, dass diese Leistungen ausgehend nur vom nationalen (österreichischen) Recht steuerpflichtig sind, da das nationale Recht für diese Leistungen keine Befreiungsbestimmung vorsieht. Insbesondere die oben zitierten Bestimmungen des § 6 Abs. 1 Z 7 und Z 18 UStG 1994 erstrecken sich im Verfahren unbestritten nicht (auch) auf die Leistungen eines Rechtsanwalts als Sachwalter. Auch scheidet eine Einschränkung der Steuerfreiheit auf gemeinnützige Rechtsträger, wie sie in § 6 Abs. 1 Z 25 UStG 1994 vorgesehen ist, (anders als etwa bei Pflegeheimen; hiezu Verwaltungsgerichtshof [VwGH] , 2005/15/0070, VwSlg. 8069/F) aus, da sich diese Einschränkung nur auf die dort näher genannten Steuerbefreiungen bezieht. Die Beschränkung der Befreiungsregel durch Art. 13 Teil A Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG (nunmehr Art. 133 der Richtlinie 2006/112/EG) hat nur Eventualcharakter (vgl. Kügler, C-141/00, Rn. 60).
21 Der Revisionswerber stützt sich darauf, dass diese Leistungen aufgrund der unmittelbar anwendbaren (vgl. neuerlich - zur Vorgängerbestimmung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie - Kügler, C-141/00) Bestimmung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG steuerfrei seien. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes hängt daher davon ab, ob das Unionsrecht für diese Leistungen eine Befreiung von der Steuer normiert.
22 2. Zur Vorlagefrage
23 Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung des (damals) Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie zwei Voraussetzungen vorliegen: Es muss sich zum einen um Leistungen handeln, die entweder mit der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden sind; zum anderen müssen diese Leistungen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind, erbracht werden (vgl. Kingscrest Associates und Montecello, C-498/03, Rn. 34). Diese beiden Voraussetzungen gelten auch für die hier zu beurteilende Regelung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG (vgl. „go fair“ Zeitarbeit, C-594/13, Rn. 18, wobei anzumerken ist, dass die deutsche Sprachfassung, die diese Schlussfolgerung nicht auf den ersten Blick nahe legen würde, etwa von der französischen oder englischen Sprachfassung abzuweichen scheint).
24 a) Leistungen, die mit der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden sind:
25 Die Bestellung eines Sachwalters setzt voraus, dass eine volljährige Person an einer psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist und ihre Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen vermag. Personen, die ihre Angelegenheiten nicht selbst gehörig zu besorgen vermögen, stehen nach § 21 Abs. 1 ABGB „unter dem besonderen Schutz der Gesetze“. Der Sachwalter ist im Allgemeinen auch zur Personensorge verpflichtet und hat sich etwa darum zu bemühen, dass der behinderten Person die gebotene ärztliche und soziale Betreuung gewährt wird. Im Allgemeinen soll mindestens einmal im Monat ein Kontakt stattfinden. Die vom Gericht festzusetzende Entlohnung ist insbesondere abhängig von den Einkünften und vom Vermögen der behinderten Person. Der Sachwalter unterliegt einer Überprüfung durch das Gericht.
26 Nach der Rechtsprechung des (österreichischen) Verfassungsgerichtshofes ( u.a., VfSlg. 19.532) handelt es sich bei der Verpflichtung zur Übernahme der Tätigkeit eines Sachwalters durch Rechtsanwälte um eine aus der sozialen Verantwortung der Gesellschaft für besonders schutzbedürftige Personen abgeleitete Bürgerpflicht im Sinne des Art. 4 Abs. 3 lit. d der Europäischen Menschenrechtskonvention (vgl. hiezu auch Art. 5 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und hiezu die - auch auf Art. 4 Abs. 3 lit. d EMRK verweisenden - Erläuterungen in ABl. 2007, C 303, 17).
27 Der Sachwalter hat neben rechtsgeschäftlichen Tätigkeiten insbesondere organisatorische Tätigkeiten zu erbringen, etwa einen geeigneten Betreuungs- und Pflegedienst zu suchen (vgl. Stabentheiner in Rummel/Lukas, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Auflage, § 282 Rz 4). Soweit die Tätigkeiten des Sachwalters in diesem Zusammenhang im Sinne einer (bloßen) Vermittlung von Leistungen der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit zu beurteilen wären, scheint dies der Steuerfreiheit dieser Leistungen nicht entgegen zu stehen (vgl. Stichting Kinderopvang Enschede, C-415/04).
28 Die Befreiung zielt dadurch, dass sie für bestimmte im sozialen Sektor erbrachte Leistungen, die dem Gemeinwohl dienen, eine günstigere Mehrwertsteuerbehandlung gewährt, darauf ab, die Kosten dieser Leistungen zu senken und dadurch diese Leistungen dem Einzelnen, der sie in Anspruch nehmen könnte, zugänglicher zu machen (vgl. Les Jardins de Jouvence, C-335/14, Rn. 41). Im Hinblick auf die oben geschilderte Rechtsprechung der österreichischen Zivilgerichte, wonach die Umsatzsteuer nicht zusätzlich zu der Entlohnung des Sachwalters zugesprochen (und damit auf die behinderte Person überwälzt) werden kann, ist freilich eine Befreiung zur Erreichung dieses Ziels nach der hier noch vorliegenden Rechtslage nicht erforderlich (die allfällige Umsatzsteuer vermindert vielmehr die dem Rechtsanwalt als bestelltem Sachwalter verbleibende Entlohnung).
29 b) Einrichtung, die vom Mitgliedstaat als Einrichtung mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden ist:
30 Der EuGH hat - zur Vorgängerbestimmung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom - entschieden, dass diese Befreiungsbestimmung im Hinblick auf die Verwendung des Begriffes „Einrichtung“ allein von juristischen Personen in Anspruch genommen werden kann. Natürliche Personen fielen nicht in den persönlichen Anwendungsbereich dieser Befreiungsbestimmung (vgl. Bulthuis-Griffioen, C-453/93, Rn. 20 f). Mit Urteil vom , Gregg, C-216/97, ging der EuGH von dieser Ansicht aber ausdrücklich ab und führte aus, der Begriff der Einrichtung sei grundsätzlich weit genug, um auch natürliche Personen zu erfassen. Der Begriff der Einrichtung lege zwar die Existenz einer abgegrenzten Einheit nahe, die eine bestimmte Funktion erfülle. Dieses Merkmal treffe aber nicht nur auf juristische Personen zu, sondern auch auf eine oder mehrere natürliche Personen, die ein Unternehmen betrieben (Rn. 15 ff).
31 Dieser Begriff umfasst auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht. Die Mitgliedstaaten sind insoweit ermächtigt, aber nicht verpflichtet, die Inanspruchnahme dieser Steuerbefreiung Einrichtungen (die keine Einrichtungen der öffentlichen Hand sind) vorzubehalten, die keine systematische Gewinnerzielung anstreben (vgl. Kingscrest Associates und Montecello, C-498/03, Rn. 35 und 38).
32 Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es Sache der nationalen Behörden, nach dem Unionsrecht und unter Kontrolle der nationalen Gerichte zu bestimmen, welche Einrichtungen als Einrichtungen mit sozialem Charakter anzuerkennen sind. Zu den dabei zu berücksichtigenden Gesichtspunkten können das Bestehen spezifischer Vorschriften, das mit den Tätigkeiten verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Steuerbefreiung kommen, und der Gesichtspunkt zählen, dass die Kosten der erbrachten Leistungen von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden (vgl. Zimmermann, C-174/11, Rn. 31; Les Jardins de Jouvence, C-335/14, Rn. 35).
33 Nach den bisherigen Verfahrensergebnissen ist davon auszugehen, dass betreffend die Sachwalterschaft in Österreich spezifische Vorschriften bestehen. Dass mit der Sachwaltertätigkeit Gemeinwohlinteresse verbunden ist, ist evident und unstrittig. Andere Steuerpflichtige, nämlich Vereine, die zu Sachwaltern bestellt werden, sind - wie aus einer Stellungnahme des Bundesministers für Finanzen in einem anderen Verfahren, auf welche das Finanzamt in seiner Revisionsbeantwortung im vorliegenden Verfahren aber verweist, hervorgeht - in der Regel nicht auf Gewinn ausgerichtet; das Bundesfinanzgericht schließt daraus im angefochtenen Erkenntnis, dass (vergleichbare) Leistungen der Vereine demnach als steuerfrei behandelt werden (in einem anderen Verfahren kam das Bundesfinanzgericht aber zu dem Ergebnis, dass die Leistungen im Hinblick auf die Gemeinnützigkeit mit einem reduzierten Steuersatz zu besteuern wären). Eine Übernahme von Kosten durch Krankenkassen oder Einrichtungen der sozialen Sicherheit liegt im Allgemeinen nicht vor. Gemäß § 8 des Erwachsenenschutzvereinsgesetzes, BGBl. Nr. 156/1990 (in der Fassung BGBl. I Nr. 92/2006), hatte allerdings die Bundesministerin für Justiz den Vereinen den Aufwand, der mit den durch ihre Mitarbeiter erbrachten Vertretungs- und Beratungsleistungen im Zusammenhang steht, im Rahmen der jeweils im Bundesfinanzgesetz für diese Zwecke verfügbaren Geldmittel zu ersetzen. Damit wird jedenfalls ein Teil des Aufwandes dieser Vereine für (vergleichbare) Tätigkeiten aus öffentlichen Mitteln abgedeckt.
34 Insgesamt könnte eine Gesamtabwägung dieser Umstände zum Ergebnis führen, dass Rechtsanwälte, die vom Gericht als Sachwalter bestellt werden, Einrichtungen sind, die vom Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind.
35 Der EuGH hat aber ausgesprochen, dass die Berufsgruppe der Rechtsanwälte als solche im Hinblick auf ihr Gesamtziel und die fehlende Dauerhaftigkeit eines etwaigen sozialen Engagements nicht als gemeinnützig angesehen werden könne ( Ordre des barreaux francophones et germanophone u.a., C-543/14, Rn. 62, unter Verweis auf Kommission/Frankreich, C-492/08, Rn. 45 und 46; auch hiezu sei angemerkt, dass die deutsche Sprachfassung in der Anlage III Nr. 15 der Richtlinie 2006/112/EG zum Teil andere Begriffe verwendet als in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g dieser Richtlinie). Dienstleistungen, die Rechtsanwälte im Rahmen des dort zu beurteilenden nationalen Systems der Gerichtskostenhilfe erbringen, sind daher nicht gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG von der Mehrwertsteuer befreit ( Rn. 65).
36 Fraglich erscheint, ob damit ganz generell sämtliche Tätigkeiten aller Rechtsanwälte von dieser Befreiungsbestimmung ausgeschlossen sind.
37 Zunächst ist zu bemerken, dass nach § 279 Abs. 4 ABGB ein Rechtsanwalt oder Notar vor allem dann zum Sachwalter zu bestellen ist, wenn die Besorgung der Angelegenheiten vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert. Daraus ist aber nur ableitbar, dass in derartigen Fällen von vornherein ein Rechtsanwalt oder Notar zum Sachwalter zu bestellen ist. Diese Bestimmung steht aber der Bestellung eines Rechtsanwalts oder Notars zum Sachwalter nicht entgegen, wenn die Besorgung der Angelegenheiten nicht vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert (vgl. etwa Oberster Gerichtshof , 5 Ob 92/09d). Rechtsanwälte oder Notare sind insbesondere auch dann als Sachwalter zu bestellen, wenn andere Personen (Nahestehende oder ein Sachwalterverein, der nur mit dessen Zustimmung - vgl. § 279 Abs. 3 ABGB - bestellt werden kann) nicht verfügbar sind.
38 Die in § 279 Abs. 5 ABGB - in Form einer widerleglichen Vermutung - geregelte Höchstzahl an zu übernehmenden Sachwalterschaften (im Allgemeinen bis zu fünf; bei Rechtsanwälten oder Notaren bis zu 25) beruht nach der Absicht des Gesetzgebers darauf, dass die Sachwalterschaft - abgesehen von Angehörigen der freien Rechtsberufe und den Mitarbeitern von Sachwaltervereinen - nicht gewerbsmäßig ausgeübt werden soll (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Sachwalterrechts-Änderungsgesetz 2006, BGBl. I Nr. 92/2006, 1420 der Beilagen 22. Gesetzgebungsperiode, Seite 5). Spezialisierte Vertreter der Rechtsberufe führen aber auch zum Teil Hunderte von Sachwalterschaften (vgl. Stabentheiner in Rummel/Lukas, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Auflage, § 279 Rz 7).
39 Vor allem aber ist darauf zu verweisen, dass es sich bei der Tätigkeit als Sachwalter - auch wenn ein Rechtsanwalt zum Sachwalter bestellt wurde - im vorliegenden Fall zum weit überwiegenden Teil um keine anwaltstypische Tätigkeit handelt. Wie oben ausgeführt betrifft dies Tätigkeiten, mit denen üblicherweise kein Anwalt beauftragt wird, auch wenn einzelne Tätigkeiten einen juristischen Bezug haben, wie etwa die Stellung von Anträgen auf die Gewährung von Beihilfen. Im Übrigen handelt es sich aber vor allem um organisatorische Tätigkeiten zur Sicherung der (tatsächlichen) Betreuung und Pflege. Diese Tätigkeit ist - anders als die Prozesskostenhilfe im Falle der Entscheidung EuGH C-543/14 - auch als dauerhaft anzusehen: Die Bestellung zum Sachwalter erfolgt nach § 278 ABGB an sich unbefristet; das Gericht hat in fünf Jahre nicht überschreitenden Zeitabständen zu überprüfen, ob eine Beendigung oder Änderung der Sachwalterschaft vorzunehmen ist.
40 Soweit es sich hingegen um anwaltstypische Leistungen handelt (etwa Erstellung eines Vertrages betreffend Vermögen der behinderten Person mit einer dritten Person), wofür Anspruch auf angemessenes Entgelt zusteht (§ 276 Abs. 2 ABGB), besteht - wie oben bereits ausgeführt - unbestritten Steuerpflicht.
41 Bei der gebotenen einheitlichen Auslegung der Befreiungsbestimmungen (vgl. etwa CopyGene, C-262/08, Rn. 24) ist, auch wenn den Mitgliedstaaten betreffend die „Anerkennung“ von Einrichtungen Ermessen zusteht (vgl. neuerlich EuGH CopyGene, Rn. 66), schließlich auch darauf zu verweisen, dass der deutsche Bundesfinanzhof zu der im deutschen Recht vergleichbaren Tätigkeit eines Berufsbetreuers im Sinne des § 1896 deutsches BGB zum Ergebnis gelangte, dass sich dieser Berufsbetreuer auf die Steuerfreiheit des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG stützen könne, es sei denn es handle sich um Leistungen, die etwa einem als Betreuer tätigen Rechtsanwalt für eine anwaltliche Tätigkeit im Rahmen der Betreuung vergütet werden (deutscher Bundesfinanzhof , V R 7/11). Diese Rechtsprechung wurde vom deutschen Gesetzgeber zum Anlass genommen, für diese Leistungen eine gesonderte Befreiungsbestimmung vorzusehen (§ 4 Nummer 16 Buchstabe k des deutschen Umsatzsteuergesetzes: „Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei: [...] die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen, die von [...] Einrichtungen, die als Betreuer nach § 1896 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestellt worden sind, sofern es sich nicht um Leistungen handelt, die nach § 1908i Absatz 1 in Verbindung mit § 1835 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vergütet werden, [...] erbracht werden“).
42 Insgesamt scheint die richtige Auslegung des Unionsrechts bei Bedachtnahme auf das (spätere) Urteil des EuGH in der Rechtssache Ordre des barreaux francophones et germanophone u.a. aber nicht derart offenkundig zu sein, dass für vernünftige Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. Kommission/Französische Republik, C-416/17, Rn. 110).
43 Die Frage wird daher dem EuGH mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt.
Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Beschluss
Entscheidungsdatum:
Beachte
Vorabentscheidungsverfahren:
* Vorabentscheidungsantrag:
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski sowie die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, in der Revisionssache des Dr. C B in W, vertreten durch die Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte LLP & Co KG in 1010 Wien, Schottenring 25, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7101028/2017, betreffend Antrag auf Aufhebung gemäß § 299 BAO (Umsatzsteuer 2014), den Beschluss gefasst:
Spruch
Das mit Beschluss vom , Ra 2019/13/0025 (EU 2019/0007), dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegte und zu C-1/20 protokollierte Ersuchen um Vorabentscheidung wird zurückgezogen.
Begründung
1 Mit Beschluss vom hat der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„Ist Art. 132 Abs. 1 Buchstabe g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen, dass Dienstleistungen eines Rechtsanwaltes, die dieser als vom Gericht bestellter Sachwalter - soweit es sich nicht um anwaltstypische Leistungen handelt - erbringt, von der Mehrwertsteuer befreit sind?“
2 Mit Note vom übermittelte der Kanzler des Gerichtshofes der Europäischen Union eine Abschrift des Urteiles des Gerichtshofes der Europäischen Union vom in der Rechtssache C-846/19 (Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA) mit dem Ersuchen um Mitteilung, ob das Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten wird.
3 In diesem Urteil hat der Gerichtshof der Europäischen Union insbesondere ausgesprochen:
„Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass Dienstleistungen zugunsten nicht geschäftsfähiger Erwachsener, die diese bei zivilrechtlichen Handlungen schützen sollen, ‚eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen‘ sind und dass nicht ausgeschlossen ist, dass einem Anwalt, der solche Dienstleistungen erbringt, für das Unternehmen, das er betreibt, und in den Grenzen dieser Dienstleistungen eine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter gewährt werden kann, wobei diese Anerkennung jedoch nur dann zwingend durch eine Justizbehörde zu gewähren ist, wenn der betreffende Mitgliedstaat durch die Verweigerung dieser Anerkennung die Grenzen des ihm in diesem Zusammenhang eingeräumten Ermessens überschritten hat.“
4 Vor diesem Hintergrund erscheint die vom Verwaltungsgerichtshof gestellte Frage als geklärt, weshalb das Vorabentscheidungsersuchen zurückzuziehen war.
Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungsdatum:
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ra 2020/13/0008 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Dr. B in W, vertreten durch die Baker McKenzie Rechtsanwälte LLP & Co KG in 1010 Wien, Schottenring 25, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7101028/2017, betreffend Antrag auf Aufhebung gemäß § 299 BAO (Umsatzsteuer 2014), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer betreffend den Revisionswerber für das Jahr 2014 fest.
2 Mit Eingabe vom beantragte der Revisionswerber gemäß § 299 BAO die Aufhebung und Abänderung dieses Bescheides. Er machte geltend, er sei seit vielen Jahren im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit fast nur mehr als von Gerichten bestellter Sachwalter tätig. Auch in diesem Bereich habe er für die betroffenen Personen typisch anwaltliche Tätigkeiten zu verrichten (Prozesse, Verträge, etc.), jedoch nur in ganz geringem Umfang; frei gewählte Mandate übernehme er nicht mehr. Seine übrige Tätigkeit als Sachwalter bestehe aus sozialarbeiterischer Fürsorge (Personensorge) für die ihm von den Gerichten anvertrauten Personen. Die Bestellung erfolge für Personen, die psychisch krank oder geistig behindert und deshalb außerstande seien, alle oder einzelne Angelegenheiten zu erledigen, und derart in Gefahr gerieten, Nachteile zu erleiden. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, habe er Sozialarbeiterinnen angestellt bzw. sein Personal sozialarbeiterisch geschult. Darüber hinaus verfüge er über ein großes außerbetriebliches Netz an Zuarbeiterinnen, um allen Wechselfällen des Lebens begegnen zu können. Er werde bevorzugt und gerade deshalb bestellt, weil er derart „ausgestattet“ sei. Es bestehe also ein öffentlicher Bedarf an derartigen sozialen Betreuungsleistungen, die er als einer von wenigen decke. Die einschlägigen Bestimmungen des ABGB bürdeten dem Sachwalter tiefgreifende Verpflichtungen auf, um das Wohl der betroffenen Personen zu wahren. Die Tätigkeit bestehe etwa in der Organisation der sozialen Dienste, der Reinigung der Wohnung, der Begleitung zum Arzt, der Einteilung des Geldes, der Übersiedelung bei Wohnungswechsel oder der Eingliederung obdachloser Menschen. Die Bestellung zum Sachwalter erfolge ausschließlich durch Gerichte. Es handle sich um eine im öffentlichen Interesse gelegene Tätigkeit. Neben Mitgliedern der rechtsberatenden Berufe kämen als Sachwalter auch ausdrücklich dafür anerkannte Vereine und Angehörige in Frage. Diese hätten ebenso Anspruch auf Entschädigung, unterlägen aber nicht der Umsatzsteuerpflicht. Die Tätigkeit des Sachwalters sei eine, die der sozialen Sicherheit diene; es handle sich um eine anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter. Bei richtiger Umsetzung der Mehrwertsteuerrichtlinie (Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) müssten die Umsätze des Sachwalters im Zusammenhang mit seinen Betreuungs- und Vertretungshandlungen (mit Ausnahme der beruflichen Vertretung gemäß § 276 Abs. 2 ABGB) von der Umsatzsteuer ausgenommen werden.
3 Mit Bescheid vom wies das Finanzamt diesen Antrag ab.
4 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.
5 Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. In der Begründung verwies das Finanzamt auf das Ordre des barreaux francophones et germanophone u.a., C-543/14. Danach seien Dienstleistungen von Rechtsanwälten nicht steuerfrei.
6 Der Revisionswerber beantragte die Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8 Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber übe den Beruf eines Rechtsanwaltes aus. Im Rahmen seines Unternehmens sei er auch vom Gericht als Sachwalter bestellt worden und habe aus dieser Tätigkeit Entschädigungen gemäß § 276 Abs. 1 ABGB erhalten. Der EuGH habe im Urteil vom , C-543/14, ausgesprochen, dass Voraussetzung für die Anwendung der Befreiungsbestimmung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g Mehrwertsteuerrichtlinie u.a. sei, dass die Leistungen durch anerkannte soziale Einrichtungen erbracht würden. Die Berufsgruppe der Rechtsanwälte erfülle diese Voraussetzung nicht. Die Umsätze des Revisionswerbers aus seiner Tätigkeit als Sachwalter seien daher nicht befreit. Ein Sachwalter erziele mit seiner Tätigkeit nachhaltig Einnahmen. Soweit sich der Revisionswerber auf die umsatzsteuerliche Gleichbehandlung der sachwalterischen Tätigkeit berufe, sei zu bemerken, dass Sachwalter, die einen nahen Angehörigen betreuen, in der Regel Kleinunternehmer und daher gemäß § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 von der Umsatzsteuer befreit seien. Daraus resultiere aber keine Gleichheitswidrigkeit, weil auch ein Rechtsanwalt, der (auch) als Sachwalter tätig sei, Kleinunternehmer sein könne. Von Rechtsanwälten, die als Sachwalter tätig seien, würden keine Leistungen erbracht, die mit jenen vergleichbar seien, die von Sachwalter-Vereinen erbracht würden. Bei diesen Vereinen handle es sich um nicht auf Gewinn ausgerichtete gemeinnützige Vereine, die gemäß § 6 Abs. 1 Z 25 UStG 1994 von der Umsatzsteuer befreit seien. Rechtsanwälte wirtschafteten hingegen gewinnorientiert; aufgrund der fehlenden Dauerhaftigkeit eines sozialen Engagements seien sie nicht als gemeinnützig anzusehen. Da sich der Umsatzsteuerbescheid 2014 demnach als richtig erweise, sei der Antrag nach § 299 BAO zu Recht abgewiesen worden.
9 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom , E 153/2019-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab. In der Begründung führte der Verfassungsgerichtshof u.a. aus, die Beschwerde rüge die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer allenfalls grob unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen sowie insbesondere der Frage, ob vom Bundesfinanzgericht innerstaatliche einfachgesetzliche Normen oder unionsrechtliche Normen anzuwenden waren, nicht anzustellen. Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berühre, als die Rechtswidrigkeit der die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtsvorschriften behauptet werde, lasse ihr Vorbringen vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Dem Gesetzgeber sei es von Verfassungs wegen im Rahmen seines weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraums unbenommen, für die Tätigkeit von Rechtsanwälten als Sachwalter keine Umsatzsteuerbefreiung vorzusehen. Dies gelte selbst für den Fall, dass mit dem Bundesfinanzgericht davon auszugehen wäre, dass Vereine als gemeinnützige Rechtsträger mit ihren Leistungen gemäß § 6 Abs. 1 Z 25 UStG 1994 unecht von der Umsatzsteuer befreit wären, da letztere - anders als Rechtanwälte - die aus ihrer Tätigkeit erzielten Einnahmen für die Förderung abgabenrechtlich begünstigter Zwecke (vgl. §§ 34 ff BAO) zu verwenden hätten.
10 Gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts wendet sich auch die vorliegende Revision.
11 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet.
12 Mit Beschluss vom legte der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:
„Ist Art. 132 Abs. 1 Buchstabe g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen, dass Dienstleistungen eines Rechtsanwaltes, die dieser als vom Gericht bestellter Sachwalter - soweit es sich nicht um anwaltstypische Leistungen handelt - erbringt, von der Mehrwertsteuer befreit sind?“
13 Mit Beschluss vom zog der Verwaltungsgerichtshof dieses Ersuchen um Vorabentscheidung - nach Ergehen der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-846/19 (Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA) - zurück.
14 Die Verfahrensparteien erstatteten hiezu weitere Stellungnahmen.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
16 Die Revision ist zulässig und begründet.
17 Gemäß § 1 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 unterliegen u.a. Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, der Umsatzsteuer. Die Steuerbarkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Umsatz auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung bewirkt wird oder kraft gesetzlicher Vorschrift als bewirkt gilt.
18 Gemäß § 6 Abs. 1 UStG 1994 sind von den unter § 1 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 fallenden Umsätzen u.a. steuerfrei:
„7. die Umsätze der Träger der Sozialversicherung und ihrer Verbände, der Krankenfürsorgeeinrichtungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 2 des Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 200/1967, und der Träger des öffentlichen Fürsorgewesens untereinander und an die Versicherten, die mitversicherten Familienangehörigen, die Versorgungsberechtigten oder die Hilfeempfänger oder die zum Ersatz von Fürsorgekosten Verpflichteten;
[...]
18. die Umsätze der Kranken- und Pflegeanstalten, der Alters-, Blinden- und Siechenheime sowie jener Anstalten, die eine Bewilligung als Kuranstalt oder Kureinrichtung nach den jeweils geltenden Rechtsvorschriften über natürliche Heilvorkommen und Kurorte besitzen, soweit sie von Körperschaften des öffentlichen Rechts bewirkt werden und es sich um Leistungen handelt, die unmittelbar mit der Kranken- oder Kurbehandlung oder unmittelbar mit der Betreuung der Pfleglinge im Zusammenhang stehen;
[...]
23. die Leistungen der Jugend-, Erziehungs-, Ausbildungs-, Fortbildungs- und Erholungsheime an Personen, die das 27. Lebensjahr nicht vollendet haben, soweit diese Leistungen in deren Betreuung, Beherbergung, Verköstigung und den hiebei üblichen Nebenleistungen bestehen und diese von Körperschaften öffentlichen Rechts bewirkt werden;
[...]
25. die in den Ziffern 18, 23 und 24 genannten Leistungen, sofern sie von Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§§ 34 bis 47 der Bundesabgabenordnung), bewirkt werden. Dies gilt nicht für Leistungen, die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes, eines Gewerbebetriebes oder eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes im Sinne des § 45 Abs. 3 der Bundesabgabenordnung ausgeführt werden; [...].“
19 Die Bestimmungen der zitierten Ziffern 7 und 18 dienten, wie aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 (Stammfassung), hervorgeht (1715 BlgNR 18. GP 52 und 54), der Umsetzung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rats vom (also der - in der deutschen Sprachfassung klarer formulierten - Vorgängerbestimmung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG).
20 Leistungen eines Rechtsanwalts, die dieser als vom Gericht bestellter Sachwalter erbringt, sind nach dem UStG 1994 steuerpflichtig. Insbesondere erstrecken sich die Befreiungen des § 6 Abs. 1 Z 7 und Z 18 (oder auch jene der Z 23 und 24) UStG 1994 - im Verfahren unbestritten - nicht auch auf diese Leistungen.
21 Der Revisionswerber stützt sich darauf, dass diese Leistungen aufgrund der unmittelbar anwendbaren Bestimmung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG steuerfrei seien. Nach dieser Bestimmung befreien die Mitgliedstaaten u.a. „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden“, von der Steuer.
22 Nach Art. 133 der Richtlinie 2006/112/EG können die Mitgliedstaaten die Befreiungen u.a. nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie im Einzelfall von der Erfüllung einer oder mehrerer der in der Folge genannten Bedingungen abhängig machen. So können die Mitgliedstaaten die Befreiungen u.a. davon abhängig machen, dass die betreffenden Einrichtungen keine systematische Gewinnerzielung anstreben dürfen und etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, nicht verteilt werden dürfen, sondern zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden müssen (Art. 133 Buchst. a).
23 Nach Art. 134 der Richtlinie 2006/112/EG sind Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen von der Steuerbefreiung u.a. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g ausgeschlossen, wenn sie für die Umsätze, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind; oder sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt werden.
24 Die Bestimmung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie findet auf Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen Anwendung, die zum einen „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden“ sind und zum anderen durch „Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen“ erbracht werden (vgl. Les Jardins de Jouvence, C-335/14, Rn. 29; , Finanzamt D, C-657/19, Rn. 30, mwN). Zu prüfen sind somit zwei Voraussetzungen.
25 Mit Urteil vom , Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C-846/19, hat der Gerichtshof der Europäischen Union u.a. für Recht erkannt:
„Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass Dienstleistungen zugunsten nicht geschäftsfähiger Erwachsener, die diese bei zivilrechtlichen Handlungen schützen sollen, ‚eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen‘ sind und dass nicht ausgeschlossen ist, dass einem Anwalt, der solche Dienstleistungen erbringt, für das Unternehmen, das er betreibt, und in den Grenzen dieser Dienstleistungen eine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter gewährt werden kann, wobei diese Anerkennung jedoch nur dann zwingend durch eine Justizbehörde zu gewähren ist, wenn der betreffende Mitgliedstaat durch die Verweigerung dieser Anerkennung die Grenzen des ihm in diesem Zusammenhang eingeräumten Ermessens überschritten hat.“
26 a) Leistungen, die „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden“ sind:
27 Der Revisionswerber erbrachte im Streitjahr unstrittig (u.a.) Leistungen als vom Gericht bestellter Sachwalter gemäß § 268 Abs. 1 ABGB (idF BGBl. I Nr. 15/2013). Dabei handelt es sich - ebenso wie bei jenen, die dem Verfahren des EuGH zu C-846/19 zu Grunde lagen (vgl. zu diesen Leistungen insbesondere die Ausführungen des Generalanwalts in dessen Schlussanträgen, Rn. 53, und den Verweis hierauf im Urteil des EuGH, Rn. 61) - um Dienstleistungen, die an geistig hilfsbedürftige Personen erbracht werden und zu deren Schutz bei zivilrechtlichen Handlungen dienen, wenn die Betroffenen nicht in der Lage sind, für diese selbst zu sorgen, ohne Gefahr zu laufen, ihren eigenen Interessen zu schaden (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 63; vgl. dazu § 268 Abs. 1 ABGB). Diese Dienstleistungen sind auch unerlässlich, um die Betroffenen vor Handlungen zu schützen, die ihnen schaden (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 64).
28 Tätigkeiten der Beratung rechtlicher Art, die mit den speziellen Kenntnissen eines Anwalts verbunden sind (und die vom Revisionswerber ebenfalls unstrittig im Rahmen seiner Tätigkeit als Sachwalter erbracht wurden), fallen hingegen nicht in den Bereich dieser Steuerbefreiung, selbst wenn sie im Kontext des einer nicht geschäftsfähigen Person geleisteten Beistands erbracht werden (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 66), was vom Revisionswerber im Übrigen bereits in seinem Antrag auf Aufhebung gemäß § 299 BAO (und ebenso in der Revision) eingeräumt wurde.
29 Dem Grunde nach liegen hier somit eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen vor; zum jeweiligen Umfang der Leistungen wurden vom Bundesfinanzgericht im Hinblick auf dessen abweichende Rechtsansicht bisher keine Feststellungen getroffen.
30 b) Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder „andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen“:
31 Unbestritten ist, dass der Revisionswerber - ebenso wie der im Verfahren des EuGH C-846/19 betroffene Rechtsanwalt - nicht als „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ anzusehen ist.
32 Zum Begriff „als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen“ hat der Gerichtshof der Europäischen Union im Urteil C-846/19 ausgeführt (Rn. 69 bis 87):
„69 Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuerrichtlinie legt weder die Voraussetzungen noch die Modalitäten einer Anerkennung des sozialen Charakters von anderen Einrichtungen als solchen des öffentlichen Rechts fest. Es ist daher grundsätzlich Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen diesen Einrichtungen eine solche Anerkennung gewährt werden kann, wobei die Mitgliedstaaten über ein Ermessen verfügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Les Jardins de Jouvence, C-335/14, EU:C:2016:36, Rn. 32 und 34).
70 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich hierzu, dass die nationalen Behörden bei der Anerkennung des sozialen Charakters von Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen haben. Zu ihnen können das Bestehen spezifischer Vorschriften - seien es nationale oder regionale, Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit -, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und der Gesichtspunkt zählen, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden, insbesondere, wenn die privaten Wirtschaftsteilnehmer vertragliche Beziehungen zu diesen Einrichtungen unterhalten (Urteil vom , Finanzamt D, C‑657/19, EU:C:2020:811, Rn. 44).
71 Nur wenn der Mitgliedstaat die Grenzen seines Ermessens nicht eingehalten hat, kann sich ein Steuerpflichtiger auf die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Steuerbefreiung berufen, um sich einer nationalen Regelung zu widersetzen, die mit dieser Bestimmung unvereinbar ist. In einem solchen Fall ist es Sache des nationalen Gerichts, anhand aller maßgeblichen Umstände zu bestimmen, ob der Steuerpflichtige eine als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung im Sinne dieser Bestimmung ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Zimmermann, C‑174/11, EU:C:2012:716, Rn. 28 und 32), wie auch der Generalanwalt in den Nrn. 114 bis 119 seiner Schlussanträge ausgeführt hat.
72 Im vorliegenden Fall ist in Anbetracht der Fragen des vorlegenden Gerichts hervorzuheben, dass erstens die Anwendung der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Steuerbefreiung nicht nur von der Voraussetzung eines sozialen Charakters der Dienstleistungen abhängt, sondern überdies auf Dienstleistungen beschränkt ist, die durch Einrichtungen bewirkt werden, die als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt sind, wie in Rn. 58 des vorliegenden Urteils ausgeführt. Mit diesen beiden Voraussetzungen wäre es aber nicht vereinbar, wenn es den Mitgliedstaaten erlaubt würde, private Einrichtungen mit Gewinnerzielungsabsicht allein deshalb als Einrichtungen mit sozialem Charakter zu qualifizieren, weil sie auch Leistungen mit sozialem Charakter erbringen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a., C-543/14, EU:C:2016:605, Rn. 61 und 63).
73 Zweitens schließt der Umstand, dass es sich bei dem fraglichen Dienstleistungserbringer um eine natürliche Person handelt, die mit ihrer Tätigkeit eine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt, nicht zwingend aus, ihr einen sozialen Charakter im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuerrichtlinie zuzuerkennen. Der Gerichtshof hat nämlich bereits entschieden, dass der Begriff ‚als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen‘ grundsätzlich weit genug ist, um auch private Einrichtungen mit Gewinnerzielungsabsicht einschließlich natürlicher Personen, die ein Unternehmen betreiben, zu umfassen, da auch sie abgegrenzte Einheiten darstellen, die eine bestimmte Funktion erfüllen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Gregg, C-216/97, EU:C:1999:390, Rn. 17 und 18, vom , Kommission/Frankreich, C-492/08, EU:C:2010:348, Rn. 36 und 37, sowie vom , Zimmermann, C-174/11, EU:C:2012:716, Rn. 57).
74 Aus den dem Gerichtshof übermittelten Informationen geht im Übrigen nicht hervor, dass sich das Großherzogtum Luxemburg auf die in Art. 133 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Möglichkeit berufen hätte, die Gewährung der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g dieser Richtlinie vorgesehenen Befreiung u. a. Einrichtungen zu verweigern, die eine systematische Gewinnerzielung anstreben, so dass es dem Steuerpflichtigen, der diese Befreiung erhalten möchte, die etwaige Verfolgung eines solchen Ziels nicht entgegenhalten kann.
75 Diese Beschränkung der Befreiungsregel hat nämlich nur Eventualcharakter, und ein Mitgliedstaat, der es unterlassen hat, die insoweit erforderlichen Maßnahmen zu treffen, kann sich nicht auf sein eigenes Unterlassen berufen, um einem Steuerpflichtigen eine Steuerbefreiung zu verwehren, die dieser nach der Mehrwertsteuerrichtlinie in Anspruch nehmen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Kügler, C-141/00, EU:C:2002:473, Rn. 60). Diese Beschränkung in einem solchen Fall anzuwenden, verstieße außerdem möglicherweise gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, da die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g dieser Richtlinie genannten Leistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich behandelt würden, je nachdem, ob die sie erbringenden Einrichtungen Gewinnerzielung anstreben oder nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Kingscrest Associates und Montecello, C-498/03, EU:C:2005:322, Rn. 42).
76 Drittens ist die von einem Dienstleistungserbringer gewählte Betriebsform für seine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter zwar nicht ohne Bedeutung, da sie sich nicht als mit der Einstufung als ‚Einrichtung mit sozialem Charakter‘ unvereinbar erweisen darf, doch können die Mitgliedstaaten eine solche Anerkennung nicht verweigern, ohne die konkreten Umstände des Einzelfalls genau zu prüfen, um festzustellen, ob sie den sozialen Charakter des von einem solchen Dienstleistungserbringer betriebenen Unternehmens belegen können; wenn der soziale Charakter nachgewiesen ist und soweit dieser Dienstleistungserbringer eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen erbringt, fallen diese daher unter die Befreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuerrichtlinie.
77 Was konkret den Umstand betrifft, dass die betreffenden Dienstleistungen im vorliegenden Fall von einem bei der Anwaltskammer zugelassenen Anwalt erbracht wurden, hat der Gerichtshof zwar entschieden, dass die Berufsgruppe der Rechtsanwälte und ‚avoués‘ als solche im Hinblick auf ihr Gesamtziel und die fehlende Dauerhaftigkeit eines etwaigen sozialen Engagements nicht als gemeinnützig angesehen werden kann (Urteil vom , Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a., C-543/14, EU:C:2016:605, Rn. 62).
78 Aus dieser Rechtsprechung folgt jedoch nicht, dass einem Steuerpflichtigen, der eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Umsätze bewirkt, unter allen Umständen von vorneherein die Möglichkeit verwehrt werden darf, als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt zu werden, nur weil er der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils definierten Berufsgruppe angehört, ohne zu prüfen, ob er sein Unternehmen unter Bedingungen betreibt, die eine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuerrichtlinie rechtfertigen. Ein solcher Ansatz könnte außerdem gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstoßen, wie auch der Generalanwalt in den Nrn. 90 und 95 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat.
79 Auch wenn sich die Berufsgruppe der Anwälte als solche nicht durch einen sozialen Charakter kennzeichnet, ist nicht ausgeschlossen, dass ein Anwalt, der eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen erbringt, in einem konkreten Fall ein dauerhaftes soziales Engagement leistet und sich im Hinblick auf die Aspekte, die bei der Feststellung des sozialen Charakters seines Unternehmens zu berücksichtigen sind, von anderen natürlichen oder juristischen Personen, die derartige Dienstleistungen erbringen, nur dadurch unterscheidet, dass er als Anwalt bei der Anwaltskammer zugelassen ist.
80 In einem solchen Fall wäre die bloße Anwaltseigenschaft des Dienstleistungserbringers ein rein formaler Aspekt, der den sozialen Charakter seines Unternehmens nicht in Frage zu stellen vermag.
81 Das vorlegende Gericht wird daher anhand sämtlicher übriger maßgeblicher Umstände, die den bei ihm anhängigen Rechtsstreit kennzeichnen, zu prüfen haben, ob das Großherzogtum Luxemburg die Grenzen seines Ermessens überschritten hat, indem es für einen Dienstleistungserbringer, der sich in der Lage des Klägers des Ausgangsverfahrens befindet, nicht die Möglichkeit vorsieht, für sein Unternehmen die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter zu erlangen. Nur wenn dieser Mitgliedstaat diese Grenzen überschritten hat, muss das vorlegende Gericht diese Anerkennung für den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitraum selbst erteilen, wobei es die materiellen oder prozessualen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, die dieser Anerkennung entgegenstehen, gegebenenfalls unangewandt zu lassen hat.
82 Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist insoweit darauf hinzuweisen, dass, vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, einige Angaben in den dem Gerichtshof vorliegenden Akten von Bedeutung für die Prüfung sein dürften, ob der Kläger des Ausgangsverfahrens ungeachtet seiner Eigenschaft als Anwalt in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitraum im Rahmen des Betriebs seines Unternehmens ein dauerhaftes soziales Engagement geleistet hat.
83 Zum einen könnte hierbei der Umstand heranzuziehen sein, dass der Betreffende seine Umsätze, von denen jedenfalls ein Teil sozialen Charakter aufzuweisen scheint, im Rahmen von Mandaten des Erwachsenenschutzes bewirkt, mit denen er gemäß verschiedenen nach luxemburgischem Recht vorgesehenen Schutzregelungen von einer Justizbehörde betraut wurde, die ihre Durchführung im Übrigen überwacht. Dieser Umstand deutet nämlich nicht nur darauf hin, dass der betreffende Dienstleistungserbringer verpflichtet ist, diese Umsätze im Einklang mit den spezifischen Rechtsvorschriften zu bewirken, die das luxemburgische Recht hierzu vorsieht, sondern auch darauf, dass er nur tätig werden kann, nachdem von der zuständigen Justizbehörde eine ausdrückliche Entscheidung zur Ernennung der mit der Erbringung der Dienstleistungen auf dem Gebiet der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit betrauten Personen erlassen wurde.
84 Zum anderen kann auch der Umstand von Bedeutung sein, dass die Vergütung für die betreffenden Umsätze stets unter der Kontrolle dieser Justizbehörde festgelegt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Les Jardins de Jouvence, C-335/14, EU:C:2016:36, Rn. 38) und dass diese Vergütung vom Staat übernommen werden kann, wenn der Empfänger nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügt.
85 Zudem hat der Gerichtshof im Fall einer Krankenpflegerin, die eine Einpersonengesellschaft führte und sich auf die Steuerbefreiung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuerrichtlinie berief, bereits entschieden, dass ein Mitgliedstaat grundsätzlich, ohne das ihm in diesem Zusammenhang eingeräumte Ermessen zu überschreiten, verlangen kann, dass die medizinischen Kosten und die Arzneimittelkosten eines solchen Steuerpflichtigen in mindestens zwei Drittel der Fälle ganz oder teilweise von gesetzlichen Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträgern übernommen werden müssen, damit diesem Dienstleistungserbringer ein sozialer Charakter zuerkannt werden kann (vgl. entsprechend Urteil vom , Zimmermann, C-174/11, EU:C:2012:716, Rn. 10 und 35 bis 37).
86 Auch ist der betreffende Mitgliedstaat nicht daran gehindert, eine solche Anerkennung an die Bedingung zu knüpfen, dass der Dienstleistungserbringer zu diesem Zweck gewisse Verfahrensschritte unternimmt, die geeignet sind, es den betreffenden Behörden zu ermöglichen, den sozialen Charakter dieses Dienstleistenden zu überprüfen. Doch scheint das luxemburgische Recht in Bezug auf die Steuerbefreiung, die nach der innerstaatlichen Vorschrift zur Umsetzung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehen ist, derartige Schritte nicht vorzuschreiben, was zu überprüfen allerdings Sache des vorlegenden Gerichts ist.
87 Die Anwendung derartiger Bedingungen muss jedoch den Grundsatz der steuerlichen Neutralität wahren. Somit ist im Ausgangsrechtsstreit zu prüfen, ob anderen Steuerpflichtigen, u. a. gemeinnützigen Vereinen, unter der Situation des Klägers des Ausgangsverfahrens entsprechenden Umständen bereits eine vergleichbare Anerkennung gewährt wurde. Zu diesem Aspekt haben der Kläger des Ausgangsverfahrens und die luxemburgische Regierung in ihren schriftlichen Antworten auf die Fragen des Gerichtshofs unterschiedliche Standpunkte eingenommen.“
33 Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage sollte Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie (die Vorgängerbestimmung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG) mit § 6 Abs. 1 Z 7 und 18 UStG 1994 umgesetzt werden. Die Leistungen eines Rechtsanwalts (oder auch eines Vereins oder eines Mitarbeiters dieses Vereins), der vom Gericht zum Sachwalter bestellt wurde, fallen nicht unter die dort (oder unter die in § 6 Abs. 1 Z 23 oder 24 UStG 1994) aufgezählten Leistungen. Damit hat der nationale Gesetzgeber von der in Art. 133 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG eingeräumten Möglichkeit der Beschränkung der Befreiung auf Einrichtungen, die keine systematische Gewinnerzielung anstreben, für die Leistungen eines Sachwalters keinen Gebrauch gemacht, da sich die Regelung nach § 6 Abs. 1 Z 25 UStG 1994 nur auf die in § 6 Abs. 1 Z 18, 23 und 24 UStG 1994 angeführten Leistungen bezieht.
34 Regelungen, nach denen ein (anderer als die in § 6 Abs. 1 Z 7, 18, 23 oder 24 UStG 1994 aufgezählten) Rechtsträger als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt würde, sieht das österreichische Umsatzsteuerrecht nicht vor. Die gerichtliche Bestellung eines Rechtsanwalts zum Sachwalter im Einzelfall begründet noch nicht die Anerkennung dieses (konkreten) Rechtsanwalts als „Einrichtung mit sozialem Charakter“ (vgl. auch EuGH C-846/19, Rn. 83: die Betrauung mit der Tätigkeit durch die Justizbehörde ist nur ein Umstand, der für die Beurteilung dieser Frage zu berücksichtigen ist). Private Einrichtungen mit Gewinnerzielungsabsicht (wie hier ein Rechtsanwalt) können nicht allein deshalb als Einrichtungen mit sozialem Charakter qualifiziert werden, weil sie auch Leistungen mit sozialem Charakter erbringen (EuGH C-846/19, Rn. 72). Entscheidend ist, ob ein Rechtsanwalt sein Unternehmen unter Bedingungen betreibt, die eine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter rechtfertigen (EuGH C-846/19, Rn. 78).
35 Entgegen der Ansicht des Finanzamts ist es aber für die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter nicht erforderlich, dass der Rechtsanwalt nur mehr Leistungen als Sachwalter erbringt (vgl. insbesondere den Tenor EuGH C-846/19: „... in den Grenzen dieser Dienstleistungen ...“; vgl. weiters L. u. P., C-106/05, Rn. 53 f; , Zimmermann, C-174/11, Rn. 37; diesen Entscheidungen lagen jeweils nationale Regelungen zu Grunde, die eine bestimmte Schwelle für die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter vorsahen, was impliziert, dass das Vorliegen nicht begünstigter Umsätze der grundsätzlichen Anerkennung im Übrigen nicht entgegensteht). Anwaltliche Leistungen, die im Rahmen von Sachwalterschaften oder auch außerhalb dieser erbracht werden, sind aber steuerlich schon deswegen nicht begünstigt, weil es sich hiebei nicht um eng mit der Sozialfürsorge verbundene Leistungen handelt (vgl. - neuerlich - EuGH C-846/19, Rn. 66).
36 Ob der Revisionswerber als Einrichtung mit sozialem Charakter anzuerkennen ist, ist anhand sämtlicher maßgeblicher Umstände zu prüfen (EuGH C-846/19, Rn. 81). Kriterien, die dabei zu berücksichtigen sind, finden sich insbesondere in Rn. 70 und Rn. 83 bis 87 des angeführten Urteils. Wenn eines dieser Kriterien nicht erfüllt ist, schließt dies eine Anerkennung im Rahmen der Gesamtabwägung nicht jedenfalls aus (vgl. CopyGene, C-262/08, Rn. 71; vgl. auch Les Jardins de Jouvence, C-335/14, Rn. 39).
37 Zu diesen Kriterien ist im vorliegenden Fall festzuhalten, dass entsprechende spezifische Vorschriften bestehen (vgl. - zur im Streitzeitraum anwendbaren Rechtslage - die Schilderung im Vorlagebeschluss vom , Rz 11 und 13). Demnach ist ein Sachwalter vom Gericht zu bestellen, wenn eine volljährige Person, die an einer psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist, alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen vermag (§ 268 Abs. 1 ABGB). Die Tätigkeit des Sachwalters wird vom Gericht regelmäßig überprüft; der Sachwalter hat hiezu in angemessenen Abständen (mindestens jährlich) dem Gericht zu berichten (§ 130 Außerstreitgesetz). Das Entgelt (und die „Entschädigung“) des Sachwalters werden vom Gericht festgesetzt (§ 137 Abs. 2 Außerstreitgesetz).
38 Dass mit der Tätigkeit des Sachwalters Gemeinwohlinteresse verbunden ist, ist unbestritten und evident (vgl. dazu auch u.a., VfSlg. 19532, Punkt III. 2.3.4).
39 Das Entgelt (und die Entschädigung) des Sachwalters sind aber nach der österreichischen Rechtslage nicht von öffentlichen Stellen (etwa Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträgern), sondern von der betroffenen Person selbst zu tragen; diese Ansprüche des Sachwalters bestehen insoweit nicht, als durch sie die Befriedigung der Lebensbedürfnisse des Pflegebefohlenen gefährdet wäre (§ 276 Abs. 4 ABGB).
40 Nicht beurteilt werden kann aufgrund fehlender Feststellungen des Bundesfinanzgerichts aber die hinsichtlich der Wahrung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität wesentliche Frage, ob anderen Steuerpflichtigen (etwa gemeinnützigen Vereinen) unter entsprechenden Umständen bereits eine vergleichbare Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter gewährt wurde (vgl. EuGH C-846/19, Rn. 87). Es kommt dazu insbesondere auch auf die Praxis der Verwaltung in ähnlichen Fällen an (vgl. Kügler, C-141/00, Rn. 57).
41 Das Bundesfinanzgericht wird daher - allenfalls nach Erörterung mit den Parteien - zu prüfen haben (und Feststellungen dazu zu treffen haben), ob andere Steuerpflichtige (etwa gemeinnützige Vereine), die unter vergleichbaren Umständen wie der Revisionswerber Sachwalterleistungen erbringen, von der im Streitzeitraum geübten allgemeinen Verwaltungspraxis als Einrichtungen mit sozialem Charakter iSd Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG anerkannt und deswegen von der Umsatzsteuer befreit wurden.
42 Das angefochtene Erkenntnis war wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
43 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Normen | ABGB §21 Abs1 ABGB §268 Abs1 ABGB §276 Abs1 ABGB §276 Abs2 ABGB §278 ABGB §279 Abs4 ABGB §282 MRK Art4 Abs3 litd UStG 1994 §6 Abs1 Z18 UStG 1994 §6 Abs1 Z25 UStG 1994 §6 Abs1 Z7 VSPBG 1990 §8 idF 2006/I/0092 VwGG §38b 12010E267 AEUV Art267 12010P/TXT Grundrechte Charta Art5 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Anh3 Z15 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art132 Abs1 litg 61993CJ0453 Bulthuis-Griffioen / Inspecteur der Omzetbelasting VORAB 61997CJ0216 Gregg VORAB 62000CJ0141 Kügler VORAB 62003CJ0498 Kingscrest Associates und Montecello VORAB 62004CJ0415 Kinderopvang Enschede VORAB 62008CJ0492 Kommission / Frankreich 62011CJ0174 Zimmermann VORAB 62013CJ0594 «go fair» Zeitarbeit VORAB 62014CJ0335 Les Jardins de Jouvence VORAB 62014CJ0543 Ordre des barreaux francophones und germanophone VORAB 62017CJ0416 Kommission / Frankreich |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019130025.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
TAAAF-47632