TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH 29.06.2022, Ro 2020/15/0020

VwGH 29.06.2022, Ro 2020/15/0020

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
ABGB §292
BudgetbegleitG 2011
EnergieabgabenvergütungsG 1996 §2 Abs1 idF 2010/I/111
VwRallg
RS 1
Nach den Erläuterungen zum Budgetbegleitgesetz 2011 (vgl. 981 BlgNR 24. GP 141) sollen alle Betriebe, deren Schwerpunkt in der Erbringung von Dienstleistungen besteht, keinen Anspruch auf Energieabgabenvergütung haben. Zu den "unkörperlichen Sachen" zählen neben Rechten insbesondere auch Dienstleistungen (vgl. Welser/Kletecka, Bürgerliches Recht I15, Rz 766).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ro 2015/15/0021 E RS 2 (hier nur der erste Satz)
Norm
EnergieabgabenvergütungsG 1996 §2 Abs1
RS 2
Ein Produktionsbetrieb erzeugt typischerweise Güter, die für den Konsumenten mit (auch ausländischen) Produkten ohne weiteres austauschbar sind und der damit dem (auch internationalen) Wettbewerb ausgesetzt ist, etwa, weil er seine Produkte im Ausland verkauft, oder auch dadurch, dass ausländische Produkte auf dem Inlandsmarkt angeboten werden und damit in Wettbewerb zu seinen Produkten treten (vgl. ).
Norm
EnergieabgabenvergütungsG 1996 §2 Abs1
RS 3
Die Herstellung von körperlichen Wirtschaftsgütern iSd § 2 Abs. 1 EnergieabgabenvergütungsG 1996 kann nicht nur durch die Schaffung gänzlich neuer Wirtschaftsgüter erfolgen, sondern auch darin bestehen, dass durch die Bearbeitung eines Wirtschaftsgutes ein Produkt anderer Marktgängigkeit entsteht (vgl. , mwN).
Norm
EnergieabgabenvergütungsG 1996 §2 Abs1
RS 4
Entscheidend dafür, ob eine Bearbeitung zugleich als Herstellung eines Wirtschaftsguts iSd § 2 Abs. 1 EnergieabgabenvergütungsG 1996 gilt, ist zunächst, ob durch die Bearbeitung ein Produkt anderer Marktgängigkeit entsteht (vgl. ; und , Ro 2020/15/0001). Für die Beurteilung, ob ein Produkt anderer Marktgängigkeit entstanden ist, ist die Verkehrsauffassung, das heißt die allgemeine Auffassung der beteiligten Wirtschaftskreise und hier vor allem die Sicht des Abnehmers maßgeblich.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2020/15/0122 E RS 2 (hier nur der letzte Satz)
Norm
EnergieabgabenvergütungsG 1996 §2 Abs1
RS 5
Aus der Rechtsprechung des VfGH und des VwGH ergibt sich, dass es sich bei dem körperlichen Wirtschaftsgut in der Regel um ein Produkt handelt, das einen Markt hat (vgl. , sowie , und ).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision der S GmbH & Co KG, vertreten durch die ARTG - Allgemeine Revisions- und Treuhandgesellschaft m.b.H Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 8011 Graz, City Tower Brückenkopfgasse 1/2.OG, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2101349/2017, betreffend u.a. Energieabgabenvergütung 2011 bis 2014 zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die revisionswerbende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 553,20 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 In Folge der Feststellungen einer Betriebsprüfung nahm das Finanzamt die Verfahren betreffend Energieabgabenvergütung 2011 bis 2014 wieder auf und erließ neue Sachbescheide. Die Revisionswerberin sei als Dienstleistungsbetrieb einzustufen. Die Umsätze, die der Energieabgabenvergütungsberechnung zugrunde gelegt worden seien, beträfen das Entgelt für die Erbringung der Müllentsorgung (Abnahme Restmüll, Abrechnung nach übernommenen Mengen). Die Kunden erhielten von der Revisionswerberin keine Wirtschaftsgüter anderer Beschaffenheit und Marktgängigkeit, sondern zahlten dafür, dass der Müll entsorgt werde. Die Revisionswerberin erhalte von ihren Kunden das Entgelt nicht dafür, dass sie ein Produkt herstelle oder fertige, sondern vielmehr dafür, dass sie ihren Kunden eine Dienstleistung erbringe, nämlich den Müll abnehme und diesen für die weitere Entsorgung/Verwertung konditioniere.

2 In der gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerde führte die Revisionswerberin aus, „Zweck“ ihrer betrieblichen Tätigkeit sei, den von den Kunden übernommenen Siedlungsabfall einer den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Behandlung, Bearbeitung, Verwertung und Entsorgung zuzuführen. Die Behandlung und Bearbeitung des Siedlungsabfalles bis Ende 2013 sei durch unterschiedlichste chemische und/oder physikalische Behandlungsmaßnahmen erfolgt, die eine Veränderung des angelieferten Siedlungsabfalls mit sich gebracht habe, und zwar dahingehend, dass wesentliche Giftstoffe eliminiert und dadurch eine gesetzeskonforme Deponierung erreicht worden sei. Hauptzweck der Anlage in Z sei in diesem Zeitraum gewesen, eine Konsistenz und Zusammensetzung des Siedlungsabfalls zu erreichen, die eine Ablagerung gemäß den Vorgaben der Deponieverordnung zugelassen habe. Der in die Anlage eingelieferte Siedlungsabfall habe diese Voraussetzungen vor der Behandlung und der Bearbeitung in der Anlage nicht erfüllt. Seit 2014 werde der angelieferte Siedlungsabfall in der Anlage in Z so bearbeitet, dass kein Deponiematerial mehr produziert werde. Es werde durch einen biologischen Trocknungsprozess der Siedlungsabfall getrocknet, wodurch ein Gewichtsverlust von rund 25% eintrete und eine deutliche Erhöhung des Heizwertes um mehr als 20% erreicht werde. Überdies würden noch vorhandene Wertstoffe (Eisen und andere Metalle) aus dem angelieferten Siedlungsabfall durch Spezialabscheider heraussortiert. Der Abfall könne dadurch günstiger entsorgt/verbrannt werden als bei der Direktanlieferung.

3 Das Bundesfinanzgericht wies die Beschwerden als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges führte es aus, die Wiederaufnahme sei rechtskonform gewesen. In der Sache legte es dar, dass die Revisionswerberin den “Zweck“ ihrer betrieblichen Tätigkeit damit beschreibe, dass sie den von den Kunden übernommenen Siedlungsabfall (= Restmüll) gegen Entgelt (Abrechnung nach übernommenen Mengen) einer den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Behandlung, Bearbeitung, Verwertung und Entsorgung zuführe. Dafür habe die Revisionswerberin in der von ihr in Z betriebenen mechanisch-biologischen Abfallbehandlungsanlage bis einschließlich 2013 den übernommenen Siedlungsabfall durch Zugabe von Wasser und Klärschlamm zu einem deponierfähigen Abfall aufbereitet. Mit Ende des Jahres 2013 habe die Revisionswerberin bedingt durch eine Veränderung der Rahmenbedingungen für die Müllentsorgung die biologische Aufbereitung des Mülls eingestellt und ab 2014 in einem geänderten Verfahren den Müll so bearbeitet, dass kein Deponiematerial mehr produziert werde, sondern der Müll einer kostengünstigen Verbrennung zugeführt werden könne. Mit beiden Verfahren würden nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes keine körperlichen Wirtschaftsgüter im Sinne des § 2 Abs. 1 EAVG hergestellt, da es durch die spezielle Behandlung des Siedlungsabfalls nicht zu einer wesentlichen Änderung der Marktgängigkeit des Mülls im Sinne der Entstehung eines anderen Wirtschaftsgutes komme. Die Kunden der Revisionswerberin würden das nach den übernommenen Mengen berechnete Entgelt einzig und allein dafür bezahlen, dass der Siedlungsabfall gesetzeskonform entsorgt werde. Die dabei von der Revisionswerberin angewendeten Verfahren dienten nicht der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter anderer Marktgängigkeit, sondern verfolgten ausschließlich den Zweck, die den Kunden geschuldete Leistung der Abfallentsorgung mit Rücksicht auf die betriebswirtschaftlich angestrebte Gewinnorientierung kostengünstig zu bewerkstelligen. Somit betreibe die Revisionswerberin keinen Betrieb iSd eingangs zitierten Norm, dessen Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter bestehe. Vielmehr stelle die im Zuge der Abfallentsorgung stattfindende, zur Deponierfähigkeit des Siedlungsabfalls bzw. zur thermischen Verwertung notwendige, vorbereitende Behandlung des Siedlungsabfalls einen im Rahmen der Abfallentsorgung anfallenden Prozessschritt dar, dem keine eigenständige Bedeutung im Sinne der Herstellung eines körperlichen Wirtschaftsgutes zukomme.

4 Die Revision ließ das Bundesfinanzgericht mit der Begründung zu, dass zu der Streitfrage, ob die im Zuge der Müllentsorgung stattfindende, zur Deponierung des Siedlungsabfalls bzw. zur thermischen Verwertung notwendige, vorbereitende Behandlung des Siedlungsabfalls als Herstellung eines körperlichen Wirtschaftsgutes anderer Marktgängigkeit und damit der Betrieb als Produktionsbetrieb iSd § 2 Abs. 1 EAVG idF BudBG 2011, BGBl. I Nr. 111/2010 zu qualifizieren sei, eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle.

5 Gegen dieses Erkenntnis, dem Revisionspunkt zufolge nicht gegen die Wiederaufnahme, richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die vorbringt, bis Ende 2013 habe die Revisionswerberin eine mechanisch/biologische Aufbereitungsanlage betrieben und dort durch unterschiedlichste chemische und physikalische Maßnahmen die Behandlung und Bearbeitung von Siedlungsabfall vorgenommen. Damit seien wesentliche Giftstoffe aus dem Abfall eliminiert worden. Weiters sei eine Veränderung der chemischen Zusammensetzung der Rotte erfolgt, wodurch eine gesetzeskonforme Deponierung habe erreicht werden können. Seit Anfang 2014 erfolge die Behandlung des Abfalls durch Trocknung und damit Reduktion des Feuchtigkeitsgehalts, sowie der Abscheidung von Metallen. Dadurch entstehe ein anderes Produkt, weil es einen anderen Heizwert habe und keine Metallanteile aufweise. Durch die Behandlung reduzierten sich die Kosten für die Verbrennung. Die Tätigkeit der Revisionswerberin bestehe in der Behandlung und Bearbeitung des Abfalls für eine spätere Entsorgung/Verbrennung. Ziel der Behandlungen des Abfalls sei, einen Zustand zu erreichen, der eine Entsorgung/Deponierung/Verbrennung gesetzeskonform ermögliche.

6 Das Finanzamt hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 § 2 Abs. 1 Energieabgabenvergütungsgesetz (EAVG ) lautet:

„(1) Ein Anspruch auf Vergütung besteht nur für Betriebe, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter besteht und soweit sie nicht die in § 1 Abs. 3 genannten Energieträger oder Wärme (Dampf oder Warmwasser), die aus den in § 1 Abs. 3 genannten Energieträgern erzeugt wurde, liefern.“

9 Nach den Erläuterungen der Regierungsvorlage zum Budgetbegleitgesetz 2011 (vgl. 981 BlgNR 24. GP 141) sollen alle Betriebe, deren Schwerpunkt in der Erbringung von Dienstleistungen besteht, keinen Anspruch auf Energieabgabenvergütung haben (vgl. ).

10 Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Unterscheidung zwischen Betrieben mit Schwerpunkt in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter und anderen Betrieben hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , B 321/12, ausgesprochen, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf die typischerweise unterschiedliche Wettbewerbssituation im Recht der Energieabgabenvergütung zwischen Produktions- und Dienstleistungsbetrieben differenzieren und letztere davon ausschließen durfte. Dienstleistungsbetriebe (auch energieintensive Dienstleistungsbetriebe) seien durch Standort- und Personengebundenheit sowie durch das Zusammenfallen von „Produktion“ und „Verbrauch“ gekennzeichnet, auch wenn es - nicht zuletzt im Hinblick auf die moderne Informationstechnologie - bei einzelnen Dienstleistungen zu einer Trennung von „Produktion“ und „Verbrauch“ kommen könne.

11 Strittig ist, ob der Betrieb der Revisionswerberin ein Produktionsbetrieb im Sinne des Energieabgabenvergütungsgesetzes ist.

12 Ein Produktionsbetrieb erzeugt typischerweise Güter, die für den Konsumenten mit (auch ausländischen) Produkten ohne weiteres austauschbar sind und der damit dem (auch internationalen) Wettbewerb ausgesetzt ist, etwa, weil er seine Produkte im Ausland verkauft, oder auch dadurch, dass ausländische Produkte auf dem Inlandsmarkt angeboten werden und damit in Wettbewerb zu seinen Produkten treten (vgl. ).

13 Die Herstellung von körperlichen Wirtschaftsgütern iSd § 2 Abs. 1 EAVG kann nicht nur durch die Schaffung gänzlich neuer Wirtschaftsgüter erfolgen, sondern auch darin bestehen, dass durch die Bearbeitung eines Wirtschaftsgutes ein Produkt anderer Marktgängigkeit entsteht (vgl. , mwN). Für die Beurteilung, ob ein Produkt anderer Marktgängigkeit entstanden ist, ist die Verkehrsauffassung, das heißt die allgemeine Auffassung der beteiligten Wirtschaftskreise und hier vor allem die Sicht des Abnehmers maßgeblich (vgl. , mwN).

14 Aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich somit, dass es sich bei dem körperlichen Wirtschaftsgut in der Regel um ein Produkt handelt, das einen Markt hat.

15 Das Geschäftsmodell der Revisionswerberin besteht demgegenüber darin, dass sie von Kunden Siedlungsabfall gegen Entgelt übernimmt und diesen dann für eine folgende Entsorgung (Deponierung oder Verbrennung) aufbereitet. Der aufbereitete Abfall wird von der Revisionswerberin nicht verkauft, sondern sie bezahlt einem weiteren Dienstleister (Deponie, Verbrennungsanlage) ein Entgelt dafür, dass dieser die Entsorgung durchführt. Die Revisionswerberin erzeugt somit kein Produkt, das sie weiterveräußert. Ihre Leistung kann auch nicht als produktionsbezogener Verarbeitungsschritt gesehen werden, der noch Teil des Entstehungsprozesses eines später am Markt gehandelten Endproduktes ist (vgl. nochmals ), weil der von der Revisionswerberin aufbereitete Abfall unbestrittenermaßen jedenfalls nicht verkauft, sondern vernichtet bzw. bis 2013 lediglich deponiert wurde.

16 Der Schwerpunkt der Tätigkeit der Revisionswerberin liegt daher nicht in der Herstellung von körperlichen Wirtschaftsgütern im Sinne des Energieabgabenvergütungsgesetzes.

17 Die Revision war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
ABGB §292
BudgetbegleitG 2011
EnergieabgabenvergütungsG 1996 §2 Abs1
EnergieabgabenvergütungsG 1996 §2 Abs1 idF 2010/I/111
VwRallg
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2022:RO2020150020.J00
Datenquelle

Fundstelle(n):
XAAAF-46569