TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 04.02.2025, RV/7104712/2020

Haftung gemäß § 9 BAO (Scheingeschäftsführer, Aufgliederung Lohnabgaben)

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag.Dr. Katrin Allram in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Hörlgasse 4 Tür 5, 1090 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 1/23 vom betreffend Haftung gemäß §§ 9 iVm 80 BAO, Steuernummer ***BF1StNr1***, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid abgeändert. Die Haftung des Beschwerdeführers wird auf den Betrag von Euro 174.165,01 herabgesetzt. Die Aufgliederung der Abgaben findet sich am Ende der Entscheidungsgründe und bildet einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Streit besteht im gegenständlichen Fall darüber, ob der Beschwerdeführer (Bf.) infolge der Insolvenz der ***GmbH*** (Primärschuldnerin) als ehemaliger Geschäftsführer für die aushaftenden Abgabenschulden zur Haftung herangezogen werden kann.

Mit Schreiben vom setzte die belangte Behörde den Bf. über die beabsichtigte Haftungsinanspruchnahme in Kenntnis. Nach Darlegung der rechtlichen Rahmenbedingungen informierte die belangte Behörde den Bf. über das Erfordernis eines Gleichbehandlungsnachweises. Anbei wurden die an die Primärschuldnerin ergangenen Bescheide sowie ein Fragebogen zur Erhebung der wirtschaftlichen Verhältnisse übermittelt.

Mit Schreiben vom beantwortete der Bf. den Haftungsvorhalt dahingehend, dass er lediglich pro forma und auf ausdrücklichen Wunsch des faktischen Geschäftsführers handelsrechtlicher Geschäftsführer der Primärschuldnerin gewesen sei. Der Bf. sei niemals in irgendeiner Weise für die Gesellschaft faktisch tätig gewesen und habe auch keine Kontrollmöglichkeit gehabt, ob die Verpflichtungen der Gesellschaft eingehalten worden seien. Dahingehende Fragen an den faktischen Geschäftsführer seien von diesem bejaht bzw. sei geantwortet worden, dass sich der faktische Geschäftsführer darum kümmern würde. Die geforderten Nachweise für eine Gläubigergleichbehandlung könnten daher leider nicht erbracht werden.

Mit Haftungsbescheid vom (zugestellt am ) wurde der Bf. als ehemaliger Geschäftsführer für die aushaftende Abgabenschuld der ***GmbH*** in Höhe von Euro 177.398,48 in Anspruch genommen.

Nach mehrmaliger Verlängerung der Beschwerdefrist brachte der Bf. mit Eingabe vom Beschwerde gegen den Haftungsbescheid ein. Darin brachte der Bf. vor, dass eine Gläubigergleichbehandlung vom faktischen Geschäftsführer insofern vorgenommen worden sei, als dieser zuletzt keine Zahlungen an die Gläubiger vorgenommen habe. Da der Bf. als handelsrechtlicher Geschäftsführer nur vorgeschoben worden sei, sei der faktische Geschäftsführer von der Behörde heranzuziehen. Der faktische Geschäftsführer der Primärschuldnerin habe betrügerische Handlungen gesetzt, von denen der Bf. nicht gewusst habe. Betreffend die Lohnabgaben führte der Bf. aus, dass die Abgaben nicht entrichtet werden konnten, da die Löhne nicht ausbezahlt worden seien. Man hätte sich im gesamten Verfahren an den faktischen Geschäftsführer halten müssen. Der Bf. sei als Geschäftsführer der Primärschuldnerin nur vorgeschoben gewesen, was mündlich mit dem Inhaber (Anm.: gemeint wohl der faktische Geschäftsführer) unter Zeugen vereinbart worden sei. Überdies hätte die belangte Behörde bei der Ermessensübung seinen Schuldgehalt sowie seinen schlechten Gesundheitszustand nicht berücksichtigt.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab. Begründend wies die belangte Behörde zunächst darauf hin, dass der Bf. - trotz ausführlicher Anleitung - keinen Nachweis der Gleichbehandlung der Gläubiger erbracht habe. Dem Vorbringen, dass der Bf. bloß als pro forma Geschäftsführer tätig gewesen sei, hielt die belangte Behörde höchstgerichtliche Rechtsprechung entgegen. Wenn sich der Bf. an der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Pflichten durch den faktischen Geschäftsführer behindert gesehen habe, hätte er tätig werden müssen. Der Bf. habe sich mit der Rolle als "Strohmann" begnügt und somit auffallend sorglos gehandelt. Schließlich führte die belangte Behörde aus, dass eine vorgebrachte Vermögens- und Arbeitslosigkeit nicht im Rahmen der Ermessensübung berücksichtigt werden könne.

Mit Eingabe vom beantragte der Bf. die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht. Ergänzend wies der Bf. darauf hin, dass ihm nur ein minderer Grad des Versehens angelastet werden könne, da ihn der faktische Geschäftsführer in strafrechtlicher Weise betrogen habe. Demnach und in Hinblick auf seine angespannte finanzielle Situation beantragte der Bf., die Haftung erheblich herabzusetzen.

Am legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Im angeschlossenen Vorlagebericht beantragte die belangte Behörde die Abweisung der Beschwerde.

Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom wurde die gegenständliche Beschwerdesache mit Stichtag der GA 1017 zur Entscheidung zugeteilt.

Mit Beschluss vom forderte das Bundesfinanzgericht die belangte Behörde auf, die Lohnabgaben für das Jahr 2014 monatsweise aufzugliedern und eine Aufstellung der noch offenen Abgabenschulden vorzulegen.

Mit Eingabe vom gab die belangte Behörde bekannt, dass die haftungsrelevanten Abgaben bisher nicht entrichtet worden seien. Überdies übermittelte die belangte Behörde eine im Schätzungsweg ermittelte Aufgliederung der Lohnabgaben für das Jahr 2014.

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom wurden dem Bf. die ergänzenden Ausführungen der belangten Behörde sowie die Aufgliederung der Lohnabgaben für das Jahr 2014 zur Kenntnis gebracht. Schließlich wurde der Bf. auf den nach der Rechtsprechung des VwGH gebotenen Nachweis der Gleichbehandlung der Gläubiger hingewiesen und dem Bf. die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt.

Aufgrund der Vertagungsbitte des Bf. vom wurde die mündliche Verhandlung mit neuerlicher Ladung vom auf den vertagt.

Am fand die beantragte mündliche Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht statt, bei der der Bf. im Wesentlichen ausführte, dass er vom faktischen Geschäftsführer betrogen worden sei und dieser sein Unwissen und seine gesundheitliche Notsituation ausgenutzt habe. Weiters hätte der Bf. bei der Buchhaltungsfirma der Primärschuldnerin nachgefragt, ob alles in Ordnung sei, wobei er die vorgelegten Unterlagen nicht im Detail durchgesehen und keinen Einblick in die Geschäftsgebarung bekommen habe. Der Bf. habe nie die Absicht gehabt, für die Gesellschaft tätig zu werden, sondern die Funktion nur zum Zweck der Sozialversicherung übernommen.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Bf. war von bis alleiniger handelsrechtlicher Geschäftsführer der Primärschuldnerin.

Mit Beschluss des ***Gericht*** vom , ***GZ***, wurde über die Primärschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet. Mit Beschluss des ***Gericht*** vom wurde der Konkurs nach Verteilung an die Massegläubiger aufgehoben.

Mit Haftungsbescheid vom wurde der Bf. für die aushaftenden Abgabenschulden der Primärschuldnerin in Anspruch genommen:

Die Abgabenschulden betreffend Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für das Jahr 2014 resultieren aus einer Nachforderung nach einer abgabenbehördlichen Prüfung. Die Lohnabgaben für das Jahr 2014 gliedern sich wie folgt auf und waren jeweils am 15. des Folgemonats fällig:

Es fanden jedenfalls bis Überweisungen auf das Abgabenkonto der Primärschuldnerin statt.

Zum Stichtag bestand kein Rückstand am Abgabenkonto der Primärschuldnerin. Es gab für den Bf. bei Übernahme der Funktion des Geschäftsführers keine Anhaltspunkte, dass die Lohnabgaben für Jänner bis Juni 2014 nicht ordnungsgemäß selbstberechnet und entrichtet wurden.

Der Bf. hatte nie die Absicht, für die Primärschuldnerin tätig zu werden. Der Bf. hat die Funktion des Geschäftsführers der Primärschuldnerin nur übernommen, um sozialversichert zu sein. Der Bf. war im Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftsführung in einer gesundheitlichen Notsituation, da eine Herzoperation unmittelbar bevorstand. Der Bf. hat im Bewusstsein, dass er nur als Strohmann-Geschäftsführer eingesetzt wird, die Funktion des alleinigen Geschäftsführers der Primärschuldnerin übernommen (siehe Beschwerde vom sowie Seite 2f. der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom ). Der Bf. hat mehrmals bei der Buchhaltungsfirma der Primärschuldnerin bzw. beim faktischen Geschäftsführer nachgefragt, ob alles in Ordnung ist, was ihm zugesichert wurde. Die von der Buchhaltungsfirma vorgelegten Unterlagen hat der Bf. nicht im Detail durchgesehen und er hat keinen Einblick in die Geschäftsgebarung bekommen (siehe Seite 2f. der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom und zur fehlenden Kontrollmöglichkeit auch das Schreiben vom ).

Der Bf. erbrachte keinen Nachweis der Gleichbehandlung der Gläubiger.

2. Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf den Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes, Datenbankabfragen (Firmenbuch, Steuerkonto der Primärschuldnerin), die ergänzende Eingabe der belangten Behörde vom sowie die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom .

Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse durfte das Bundesfinanzgericht in freier Beweiswürdigung die obigen Sachverhaltsfeststellungen als erwiesen annehmen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

Gemäß § 9 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) haften die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

3.1.1. Zur Vertreterstellung

Der Bf. war im Zeitraum von bis unstrittig alleiniger handelsrechtlicher Geschäftsführer der Primärschuldnerin und damit alleine zur Vertretung der GmbH berufen. Der Bf. kommt folglich als Haftungsschuldner gemäß §§ 9 iVm 80 BAO in Betracht.

3.1.2. Zur Uneinbringlichkeit der vom Vertretenen geschuldeten Abgaben

Gegenüber der Primärschuldnerin bestehen - unter anderem - die in den Sachverhaltsdarstellungen aufgelisteten Abgabenforderungen.

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung (vgl. ). Voraussetzung ist die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden (vgl. ).

Mit Beschluss des ***Gericht*** vom wurde der Konkurs nach Verteilung an die Massegläubiger aufgehoben. Demnach sind die aushaftenden Abgabenschulden bei der Primärschuldnerin uneinbringlich. Die Uneinbringlichkeit stand folglich im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Bf. als Haftender mit Bescheid vom fest.

3.1.3. Zur schuldhaften Pflichtverletzung

Bei der Inanspruchnahme als Haftender nach § 9 BAO ist nur die Verletzung abgabenrechtlicher Bestimmungen relevant (vgl. ). Zu den abgabenrechtlichen Pflichten des Vertreters gehört es, dafür zu sorgen, dass die Abgaben entrichtet werden. Der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob den Vertreter diese Pflicht getroffen hat, bestimmt sich danach, wann die Abgabe nach den abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wäre (vgl. ).

Bei Selbstbemessungsabgaben ist maßgebend, wann die Abgabe bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung zu entrichten oder abzuführen gewesen wäre (vgl. ). Auf den Zeitpunkt der bescheidmäßigen Festsetzung der Selbstbemessungsabgabe kommt es für die Prüfung der Haftungsvoraussetzungen nicht an (vgl. ).

Gemäß § 21 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz 1994 (UStG 1994) hat der Unternehmer spätestens am 15. Tag (Fälligkeitstag) des auf einen Kalendermonat (Voranmeldungszeitraum) zweitfolgenden Kalendermonates eine Voranmeldung (Steuererklärung) einzureichen. Der Unternehmer hat eine sich ergebende Vorauszahlung spätestens am Fälligkeitstag zu entrichten.

Gemäß § 79 Abs. 1 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988) hat der Arbeitgeber die gesamte Lohnsteuer, die in einem Kalendermonat einzubehalten war, spätestens am 15. Tag nach Ablauf des Kalendermonates in einem Betrag abzuführen.

Gemäß § 43 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) ist der Dienstgeberbeitrag für jeden Monat bis spätestens zum 15. Tag des nachfolgenden Monats zu entrichten. Diese Bestimmung gilt gemäß § 122 Abs. 7 Wirtschaftskammergesetz 1998 (WKG; idF BGBl. I Nr. 120/2013) sinngemäß für den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag.

Nur schuldhafte Verletzungen abgabenrechtlicher Pflichten berechtigen zur Haftungsinanspruchnahme. Eine bestimmte Schuldform ist nicht gefordert (auch leichte Fahrlässigkeit, vgl. bspw ).

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist es Aufgabe des Geschäftsführers, darzutun, weshalb er den auferlegten Pflichten nicht entsprochen habe, insbesondere nicht habe Sorge tragen können, dass die Gesellschaft die angefallenen Abgaben entrichtet hat, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden darf. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung ursächlich für die Uneinbringlichkeit war. Der Geschäftsführer haftet für nicht entrichtete Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung gestanden sind, hiezu nicht ausreichten, es sei denn, er weist nach, dass er die Abgabenschulden im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als bei anteiliger Verwendung der vorhandenen Mittel für die Begleichung aller Verbindlichkeiten.

Um den zur Haftung herangezogenen Vertreter in die Lage zu versetzen, diesen Nachweis über die Gläubigergleichbehandlung anzutreten, ist es erforderlich, dass ihm die Behörde eine nach der jeweiligen Fälligkeit der Abgabe gegliederte Aufstellung übermittelt, zumal der Vertreter auch nur verpflichtet ist, fällige Abgaben zu begleichen (vgl. zum Vorstehenden mwN).

Vor diesem Hintergrund wurde die belangte Behörde mit Beschluss vom aufgefordert, die jeweils monatlich fälligen Lohnabgaben für das Jahr 2014 (Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag, Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag) nach Monaten aufzugliedern. Sollten die Bemessungsgrundlagen für eine monatlich gegliederte Aufstellung der Abgaben nicht ermittelt oder berechnet werden können, sind die Bemessungsgrundlagen nach der Rechtsprechung des VwGH gemäß § 184 Abs. 1 BAO zu schätzen (vgl. ). Mit Eingabe vom übermittelte die belangte Behörde eine im Schätzungsweg ermittelte Aufgliederung der Lohnabgaben für das Jahr 2014, die dem Bf. mit der Ladung vom bekannt gegeben wurde.

Der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt allerdings nicht für die Lohnsteuer. Aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988, wonach in Fällen, in denen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichen, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten ist, folgt, dass jede Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende Lohnsteuer ausreichen, eine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten mit den Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 BAO darstellt (vgl. ).

Die in den Sachverhaltsdarstellungen aufgelisteten Abgabenschuldigkeiten wurden allesamt zu ihren jeweiligen Fälligkeitstagen nicht entrichtet. Die Zahlungstermine (Fälligkeiten) fallen mit Ausnahme der aushaftenden Lohnabgaben für den Zeitraum Jänner bis Juni 2014 (Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Dienstgeberzuschlag) alle in den Zeitraum der Vertreterstellung des Bf. Die Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten durch den Bf. besteht darin, dass er die Abgabenschulden zu deren jeweiligen Fälligkeitstagen nicht entrichtet hat.

Dass die Primärschuldnerin über liquide Mittel verfügte, steht unstrittig fest, da jedenfalls bis zum Überweisungen auf das Abgabenkonto der Primärschuldnerin geleistet wurden. Der Bf. hat keine Nachweise im Hinblick auf die Gleichbehandlung der Gläubiger der Primärschuldnerin vorgelegt, obwohl er dazu durch die belangte Behörde und das Bundesfinanzgericht aufgefordert wurde (vgl. Seite 3 der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom , wonach es unstrittig keine Nachweise zur Gleichbehandlung der Gläubiger gibt). Demnach ist von einer schuldhaften Verletzung der den Bf. treffenden abgabenrechtlichen Pflichten auszugehen und kommt eine Einschränkung der Haftung nicht in Betracht.

Wie der VwGH in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat, hat der Geschäftsführer einer GmbH, der sich in der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Pflichten durch die Gesellschafter oder durch dritte Personen behindert sieht, entweder sofort im Rechtsweg die Möglichkeit der unbehinderten Ausübung seiner Funktion zu erzwingen oder seine Funktion niederzulegen und als Geschäftsführer auszuscheiden. Auch binden im Innenverhältnis erteilte Weisungen den Geschäftsführer insoweit nicht, als sie ihn zur Verletzung zwingender gesetzlicher Verpflichtungen nötigen. Ein für die Haftung relevantes Verschulden liegt aber auch dann vor, wenn sich der Geschäftsführer schon bei Übernahme seiner Funktion mit einer Beschränkung seiner Befugnisse einverstanden erklärt bzw. eine solche Beschränkung in Kauf nimmt, die die künftige Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtung, insbesondere dem Bund als Abgabengläubiger gegenüber, unmöglich macht (vgl. sowie , Ra 2017/16/0025).

Nach den unstrittigen Sachverhaltsfeststellungen hatte der Bf. nie die Absicht, für die Primärschuldnerin tätig zu werden und auch keinen Einblick in die Geschäftsgebarung. Der Bf. brachte selbst vor, dass er nur pro forma die Funktion des handelsrechtlichen Geschäftsführers übernommen und niemals Einfluss auf die Geschäftsführungsagenden gehabt hat (vgl. Schreiben vom ). Demnach traf den Bf. bereits ein für die Haftung nach § 9 BAO relevantes Verschulden, da er sich schon bei der Übernahme der Funktion des Geschäftsführers mit einer Beschränkung seiner Befugnisse einverstanden erklärt und dabei in Kauf genommen hat, dass ihm die Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen unmöglich gemacht wird (vgl. ).

Auf den Grund der Übernahme der Geschäftsführerfunktion kommt es nach der Rechtsprechung des VwGH ebenfalls nicht an (vgl. ). Demnach kommt den Ausführungen des Bf., dass er die Funktion deshalb übernommen hat, um in Hinblick auf seine Herzerkrankung und eine anstehende Operation sozialversichert zu sein, keine Relevanz zu. Vielmehr kann dieser Umstand im Rahmen der Ermessensübung (siehe Punkt 3.1.5.) zulasten des Bf. in die Beurteilung einbezogen werden, da er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung die Funktion des Geschäftsführers übernommen hat.

Da der Bf. die Funktion des Geschäftsführers übernommen hat, ohne zur Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Pflichten tatsächlich in der Lage zu sein, trifft den Bf. ein haftungsbegründendes Verschulden im Sinn des § 9 BAO für die Nichtentrichtung jener Abgaben, die während der Zeit angefallen sind, in der er als Geschäftsführer bestellt gewesen ist.

Ein Geschäftsführer hat sich nach der Rechtsprechung des VwGH bei Übernahme seiner Funktion auch darüber zu unterrichten, ob und in welchem Ausmaß die von ihm nunmehr vertretene Gesellschaft bisher ihren steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen ist, weil die Pflicht der Gesellschaft zur Abgabenentrichtung erst mit deren Abstattung endet. Die Gesellschaft bleibt verpflichtet, Abgabenschuldigkeiten, mit deren Abfuhr oder Einzahlung sie in Rückstand geraten ist, zu erfüllen, und zur Erfüllung dieser Verpflichtung ist der Geschäftsführer der Gesellschaft verhalten. Der Geschäftsführer hat sich demnach darüber zu unterrichten, welchen Stand das Abgabenkonto der Gesellschaft im Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftsführerfunktion hat, und die Pflicht, die Beträge eines allfälligen Rückstandes, wie er am Abgabenkonto ausgewiesen (verbucht) ist, zu entrichten (vgl. ).

Die dem Geschäftsführer zumutbare Prüfungspflicht ist nach Ansicht des VwGH allerdings nicht zu überspannen. Gibt es keine Hinweise, aus denen der Geschäftsführer schließen könnte, dass die Steuererklärungen oder (bei Selbstbemessungsabgaben) die Selbstberechnungen der zu entrichtenden Abgaben unrichtig gewesen seien, hat ein Geschäftsführer bei Übernahme seiner Geschäftsführerfunktion nicht auch noch die Pflicht, (etwa innerhalb des Verjährungszeitraumes) die gesamte Buchhaltung und das gesamte Rechenwerk sowie die Aufzeichnungen nachzuprüfen (vgl. ). Der Bf. übernahm mit die Funktion des Geschäftsführers der Primärschuldnerin. Das Abgabenkonto der Primärschuldnerin wies zu diesem Zeitpunkt keine Rückstände auf. Für den Bf. gab es keine Anhaltspunkte, dass die Lohnabgaben für Jänner bis Juni 2014 nicht ordnungsgemäß selbstberechnet und abgeführt wurden (vgl. Seite 3 der Niederschrift vom ), weshalb er keine weitergehenden Nachprüfungen vorzunehmen hatte. Den Bf. trifft daher an der Nichtentrichtung der Lohnabgaben für den Zeitraum Jänner bis Juni 2014 kein Verschulden.

3.1.4. Zur Kausalität

Die Haftungsinanspruchnahme setzt eine Kausalität zwischen schuldhafter Pflichtverletzung und Abgabenausfall voraus. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war (vgl. ).

In Hinblick auf die festgestellte schuldhafte Pflichtverletzung des Bf. und mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist von der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit auszugehen.

3.1.5. Zum Ermessen

Die Haftungsinanspruchnahme liegt im Ermessen der Abgabenbehörde. Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben, müssen sich gemäß § 20 BAO in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen (vgl. ).

Da die streitgegenständliche Abgabenschuld bei der Primärschuldnerin nicht einbringlich ist, dient die Geltendmachung der Haftung dem öffentlichen Interesse an der Sicherung und Einbringung der Abgabenschulden. Demnach erscheint die Haftungsinanspruchnahme des Bf. als zweckmäßig.

Der Bf. bringt im Zusammenhang mit seiner Haftungsinanspruchnahme vor, dass er vom faktischen Geschäftsführer betrogen worden sei und ihm nur ein minderer Grad des Versehens angelastet werden könne. Der faktische Geschäftsführer sei von der belangten Behörde in Anspruch zu nehmen. Überdies sei seine schlechte finanzielle Situation und sein schlechter Gesundheitszustand zu berücksichtigen.

Wie bereits unter Punkt 3.1.3. im Detail ausgeführt, trifft den Bf. - abgesehen von den Lohnabgaben für den Zeitraum Jänner bis Juni 2014 - ein Verschulden an der Nichtentrichtung der streitgegenständlichen Abgabenschulden der Primärschuldnerin. Die schuldhafte Pflichtverletzung ist daher unter dem Gesichtspunkt der "Billigkeit" zu Lasten des Bf. in die Beurteilung einzubeziehen. Es ist überdies nicht von einem geringen Grad des Verschuldens auszugehen, da sich der Bf. bewusst für die Tätigkeit als Strohmann-Geschäftsführer ohne jegliche Kontrollmöglichkeit entschieden und damit auffallend sorglos gehandelt hat.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH steht eine Vermögens- und Arbeitslosigkeit des Haftenden - auch im Zusammenhang mit der Ermessensübung - in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung, zumal es eine allfällige Uneinbringlichkeit beim Haftenden auch nicht ausschließt, dass künftig neu hervorkommendes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben führen können (vgl. und , Ra 2022/13/0116). Demnach spricht die vorgebrachte angespannte Vermögenslage des Bf. nicht gegen die Haftungsinanspruchnahme.

Neben dem Bf. als eingetragenen handelsrechtlichen Geschäftsführer hätte die belangte Behörde auch den faktischen Geschäftsführer gemäß § 9a BAO zur Haftung heranziehen können. Die Haftungen nach § 9 BAO und nach § 9a BAO schließen einander nicht aus. Es liegt im Ermessen der Abgabenbehörde, welche dieser Haftungen vorrangig geltend gemacht wird (vgl. ErläutRV 1960 d.B. XXIV.GP 55). Die belangte Behörde begründet die alleinige Inanspruchnahme des Bf. damit, dass sich der Bf. auffallend sorglos verhalten habe (siehe Beschwerdevorentscheidung vom ). Dieser Befund ist insofern zutreffend, als der Bf. nie die Absicht hatte, für die Gesellschaft tätig zu werden, sondern die Funktion als Geschäftsführer nur übernahm, um sozialversichert zu sein. Außerdem nahm der Bf. die Einschränkung seiner Kontrollmöglichkeiten hin, wenn er ausführt, dass er keinen Einblick in die Geschäftsgebarung bekommen hat. Der Bf. weist schließlich selbst darauf hin, dass er sich im Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftsführerfunktion in einem schlechten gesundheitlichen Zustand befunden hat und eine Operation unmittelbar bevorstand. Da der Bf. trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung die Funktion des Geschäftsführers übernahm, ist auch darin ein grob sorgfaltswidriges Verhalten zu erblicken. Insgesamt kann daher nicht von einem geringen Grad des Verschuldens gesprochen werden. Vielmehr ließ sich der Bf. bewusst als Strohmann-Geschäftsführer einsetzen und nahm damit die Nichtentrichtung der Abgabenschulden der Primärschuldnerin hin, weshalb es nicht unbillig ist, den Bf. in vollem Ausmaß zur Haftung heranzuziehen.

Wenn in Hinblick auf die schlechte wirtschaftliche Situation des Bf. eine Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung gemäß § 206 Abs. 1 lit. b BAO angeregt wird, ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nur auf die Festsetzung von Abgaben Anwendung findet. § 206 BAO gilt sohin nicht für die Inanspruchnahme im Haftungsweg (vgl. dazu Ritz/Koran, BAO7 (2021) § 206 Rz 7). Eine Abstandnahme von der Haftungsinanspruchnahme kommt folglich nicht in Betracht. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass bei allfälligen Einbringungsmaßnahmen auf das Existenzminimum Bedacht zu nehmen ist.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder dem Hervorkommen der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung ein Umstand, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht lassen darf. Ein solcher Umstand kann jedoch auch lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten sein, die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sind. Inwieweit dieser Gesichtspunkt beim Ermessen Berücksichtigung findet, hängt vom Einzelfall ab. Eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensmissbrauch läge dann vor, wenn ein solcher Umstand bei der Ermessensentscheidung überhaupt nicht berücksichtigt würde (vgl. ).

Die streitgegenständlichen Abgaben entstanden (frühestens) im Jahr 2014 und die Uneinbringlichkeit stand zum fest. Zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld bzw. dem Hervorkommen der Uneinbringlichkeit derselben und der Inanspruchnahme des Bf. mit Haftungsbescheid vom liegen fünf bzw. drei Jahre. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des VwGH handelt es sich dabei nicht um einen langen Zeitabstand, der im Rahmen der Ermessensübung zugunsten des Bf. zu berücksichtigen wäre.

Insgesamt war daher der angefochtene Bescheid abzuändern und die Haftung des Bf. auf den Betrag von Euro 174.165,01 einzuschränken, der sich wie folgt aufgliedert:

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht ist bei der Lösung der streitgegenständlichen Rechtsfrage der angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gefolgt, weshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt und die ordentliche Revision nicht zuzulassen war.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
NAAAF-46983