VwGH 17.12.2024, Ra 2024/16/0063
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher, den Hofrat Dr. Bodis, die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Mag. M. Mayr als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des Finanzamts Österreich in 4780 Schärding, Gerichtsplatz 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/5100403/2023, betreffend Familienbeihilfe (mitbeteiligte Partei: Mag. K B in L, vertreten durch die consiliario GmbH Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung in 4020 Linz, Dametzstraße 2-4), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Die mitbeteiligte Partei stellte am für ihre volljährige Tochter einen Antrag auf Familienbeihilfe.
2 Mit Bescheid vom wies das Finanzamt Österreich den Antrag der mitbeteiligten Partei auf Familienbeihilfe ab September 2022 ab. Begründend führte das Finanzamt Österreich aus, die Tochter der mitbeteiligten Partei lebe nicht im Haushalt mit der mitbeteiligten Partei und die mitbeteiligte Partei leiste auch nicht überwiegend die Unterhaltskosten für ihre Tochter.
3 In ihrer gegen den Abweisungsbescheid erhobenen Beschwerde legte die mitbeteiligte Partei eine Aufstellung der Unterhaltskosten ihrer Tochter und eine Gegenüberstellung mit den von ihr getragenen Kosten vor.
4 Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt Österreich die Beschwerde der mitbeteiligten Partei als unbegründet ab. Begründend führte das Finanzamt - soweit hier wesentlich - aus, da die mitbeteiligte Partei nicht mehr als die Hälfte der Kosten des Unterhalts ihrer Tochter getragen habe, bestehe kein Anspruch auf Familienbeihilfe.
5 Das Finanzamt Österreich legte dem Bundesfinanzgericht die Beschwerde der mitbeteiligten Partei über rechtzeitigen Vorlageantrag zur Entscheidung vor.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde der mitbeteiligten Partei gemäß § 279 BAO Folge, behob den angefochtenen Bescheid und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
7 Das Bundesfinanzgericht stellte nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens fest, die Tochter der mitbeteiligten Partei habe im Oktober 2022 mit einem Studium begonnen und dieses im Oktober 2023 abgebrochen. Sie lebe in einem eigenen Haushalt, sei im beschwerdegegenständlichen Zeitraum geringfügig beschäftigt gewesen und habe monatliche Bezüge in Höhe von 485,85 € erzielt.
8 Sowohl die mitbeteiligte Partei als auch der Kindesvater leisteten einen monatlichen Unterhaltsbeitrag in Höhe von jeweils 300 €. Die gesamten Unterhaltskosten für einen Monat betrügen laut Aufstellung der mitbeteiligten Partei 1.114,36 €. Die Unterhaltskosten würden überwiegend von den Eltern getragen.
9 Die Sachverhaltsfeststellungen ergäben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.
10 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesfinanzgericht aus, es sei strittig, ob die mitbeteiligte Partei oder die Tochter der mitbeteiligten Partei Anspruch auf Familienbeihilfe habe. Die Familienbeihilfe sei für den Zeitraum Oktober 2022 bis Oktober 2023 an die Tochter der mitbeteiligten Partei ausbezahlt worden.
11 Nach Wiedergabe der rechtlichen Grundlagen führte das Bundesfinanzgericht des Weiteren aus, im Beschwerdefall hätten der Vater und die Mutter (mitbeteiligte Partei) gleichermaßen 27 % des Unterhalts getragen. Insgesamt würden die Eltern die Unterhaltskosten daher überwiegend tragen. Ein Eigenanspruch des Kindes sei deshalb nicht gegeben.
12 Für dieses Auslegungsergebnis spreche auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2011/16/0055, demzufolge die Unterhaltszahlungen der Eltern nicht den vom Kind selbst aufgewendeten Beträgen gegenüberzustellen seien. Es sei zu prüfen, ob die Eltern mehr als die Hälfte der Unterhaltskosten durch die Unterhaltsbeiträge abgedeckt hätten. Da die mitbeteiligte Partei gemeinsam mit dem Kindesvater im beschwerdegegenständlichen Zeitraum die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend getragen habe, stehe ihr Familienbeihilfe zu. Der Beschwerde sei sohin stattzugeben. Die an die Tochter der mitbeteiligten Partei ausbezahlte Familienbeihilfe sei zurückzufordern.
13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Amtsrevision des Finanzamts Österreich, die das Bundesfinanzgericht dem Verwaltungsgerichtshof unter Anschluss der verwaltungsgerichtlichen Akten vorlegte. Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung in der sie ausführte, den überwiegenden Anteil des Unterhalts der Tochter selbst getragen zu haben und beantragte die Zuerkennung des Schriftsatzaufwandes.
14 In der Amtsrevision wird zur Zulässigkeit ausgeführt, dass es zur Fragestellung, ob und welchem der beiden vom Kind getrennt lebenden Elternteile der Anspruch auf Familienbeihilfe zukomme, wenn keiner von beiden allein überwiegend den Unterhalt für das Kind leiste, sondern beide zu gleichen Teilen für den überwiegenden Unterhalt des Kindes aufkämen, an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle. Das Bundesfinanzgericht weiche mit dem angefochtenen Erkenntnis auch von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Im Erkenntnis vom , 2004/15/0044, habe der Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass nur die von einer Person tatsächlich geleisteten Unterhaltsbeiträge für die Beurteilung maßgeblich seien.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
15 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
16 Gemäß § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein in § 2 Abs. 1 FLAG 1967 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
17 Gemäß § 6 Abs. 1 FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe auch minderjährige Vollwaisen, wenn sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (lit. a), ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist (lit. b) und für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist (lit. c).
18 Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat.
19 Nach § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 steht der Anspruch auf Familienbeihilfe vorrangig jener Person zu, zu deren Haushalt das Kind gehört. In diesem Fall kommt es aber nicht darauf an, von wem die Mittel für die gemeinsame Haushaltsführung stammen. Nur wenn keiner Person ein Anspruch auf Familienbeihilfe nach § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 zusteht, ist entscheidend, wer die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt (§ 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG 1967; vgl. auch ).
20 Es geht bereits aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG 1967 („Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört“) hervor, dass der Anspruch auf Familienbeihilfe aufgrund der überwiegenden Tragung der Unterhaltskosten des Kindes für ein Kind jeweils nur einer einzigen Person zusteht, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört.
21 Zudem bestimmt § 7 FLAG 1967, dass für ein Kind Familienbeihilfe nur einer Person gewährt wird (zum Anwendungsbereich des § 7 FLAG 1967 vgl. , mwN). Ausgehend von der Ansicht des Bundesfinanzgerichts hätten im Revisionsfall die mitbeteiligte Partei und der Vater gleichermaßen Anspruch auf Familienbeihilfe, weil infolge der Zusammenrechnung der von ihnen geleisteten Unterhaltsbeiträge beide Elternteile jeweils anspruchsberechtigt wären. Dem stehen sowohl die auf den Anspruch einer Person abstellenden Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG 1967, als auch die Anordnung des § 7 FLAG 1967 entgegen.
22 Somit ist für den Anspruch einer Person auf Familienbeihilfe nach § 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG 1967 ausschließlich auf die von der den Anspruch auf Familienbeihilfe erhebenden Person getragenen Unterhaltskosten des Kindes abzustellen.
23 Gegenstand des vom Bundesfinanzgericht zur Begründung seiner Rechtsansicht herangezogenen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2011/16/0055, war ein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe nach § 6 Abs. 5 FLAG 1967. Ob die Eltern einem Kind überwiegend Unterhalt leisten (§ 6 Abs. 5 FLAG 1967), hängt einerseits von der Höhe des gesamten Unterhaltsaufwandes für das Kind in einem bestimmten Zeitraum und andererseits von den tatsächlich von den Eltern geleisteten Unterhaltsbeiträgen ab (vgl. etwa das zu § 2 Abs. 2 FLAG 1967 ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2004/15/0044). Für die Beurteilung, ob einem Kind ein Eigenanspruch nach § 6 Abs. 5 FLAG 1967 zukommt, ist auf die Unterhaltsleistungen jedes Elternteils abzustellen, weil ein Eigenanspruch des Kindes nur in Betracht kommt, wenn kein Elternteil einen Anspruch auf Familienbeihilfe hat (vgl. die Gesetzesmaterialien zu der auch im Revisionsfall maßgeblichen Fassung des § 6 Abs. 5 FLAG 1967, BGBl. I Nr. 77/2018, Begründung des Initiativantrages 386/A 26. GP 2; vgl. auch ).
24 Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, hängt die Beurteilung, ob jemand die Unterhaltskosten für ein Kind überwiegend trägt, einerseits von der Höhe der gesamten Unterhaltskosten für ein den Anspruch auf Familienbeihilfe vermittelndes Kind in einem bestimmten Zeitraum und andererseits von der Höhe der im selben Zeitraum von dieser Person tatsächlich geleisteten Unterhaltsbeiträge ab (vgl. ; , 2009/15/0205, mwN).
25 Das Bundesfinanzgericht hätte demnach im Beschwerdeverfahren ausgehend von den getroffenen Feststellungen, wonach die mitbeteiligte Partei einen monatlichen Unterhaltsbeitrag iHv 300 € leistete, zum Ergebnis gelangen müssen, dass die mitbeteiligte Partei die Kosten des Unterhalts ihrer Tochter ab September 2022 nicht überwiegend getragen hat. Die vom Kindesvater im selben Zeitraum geleisteten Beiträge zu den Unterhaltskosten der Tochter waren bei der Beurteilung des Anspruchs der mitbeteiligten Partei nicht hinzuzurechnen.
26 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2024160063.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
ZAAAF-46483