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VwGH 16.04.2024, Ro 2022/13/0017

VwGH 16.04.2024, Ro 2022/13/0017

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
BAO §235
BAO §235 Abs3
BAO §236
BAO §236 Abs3
BAO §294
RS 1
Löschungs- bzw. Nachsichtsbescheide nach den §§ 235 und 236 BAO sind grundsätzlich solche, die unter § 294 BAO fallen (vgl. § 236 Abs. 3 iVm § 235 Abs. 3 BAO; vgl. etwa ; , 98/15/0165; , 95/15/0054).
Norm
BAO §299
RS 2
Für eine Aufhebung nach § 299 BAO ist nur entscheidend, dass sich der Spruch des Bescheides als nicht richtig erweist. Hiefür ist es - anders als für eine Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO - nicht von Bedeutung, wann der Sachverhalt, der zur Unrichtigkeit des aufzuhebenden Bescheides führt, "hervorgekommen" ist.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2021/13/0100 B RS 3 (hier nur der erste Satz)
Normen
BAO §293
BAO §293a
BAO §293b
BAO §294
BAO §299
BAO §303
RS 3
Nach der - soweit ersichtlich einhellig - im Schrifttum vertretenen Rechtsansicht können Bescheide, bei denen die Bestimmung des § 294 BAO grundsätzlich zur Anwendung gebracht werden kann - das sind Bescheide, die "Begünstigungen, Berechtigungen oder die Befreiung von Pflichten" betreffen (Begünstigungsbescheide) -, nicht nur aufgrund dieser Bestimmung geändert oder zurückgenommen werden, sondern - bei Vorliegen der jeweils gesondert geregelten Voraussetzungen - etwa nach den §§ 293 bis 293b BAO berichtigt oder nach § 299 BAO aufgehoben werden; ebenso kann das zugrundeliegende Verfahren nach § 303 BAO wiederaufgenommen werden (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 294 Tz 5; Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 294 Anm 10; Lenneis, Die Änderung und Zurücknahme von Bescheiden im Abgabenverfahren, in Holoubek/Lang, Korrektur fehlerhafter Entscheidungen durch die Verwaltungs- und Abgabenbehörde [2017] 135 ff [140]; Tanzer/Unger in Rzeszut/Tanzer/Unger, Stoll-BAO², § 294 Tz 6; ebenso schon Stoll, BAO-Kommentar 2841). Dieser Rechtsansicht schließt sich der VwGH an (siehe dazu schon 416/67).
Normen
BAO §244
BAO §294
BAO §294 Abs1
BAO §299
VwRallg
RS 4
Die Anwendbarkeit des § 299 BAO für die in § 294 Abs. 1 BAO genannten Begünstigungsbescheide ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht ausgeschlossen. Das Fehlen einer derartigen expliziten Regelung - wie etwa in § 244 BAO vorgesehen - kann demnach als Indiz dafür angesehen werden, dass für Begünstigungsbescheide keine "Exklusivität" der in § 294 BAO geregelten Verfahrensinstrumente (Abänderung und Zurücknahme) vorgesehen ist.
Normen
BAO §293
BAO §294
BAO §294 Abs3
BAO §299
VwRallg
RS 5
Könnten Begünstigungsbescheide ausschließlich nach den Bestimmungen des § 294 BAO geändert oder zurückgenommen werden, hätte dies zur Folge, dass bei zwar nicht wissentlich, aber zumindest fahrlässig gemachten unrichtigen Angaben der betroffenen Parteien - etwa eines Steuerpflichtigen, der eine Nachsicht begehrt - eine entsprechende Korrektur des Begünstigungsbescheides nicht rückwirkend möglich wäre. Schreib- oder Rechenfehler der Abgabenbehörde - etwa ein zu hoher Nachsichtsbetrag aufgrund eines Zahlensturzes - könnten mangels Anwendbarkeit des § 293 BAO generell nicht und zwar auch nicht pro futuro berichtigt werden. Dass der (historische) Gesetzgeber ein derartiges Ergebnis beabsichtigt hätte, ist nicht anzunehmen. Gegenteilige - für eine "Exklusivität" der Bestimmung des § 294 BAO hinsichtlich der Änderung bzw. (rückwirkenden) Zurücknahme von Begünstigungsbescheiden sprechende - Hinweise lassen sich auch nicht den Gesetzesmaterialien entnehmen, die erkennbar eine "Gleichrangigkeit" der in den §§ 293 ff BAO geregelten Verfahrensinstrumente indizieren. So wird in diesen etwa festgehalten, dass "eine Änderung oder Zurücknahme von Bescheiden künftig nur bei Zutreffen einer der in den §§ 293 bis 302 erschöpfend geregelten Voraussetzungen möglich sein" soll (Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur Stammfassung der BAO, BGBl. Nr. 194/1961, 228 BlgNR 9. GP 71). Schließlich kann die Anwendbarkeit der sonstigen in den §§ 293 ff BAO geregelten Verfahrenstitel bei Begünstigungsbescheiden auf die Regelung des § 294 Abs. 3 BAO - die vorsieht, dass die Bestimmungen der Abgabenvorschriften über die Änderung und den Widerruf von Begünstigungsbescheiden unberührt bleiben - gestützt werden.
Normen
AbgRmRefG 2003
BAO §294
BAO §299
VwRallg
RS 6
Mit dem AbgRmRefG 2003 (BGBI. I Nr. 97/2002) wurde das zweitinstanzliche Rechtsmittelverfahren in Abgabensachen - insbesondere durch Errichtung des unabhängigen Finanzsenates als unabhängige Verwaltungsbehörde - umfassend reformiert. In diesem Zusammenhang wurde u.a. auch die Bestimmung des § 299 BAO neu gefasst. An den Voraussetzungen des Aufhebungstatbestandes der (damals) "Rechtswidrigkeit seines Inhaltes" trat hingegen keine Änderung ein; insoweit wurde auch keine Änderung (Einschränkung) dieses Tatbestandes im Verhältnis zu anderen "sonstigen Maßnahmen" iSd Teils B des 7. Abschnittes der BAO (wie etwa zur Änderung oder Zurücknahme nach § 294 BAO) bewirkt.
Normen
BAO §294
BAO §299
RS 7
Die Beurteilung, wonach auch unter § 294 BAO fallende Begünstigungsbescheide - bei Erfüllung der Voraussetzungen - gemäß § 299 BAO aufgehoben werden können, erweist sich als zutreffend.
Normen
BAO §117 idF 2002/I/097
BAO §236
BAO §236 Unbilligkeit Einhebung
VwRallg
RS 8
Absicht des (historischen) Verordnungsgebers der Verordnung BGBl. II Nr. 435/2005 war, den nach der (schon damaligen) ständigen Rechtsprechung des VwGH sowie dem Schrifttum im Rahmen der Nachsichtsgewährung in bestimmten Fällen zu beachtenden Grundsatz von Treu und Glauben zu "verallgemeinern". Diese "Verallgemeinerung" sollte derart erfolgen, dass zukünftig - wie schon nach der Bestimmung des § 117 BAO (idF BGBl. I Nr. 97/2002), die vom VfGH mit Erkenntnis vom , G 95/04 u.a., aufgehoben wurde - nicht nur das Vertrauen des Steuerpflichtigen auf (bestimmte) rechtliche Beurteilungen der zuständigen Abgabenbehörde geschützt werden sollte, sondern auch das Vertrauen auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte sowie auf bestimmte veröffentlichte Rechtsauslegungen des Bundesministeriums für Finanzen.
Normen
BAO §236
BAO §236 Unbilligkeit Einhebung §3 Z2 lita
VwRallg
RS 9
Soweit in § 3 Z 2 lit. a der Verordnung BGBl. II Nr. 435/2005 auf Rechtsauslegungen der Abgabenbehörde Bezug genommen wird, entspricht dies der in diesem Zusammenhang - vor dem Hintergrund des Grundsatzes von Treu und Glauben - ergangenen Rechtsprechung des VwGH.
Normen
BAO §124
BAO §184 Abs3
RS 10
Die Buchführungs- bzw. Aufzeichnungspflichten ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz (vgl. insbesondere §§ 124 ff BAO) und sind unabhängig von allfälligen erteilten Rechtsauskünften einzuhalten, anderenfalls die Abgabenbehörde gemäß § 184 Abs. 3 BAO zur Schätzung berechtigt ist (vgl. etwa , mwN).
Norm
BAO §115 Abs1
RS 11
Bei Sachverhalten mit Auslandsbezug besteht gemäß § 115 Abs. 1 BAO eine erhöhte Mitwirkungspflicht - die eine entsprechende Beweisvorsorgepflicht mitumfasst (vgl. ) - des Abgabepflichtigen (vgl. etwa ; , Ro 2019/13/0024, jeweils mwN).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Ing. W in W, vertreten durch die PwC PricewaterhouseCoopers Wirtschaftsprüfung u. Steuerberatung GmbH in 1220 Wien, Donau-City-Straße 7, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/7102658/2021, betreffend Aufhebung gemäß § 299 BAO und Nachsicht gemäß § 236 BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Schriftsatz vom stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Nachsicht gemäß § 236 BAO hinsichtlich der Einkommensteuer und Anspruchszinsen für die Jahre 2006 bis 2011 und zwar „zumindest in Höhe der Anspruchszinsen“. In Folge einer bei ihm durchgeführten Außenprüfung seien die Einkommensteuerverfahren für die genannten Jahre wiederaufgenommen und neue Sachbescheide erlassen worden. Dabei seien die vom Revisionswerber an - österreichische und ausländische - Gesellschaften des M-Konzerns erbrachten Leistungen sowie die von ihm dafür erhaltenen Vergütungen neu beurteilt worden, wodurch es zu einer Nachforderung an Einkommensteuer gekommen sei.

2 Die Einhebung der dementsprechend festgesetzten Einkommensteuer (samt Anspruchszinsen) sei allerdings sachlich unbillig, weil die steuerliche Vertretung des Revisionswerbers in den betreffenden Jahren - aufgrund der Komplexität der Besteuerungssituation und weil die Anwendung internationalen Steuerrechts nicht zum Tagesgeschäft der steuerlichen Vertretung gehört habe - stets Rücksprache mit dem Finanzamt gehalten habe. Dabei sei es gelungen, sachgerechte und verfahrensökonomisch sinnvolle Lösungen zu finden. Durch die offene Kommunikation mit dem Finanzamt habe dieses über Jahre hinweg eine Vertrauenslage geschaffen, weshalb sich kein Anlass ergeben habe, etwas an der Art und Weise der Deklaration der verfahrensgegenständlichen Einkünfte zu ändern. Das Finanzamt selbst hätte die Beurteilung der betreffenden Tätigkeitsvergütungen näher zu hinterfragen gehabt, habe die vom Revisionswerber gewählte Vorgehensweise jedoch nicht beanstandet. Demnach sei nicht zu erwarten gewesen, dass es im Rahmen einer Außenprüfung zu einer abweichenden Beurteilung kommen könnte. Es liege somit ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben vor.

3 Mit Bescheid vom gewährte das Finanzamt die begehrte Nachsicht - in näher genannter Höhe - mit näherer, gesondert ausgefertigter Begründung.

4 Mit Bescheid vom hob das Finanzamt den Bescheid vom - betreffend die Gewährung der Nachsicht - gemäß § 299 BAO auf und erließ zugleich einen neuen Bescheid, mit dem der Nachsichtsantrag des Revisionswerbers vom - mit näherer Begründung - abgewiesen wurde.

5 Die gegen diese beiden Bescheide erhobene Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung ab, woraufhin der Revisionswerber einen Vorlageantrag stellte.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

7 Das Bundesfinanzgericht führte nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe in den Jahren 2006 bis 2011 Einkünfte von der österreichischen MI AG und von der schweizerischen MM AG - beide Teil des internationalen M-Konzerns - bezogen. Für die MI AG sei er als Vorstand tätig gewesen, für die MM AG als Berater, insbesondere für „Mergers & Acquisitions“. In den Einkommensteuererklärungen für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum habe der Revisionswerber die aus der Schweiz bezogenen Einkünfte als steuerfreie (ausländische) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit unter Progressionsvorbehalt - entsprechend den den Erklärungen angeschlossenen Lohnausweisen der MM AG - behandelt. Das Finanzamt habe die Veranlagungen erklärungsgemäß vorgenommen.

8 Zwischen der steuerlichen Vertretung des Revisionswerbers und dem Finanzamt hätten mehrere Besprechungen stattgefunden, in denen die (Einkommen-)Steuererklärungen erörtert worden seien. Dies ergebe sich aus - teils handschriftlichen - Aktenvermerken im Akt des Finanzamtes. Zumindest anlässlich der Steuererklärung für das Jahr 2007 sei auch - im Rahmen einer Besprechung - thematisiert worden, wie die dem Revisionswerber als Teil seiner Vergütung gewährten Optionen auf Aktien der (ausländischen) Konzernmutter des M-Konzerns auf die österreichischen und die schweizerischen Bezüge aufzuteilen seien. Die Aufteilung sei in einem bestimmten - näher genannten - Verhältnis erfolgt. Weiters sei übereingekommen worden, die Lohnabrechnungen aus der Schweiz als Besteuerungsnachweise anzuerkennen, und die Einkünfte aufgrund der Gewährung der Aktienoptionen nicht als sonstige Einkünfte - wie sie vom Revisionswerber in der Vergangenheit erklärt worden seien -, sondern als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Rahmen der Lohnverrechnung zu berücksichtigen. Darüber hinausgehende Auskünfte, Empfehlungen oder Handlungsanweisungen in Bezug auf die steuerliche Behandlung der schweizerischen Einkünfte seien durch das Finanzamt nicht erteilt worden. Derartige Aussagen oder Handlungsanweisungen wären in entsprechenden Aktenvermerken festgehalten worden. Das Finanzamt habe zunächst auch nicht darauf hingewiesen, dass die Erklärungen in diese Hinsicht unrichtig sein könnten.

9 Anlässlich der Veranlagung der Einkommensteuer für das Jahr 2011 sei dem Finanzamt aufgefallen, dass die Vergütungen aus der Schweiz ab dem Jahr 2007 unrichtig behandelt worden seien, weil seit jenem Jahr für Einkünfte aus unselbständiger Arbeit - nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz (DBA-CH) - die Anrechnungsmethode gegolten habe.

10 Im Rahmen einer anschließend durchgeführten Außenprüfung habe der Revisionswerber nunmehr die Ansicht vertreten, seine Tätigkeit für die schweizerische MM AG führe zu Einkünften aus selbständiger Arbeit, womit für die daraus erzielten Vergütungen nach wie vor die Befreiungsmethode gelten würde. Die Prüforgane seien dieser Argumentation gefolgt, hätten die erhaltenen Vergütungen jedoch - mangels Nachweis bzw. Dokumentation zum jeweiligen Ausmaß der Tätigkeit des Revisionswerbers für die beiden Gesellschaften - zum Teil (im Wege der Schätzung) der nichtselbständigen Tätigkeit des Revisionswerbers für die österreichische MI AG zugerechnet, was die Besteuerung in Österreich (unter Anrechnung der schweizerischen Quellensteuer) zur Folge gehabt habe. Das Finanzamt habe - zum Teil nach Wiederaufnahme der Verfahren - die Einkommensteuer für die verfahrensgegenständlichen Zeiträume (samt Anspruchszinsen) entsprechend neu festgesetzt. Diese im Jahr 2016 erlassenen Bescheide seien in Rechtskraft erwachsen.

11 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesfinanzgericht - auf das Wesentliche zusammengefasst - aus, die vom Revisionswerber behauptete Verletzung von Treu und Glauben - und damit auch eine sachliche Unbilligkeit - liege nicht vor. Hinsichtlich der vom Revisionswerber erzielten Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die einer bestehenden festen Einrichtung zugerechnet würden, habe sich keine Änderung im DBA-CH ergeben. Diese Einkünfte seien im verfahrensgegenständlichen Zeitraum unverändert in der Schweiz zu besteuern und in Österreich unter Progressionsvorbehalt steuerfrei gewesen. Das Finanzamt habe zunächst übersehen, dass die vom Revisionswerber erzielten Tätigkeitsvergütungen nicht als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu besteuern seien. Diese Unrichtigkeit sei zunächst auch nicht aufgeklärt worden. Das Finanzamt habe dem Revisionswerber in Bezug auf die ertragsteuerliche Behandlung dieser Einkünfte aber keine unrichtige Rechtsauskunft oder Handlungsanweisungen erteilt. Das Verhalten des Finanzamtes, durch welches der Revisionswerber im Vertrauen auf die Richtigkeit seiner Steuererklärungen bestärkt und von steuervermeidenden Dispositionen abgehalten worden sein wolle, bestehe ausschließlich darin, trotz Erörterung des grenzüberschreitenden Sachverhaltes die Einkommensteuererklärungen zunächst nicht beanstandet und die Einkommensteuer erklärungsgemäß veranlagt zu haben. Das Finanzamt habe es also unterlassen, den Revisionswerber zum frühestmöglichen Zeitpunkt darauf aufmerksam zu machen, dass seine Einkommensteuererklärungen nicht richtig seien. Dem sei entgegenzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bloße Unterlassungen keine Grundlage für Treu und Glauben bilden könnten. Dass das Finanzamt zunächst untätig geblieben sei, die Unrichtigkeit der Steuererklärungen nicht aufgegriffen und den Revisionswerber zunächst erklärungsgemäß veranlagt habe, stelle daher keine Verletzung von Treu und Glauben dar, welche eine sachliche Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO verwirklichen könnte.

12 Hinzu komme, dass jene Dispositionen, die der Revisionswerber ergriffen hätte, wenn er rechtzeitig über die Unrichtigkeit seiner Steuererklärungen aufgeklärt worden wäre, hauptsächlich auf die Einstufung seiner Tätigkeit für die schweizerische MM AG als selbständige Tätigkeit abgezielt hätten. In diesem Punkt habe sich der Revisionswerber aber ohnehin durchgesetzt, womit aus dem Umstand, dass schweizerische Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit seit 2007 in Österreich nicht mehr steuerfrei seien, dem Revisionswerber kein Nachteil erwachsen sei. Die Problematik habe vielmehr darin bestanden, dass nicht mehr feststellbar gewesen sei, in welchem Verhältnis sich die Tätigkeit des Revisionswerbers für den M-Konzern und die dafür erhaltenen Vergütungen auf die österreichische und die schweizerische Gesellschaft aufgeteilt habe. Das Finanzamt hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt, diese Vergütungen infolge unklarer Abgrenzung der Tätigkeiten in der Schweiz und in Österreich im Schätzungswege teilweise der österreichischen Tätigkeit zuzuordnen. Die Notwendigkeit, bei der Tätigkeit für den M-Konzern zwischen der österreichischen und schweizerischen Gesellschaft zu unterscheiden (und die diesbezügliche Aufteilung erforderlichenfalls belegen zu können) habe dem Revisionswerber von Anfang an bewusst sein müssen. Dass die diesbezügliche Dokumentationslage mangelhaft gewesen sei und daher entsprechender Handlungsbedarf bestanden hätte, habe nur der Revisionswerber wissen können. Es stelle kein Versäumnis des Finanzamtes dar, wenn der Revisionswerber keine diesbezügliche Vorsorge getroffen habe. Dies liege ausschließlich in seiner Verantwortung bzw. in der Verantwortung seiner damaligen steuerlichen Vertretung, falls diese ihn über diese Notwendigkeit nicht informiert haben sollte. Hinzu komme, dass infolge unklarer Abgrenzung der Tätigkeiten nicht bekannt sei, ob es überhaupt zu einer geringeren oder möglicherweise sogar zu einer höheren Abgabennachforderung geführt hätte, wenn feststellbar gewesen wäre, wie sich die Tätigkeit des Revisionswerbers auf die österreichische und die schweizerische Gesellschaft aufgeteilt habe.

13 Ein steuerlicher Nachteil seit dem Revisionswerber aus dem Verhalten des Finanzamtes lediglich insofern erwachsen, als die zusätzliche Einkommensteuer erst mehrere Jahre nach Verwirklichung des Steuertatbestandes festgesetzt worden sei und dadurch entsprechend hohe Anspruchszinsen aufgelaufen seien. Die Festsetzung von Anspruchszinsen sei allerdings unabhängig davon, aus welchen Gründen es zur verzögerten Zahlung gekommen sei, nicht sachlich unbillig.

14 Mangels Verletzung von Treu und Glauben und damit Vorhandensein einer Unbilligkeit der Einhebung sei eine wesentliche Voraussetzung der Nachsicht nicht gegeben gewesen, womit diese zu Unrecht gewährt worden sei. Der Spruch des Bescheides, mit dem Nachsicht gewährt worden sei, sei daher ohne Zweifel unrichtig gewesen und habe gemäß § 299 BAO aufgehoben werden können.

15 Das Bundesfinanzgericht führte weiters aus, § 294 Abs. 1 BAO stehe der Aufhebung gemäß § 299 BAO nicht entgegen. Der vom Finanzamt erlassene Nachsichtsbescheid stelle einen „Begünstigungsbescheid“ im Sinne der erstgenannten Bestimmung dar, allerdings sei der darin enthaltene Widerrufsvorbehalt in keiner Weise determiniert und daher unwirksam. Die tatsächlichen Verhältnisse, die für die Erlassung dieses Bescheides maßgebend gewesen seien, hätten sich nicht geändert und diese seien auch nicht aufgrund unrichtiger oder irreführender Angaben zu Unrecht angenommen worden. Dieser Bescheid könne daher nicht nach Maßgabe des § 294 BAO zurückgenommen werden. Diese Bestimmung bewirke aber keine Einschränkung der im siebenten Abschnitt der BAO enthaltenen Aufhebungs- und Änderungstatbestände (§§ 293 bis 302 BAO), weil für die einzelnen Tatbestände unterschiedliche Voraussetzungen und unterschiedliche Fristen bestehen würden. Die §§ 294 und 299 BAO würden daher nebeneinander bestehen, womit der Nachsichtsbescheid nach § 299 BAO aufgehoben werden könne, ohne dass zusätzlich auch die Voraussetzungen des § 294 BAO vorliegen müssten. Aus den Ausführungen zur Unrichtigkeit des ursprünglichen Nachsichtsbescheides ergebe sich, dass das Nachsichtsansuchen von der Abgabenbehörde zutreffend abgewiesen worden sei.

16 Das Bundesfinanzgericht erklärte die Revision für zulässig, weil keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vorhanden sei, in welchem Verhältnis die §§ 294 und § 299 BAO zueinander stünden, somit - fallbezogen - ob „Begünstigungsbescheide“ iSd § 294 BAO nur dann nach § 299 BAO aufgehoben werden könnten, wenn zusätzlich auch die Voraussetzungen des § 294 BAO vorliegen würden.

17 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber die gegenständliche Revision und zugleich Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Die Behandlung der Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , E 1801/2022-15, abgelehnt. Zur vorliegenden ordentlichen Revision hat das Finanzamt eine Revisionsbeantwortung - mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Revision - erstattet.

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

19 Die Revision ist aus dem in der Zulässigkeitsbegründung des Bundesfinanzgerichtes genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht begründet.

I. Zum Verhältnis von § 294 BAO zu § 299 BAO

20 Gemäß § 294 Abs. 1 BAO ist eine Änderung oder Zurücknahme eines Bescheides, der Begünstigungen, Berechtigungen oder die Befreiung von Pflichten betrifft, durch die Abgabenbehörde - soweit nicht Widerruf oder Bedingungen vorbehalten sind - nur zulässig, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben, die für die Erlassung des Bescheides maßgebend gewesen sind, oder wenn das Vorhandensein dieser Verhältnisse auf Grund unrichtiger oder irreführender Angaben zu Unrecht angenommen worden ist. Die Änderung oder Zurücknahme kann gemäß § 294 Abs. 2 BAO ohne Zustimmung der betroffenen Parteien mit rückwirkender Kraft nur ausgesprochen werden, wenn der Bescheid durch wissentlich unwahre Angaben oder durch eine strafbare Handlung herbeigeführt worden ist.

21 Löschungs- bzw. Nachsichtsbescheide nach den §§ 235 und 236 BAO sind - wie das Bundesfinanzgericht zutreffend ausgeführt hat - grundsätzlich solche, die unter § 294 BAO fallen (vgl. § 236 Abs. 3 iVm § 235 Abs. 3 BAO; vgl. etwa ; , 98/15/0165; , 95/15/0054).

22 Gemäß § 299 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Für eine Aufhebung nach § 299 BAO ist somit nur entscheidend, dass sich der Spruch des Bescheides als nicht richtig erweist (vgl. ).

23 Nach der - soweit ersichtlich einhellig - im Schrifttum vertretenen Rechtsansicht können Bescheide, bei denen die Bestimmung des § 294 BAO grundsätzlich zur Anwendung gebracht werden kann - das sind Bescheide, die „Begünstigungen, Berechtigungen oder die Befreiung von Pflichten“ betreffen (in weiterer Folge: Begünstigungsbescheide) -, nicht nur aufgrund dieser Bestimmung geändert oder zurückgenommen werden, sondern - bei Vorliegen der jeweils gesondert geregelten Voraussetzungen - etwa nach den §§ 293 bis 293b BAO berichtigt oder nach § 299 BAO aufgehoben werden; ebenso kann das zugrundeliegende Verfahren nach § 303 BAO wiederaufgenommen werden (vgl. Ritz/KoranBAO7, § 294 Tz 5; Ellinger/Sutter/UrtzBAO3, § 294 Anm 10; Lenneis, Die Änderung und Zurücknahme von Bescheiden im Abgabenverfahren, in Holoubek/Lang, Korrektur fehlerhafter Entscheidungen durch die Verwaltungs- und Abgabenbehörde [2017] 135 ff [140]; Tanzer/Unger in Rzeszut/Tanzer/Unger, Stoll-BAO², § 294 Tz 6; ebenso schon Stoll, BAO-Kommentar 2841).

24 Dieser Rechtsansicht schließt sich der Verwaltungsgerichtshof an (siehe dazu schon 416/67).

25 Einleitend ist festzuhalten, dass die Anwendbarkeit des - im vorliegenden Revisionsfall in Streit stehenden - § 299 BAO für die in § 294 Abs. 1 BAO genannten Begünstigungsbescheide nach dem Gesetzeswortlaut - entgegen den Ausführungen des Revisionswerbers - gerade nicht ausgeschlossen ist. Das Fehlen einer derartigen expliziten Regelung - wie etwa in § 244 BAO vorgesehen (ob auch die Bestimmung des § 118 Abs. 9 BAO als spezieller Verfahrenstitel, der jenen in den §§ 293 ff BAO geregelten vorgeht, angesehen werden kann, ist an dieser Stelle nicht zu klären; vgl. dazu etwa Ritz/Koran, BAO7, § 118 Tz 28 f, mwN) - kann demnach schon als Indiz dafür angesehen werden, dass für Begünstigungsbescheide keine „Exklusivität“ der in § 294 BAO geregelten Verfahrensinstrumente (Abänderung und Zurücknahme) vorgesehen ist.

26 Gegen eine derartige „Exklusivität“ sprechen aber auch gewichtige systematische Gründe.

27 Könnten etwa Begünstigungsbescheide ausschließlich nach den Bestimmungen des § 294 BAO geändert oder zurückgenommen werden, hätte dies zur Folge, dass bei zwar nicht wissentlich, aber zumindest fahrlässig gemachten unrichtigen Angaben der betroffenen Parteien - etwa eines Steuerpflichtigen, der eine Nachsicht begehrt - eine entsprechende Korrektur des Begünstigungsbescheides nicht rückwirkend möglich wäre. Schreib- oder Rechenfehler der Abgabenbehörde - etwa ein zu hoher Nachsichtsbetrag aufgrund eines Zahlensturzes - könnten mangels Anwendbarkeit des § 293 BAO generell nicht und zwar auch nicht pro futuro berichtigt werden.

28 Dass der (historische) Gesetzgeber ein derartiges Ergebnis beabsichtigt hätte, ist nicht anzunehmen. Gegenteilige - für eine „Exklusivität“ der Bestimmung des § 294 BAO hinsichtlich der Änderung bzw. (rückwirkenden) Zurücknahme von Begünstigungsbescheiden sprechende - Hinweise lassen sich auch nicht den Gesetzesmaterialien entnehmen, die erkennbar eine „Gleichrangigkeit“ der in den §§ 293 ff BAO geregelten Verfahrensinstrumente indizieren. So wird in diesen etwa festgehalten, dass „eine Änderung oder Zurücknahme von Bescheiden künftig nur bei Zutreffen einer der in den §§ 293 bis 302 erschöpfend geregelten Voraussetzungen möglich sein“ soll (Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur Stammfassung der BAO, BGBl. Nr. 194/1961, 228 BlgNR 9. GP 71). Weiters wird in diesem Zusammenhang wie folgt festgehalten (ErlRV 228 BlgNR 9. GP 72):

„Abgesehen von Fällen der §§ 293 bis 298 sollen amtswegige Abänderungen - soweit sie nicht auf einem wiederaufgenommenen Verfahren beruhen - nur mehr im Aufsichtswege durch Oberbehörden und nur aus jenen Gründen zulässig sein, die das Gesetz im § 299 erschöpfend aufzählt. Lediglich unter diesen Voraussetzungen und unter der zeitlichen Einschränkung des § 302 soll die Oberbehörde in Ausübung ihres Aufsichtsrechtes (Art. 20 B-VG) in die Lage versetzt werden, durch Behebung eines formell rechtskräftigen Bescheides - sei es zugunsten oder zuungunsten der Partei - die Rechtslage herzustellen, die der materiellen Wahrheit entspricht.“

29 Schließlich kann die Anwendbarkeit der sonstigen in den §§ 293 ff BAO geregelten Verfahrenstitel bei Begünstigungsbescheiden auf die Regelung des § 294 Abs. 3 BAO - die vorsieht, dass die Bestimmungen der Abgabenvorschriften über die Änderung und den Widerruf von Begünstigungsbescheiden unberührt bleiben - gestützt werden (so ausdrücklich etwa Tanzer/Unger in Rzeszut/Tanzer/Unger, Stoll-BAO², § 294 Tz 6).

30 Der Revisionswerber stützt seine gegenteilige Rechtsansicht u.a. auf die historische Fassung der Bestimmung des § 299 BAO, die bis zur Änderung durch das AbgRmRefG (BGBl. I Nr. 97/2002) lediglich als aufsichtsrechtliches Mittel der Oberbehörde konzipiert gewesen sei, womit die Abgabenbehörde selbst keine Möglichkeit gehabt habe, Bescheide aufgrund dieser Bestimmung aufzuheben. Aufgrund dessen könne nicht auf einen generellen „Vorrang“ des Aufhebungsrechts iSd § 299 BAO geschlossen werden. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass mit dem AbgRmRefG (BGBI. I Nr. 97/2002) das zweitinstanzliche Rechtsmittelverfahren in Abgabensachen - insbesondere durch Errichtung des unabhängigen Finanzsenates als unabhängige Verwaltungsbehörde - umfassend reformiert wurde. In diesem Zusammenhang wurde u.a. auch die Bestimmung des § 299 BAO neu gefasst. Demnach sind Aufhebungen nach § 299 BAO keine Maßnahmen der Aufsicht mehr; dazu wurde auch ein Antragsrecht der Partei vorgesehen. Die Übertragung der sachlichen Zuständigkeit von der „Oberbehörde“ auf die (damals) „Abgabenbehörde erster Instanz“ erfolgte - nach den Erläuterungen des Ausschussberichts (1128 BlgNr 21. GP 15) - aus Gründen der Verwaltungsökonomie; Aufhebungen durch Finanzämter erforderten einen geringeren Verwaltungsaufwand als solche durch Finanzlandesdirektionen oder durch das BMF; das Weisungsrecht werde damit nicht berührt. An den Voraussetzungen des Aufhebungstatbestandes der (damals) „Rechtswidrigkeit seines Inhaltes“ trat hingegen keine Änderung ein; insoweit wurde auch keine Änderung (Einschränkung) dieses Tatbestandes im Verhältnis zu anderen „sonstigen Maßnahmen“ iSd Teils B des 7. Abschnittes der BAO (wie etwa zur Änderung oder Zurücknahme nach § 294 BAO) bewirkt.

31 Nach dem Gesagten erweist sich somit die Beurteilung des Bundesfinanzgerichtes, wonach auch unter § 294 BAO fallende Begünstigungsbescheide - bei Erfüllung der Voraussetzungen - gemäß § 299 BAO aufgehoben werden können, als zutreffend.

II. Zum Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit

32 Der Revisionswerber wendet sich - unter der Annahme, die Bestimmung des § 299 BAO könnte dem Grunde nach zur Anwendung gebracht werden - auch gegen die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des ursprünglichen Nachsichtsbescheides sowie zugleich gegen die erfolgte Abweisung seines ursprünglichen Nachsichtsantrages. Strittig ist dabei (ausschließlich) die inhaltliche Rechtswidrigkeit des aufgehobenen Nachsichtsbescheides - somit ob sich dessen Spruch als nicht richtig erwiesen habe - bzw. die Rechtmäßigkeit der nach der Aufhebung ergangenen neuen Abweisungsentscheidung.

33 Vorauszuschicken ist dabei, dass der Revisionswerber nur das Vorliegen einer sachlichen - nicht (auch) einer persönlichen - Unbilligkeit behauptet und zwar ausschließlich aufgrund „Treu und Glauben“ begründender „Abstimmungen“ und Gespräche „mit dem Finanzamt“ (vgl. zum Grundsatz der eingeschränkten Prüfung im Rahmen der geltend gemachten Nachsichtsgründe - aufgrund der Antragsgebundenheit der Abgabennachsicht - , mwN).

34 Das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit wird in der Revisionsbegründung im Wesentlichen darauf gestützt, dass spätestens ab dem Jahr 2007 laufende „Abstimmungen“ und „Gespräche“ betreffend die vom Revisionswerber bezogenen Einkünfte mit dem Finanzamt stattgefunden hätten, im Rahmen derer es immer wieder zu Treu und Glauben begründenden „Auskünften, Anleitungen und Bestärkungen“ gekommen sei. Das Bundesfinanzgericht habe diesbezüglich - indem es das Vorliegen konkreter Handlungsanweisungen verneint habe - einen unrichtigen Sachverhalt angenommen sowie eine unrichtige rechtliche Beurteilung getroffen, weil nach Ansicht des Revisionswerbers Treu und Glauben begründende Auskünfte nicht direkt und ausdrücklich erfolgen müssten. Das steuerliche Verhalten des Revisionswerbers sei nicht das Ergebnis reiner Unterlassungen des Finanzamts oder der bloßen passiven Akzeptanz von Veranlagungs- und Außenprüfungsergebnissen, sondern das direkte Resultat verschiedenster Verhaltensweisen des Finanzamts in Verbindung mit teils ausdrücklichen, teils konkludenten Aussagen, Auskünften und Anweisungen, die in Summe Treu und Glauben begründet hätten. Der steuerliche Vertreter des Revisionswerbers habe insbesondere aufgrund einer im Jahr 2008 abgehaltenen Besprechung - aus dem Verhalten der Behörde und den näheren Begleitumständen der Vorsprache - ohne jeden Zweifel annehmen dürfen, dass die aus der Schweiz bezogenen Einkünfte des Revisionswerbers auch künftig der Befreiungsmethode unterliegen würden. Darüber hinaus würden Verfahrensmängel vorliegen, weil das Bundesfinanzgericht angenommen habe, es seien keine sonstigen Auskünfte und Handlungsanweisungen vom Finanzamt erteilt worden, obwohl der vorgelegte Akt des Finanzamtes unvollständig sei. Es liege auch eine Verletzung des Parteiengehörs vor, weil das Bundesfinanzgericht das in einer Stellungnahme vom April 2022 erstattete Vorbringen des Revisionswerbers, mit dem aufgezeigt worden sei, von welchen Beurteilungen, Einschätzungen usw. des Finanzamtes auszugehen sei, übergangen habe.

35 Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Diese Bestimmung findet gemäß § 236 Abs. 2 BAO auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung. Nach § 1 der zu dieser Bestimmung ergangenen Verordnung BGBl. II Nr. 435/2005 kann die Unbilligkeit im Sinn des § 236 BAO persönlicher oder sachlicher Natur sein.

36 Nach § 3 Z 1 und 2 dieser Verordnung liegt eine sachliche Unbilligkeit der Einhebung insbesondere vor,

„soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches

1. von Rechtsauslegungen des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn im Vertrauen auf die betreffende Rechtsprechung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden;

2. in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die

a) dem Abgabepflichtigen gegenüber von der für ihn zuständigen Abgabenbehörde geäußert oder

b) vom Bundesministerium für Finanzen im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung oder im Internet als Amtliche Veröffentlichung in der Findok veröffentlicht

wurden, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung bzw. Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden.“

37 In den Erläuterungen zum Entwurf dieser Verordnung wird diesbezüglich Folgendes ausgeführt:

„§ 3 Z 1 und 2 verallgemeinert die zu Rechtsauskünften der zuständigen Abgabenbehörde bestehende, auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruhende herrschende Auffassung (vgl. zB ), weil ein Vertrauen auf Rechtsprechung der Höchstgerichte und auf veröffentlichte Rechtsauslegungen des BMF gleichermaßen schutzwürdig erscheint.

§ 3 Z 2 lit. a gilt unabhängig davon, ob die Rechtsauskunft aufgrund einer ausdrücklichen gesetzlichen Verpflichtung (zB § 90 EStG 1988, Auskunftspflichtgesetz) erfolgt.

Vom BMF werden Auslegungsbehelfe (zB Richtlinien) vor allem im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung (AÖF) veröffentlicht. Lediglich in Fachzeitschriften abgedruckte Einzelerledigungen fallen nicht unter § 3 Z 2 (ebensowenig wie etwa Pressemitteilungen, Stellungnahmen gegenüber dem Rechnungshof oder der Volksanwaltschaft, parlamentarische Anfragebeantwortungen, nur im Internet veröffentliche Informationen, Broschüren).“

38 Absicht des (historischen) Verordnungsgebers war - wie sich aus diesen Ausführungen ergibt - somit, den nach der (schon damaligen) ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sowie dem Schrifttum im Rahmen der Nachsichtsgewährung in bestimmten Fällen zu beachtenden Grundsatz von Treu und Glauben zu „verallgemeinern“. Diese „Verallgemeinerung“ sollte derart erfolgen, dass zukünftig - wie schon nach der Bestimmung des § 117 BAO (idF BGBl. I Nr. 97/2002), die vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , G 95/04 u.a., aufgehoben wurde (vgl. dazu Ehrke-Rabel, Nochmals: Verordnung zu § 236 BAO Treu und Glauben bei Auskünften und Erlässen, taxlex 2006, 328, wonach mit der genannten Verordnung u.a. die Wirkungen des aufgehobenen § 117 BAO „auf anderem Wege wieder eingeführt“ werden sollten) - nicht nur das Vertrauen des Steuerpflichtigen auf (bestimmte) rechtliche Beurteilungen der zuständigen Abgabenbehörde geschützt werden sollte, sondern auch das Vertrauen auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte sowie auf bestimmte veröffentlichte Rechtsauslegungen des Bundesministeriums für Finanzen.

39 Soweit in § 3 Z 2 lit. a der genannten Verordnung auf Rechtsauslegungen der Abgabenbehörde Bezug genommen wird, entspricht dies somit der in diesem Zusammenhang - vor dem Hintergrund des Grundsatzes von Treu und Glauben - ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. in diesem Sinne Capek/Gleixner/Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger, Stoll-BAO², § 236 Tz 55 ff; ebenso Platzgummer, Ermessen, Nachsicht und Anspruchszinsen, in FS Ritz, Die BAO im Zentrum der Finanzverwaltung 236 f).

40 Nach dieser Rechtsprechung schützt der Grundsatz von Treu und Glauben nicht ganz allgemein das Vertrauen des Abgabepflichtigen auf die Rechtsbeständigkeit einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung in der Vergangenheit. Vielmehr müssten besondere Umstände vorliegen, die ein Abgehen von der bisherigen Auffassung durch die Abgabenbehörde unbillig erscheinen ließen, wie dies z.B. der Fall sein kann, wenn ein Abgabepflichtiger von der zuständigen Abgabenbehörde ausdrücklich zu einer bestimmten Vorgangsweise aufgefordert wurde und sich nachträglich die Unrichtigkeit dieser Vorgangsweise herausstellt. Der Grundsatz von Treu und Glauben ist vor allem bei unrichtigen Rechtsauskünften der zuständigen Abgabenbehörde zu berücksichtigen (vgl. etwa , mwN).

41 Der Revisionswerber hat - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichtes - keinen Nachweis darüber erbringen können, dass ihm die (damals) zuständige Abgabenbehörde - ausgehend vom für eine derartige Beurteilung notwendigen, vollständig offengelegten Sachverhalt - Auskünfte zur ertragsteuerlichen Behandlung der von ihm erzielten Einkünfte erteilt hätte. Im Rahmen von persönlichen oder fernmündlich geführten Gesprächen mit Bediensteten der Abgabenbehörde erfolgte „Abstimmungen“ - deren genauer Inhalt im vorliegenden Revisionsfall nicht festgestellt ist - können nicht als „Rechtsauskünfte“ im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes angesehen werden. Der Revisionswerber behauptet zwar das Vorliegen von „Anleitungen“ sowie „Bestärkungen“ durch die Abgabenbehörde, bringt jedoch nicht vor, dass er von der Abgabenbehörde ausdrücklich zu einer bestimmten Vorgangsweise aufgefordert worden wäre.

42 Soweit sich der Revisionswerber in diesem Zusammenhang gegen die Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichtes wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes nur insoweit unterliegt, als das Ausreichen der Sachverhaltsermittlungen und die Übereinstimmung der Überlegungen zur Beweiswürdigung mit den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut zu prüfen ist (vgl. etwa , mwN). Der - an sich nur zur Rechtskontrolle berufene - Verwaltungsgerichtshof ist im Übrigen auch nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt, sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. , mwN).

43 Das Bundesfinanzgericht hat in der angefochtenen Entscheidung - im gegebenen Zusammenhang - festgestellt, zwischen der steuerlichen Vertretung des Revisionswerbers und dem Finanzamt hätten mehrere Besprechungen stattgefunden, in denen die (Einkommen-)Steuererklärungen des Revisionswerbers für die verfahrensgegenständlichen Jahre erörtert worden seien. Zumindest anlässlich der Steuererklärung für das Jahr 2007 sei die Frage der steuerlichen Behandlung einer variablen Vergütung in Form von Aktienoptionen thematisiert worden. Dabei sei übereingekommen worden, die Einkünfte aus diesen Aktienoptionen, die vom Revisionswerber ursprünglich als sonstige Einkünfte erklärt worden seien, zukünftig als nichtselbständige Einkünfte im Rahmen der Lohnverrechnung zu berücksichtigen. Weiters sei auch ein Aufteilungsverhältnis - auf die österreichischen und schweizerischen Bezüge - festgelegt worden. Darüber hinausgehende Auskünfte, Empfehlungen oder Handlungsanweisungen in Bezug auf die steuerliche Behandlung der schweizerischen Einkünfte seien vom Finanzamt nicht erteilt worden. Das Bundesfinanzgericht stützte diese Feststellungen auf die im Akt des Finanzamtes befindlichen Aktenvermerke, auf Aussagen einer Bediensteten des Finanzamtes, die an der im Jahr 2008 abgehaltenen Besprechung teilgenommen habe, sowie - entgegen dem Revisionsvorbringen - auch auf den Schriftsatz des Revisionswerbers vom April 2022.

44 Der Revisionswerber bestreitet die Vollständigkeit des Finanzamtsaktes und bringt - wie schon in der Stellungnahme vom April 2022 - vor, aus den angeblich fehlenden Unterlagen würde sich ein noch intensiverer Kontakt mit dem Finanzamt zur Lösung materieller Steuerfragen ergeben. Zudem seien die angelegten (vorhandenen) Aktenvermerke offenbar nicht vollständig.

45 Mit diesem Vorbringen vermag der Revisionswerber die Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichtes nicht zu erschüttern. Abgesehen davon, dass das Bundesfinanzgericht ohnehin angenommen hat, es seien immer wieder Abstimmungen zwischen dem steuerlichen Vertreter und dem Finanzamt erfolgt, legt der Revisionswerber nicht dar, welche Aktenteile welchen Inhalts konkret fehlen würden. Auch die Behauptung, es hätten weitere Abstimmungen mit dem Finanzamt stattgefunden, wurde vom Revisionswerber nicht entsprechend konkretisiert und damit keine Relevanz allenfalls vorhandener Verfahrensfehler dargelegt.

46 Eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben liegt vorliegend überdies - unabhängig von der Frage, ob entsprechende Rechtsauskünfte durch die Abgabenbehörde erteilt worden wären - schon deswegen nicht vor, weil der Revisionswerber keine für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen im Vertrauen auf (vorgeblich) getätigte Äußerungen der Abgabenbehörde gesetzt hat. Er behauptet weder, seine - die streitgegenständlichen Einkünfte generierende - Tätigkeit aufgrund der Äußerungen der Abgabenbehörde ausgestaltet zu haben, noch, dass er bei Kenntnis der Unrichtigkeit der rechtlichen Beurteilung durch die Abgabenbehörde diese Tätigkeit anders ausgestaltet hätte. Die in diesem Zusammenhang in der Revision getätigten Ausführungen zur Änderung des anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommens und zur Frage der vor bzw. nach der Änderung einschlägigen Entlastungsmethode (konkret die Befreiungsmethode) geht - wie das Bundesfinanzgericht zutreffend festhält - insofern an der Sache vorbei, als bei der nachträglichen Festsetzung der Einkommensteuer in Folge der Außenprüfung das Finanzamt ohnehin von der Anwendbarkeit der Befreiungsmethode - aufgrund der Umqualifizierung der Einkünfte als solche aus selbständiger Arbeit anstatt wie ursprünglich als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit - ausgegangen ist.

47 Wenn der Revisionswerber in diesem Zusammenhang - somit hinsichtlich der im Vertrauen auf die ursprüngliche (unrichtige) rechtliche Beurteilung der Abgabenbehörde getätigten „Dispositionen“ - lediglich vorbringt, er hätte bei Kenntnis über die richtige steuerrechtliche Beurteilung seiner Tätigkeit Vorsorge dafür getroffen, die zugrundeliegende Dokumentation sicherzustellen, ist ihm entgegenzuhalten, dass es sich dabei nicht um Maßnahmen handelt, die - im Sinne des § 3 Z 2 der Verordnung BGBl. II Nr. 435/2005 - für die Verwirklichung des Abgabentatbestands von Relevanz sind. Die Buchführungs- bzw. Aufzeichnungspflichten ergeben sich zudem unmittelbar aus dem Gesetz (vgl. insbesondere §§ 124 ff BAO) und sind unabhängig von allfälligen erteilten Rechtsauskünften einzuhalten, anderenfalls die Abgabenbehörde gemäß § 184 Abs. 3 BAO zur Schätzung berechtigt ist (vgl. etwa , mwN). Bei Sachverhalten mit Auslandsbezug - wie im vorliegenden Revisionsfall - besteht zudem gemäß § 115 Abs. 1 BAO eine erhöhte Mitwirkungspflicht - die eine entsprechende Beweisvorsorgepflicht mitumfasst (vgl. ) - des Abgabepflichtigen (vgl. etwa ; , Ro 2019/13/0024, jeweils mwN).

48 Das Bundesfinanzgericht hat somit im Ergebnis zu Recht das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit verneint, somit die Unrichtigkeit des Spruchs des Nachsichtsbescheides angenommen und den Antrag auf Nachsicht abgewiesen.

49 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

50 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

51 Von der in der Revision beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AbgRmRefG 2003
BAO §115 Abs1
BAO §117 idF 2002/I/097
BAO §124
BAO §184 Abs3
BAO §235
BAO §235 Abs3
BAO §236
BAO §236 Abs3
BAO §236 Unbilligkeit Einhebung
BAO §236 Unbilligkeit Einhebung §3 Z2 lita
BAO §244
BAO §293
BAO §293a
BAO §293b
BAO §294
BAO §294 Abs1
BAO §294 Abs3
BAO §299
BAO §303
VwRallg
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Rechtsgrundsätze Treu und Glauben erworbene Rechte VwRallg6/2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2024:RO2022130017.J00
Datenquelle

Fundstelle(n):
DAAAF-46703