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VwGH 31.05.2021, Ro 2021/15/0007

VwGH 31.05.2021, Ro 2021/15/0007

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
EStG 1953 idF 1965/202
EStG 1967 §67 Abs7
EStG 1972 §67 Abs6
EStG 1988 §67 Abs3
EStG 1988 §67 Abs6 idF 2009/I/052
VwRallg
RS 1
§ 67 Abs. 6 EStG 1988 in der Fassung BGBl. I Nr. 52/2009 sieht für freiwillige Abfertigungen zwei Begünstigungen vor. Nach dem ersten Satz dieser Bestimmung, der keine zusätzlichen Anwendungsvoraussetzungen oder Beschränkungen vorsieht, sind freiwillige Abfertigungen bis zu einem Viertel der laufenden Bezüge der letzten zwölf Monate mit 6% zu besteuern ("Viertelbegünstigung"). Zusätzlich zur Viertelbegünstigung sieht § 67 Abs. 6 zweiter Satz EStG 1988 die sogenannte Zwölftelbegünstigung vor, nach welcher freiwillige Abfertigungen - abhängig von der Dienstzeit eines Arbeitnehmers - in gestaffelter Höhe von zwei bis zwölf Zwölftel der laufenden Bezüge dem 6%igen Steuersatz unterliegen. Die Zwölftelbegünstigung wurde im EStG 1953 mit der Einkommensteuernovelle 1965, BGBl. Nr. 202/1965, eingeführt und nahezu unverändert in das EStG 1967 (§ 67 Abs. 7 zweiter Satz), das EStG 1972 (§ 67 Abs. 6 zweiter Satz) und das EStG 1988 (§ 67 Abs. 6 zweiter Satz) übernommen. Die Anwendung der Zwölftelbegünstigung hängt davon ab, ob und inwieweit der Arbeitnehmer seine Dienstzeit, die er auch bei verschiedenen Arbeitgebern erbracht haben kann (mitsamt dem Betrag der Abfertigungen im Sinne des § 67 Abs. 3 und 6 EStG 1988, die im Rahmen dieser Dienstverhältnisse ausgezahlt worden sind) nachweist. Was den Nachweis der zu berücksichtigenden Dienstzeit betrifft, bleibt es dem Arbeitnehmer überlassen, "bis zu welchem Zeitpunkt zurück die Dienstverhältnisse nachgewiesen werden". Aus der Wortfolge "bis zu welchem Zeitpunkt zurück die Dienstverhältnisse nachgewiesen werden" ist ableitbar, dass der Nachweis beim aktuellen Dienstverhältnis beginnen muss und in zeitlicher Hinsicht so weit zurück zu erfolgen hat, wie es dem Dienstnehmer möglich ist oder opportun erscheint. Ein Außerachtlassen einzelner Jahre bzw. Dienstverhältnisse (samt der im Rahmen dieser Dienstverhältnisse bezogenen Abfertigungen) kommt dabei nicht in Betracht.
Normen
EStG 1972 §67 Abs3
EStG 1972 §67 Abs6
EStG 1988 §67 Abs3
EStG 1988 §67 Abs6 idF 2009/I/052
RS 2
Im Erkenntnis vom , 85/13/0196, hat der VwGH zur Regelung des § 67 Abs. 6 zweiter Satz EStG 1972 ausgeführt, § 67 Abs. 6 EStG 1972 ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber insoweit eine Kumulierung der Begünstigung des § 67 Abs. 3 und jener des § 67 Abs. 6 EStG 1972 vermeiden wollte, als er ausdrücklich angeordnet hat, dass das nach § 67 Abs. 6 zweiter Satz begünstigte Abfertigungsausmaß um den Betrag der bereits erhaltenen Abfertigungen oder um Abfertigungsansprüche im Sinne des § 67 Abs. 3 EStG 1972 zu kürzen ist. Der Standpunkt, es bleibe dem Arbeitnehmer überlassen, welche Dienstverhältnisse (und damit zusammenhängende, bereits bezogene Abfertigungen) er bei der Berechnung der Dienstzeit berücksichtigen wolle, hätte im Ergebnis die vom Gesetzgeber nicht gewollte Kumulierung der Begünstigung zur Folge, weil für diesen Fall nicht auszuschließen ist, dass eine Dienstzeit, die bereits in der Vergangenheit zu einer Abfertigung geführt hat, ein weiteres Mal berücksichtigt wird. Dieser Umstand spricht dafür, dass der Arbeitnehmer nur über den Zeitpunkt, bis zu dem zurück er die Dienstverhältnisse nachweisen kann oder will, disponieren kann. Der Nachweis der nach dem vom Arbeitnehmer gewählten Zeitpunkt eingegangenen Dienstverhältnisse (und der nach diesem Zeitpunkt erhaltenen Abfertigungen im Sinne des § 67 Abs. 3 und 6 EStG 1988) hat indessen lückenlos zu erfolgen.
Normen
EStG 1988 §67 Abs3
EStG 1988 §67 Abs6 idF 2009/I/052
RS 3
Sowohl die während der im zweiten Satz des § 67 Abs. 6 EStG 1988 genannten nachgewiesenen Dienstzeit bereits erhaltenen Abfertigungen iSd § 67 Abs. 3 und 6 als auch die bestehenden Ansprüche auf Abfertigungen iSd § 67 Abs. 3 stellen Kürzungskomponenten dar. Der Betrag der bereits erhaltenen gesetzlichen (§ 67 Abs. 3 EStG 1988) oder freiwilligen (§ 67 Abs. 6 EStG 1988) Abfertigungen und der bestehenden Ansprüche auf gesetzliche Abfertigungen (§ 67 Abs. 3 EStG 1988) kürzen das Ausmaß einer begünstigt zu besteuernden freiwilligen Abfertigung.
Norm
BAO §262 Abs1
RS 4
Die Beschwerdevorentscheidung gilt als Vorhalt (vgl. z.B. ).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des Dr. S, vertreten durch die Likar Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Pestalozzistraße 1/II/13, der gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2101719/2016, betreffend X GmbH, Haftung für Lohnsteuer 2009, erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 3 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

1 Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat bis zur Vorlage der Revision das Verwaltungsgericht, ab Vorlage der Revision der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interesse entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

2 Nach § 30 Abs. 3 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ab Vorlage der Revision Beschlüsse gemäß Abs. 2 von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei aufheben oder abändern, wenn er die Voraussetzungen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung anders beurteilt oder wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Revision maßgebend waren, wesentlich geändert haben.

3 Die Unverhältnismäßigkeit des Nachteils aus der Verpflichtung zu einer Geldleistung ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. den Beschluss eines verstärkten Senates vom , VwSlg. 10.381/A) schon im Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch zahlenmäßige Angaben über die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers zu konkretisieren. Erst die ausreichende und zudem glaubhaft dargetane Konkretisierung ermöglicht die vom Gesetz gebotene Interessenabwägung.

4 Im Falle eines Antrages nach § 30 Abs. 3 VwGG ist - wenn eine wesentliche Änderung der für die Entscheidung über den Antrag auf aufschiebende Wirkung maßgeblichen Voraussetzungen nicht behauptet wird - grundsätzlich nur die Begründung des ursprünglichen Antrages maßgeblich. Das Verfahren nach § 30 Abs. 3 VwGG dient nicht dazu, dem Antragsteller eine „Nachbegründung“ seines Antrages zu erlauben; vielmehr soll es einerseits eine Überprüfung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes auf Basis der diesem bereits vorliegenden Entscheidungsgrundlagen und andererseits die Berücksichtigung von wesentlichen Änderungen, die auch die Stellung eines neuen Antrages rechtfertigen würden, ermöglichen (vgl. etwa den , mwN).

5 Im vorliegenden Fall wurde der mit der Revision gestellte Antrag auf aufschiebende Wirkung damit begründet, dass aufgrund der (unrichtigen) Ergebnisse der Betriebsprüfung doch ein hoher Betrag vom Finanzamt zurückgefordert werde. Das gegenständliche Verfahren sei seit anhängig, zumal die Betriebsprüfung der X GmbH erst im Herbst 2014, sohin beinahe sechs Jahre nach Beendigung des Dienstverhältnisses stattgefunden habe. Damit gebe das Finanzamt zu erkennen, dass kein öffentliches Interesse daran gelegen sei, die Steuernachzahlung unmittelbar jetzt zu leisten. Für den Revisionswerber wäre aber die sofortige Erhebung der Steuer mit einem unverhältnismäßigen Nachteil verbunden, da doch ein verhältnismäßig hoher Betrag sofort zu bezahlten wäre. Auch wenn der Revisionswerber nicht für die Abfuhr der Lohnsteuer zu sorgen habe, würde sich die X GmbH umgehend beim Revisionswerber wegen Zahlung einer fremden Schuld iSd § 1358 ABGB regressieren bzw. habe diesen den Revisionswerber bereits zur Zahlung aufgefordert.

6 Das Bundesfinanzgericht gab diesem Antrag mit Beschluss vom nicht statt und begründete dies - unter Verweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs () - damit, dass der Revisionswerber zwar das Vorliegen eines unverhältnismäßigen Nachteils behaupte, wozu aber jegliche Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen fehlten.

7 Im nunmehrigen Antrag auf aufschiebende Wirkung wird im Wesentlichen das Vorbringen im ursprünglichen Antrag wiederholt und der Standpunkt vertreten, dass zahlenmäßige Angaben über die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers nicht erforderlich seien, wenn sich die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach Lage des Falles ohne weiteres erkennen ließen.

8 Mit diesem Vorbringen zeigt der Revisionswerber weder eine Fehlbeurteilung durch das Bundesfinanzgericht auf der Grundlage des Erstantrages noch eine Änderung der Voraussetzungen auf.

9 Dem Antrag war daher nicht stattzugeben.

Wien, am

Entscheidungstext

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungsdatum:

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):

Ro 2021/15/0008

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revisionen 1. der V GmbH (protokolliert zu Ro 2021/15/0008) und 2. des S P (protokolliert zu Ro 2021/15/0007), beide in E, beide vertreten durch die Likar Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Pestalozzistraße 1/II/13, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2101719/2016, betreffend Haftung für Lohnsteuer 2009, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revisionen werden als unbegründet abgewiesen.

Die Revisionswerber haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von jeweils € 276,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Erstrevisionswerberin zahlte ihrem Angestellten, dem Zweitrevisionswerber, im Jahr 2009 anlässlich der Beendigung seines Dienstverhältnisses zusätzlich zu seiner gesetzlichen Abfertigung auch eine freiwillige Abfertigung.

2 In Summe erhielt der Zweitrevisionswerber eine Abfertigung von 244.640 €, wovon ein Betrag von 196.542,94 € mit dem begünstigten Steuersatz von 6% versteuert wurde (§ 67 Abs. 3 und 6 EStG 1988). Der darüberhinausgehende Betrag wurde zum laufenden Lohnsteuertarif versteuert.

3 Im Zuge einer abgabenbehördlichen Überprüfung stellte das Finanzamt fest, der Berechnung der begünstigten (freiwilligen) Abfertigung seien Dienstzeiten im Ausmaß von 25 Jahren und 9 Monaten zugrunde gelegt worden, von denen 8 Jahre und 7 Monate auf das Dienstverhältnis des Zweitrevisionswerbers zur Erstrevisionswerberin entfielen.

4 Laut eigenen Angaben und einem in den Verwaltungsakten einliegenden Versicherungsdatenauszug (VDA) sei der Zweitrevisionswerber bisher von folgenden Dienstgebern beschäftigt worden:


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3/1970 - 7/1970
Verein WS
(eigene Angaben, nicht im VDA)
8/1973 - 4/1976
B AG
 
5/1976 - 3/1983
Erstrevisionswerberin
 
4/1983 - 3/1989
M AG
laut eigenen Angaben bis 6/1989
4/1989 - 7/1994
G GmbH
im VDA, nicht nachgewiesen
8/1994 -7/1999
P AG
im VDA, nicht nachgewiesen
8/1999 - 6/2000
W KG
 
7/2000 - 12/2004
Erstrevisionswerberin
 
1/2005 - 1/2009
Erstrevisionswerberin
 

Für die Berechnung der Dienstzeit habe der Zweitrevisionswerber alle Dienstverhältnisse mit Ausnahme jener zur G GmbH und zur P AG nachgewiesen. Dadurch hätten sich Vordienstzeiten im Ausmaß von 25 Jahren und 9 Monaten ergeben. Zudem habe er erklärt, bei Beendigung des Dienstverhältnisses mit der M AG im Jahr 1989 eine Abfertigung von 31.879,61 € erhalten zu haben.

5 Das Finanzamt stellte anhand der Lohnzettel des Zweitrevisionswerbers fest, dass dieser bei Beendigung des Dienstverhältnisses zur P AG (8/1994 bis 7/1999) im Jahr 1999 eine begünstigt besteuerte Abfertigung von 2,530.165 S (183.874,26 €) erhalten habe, die bei der Berechnung der gegenständlichen Abfertigung nicht berücksichtigt worden sei. Es vertrat den Standpunkt, dass die Dienstzeiten bei der G GmbH und der P AG (laut eigenen Angaben 7/98 bis 8/99) nur deswegen nicht nachgewiesen worden seien, um die Anrechnung dieser von der P AG erhaltenen Abfertigung zu vermeiden. Bei der Besteuerung der Abfertigung nach § 67 Abs. 6 EStG 1988 seien aber nur die lückenlos nachgewiesenen Zeiten von 8/1999 bis 2/2009 (9 Jahre und 6 Monate) zu berücksichtigen. Die nicht nachgewiesenen Zeiten (bei der G GmbH und bei der P AG) seien ebenso wenig zu berücksichtigen wie die zeitlich früheren Dienstverhältnisse. Daher vermindere sich der begünstigt besteuerte Teil der Abfertigung um 82.680,89 € und der zum laufenden Tarif zu versteuernde Teil erhöhe sich entsprechend.

6 Mit Haftungsbescheid vom zog das Finanzamt die Erstrevisionswerberin als Arbeitgeberin des Zweitrevisionswerbers gemäß § 82 EStG 1988 für den Lohnsteuermehrbetrag 2009 zur Haftung heran.

7 Die Erstrevisionswerberin brachte gegen den Haftungsbescheid vom Beschwerde ein. In der Beschwerde wurde vorgebracht, aufgrund der mehr als 25 nachgewiesenen Dienstjahre sei ein Betrag in Höhe von 15 Montagsbezügen - vermindert um die in der Vergangenheit begünstigt besteuerte Abfertigung von 31.879,61 € - mit dem Steuersatz von 6% zu besteuern. Weiters wurde vorgebracht, aus dem Gesetz sei keine Verpflichtung ableitbar, einen Nachweis für alle Dienstzeiten zu früheren Arbeitgebern zu erbringen. Es liege in der Dispositionsfreiheit des Dienstnehmers, welche Dienstverhältnisse zu anderen Dienstnehmern in die Berechnung der Vordienstzeiten einbezogen würden.

8 Der Zweitrevisionswerber trat der Beschwerde gemäß § 257 BAO bei.

9 Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung ab und führte zur Begründung aus, die Anwendung der zusätzlichen steuerlichen Begünstigung nach § 67 Abs. 6 EStG 1988 hänge ausschließlich davon ab, ob und inwieweit der Arbeitnehmer gewillt und in der Lage sei, seine Dienstzeiten nachzuweisen. Auch wenn es der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer überlasse, zu bestimmen, bis zu welchem Zeitpunkt er seine Dienstverhältnisse nachweise, müsse doch gefordert werden, dass der Nachweis für den vom Arbeitnehmer gewählten Zeitraum lückenlos erfolge. Im Rahmen einer abgabenbehördlichen Prüfung sei festgestellt worden, dass der Revisionswerber seine im Zeitraum 7/1989 bis 8/1999 bestehenden Dienstverhältnisse zur G GmbH und zur P AG nicht nachgewiesen habe. Eine Abfrage beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger habe ergeben, dass bei Beendigung des Dienstverhältnisses mit der P AG „eine begünstigte Abfertigung in Höhe von € 183.874,24 an [den Zweitrevisionswerber] ausbezahlt“ worden sei; diese Abfertigung möchten die revisionswerbenden Parteien bei der Besteuerung der hier in Rede stehenden Abfertigung nicht berücksichtigt wissen. Aufgrund der bestehenden „Lücken“ könnten nach Meinung des Finanzamtes die für den Zeitraum 3/1970 bis 6/1989 nachgewiesenen Dienstzeiten nicht berücksichtigt werden.

10 Von der Erstrevisionswerberin wurde die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht beantragt.

11 Das Bundesfinanzgericht führte eine mündliche Verhandlung durch und gab der Beschwerde mit dem angefochtenen Erkenntnis - soweit sie die Besteuerung der Abfertigung betraf - keine Folge. Zur Begründung führte es aus, § 67 Abs. 6 EStG 1988 bestimme, dass nur nachgewiesene Dienstzeiten für das Ausmaß der Begünstigung relevant seien. Zudem sei zu beachten, dass während dieser nachgewiesenen Dienstzeiten bereits erhaltene gesetzliche und freiwillige Abfertigungen das steuerlich begünstigte Ausmaß kürzten.

12 Der Zweitrevisionswerber habe die Vordienstzeiten im Zeitraum 7/1989 bis 8/1999 nicht nachgewiesen, weshalb die Erstrevisionswerberin die im Jahr 1999 erhaltene Abfertigung der P AG von 183.874,24 € nicht angerechnet habe. Im Falle einer Anrechnung dieser in der Vergangenheit bezogenen Abfertigung wäre kein Raum für eine steuerliche Begünstigung der freiwilligen Abfertigung (Anm: nach § 67 Abs. 6 zweiter Satz EStG 1988) verblieben. Wären nur die Zeiten ab 9/1999 nachgewiesen worden, würden sich hingegen Vordienstzeiten von nur 9 Jahren und 6 Monaten ergeben, was zu einer Begünstigung der freiwilligen Abfertigung (Anm: nach § 67 Abs. 6 zweiter Satz EStG 1988) im Ausmaß von drei Monatsbezügen geführt hätte (Anm: welches gemäß § 67 Abs. 6 dritter Satz EStG 1988 um die während der nachgewiesenen Dienstzeit bereits erhaltenen Abfertigungen im Sinne des § 67 Abs. 3 und 6 EStG 1988 zu kürzen wäre).

13 Es könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe durch das in § 67 Abs. 6 EStG 1988 eingeräumte Wahlrecht, welche Vordienstzeiten nachgewiesen würden, ermöglichen wollen, dass dieselben Vordienstzeiten mehrmals zur Begünstigung von verschiedenen (freiwilligen) Abfertigungen führen könnten.

14 Die Vorschrift, dass während der nachgewiesenen Dienstzeit erhaltene Abfertigungen das steuerlich begünstigte Ausmaß kürzten, sei Ausdruck dieses Verständnisses, weil dadurch u.a. erreicht werde, dass Vordienstzeiten nur insoweit zu berücksichtigen seien, als sie nicht bereits zuvor zur begünstigten Besteuerung einer Abfertigung geführt hätten.

15 Wolle man Vordienstzeiten nur einmal berücksichtigen, müsse auch der Nachweis der Vordienstzeiten lückenlos vom Zeitpunkt der Abfertigung zurück erfolgen. Die Wortfolge „bis zu welchem Zeitpunkt zurück die Dienstverhältnisse nachgewiesen werden“ sei sprachlich so zu verstehen, dass der Nachweis beim aktuellen Dienstverhältnis beginne und so weit zurück erfolge, wie es dem Dienstnehmer möglich oder opportun sei. Ein Außerachtlassen einiger Jahre komme - entgegen dem in der Beschwerde vertretenen Standpunkt - nicht in Betracht.

16 Von der gesamten Abfertigung (196.542,94 €) sei die gesetzliche Abfertigung (62.900 €) nach § 67 Abs. 3 EStG zu besteuern und ein Viertel der laufenden Bezüge (45.684,50 €) nach § 67 Abs. 6 erster Satz EStG 1988. Nach § 67 Abs. 6 zweiter Satz EStG 1988 seien zusätzlich drei Zwölftel der laufenden Bezüge (45.684,50 €) begünstigt, davon sei allerdings die gesetzliche Abfertigung nach § 67 Abs. 3 EStG 1988 in Abzug zu bringen, sodass aus § 67 Abs. 6 zweiter Satz EStG 1988 keine Begünstigung verbleibe.

17 Eine ordentliche Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage, ob der Nachweis von Vordienstzeiten für die begünstigte Besteuerung freiwilliger Abfertigungen gemäß § 67 Abs. 6 EStG 1988 lückenlos erfolgen müsse, fehle.

18 Gegen dieses Erkenntnis richten sich die vorliegenden Revisionen, zu denen das Finanzamt Revisionsbeantwortungen erstattet hat.

19 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

20 § 67 Abs. 6 EStG 1988 in der für den Streitzeitraum anwendbaren Fassung BGBl. I Nr. 52/2009 lautet:

„Sonstige Bezüge, die bei oder nach Beendigung des Dienstverhältnisses anfallen (wie zum Beispiel freiwillige Abfertigungen und Abfindungen, ausgenommen von BV-Kassen ausbezahlte Abfertigungen), sind mit dem Steuersatz des Abs. 1 zu versteuern, soweit sie insgesamt ein Viertel der laufenden Bezüge der letzten zwölf Monate nicht übersteigen; Abs. 2 ist nicht anzuwenden. Über das Ausmaß des ersten Satzes hinaus sind freiwillige Abfertigungen bei einer nachgewiesenen


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Dienstzeit von
bis zur Höhe von
3 Jahren
2/12 der laufenden Bezüge der letzten 12 Monate
5 Jahren
3/12 der laufenden Bezüge der letzten 12 Monate
10 Jahren
4/12 der laufenden Bezüge der letzten 12 Monate
15 Jahren
6/12 der laufenden Bezüge der letzten 12 Monate
20 Jahren
9/12 der laufenden Bezüge der letzten 12 Monate
25 Jahren
12/12 der laufenden Bezüge der letzten 12 Monate

mit dem Steuersatz des Abs. 1 zu versteuern; Abs. 2 ist nicht anzuwenden. Während dieser Dienstzeit bereits erhaltene Abfertigungen im Sinne des Abs. 3 oder gemäß den Bestimmungen dieses Absatzes sowie bestehende Ansprüche auf Abfertigungen im Sinne des Abs. 3 kürzen das steuerlich begünstigte Ausmaß. Den Nachweis über die zu berücksichtigende Dienstzeit sowie darüber, ob und in welcher Höhe Abfertigungen im Sinne des Abs. 3 oder dieses Absatzes bereits früher ausgezahlt worden sind, hat der Arbeitnehmer zu erbringen; bis zu welchem Zeitpunkt zurück die Dienstverhältnisse nachgewiesen werden, bleibt dem Arbeitnehmer überlassen. Der Nachweis ist vom Arbeitgeber zum Lohnkonto (§ 76) zu nehmen. Soweit die Grenzen des ersten und zweiten Satzes überschritten werden, sind solche sonstigen Bezüge wie ein laufender Bezug im Zeitpunkt des Zufließens nach dem Lohnsteuertarif des jeweiligen Kalendermonats der Besteuerung zu unterziehen. Die vorstehenden Bestimmungen zu freiwilligen Abfertigungen gelten nur für jene Zeiträume, für die keine Anwartschaften gegenüber einer BV-Kasse bestehen.“

21 Im Revisionsfall ist strittig, ob die Bestimmung des § 67 Abs. 6 zweiter Satz EStG 1988 so auszulegen ist, dass es dem Arbeitnehmer überlassen bleibt, welche Dienstverhältnisse er bei der Berechnung der Dienstzeit und damit welche bereits bezogenen, begünstigt besteuerten Abfertigungen er bei der Ermittlung des nach dieser Bestimmung begünstigt zu versteuernden Abfertigungsbetrages berücksichtigt haben will (so die Revisionswerber), oder ob er lediglich über den Zeitpunkt disponieren kann, bis zu dem zurück er die von ihm eingegangenen Dienstverhältnisse und die damit korrespondierenden, bereits bezogenen Abfertigungen nachweist (so das Bundesfinanzgericht).

22 § 67 Abs. 6 EStG 1988 in der für das Streitjahr geltenden Fassung sieht für freiwillige Abfertigungen zwei Begünstigungen vor. Nach dem ersten Satz dieser Bestimmung, der keine zusätzlichen Anwendungsvoraussetzungen oder Beschränkungen vorsieht, sind freiwillige Abfertigungen bis zu einem Viertel der laufenden Bezüge der letzten zwölf Monate mit 6% zu besteuern („Viertelbegünstigung“). Zusätzlich zur Viertelbegünstigung sieht § 67 Abs. 6 zweiter Satz EStG 1988 die sogenannte Zwölftelbegünstigung vor, nach welcher freiwillige Abfertigungen - abhängig von der Dienstzeit eines Arbeitnehmers - in gestaffelter Höhe von zwei bis zwölf Zwölftel der laufenden Bezüge dem 6%igen Steuersatz unterliegen.

23 Die Zwölftelbegünstigung wurde im EStG 1953 mit der Einkommensteuernovelle 1965, BGBl. Nr. 202/1965, eingeführt und nahezu unverändert in das EStG 1967 (§ 67 Abs. 7 zweiter Satz), das EStG 1972 (§ 67 Abs. 6 zweiter Satz) und das EStG 1988 (§ 67 Abs. 6 zweiter Satz) übernommen. Die Anwendung der Zwölftelbegünstigung hängt davon ab, ob und inwieweit der Arbeitnehmer seine Dienstzeit, die er auch bei verschiedenen Arbeitgebern erbracht haben kann (mitsamt dem Betrag der Abfertigungen im Sinne des § 67 Abs. 3 und 6 EStG 1988, die im Rahmen dieser Dienstverhältnisse ausgezahlt worden sind) nachweist.

24 Was den Nachweis der zu berücksichtigenden Dienstzeit betrifft, bleibt es dem Arbeitnehmer überlassen, „bis zu welchem Zeitpunkt zurück die Dienstverhältnisse nachgewiesen werden“. Aus der Wortfolge „bis zu welchem Zeitpunkt zurück die Dienstverhältnisse nachgewiesen werden“ ist ableitbar, dass der Nachweis beim aktuellen Dienstverhältnis beginnen muss und in zeitlicher Hinsicht so weit zurück zu erfolgen hat, wie es dem Dienstnehmer möglich ist oder opportun erscheint. Ein Außerachtlassen einzelner Jahre bzw. Dienstverhältnisse (samt der im Rahmen dieser Dienstverhältnisse bezogenen Abfertigungen) kommt dabei nicht in Betracht.

25 In diesem Zusammenhang ist auch auf das Erkenntnis vom , 85/13/0196, zu verweisen, in dem der Verwaltungsgerichtshof zur vergleichbaren Regelung des § 67 Abs. 6 zweiter Satz EStG 1972 ausgeführt hat, § 67 Abs. 6 EStG 1972 ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber insoweit eine Kumulierung der Begünstigung des § 67 Abs. 3 und jener des § 67 Abs. 6 EStG 1972 vermeiden wollte, als er ausdrücklich angeordnet hat, dass das nach § 67 Abs. 6 zweiter Satz begünstigte Abfertigungsausmaß um den Betrag der bereits erhaltenen Abfertigungen oder um Abfertigungsansprüche im Sinne des § 67 Abs. 3 EStG 1972 zu kürzen ist (vgl. Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuerhandbuch § 67 Tz 49).

26 Der von den Revisionswerbern vertretene Standpunkt, es bleibe dem Arbeitnehmer überlassen, welche Dienstverhältnisse (und damit zusammenhängende, bereits bezogene Abfertigungen) er bei der Berechnung der Dienstzeit berücksichtigen wolle, hätte im Ergebnis die vom Gesetzgeber nicht gewollte Kumulierung der Begünstigung zur Folge, weil für diesen Fall nicht auszuschließen ist, dass eine Dienstzeit, die bereits in der Vergangenheit zu einer Abfertigung geführt hat, ein weiteres Mal berücksichtigt wird. Auch dieser Umstand spricht dafür, dass der Arbeitnehmer nur über den Zeitpunkt, bis zu dem zurück er die Dienstverhältnisse nachweisen kann oder will, disponieren kann. Der Nachweis der nach dem vom Arbeitnehmer gewählten Zeitpunkt eingegangenen Dienstverhältnisse (und der nach diesem Zeitpunkt erhaltenen Abfertigungen im Sinne des § 67 Abs. 3 und 6 EStG 1988) hat indessen lückenlos zu erfolgen (vgl. idS auch Höfle/Fellner/Schulitz, GPLA Handbuch2 [2016] S 36).

27 Mit der unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgetragenen Rüge, das Bundesfinanzgericht habe es - in Bezug auf die Abfertigung, die der Zweitrevisionswerber von der P AG erhalten habe - unterlassen, eine klare Trennung zwischen gesetzlicher und freiwilliger Abfertigung vorzunehmen, und dem in der Revision zudem vertretenen Standpunkt, diesem Umstand komme Bedeutung zu, weil die für die Berechnung einer gesetzlichen Abfertigung herangezogenen Dienstjahre das Ausmaß der Dienstzeiten für die Berechnung der freiwilligen Abfertigung nach § 67 Abs. 6 EStG 1988 nicht kürzten, wird ebenfalls keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses aufgezeigt.

28 Die Begünstigung des § 67 Abs. 6 zweiter Satz EStG 1988 kommt - wie bereits erwähnt - nicht uneingeschränkt zum Zug. Vielmehr bestimmt der anschließende dritte Satz des § 67 Abs. 6 EStG 1988 folgendes:

„Während dieser Dienstzeit bereits erhaltene Abfertigungen im Sinne des Abs. 3 oder gemäß den Bestimmungen dieses Absatzes sowie bestehende Ansprüche auf Abfertigungen im Sinne des Abs. 3 kürzen das steuerlich begünstigte Ausmaß.“

29 Die dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde liegende Berechnung des begünstigt zu besteuernden Teils der Abfertigung entspricht exakt dieser Bestimmung. Entgegen der von den revisionswerbenden Parteien vertretenen Auffassung stellen sowohl die während der im zweiten Satz des § 67 Abs. 6 EStG 1988 genannten nachgewiesenen Dienstzeit bereits erhaltenen Abfertigungen iSd § 67 Abs. 3 und 6 als auch die bestehenden Ansprüche auf Abfertigungen iSd § 67 Abs. 3 Kürzungskomponenten dar. Der Betrag der bereits erhaltenen gesetzlichen (§ 67 Abs. 3 EStG 1988) oder freiwilligen (§ 67 Abs. 6 EStG 1988) Abfertigungen und der bestehenden Ansprüche auf gesetzliche Abfertigungen (§ 67 Abs. 3 EStG 1988) kürzen das Ausmaß einer begünstigt zu besteuernden freiwilligen Abfertigung.

30 Soweit die Revision rügt, das Bundesfinanzgericht habe mit der Feststellung, dem Zweitrevisionswerber sei bei Beendigung des Dienstverhältnisses mit der P AG eine begünstigt besteuerte Abfertigung in Höhe von 183.875,26 € ausbezahlt worden, den Grundsatz der materiellen Wahrheit verletzt, weil der Revisionswerber bei Beendigung dieses Dienstverhältnisses eine Abfertigung von lediglich 114.989,37 € erhalten habe, ist zunächst auf das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot zu verweisen.

31 Schon das Finanzamt ist in seiner Beschwerdevorentscheidung - die nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als Vorhalt gilt (vgl. z.B. ) - davon ausgegangen, dass dem Zweitrevisionswerber bei Beendigung des Dienstverhältnisses mit der P AG eine begünstigte Abfertigung in Höhe von 183.874,24 € ausbezahlt worden sei. Eine Richtigstellung dieser „unrichtigen Feststellung“, die nach dem Vorbringen in der Revision vermutlich darauf beruhe, „dass es ursprünglich einen falschen Jahreslohnzettel des [Zweitrevisionswerbers] für den bis “ gegeben habe, im Beschwerdeverfahren erfolgte nicht.

32 Soweit sich die Revisionswerber hinsichtlich der Verfahrensdauer in ihrem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt erachten, ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 5 B-VG zur Prüfung der Verletzung dieses verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts, über die gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG vom Verfassungsgerichtshof zu entscheiden ist, nicht berufen ist (vgl. ). Der gegenständliche, rein innerstaatliche Sachverhalt fällt auch nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts und damit der GRC.

33 Die Revisionen erweisen sich nach dem Gesagten als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen waren.

34 Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

35 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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Normen
VwGG §30 Abs2
VwGG §30 Abs3
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021150007.J00
Datenquelle

Fundstelle(n):
PAAAF-46644