VwGH 22.10.2024, Ra 2024/13/0058
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Norm | VwGG §28 Abs2 |
RS 1 | Die Anfechtungserklärung des revisionswerbenden Finanzamtes steckt den Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ab (vgl. auch das zu § 28 Abs. 2 VwGG idF vor der Änderung durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013, BGBl. I Nr. 33, ergangene hg. Erkenntnis vom , 2011/16/0260). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2015/16/0100 B RS 1 (hier: Zollamt) |
Normen | |
RS 2 | Mit der Sache des konkreten Verfahrens wird auch der Rahmen für die Abänderungsbefugnis im Rechtsmittelverfahren festgelegt (vgl. etwa ). Im Rahmen dieser "Sache" ist es Aufgabe des BFG, allfällige Rechtswidrigkeiten zu prüfen und die Aussprüche gegebenenfalls abzuändern. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2020/13/0012 E RS 1 |
Normen | |
RS 3 | Es entsprach der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers bei Einfügung des § 217 Abs. 10 BAO, dass bei zusammengefasster Festsetzung mehrerer Abgaben iSd § 201 Abs. 4 BAO auch die darauf zu entrichtenden Säumniszuschläge in einem Bescheid zusammengefasst festgesetzt werden können. Die Erleichterung der automationsunterstützten Festsetzung von Säumniszuschlägen war auch gerade das Motiv für die Änderung (insoweit - gegenüber der vorangegangenen Rechtslage - Einschränkung auf Abgaben eines Jahres) des § 201 Abs. 4 BAO. |
Entscheidungstext
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ra 2024/13/0059 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Lukacic-Marinkovic, über die Revision des Zollamts Österreich, Zollstelle Linz in 4020 Linz, Bahnhofplatz 7, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/5200012/2019, betreffend u.a. Säumniszuschläge für die Kalenderjahre 2003, 2004 und 2005 (mitbeteiligte Partei: W GmbH in L, vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Mölker Bastei 5), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang (Spruchpunkt II) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom setzte das Zollamt „die Altlastenbeitragsschuld für die in den jeweiligen Kalendervierteljahren des Kalenderjahres 2003“ in Kieswerken der Revisionswerberin abgelagerten Baurestmassen mit 156.931,20 € fest; auf ein beigefügtes Berechnungsblatt, in welchem die Bemessungsgrundlagen sowie Beiträge auf die einzelnen Quartale aufgegliedert wurde, werde verwiesen. Hinsichtlich dieser Abgabenschuld sei die Fälligkeit bereits mit Ablauf des 15. Tages des auf die jeweiligen Kalendervierteljahre der Ablagerung zweitfolgenden Kalendermonates eingetreten. Aus diesem Grund sei gemäß § 217 BAO ein Säumniszuschlag in Höhe von 3.138,62 € zu entrichten; eine Aufgliederung des Säumniszuschlages auf die einzelnen Quartale wurde nicht vorgenommen.
2 Mit weiteren Bescheiden vom setzte das Zollamt Altlastenbeitragsschulden „für die in den jeweiligen Kalendervierteljahren“ der Kalenderjahre 2004 und 2005 abgelagerten Baurestmassen fest, wozu auf beigefügte Berechnungsblätter verwiesen wurde; ebenso wurden Säumniszuschläge festgesetzt; eine Aufgliederung der Säumniszuschläge auf die einzelnen Quartale wurde nicht vorgenommen.
3 Die mitbeteiligte Partei erhob gegen diese Bescheide Berufungen.
4 Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wies das Zollamt die nunmehr als Beschwerden zu behandelnden Berufungen als unbegründet ab.
5 Die mitbeteiligte Partei beantragte, die Beschwerden dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerden betreffend Altlastenbeitrag als unbegründet ab (Spruchpunkt I). Betreffend Festsetzung eines Säumniszuschlages für die Kalenderjahre 2003, 2004 und 2005 wurden die Bescheide hingegen (ersatzlos) aufgehoben (Spruchpunkt II). Das Bundesfinanzgericht sprach aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei (Spruchpunkt III).
7 Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht - soweit für das vorliegende Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen aus, gemäß § 9 Abs. 2 ALSAG sei Anmeldungszeitraum das Kalendervierteljahr. Der im betreffenden Kalendervierteljahr selbst zu berechnende Altlastenbeitrag bilde somit den Sachverhalt des jeweiligen angefochtenen Bescheides. § 201 Abs. 4 BAO gelte nicht für Nebenansprüche. Daher seien gegebenenfalls mehrere Säumniszuschlagsbescheide auch dann zu erlassen, wenn eine zusammengefasste Festsetzung von Selbstberechnungsabgaben erfolge. Da im vorliegenden Fall eine zusammengefasste Festsetzung mehrerer Säumniszuschläge für jeweils ein gesamtes Kalenderjahr erfolgt sei, die Erlassung mehrerer Säumniszuschlagsbescheide für die jeweiligen Kalendervierteljahre aber unterblieben sei, seien die angefochtenen Bescheide über die zusammengefasste Festsetzung von Säumniszuschlägen aufzuheben gewesen. „Sache“ des Verfahrens sei die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des angefochtenen Bescheides gebildet habe. Das Bundesfinanzgericht dürfe nicht eine Abgabe - hier einen Säumniszuschlag für ein bestimmtes Kalendervierteljahr - erstmals vorschreiben.
8 Gegen dieses Erkenntnis, soweit damit die Festsetzung von Säumniszuschlägen aufgehoben wurde, wendet sich die vorliegende Revision des Zollamts. Zur Zulässigkeit wird geltend gemacht, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (Hinweis auf ).
9 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Die Revision ist zulässig und begründet.
12 Entgegen dem Vorbringen in der Revisionsbeantwortung ist die Anfechtungserklärung nicht unzureichend.
13 Gemäß § 28 Abs. 2 VwGG tritt bei Revisionen gegen Erkenntnisse, die (wie hier) nicht wegen Verletzung in Rechten erhoben werden, an die Stelle der Revisionspunkte die Erklärung über den Umfang der Anfechtung. Diesem Gebot ist etwa dann entsprochen, wenn die Revision die Angabe enthält, dass das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes wegen Rechtswidrigkeit angefochten werde (vgl. z.B. ; , Ra 2018/12/0002, mwN). Die Anfechtungserklärung steckt den Prozessgegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof ab (vgl. ).
14 Die Anfechtungserklärung zur vorliegenden Revision, die zwei verschiedene Erledigungen des Bundesfinanzgerichts bekämpft (vgl. weiters das Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2024/13/0059), wendet sich nach ihrer Anfechtungserklärung gegen die beiden genannten Erkenntnisse, diese „werden zu Teilen angefochten, jeweils in den Punkten der Aufhebung der Festsetzung des Säumniszuschlages.“ Eingangs der Revision wird auch ausgeführt, die angefochtenen Erledigungen des Bundesfinanzgerichtes würden „wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG“ angefochten. Damit ist aber der Anfechtungserklärung völlig eindeutig zu entnehmen, in welchem Umfang die beiden Erledigungen des Bundesfinanzgerichts angefochten werden, nämlich in dem Umfang, in welchem das Bundesfinanzgericht die Festsetzung von Säumniszuschlägen aufgehoben hat; dies betrifft im vorliegenden Verfahren Spruchpunkt II des Erkenntnisses des Bundesfinanzgerichts.
15 Entgegen dem Vorbringen in der Revisionsbeantwortung ist insoweit auch völlig klar, worin eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes behauptet werde, nämlich in der jeweiligen Entscheidung betreffend die Säumniszuschläge, die jeweils unterschiedliche Jahre betrifft.
16 In der Revisionsbeantwortung wird schließlich behauptet, der Spruch der erstinstanzlichen Bescheide sei in sich widersprüchlich; nach der Formulierung habe das Zollamt für ein Kalendervierteljahr jeweils jenen Säumniszuschlagsbetrag vorschreiben wollen, der sich auf ein Kalenderjahr hochgerechnet aufsummieren würde.
17 Diesem Vorbringen ist zunächst entgegenzuhalten, dass eine widersprüchliche Spruchgestaltung - wie in der Revisionsbeantwortung ohnehin ausgeführt - zwar eine inhaltliche Rechtswidrigkeit bewirken würde (vgl. ); eine ersatzlose Behebung würde dies aber nicht rechtfertigen:
18 Nach § 279 Abs. 1 BAO hat das Verwaltungsgericht (außer in den Fällen des § 278 BAO) immer „in der Sache selbst“ mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
19 „Sache“ ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches erster Instanz gebildet hat (vgl. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Ritz/Koran, BAO7, § 279 Tz 10).
20 Inhalt des Spruches der Bescheide erster Instanz war unzweifelhaft die Festsetzung von Altlastenbeiträgen (jeweils) für ein Kalenderjahr (wobei in Berechnungsblättern eine Aufgliederung auf die Quartale des Kalenderjahres erfolgte) samt Säumniszuschlägen bezogen auf diese Beiträge.
21 Mit der Sache des konkreten Verfahrens wird auch der Rahmen für die Abänderungsbefugnis im Rechtsmittelverfahren festgelegt (vgl. z.B. ). Im Rahmen dieser „Sache“ war es somit Aufgabe des Bundesfinanzgerichts, allfällige Rechtswidrigkeiten zu prüfen und die Aussprüche gegebenenfalls abzuändern oder klarzustellen. Der Umstand, dass die Festsetzung dieser Abgaben in (jeweils) einem einzigen Bescheiddokument erfolgte, rechtfertigt aber keine ersatzlose Behebung (vgl. dazu Ritz/Koran, aaO Tz 5 f).
22 Ordnen die Abgabenvorschriften (wie hier, § 9 Abs. 2 ALSAG) die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen an, so kann nach Maßgabe des § 201 Abs. 2 und muss nach Maßgabe des § 201 Abs. 3 BAO auf Antrag des Abgabepflichtigen oder von Amts wegen eine erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfolgen, wenn der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, keinen selbst berechneten Betrag der Abgabenbehörde bekannt gibt oder wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist (§ 201 Abs. 1 BAO).
23 Gemäß § 201 Abs. 4 BAO kann innerhalb derselben Abgabenart die Festsetzung mehrerer Abgaben desselben Kalenderjahres (Wirtschaftsjahres) in einem Bescheid zusammengefasst erfolgen.
24 In den Erläuterungen zum Initiativantrag (666/A 21. GP 44) zum Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz, BGBl. I Nr. 97/2002, mit welchem u.a. die Bestimmung des § 201 BAO neu gefasst wurde, wurde ausgeführt, die zusammengefasste Festsetzung mehrerer Abgaben derselben Abgabenart in einem Abgabenbescheid werde im § 201 Abs. 4 BAO auf Abgaben eingeschränkt, für die der Abgabenanspruch im selben Kalenderjahr entstanden sei. Dies solle u.a. die automationsunterstützte Festsetzung von Säumniszuschlägen (z.B. bei Dienstgeberbeiträgen) erleichtern.
25 Wird eine Abgabe, ausgenommen Nebengebühren (§ 3 Abs. 2 lit. d BAO), nicht spätestens am Fälligkeitstag entrichtet, so sind (nach näheren Maßgaben) gemäß § 217 Abs. 1 BAO Säumniszuschläge zu entrichten.
26 Nach § 217 Abs. 10 BAO sind Säumniszuschläge, die den Betrag von 50 Euro nicht erreichen, nicht festzusetzen. Dies gilt für Abgaben, deren Selbstberechnung nach Abgabenvorschriften angeordnet oder gestattet ist, mit der Maßgabe, dass die Summe der Säumniszuschläge für Nachforderungen gleichartiger, jeweils mit einem Abgabenbescheid oder Haftungsbescheid geltend gemachter Abgaben maßgebend ist.
27 In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (59 BlgNR 22. GP 296) zum Budgetbegleitgesetz 2003, BGBl. I Nr. 71, mit welchem in § 217 der Absatz 10 angefügt wurde, wurde ausgeführt, dass damit eine bisherige Weisung (AÖF 26/2002) durch eine inhaltsgleiche Regelung auf Gesetzesstufe ersetzt werde. In jener Weisung (AÖF 26/2002; „Anweisung gemäß § 206 lit. c BAO“) wurde u.a. ausgeführt, die Grenze (auch damals 50 €) beziehe sich bei mit Abgabenbescheid oder mit Haftungsbescheid geltend gemachten Nachforderungen von Selbstbemessungsabgaben auf die Summe der gleichartigen (jeweils mit einem Bescheid geltend gemachten) Abgaben. Als Beispiel wurden Nachforderungen an Lohnsteuer ausgeführt: für März 2002: 2.000 €; für April 2002: 1.000 € (weitere Beträge für 2003). Es ergingen zwei Haftungsbescheide (einer für März und April 2002, ein weiterer für Monate im Jahr 2003). Der Säumniszuschlag hinsichtlich Lohnsteuer 2002 betrage 2% von 3 000 Euro, somit 60 Euro.
28 Es entsprach damit der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers bei Einfügung des § 217 Abs. 10 BAO, dass (in Übernahme der Darlegungen der Finanzadministration) bei zusammengefasster Festsetzung mehrerer Abgaben iSd § 201 Abs. 4 BAO auch die darauf zu entrichtenden Säumniszuschläge in einem Bescheid zusammengefasst festgesetzt werden können. Die Erleichterung der automationsunterstützten Festsetzung von Säumniszuschlägen war auch gerade das Motiv für die Änderung (insoweit - gegenüber der vorangegangenen Rechtslage - Einschränkung auf Abgaben eines Jahres) des § 201 Abs. 4 BAO.
29 Entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts konnte daher das - freilich zu begründende - Ermessen (insoweit besteht volle Kognition des Bundesfinanzgerichts) dahin ausgeübt werden, dass eine Festsetzung (auch) der Säumniszuschläge jeweils für ein Kalenderjahr zusammengefasst erfolgt (vgl. , mwN).
30 Das angefochtene Erkenntnis war daher im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2024130058.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAF-46441