VwGH 24.04.2024, Ro 2022/15/0040
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Norm | KStG 1988 §8 Abs4 Z2 |
RS 1 | Der gesetzliche Mantelkauftatbestand bringt die Rechtsfolge des Unterganges des Verlustvortragsrechtes mit einer gesamthaften wesentlichen Änderung der Strukturen der Körperschaft innerhalb eines überschaubar kurzen Zeitraumes in Verbindung (vgl. Wiesner/Schneider/Spanbauer/Kohler, KStG 1988, Anm. 49 zu § 8). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2001/14/0135 E VwSlg 8045 F/2005 RS 1 |
Normen | |
RS 2 | Eine wesentliche Änderung der organisatorischen Struktur liegt in der Regel dann vor, wenn alle oder die überwiegende Mehrheit der Mitglieder der Geschäftsführung in einem Zug oder bei Vorliegen eines inneren Zusammenhangs sukzessive wechseln. Die wesentliche Änderung der organisatorischen Struktur muss im Verbund mit der wesentlichen Änderung der wirtschaftlichen Struktur und der Gesellschafterstruktur zur Folge haben, dass die Identität der Gesellschaft wirtschaftlich eine andere geworden ist. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise ist hinsichtlich der organisatorischen Struktur maßgeblich auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen, also auf jene Geschäftsführer, die faktisch die Geschäfte führen. Wird eine Organstellung nur formal beibehalten, während die faktische Geschäftsführung wechselt, bewirkt dies eine wesentliche Änderung der organisatorischen Struktur. Solcherart kann ein bloß formales Beibehalten der Organwalterstellung die Wirkungen des Mantelkaufs nicht verhindern. Letztlich ist nach einem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen, ob sich die organisatorische Struktur tatsächlich so wesentlich verändert hat, dass - zusammen mit den anderen Strukturänderungen - die Identität des Steuerpflichtigen nicht mehr gegeben ist und damit die Mantelkaufbestimmung zur Anwendung gelangt (vgl. ). Werden die bisherigen Organe nicht ausgewechselt oder tritt kein neuer Geschäftsführer hinzu, kann es in Fällen, in denen die bisherige Geschäftsführung formal belassen und die Geschäfte tatsächlich von Organen der Mutter (oder einer verbundenen Gesellschaft) geführt werden, im Rahmen der einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung auch auf den faktischen Geschäftsführer ankommen, der im Übrigen vom Gesetzgeber durch § 9a BAO in gleicher Weise in den Bereich der Geschäftsführerhaftung einbezogen wird. |
Norm | KStG 1988 §8 Abs4 Z2 |
RS 3 | Eine nur formal beibehaltene Organstellung kann die Wirkungen des Mantelkaufs nicht verhindern, weil im Hinblick auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise auf die tatsächliche organisatorische Struktur abzustellen ist. Stellt man auf das tatsächliche Wirken der Geschäftsführung ab, kann es aber keinen Unterschied machen, ob neben den faktischen Geschäftsführern eine Person nach außen hin als vertretungsbefugte Organwalterin beibehalten wird. Die bloß formal beibehaltene Organstellung eines im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführers kann für sich die Wirkungen des Mantelkaufs nicht verhindern. Ob die Organstellung eines Geschäftsführers nur formal beibehalten und die Geschäfte einer Gesellschaft tatsächlich von anderen - im Firmenbuch nicht als Geschäftsführer ausgewiesenen - Personen ausgeübt wird, ist eine Einzelfallbeurteilung, die nach dem objektiven Gesamtbild des jeweiligen Falles zu treffen ist. |
Normen | |
RS 4 | Nicht nur die Abgabenbehörde, sondern auch das Bundesfinanzgericht unterliegt der amtswegigen Ermittlungspflicht (vgl. für viele ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/15/0010 E RS 4 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Klagenfurt St. Veit Wolfsberg in 9020 Klagenfurt, Siriusstraße 11, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/4100660/2011, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Körperschaftsteuer und Körperschaftsteuer für die Jahre 2005 bis 2009 (mitbeteiligte Partei: B Ges.m.b.H. in K, vertreten durch die CONFIDA Klagenfurt Steuerberatungsgesellschaft m.b.H. in 9020 Klagenfurt, Kardinalschütt 7), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Bei der mitbeteiligten Partei, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die mit Gesellschaftsvertrag vom errichtet worden ist, wurde eine die Jahre 2005 bis 2009 umfassende Außenprüfung durchgeführt. Der Prüfer stellte fest, dass mit (Eintragung im Firmenbuch) das gesamte Stammkapital der mitbeteiligten Partei um 1 € an die X GmbH übertragen worden sei. Mit der Übernahme des Stammkapitals habe sich auch das Betätigungsfeld der mitbeteiligten Partei geändert. Bis zum Jahr 1999 habe sie Kraftwerke errichtet und betrieben, Maschinen und Akkumulatoren erzeugt sowie mit Waren aller Art gehandelt, wohingegen sie von 2000 bis 2003 keine Tätigkeit entfaltet habe. Abweichend dazu habe der Unternehmensgegenstand ab 2004 nur noch die Erbringung von technischer Beratung umfasst. Die Geschäftsführung der mitbeteiligten Partei habe sich „am Papier“ zwar nicht geändert, die mit Wirksamkeit ab bestellte Geschäftsführerin habe jedoch ab dem Kalenderjahr 2004 - mit Ausnahme der Unterfertigung diverser Schriftstücke - keine nach außen ersichtliche operative Tätigkeit entfaltet. Alle Geschäfte seien von den Organen der X GmbH, der nunmehrigen Alleingesellschafterin, abgewickelt worden. Der im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführerin, die an der Mitbeteiligten nicht mehr beteiligt gewesen sei, habe die Möglichkeit gefehlt, willensbildende Entscheidungen zu treffen. Es sei ihr auch kein Geschäftsführungsentgelt ausbezahlt worden; den vorliegenden Bilanzen zufolge bestünden auch keine diesbezüglichen Forderungen gegenüber der mitbeteiligten Partei. Der Prüfer vertrat den Standpunkt, bei der Mitbeteiligten sei es im Jahr 2004 zu einer wesentlichen Änderung der Gesellschafterstruktur, der wirtschaftlichen Struktur und der organisatorischen Struktur gekommen, womit der Tatbestand des Mantelkaufs gemäß § 8 Abs. 4 Z 2 KStG 1988 verwirklicht worden sei. Der Mitbeteiligten stehe (ab 2004) kein Verlustabzug gemäß § 18 Abs. 6 EStG 1988 zu.
2 Das Finanzamt folgt dem Prüfer, verfügte die Wiederaufnahme der Verfahren und erließ entsprechende Körperschaftsteuerbescheide für die Jahre 2005 bis 2009.
3 Die mitbeteiligte Partei erhob gegen die im Anschluss an die Außenprüfung ergangenen Wiederaufnahme- und Sachbescheide Berufung (nunmehr Beschwerde).
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht (BFG) der Beschwerde gegen die Wiederaufnahme der Körperschaftsteuerverfahren statt und hob die diesbezüglichen Bescheide ersatzlos auf, wodurch auch die darauf aufbauenden Körperschaftsteuerbescheide aus dem Rechtsbestand ausschieden. Zur Begründung führte es aus, der Verwaltungsgerichtshof sei im Erkenntnis vom , Ro 2019/13/0008, das Anlass zur Aussetzung der Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde gegeben habe, davon ausgegangen, dass alle Merkmale des Mantelkauftatbestandes kumulativ der Verwirklichung bedürften. Es müssten zwar nicht alle Merkmale gleich stark ausgeprägt sein, das vollkommene Fehlen eines Tatbestandsmerkmales könne aber durch die stärkere Ausprägung der anderen nicht kompensiert werden.
5 Unstrittig sei, dass sich die Gesellschafterstruktur der mitbeteiligten Partei auf entgeltlicher Grundlage zu 100 % und ihre wirtschaftliche Struktur wesentlich geändert habe. Strittig sei, ob eine Änderung der organisatorischen Struktur vorliege. Diese setzte - wie der Verwaltungsgerichtshof in Rz. 42 des Erkenntnisses Ro 2019/13/0008 ausgesprochen habe - voraus, dass alle oder die überwiegende Mehrheit der Mitglieder der Geschäftsführung in einem Zug oder bei Vorliegen eines inneren Zusammenhanges sukzessive ersetzt würden. Aufgrund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise sei dabei auf das tatsächliche Wirken der Geschäftsführung abzustellen. Die formale Beibehaltung der Organstellung könne die Wirkungen des Mantelkaufes nicht verhindern.
6 Im gegenständlichen Fall sei es zu keinem Austausch bzw. Hinzutreten von Geschäftsführern gekommen. Die mit Wirksamkeit ab bestellte Geschäftsführerin sei weiter die alleinige Geschäftsführerin der Mitbeteiligten geblieben und habe die ihr nach den gesetzlichen Vorschriften zukommenden und auch weitere Formalverpflichtungen (Unterschriftsleistung bei Bilanzen, Steuererklärungen, Firmenbucheingaben und sonstigen Vereinbarungen) erfüllt. Davon gehe auch das Finanzamt aus, und derartige Unterlagen fänden sich sowohl in den Steuerakten als auch im Arbeitsbogen des Prüfers. Ob die Geschäftsführerin über diese Formalverpflichtungen hinaus auch noch weiteres tatsächliches Wirken im Zusammenhang mit der Geschäftsführung der Mitbeteiligten entfaltet habe, bleibe im Dunkeln.
7 Das Finanzamt führe aus, die Geschäftsführerin habe ab dem Kalenderjahr 2004 - abgesehen von der Unterfertigung von Schriftstücken - keine nach außen ersichtliche Tätigkeit ausgeübt und die Geschäfte seien von den Organen ihrer Gesellschafterin geführt worden. Dahingehende Tatsachen (oder Beweismittel hierfür) sei das Finanzamt jedoch schuldig geblieben bzw. seien solche im Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung nicht angeführt. Das Finanzamt halte in einer Vorhaltsbeantwortung nur fest, die Tatsache der „faktischen Geschäftsführung“ durch Organe der Alleingesellschafterin sei erst im Rahmen der Außenprüfung festgestellt worden. Welcher Art die faktische Geschäftsführung gewesen sei und wer sie konkret ausgeübt habe, sei vom Finanzamt nicht beantwortet worden bzw. seien entsprechende Tatsachen und Beweismittel hierfür auch nicht in den Bericht über die Außenprüfung eingeflossen. Da das Finanzamt mit den obigen Ausführungen auch die Bescheide betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Körperschaftsteuer für die Jahre 2005 bis 2009 rechtfertige, hätte es aber derartiger Feststellungen bedurft.
8 Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren könne gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO nur wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkämen und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Die Wiederaufnahmegründe seien in der Begründung des die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügenden Bescheides anzuführen. Der Bericht über die Außenprüfung bleibe Tatsachen oder Beweismittel schuldig, weshalb es an einem tauglichen Grund für die Wiederaufnahme fehle.
9 Eine Revision erklärte das BFG für zulässig. Die im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2019/13/0008, aufgezeigten Grundsätze seien berücksichtigt worden. Zur Frage, inwieweit diese zum Tragen kämen, wenn zu dem seit Jahren bestellten Geschäftsführer kein weiterer Geschäftsführer hinzutrete, und damit einhergehend, welche Anforderungen an die Wiederaufnahme von Verfahren zu stellen seien, fehle jedoch Rechtsprechung.
10 Die gegen dieses Erkenntnis gerichtete Amtsrevision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiters vor, die Entscheidung des BFG stehe im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach das BFG den vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmegrund zu prüfen und zu würdigen habe und - so erforderlich - Ergänzungen vornehmen müsse (Hinweis auf ; und , Ra 2021/13/0040). Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unterliege auch das BFG der amtswegigen Ermittlungspflicht und dürfe sich über erhebliche Behauptungen des Finanzamts - hier im Zusammenhang mit dem Wiederaufnahmegrund und den damit festgestellten Tatsachen - nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (Hinweis auf ; und , Ra 2020/13/0002).
11 Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
13 Die Revision ist zulässig und begründet.
14 § 8 Abs. 4 KStG 1988 in der in den Streitjahren geltenden Fassung lautete auszugsweise:
„(4) Folgende Ausgaben sind bei der Ermittlung des Einkommens als Sonderausgaben abzuziehen, soweit sie nicht Betriebsausgaben oder Werbungskosten darstellen:
1. [...]
2. Der Verlustabzug im Sinne des § 18 Abs. 6 und 7 des Einkommensteuergesetzes 1988. Der Verlustabzug steht ab jenem Zeitpunkt nicht mehr zu, ab dem die Identität des Steuerpflichtigen infolge einer wesentlichen Änderung der organisatorischen und wirtschaftlichen Struktur im Zusammenhang mit einer wesentlichen Änderung der Gesellschafterstruktur auf entgeltlicher Grundlage nach dem Gesamtbild der Verhältnisse wirtschaftlich nicht mehr gegeben ist (Mantelkauf). Dies gilt nicht, wenn diese Änderungen zum Zwecke der Sanierung des Steuerpflichtigen mit dem Ziel der Erhaltung eines wesentlichen Teiles betrieblicher Arbeitsplätze erfolgen. Verluste sind jedenfalls insoweit abzugsfähig, als infolge der Änderung der wirtschaftlichen Struktur bis zum Ende des Wirtschaftsjahres der Änderung stille Reserven steuerwirksam aufgedeckt werden.“
15 Der gesetzliche Mantelkauftatbestand bringt die Rechtsfolge des Untergangs des Verlustvortragsrechts mit einer - wirtschaftlich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beurteilten - wesentlichen Änderung der Strukturen der Körperschaft innerhalb eines überschaubar kurzen Zeitraums in Verbindung. Voraussetzung für die Versagung des Verlustabzugs ist, dass es zwischen dem Zeitpunkt des Entstehens eines Verlusts und dem Zeitpunkt des Verlustabzugs zu einem Verlust der wirtschaftlichen Identität der Körperschaft gekommen ist. Die wirtschaftliche Identität geht verloren, wenn wesentliche Änderungen der wirtschaftlichen und der organisatorischen Struktur mit wesentlichen Änderungen der Gesellschafterstruktur auf entgeltlicher Grundlage einhergehen (vgl. , VwSlg 8045/F; und vom , 2007/15/0090, VwSlg 8402/F).
16 Eine wesentliche Änderung der organisatorischen Struktur liegt in der Regel dann vor, wenn alle oder die überwiegende Mehrheit der Mitglieder der Geschäftsführung in einem Zug oder bei Vorliegen eines inneren Zusammenhangs sukzessive wechseln. Die wesentliche Änderung der organisatorischen Struktur muss im Verbund mit der wesentlichen Änderung der wirtschaftlichen Struktur und der Gesellschafterstruktur zur Folge haben, dass die Identität der Gesellschaft wirtschaftlich eine andere geworden ist. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise ist hinsichtlich der organisatorischen Struktur maßgeblich auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen, also auf jene Geschäftsführer, die faktisch die Geschäfte führen. Wird eine Organstellung nur formal beibehalten, während die faktische Geschäftsführung wechselt, bewirkt dies eine wesentliche Änderung der organisatorischen Struktur. Solcherart kann ein bloß formales Beibehalten der Organwalterstellung die Wirkungen des Mantelkaufs nicht verhindern. Letztlich ist nach einem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen, ob sich die organisatorische Struktur tatsächlich so wesentlich verändert hat, dass - zusammen mit den anderen Strukturänderungen - die Identität des Steuerpflichtigen nicht mehr gegeben ist und damit die Mantelkaufbestimmung zur Anwendung gelangt (vgl. ).
17 Werden die bisherigen Organe nicht ausgewechselt oder tritt kein neuer Geschäftsführer hinzu, kann es in Fällen, in denen die bisherige Geschäftsführung formal belassen und die Geschäfte tatsächlich von Organen der Mutter (oder einer verbundenen Gesellschaft) geführt werden, im Rahmen der einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung auch auf den faktischen Geschäftsführer ankommen, der im Übrigen vom Gesetzgeber durch § 9a BAO in gleicher Weise in den Bereich der Geschäftsführerhaftung einbezogen wird.
18 Das Finanzamt hat die Wiederaufnahme der Körperschaftsteuerverfahren 2005 bis 2009 verfügt und zur Begründung auf die Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung verwiesen, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen seien. In der verwiesenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht wurde der Standpunkt vertreten, bei der Mitbeteiligten sei es im Jahr 2004 zu einer wesentlichen Änderung der Gesellschafterstruktur, der wirtschaftlichen Struktur und der organisatorischen Struktur gekommen, wodurch der Tatbestand des Mantelkaufs gemäß § 8 Abs. 4 Z 2 KStG 1988 verwirklicht worden sei. Zur hier allein strittigen Änderung der organisatorischen Struktur wird ausgeführt, die tatsächliche Geschäftsführung sei geändert bzw. ausgetauscht worden. Die Person der Geschäftsführerin der Mitbeteiligten habe sich zwar „am Papier“ nicht geändert, die mit Wirksamkeit ab bestellte Geschäftsführerin habe jedoch ab dem Kalenderjahr 2004 - mit Ausnahme der Unterfertigung diverser Schriftstücke - keine erkennbare operative Tätigkeit ausgeübt. Sie habe kein Geschäftsführungsentgelt erhalten und auch keine Entgeltforderungen gegenüber der Mitbeteiligten. Der Prüfer stellte weiters fest, dass die gesamte Geschäftsabwicklung von den Organen der nunmehrigen Alleingesellschafterin durchgeführt worden sei, womit er zum Ausdruck brachte, dass die faktische Geschäftsführung auf die Organwalter der neuen Gesellschafterin übergegangen sei.
19 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis vom , Ro 2019/13/0008, zu Recht erkannt, dass eine nur formal beibehaltene Organstellung die Wirkungen des Mantelkaufs nicht verhindern kann, weil im Hinblick auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise auf die tatsächliche organisatorische Struktur abzustellen ist. Stellt man auf das tatsächliche Wirken der Geschäftsführung ab, kann es aber keinen Unterschied machen, ob neben den faktischen Geschäftsführern eine Person nach außen hin als vertretungsbefugte Organwalterin beibehalten wird. Die bloß formal beibehaltene Organstellung eines im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführers kann für sich die Wirkungen des Mantelkaufs nicht verhindern. Ob die Organstellung eines Geschäftsführers nur formal beibehalten und die Geschäfte einer Gesellschaft tatsächlich von anderen - im Firmenbuch nicht als Geschäftsführer ausgewiesenen - Personen ausgeübt wird, ist eine Einzelfallbeurteilung, die nach dem objektiven Gesamtbild des jeweiligen Falles zu treffen ist.
20 Das BFG hob die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide mit der Begründung auf, es sei im Dunkeln geblieben, ob die im Firmenbuch eingetragene Geschäftsführerin über ihre Formalverpflichtungen hinaus auch noch weiteres tatsächliches Wirken im Zusammenhang mit der Geschäftsführung der Mitbeteiligten entfaltet habe. Damit verkennt das BFG, dass nicht nur die Abgabenbehörde der amtswegigen Ermittlungspflicht unterliegt, sondern auch das BFG (vgl. für viele ). Das BFG hat - worauf in der Revision zutreffend hingewiesen wird - den vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmegrund zu prüfen und zu würdigen und erforderlichenfalls Ergänzungen vorzunehmen. Es wäre daher am BFG gelegen, die allenfalls noch notwendigen Ermittlungsschritte zur Klärung der Frage zu setzen, ob der Wechsel in der faktischen Geschäftsführung auch tatsächlich - wie vom Finanzamt angenommen - eingetreten ist.
21 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich somit als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.
Wien, am
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RO2022150040.J00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
AAAAF-46730