VwGH 19.12.2024, Ra 2023/15/0040
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des H S in K, vertreten durch Mag. Lukas Friedl, Rechtsanwalt in 4650 Lambach, Marktplatz 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/5101348/2020, betreffend u.a. Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Mit Sicherstellungsauftrag gemäß § 232 BAO vom ordnete das Finanzamt die Sicherstellung der Umsatzsteuer 2011 bis 2014 und der Einkommensteuer 2011 bis 2016 in Höhe von insgesamt 582.900 € in das Vermögen des Revisionswerbers an.
2 Diesen Bescheid vom hob das Finanzamt mit Bescheid vom gemäß § 299 Abs. 1 BAO mit der Begründung auf, dass sich der Spruch des aufgehobenen Bescheides als nicht richtig erweise; es fehle der gemäß § 232 Abs. 2 lit. c BAO anzuführende Vermerk, dass die Sicherstellung der Abgaben sofort vollzogen werden könne. Gleichzeitig erließ das Finanzamt einen neuen Sicherstellungsauftrag, der diesen Vermerk enthielt.
3 Der Revisionswerber brachte gegen den Bescheid vom , mit dem der Sicherstellungsauftrag vom aufgehoben wurde, Beschwerde ein. Begründend führte er aus, die Aufhebung wirkungsloser Bescheide sei im Gesetz nicht vorgesehen. Der mit dem Aufhebungsbescheid verbundene „neue“ Bescheid würde mit der Aufhebung des nach § 299 BAO ergangenen Bescheides seine Rechtsgrundlage verlieren.
4 Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung als unbegründet ab, woraufhin der Revisionswerber die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht (BFG) beantragte.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt wurde, sprach das BFG u.a. über die Beschwerde gegen den Aufhebungsbescheid vom ab und gab dieser keine Folge. Zur Begründung führte es aus, § 299 Abs. 1 BAO ermögliche die Aufhebung eines Bescheides, wenn sich der Spruch des Bescheides als nicht richtig erweise.
6 Damit ein Bescheid wirksam ergehe, müsse er bestimmte Mindesterfordernisse erfüllen. Zu diesen essentiellen Bescheidbestandteilen gehöre die Bezeichnung der Behörde, der Spruch sowie nach Maßgabe des § 96 BAO die Unterschrift und die Erkennbarkeit des Bescheidadressaten.
7 Im Erkenntnis vom , 2010/15/0064, habe der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, das gemäß § 93 Abs. 2 BAO jeder Bescheid unter anderem den Spruch zu enthalten habe. Erledigungen ohne Spruch (somit ohne normativen Inhalt) seien keine Bescheide.
8 Davon sei beim Sicherstellungsauftrag vom nicht auszugehen. Dieser Bescheid enthalte einen Spruch, aus dem hervorgehe, dass das Finanzamt die Sicherstellung in das Vermögen des Revisionswerbers für detailliert aufgeschlüsselte Abgabenansprüche anordne und die Hinterlegung eines jeweils bezifferten Betrages bewirke, dass Maßnahmen zur Vollziehung dieses Sicherstellungsauftrages unterblieben und diesbezüglich bereits vollzogene Sicherstellungsmaßnahmen aufgehoben würden.
9 Gemäß § 232 Abs. 2 lit. c BAO müsse ein Sicherstellungauftrag aber jedenfalls auch den Vermerk enthalten, dass die Anordnung der Sicherstellung sofort in Vollzug gesetzt werden könne. Dieser Vermerk fehle im Sicherstellungsauftrag vom . Daher sei der Spruch dieses Bescheides mangelhaft, er sei nicht richtig im Sinne des § 299 Abs. 1 BAO.
10 Entspreche der Spruch eines Sicherstellungsauftrages nicht den Anforderungen des § 232 Abs. 2 BAO, sei er aufzuheben.
11 Mit der gegenständlichen außerordentlichen Revision wird das Erkenntnis insoweit angefochten, als damit die Beschwerde gegen den Bescheid vom , mit dem der Sicherstellungsauftrag vom aufgehoben worden sei, als unbegründet abgewiesen wurde.
12 Die Revision trägt zu ihrer Zulässigkeit vor, es gebe keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob ein Sicherstellungsauftrag, dem der gemäß § 232 Abs. 2 lit. c BAO vorgeschriebene Vermerk, dass die Anordnung der Sicherstellung sofort in Vollzug gesetzt werden könne, fehle, dennoch wirksam, oder aber rechtlich unwirksam und als Bescheid nicht existent geworden sei. Zudem fehle - so das Zulässigkeitsvorbringen der Revision weiter - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, „ob der gemäß § 232 Abs. 2 lit. c BAO vorgeschriebene Vermerk, dass die Anordnung der Sicherstellung sofort in Vollzug gesetzt werden kann, einen Teil des Spruches eines Sicherstellungsauftrages bildet oder nicht“. Sollte der Vermerk kein Spruchbestandteil sein, sei die Aufhebung des Sicherstellungsauftrages vom gemäß § 299 BAO unzulässig und somit rechtswidrig erfolgt.
13 Das Finanzamt hat trotz Aufforderung hierzu keine Revisionsbeantwortung erstattet.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
15 Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
16 § 232 BAO idF des Abgabenverwaltungsreformgesetzes 2009 (AbgVRefG), BGBl. I Nr. 20/2009 lautet auszugsweise:
„§ 232. (1) Die Abgabenbehörde kann, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Abgabenvorschriften die Abgabepflicht knüpfen, selbst bevor die Abgabenschuld dem Ausmaß nach feststeht, bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit (§ 226) an den Abgabepflichtigen einen Sicherstellungsauftrag erlassen, um einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung der Abgabe zu begegnen. Der Abgabepflichtige kann durch Erlag eines von der Abgabenbehörde zu bestimmenden Betrages erwirken, daß Maßnahmen zur Vollziehung des Sicherstellungsauftrages unterbleiben und bereits vollzogene Maßnahmen aufgehoben werden.
(2) Der Sicherstellungsauftrag (Abs. 1) hat zu enthalten:
a) die voraussichtliche Höhe der Abgabenschuld;
b) die Gründe, aus denen sich die Gefährdung oder Erschwerung der Einbringung der Abgabe ergibt;
c) den Vermerk, daß die Anordnung der Sicherstellung sofort in Vollzug gesetzt werden kann;
d) die Bestimmung des Betrages, durch dessen Hinterlegung der Abgabepflichtige erwirken kann, daß Maßnahmen zur Vollziehung des Sicherstellungsauftrages unterbleiben und bereits vollzogene Maßnahmen aufgehoben werden.“
17 Gemäß § 299 BAO kann die Abgabenbehörde auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist.
18 Soweit die Revision den Standpunkt vertritt, dass ein Sicherstellungsauftrag, dem der gemäß § 232 Abs. 2 lit. c BAO vorgeschriebene Vermerk, dass die Anordnung der Sicherstellung sofort in Vollzug gesetzt werden könne, fehle, rechtlich unwirksam und als Bescheid nicht existent geworden sei, ist sie nicht im Recht.
19 Gemäß § 93 Abs. 2 BAO ist jeder schriftliche Bescheid ausdrücklich als solcher zu bezeichnen. Er hat einen Spruch zu enthalten und die Person (Personengemeinschaft) zu nennen, an die er ergeht. Ferner hat ein Bescheid, wenn dem ihm zu Grunde liegenden Anbringen nicht vollinhaltlich Rechnung getragen wird, oder er von Amts wegen erlassen wird, eine Begründung und jedenfalls eine Rechtsmittelbelehrung zu enthalten (§ 93 Abs. 3 BAO). Weiters gelten die für alle schriftlichen Ausfertigungen einer Abgabenbehörde in § 96 BAO normierten Voraussetzungen (Bezeichnung der Behörde, Datum, Unterschrift/Beglaubigung) auch für schriftliche Bescheide (vgl. ). Gemäß § 96 Abs. 2 BAO bedürfen aber Ausfertigungen, die mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung erstellt werden, weder einer Unterschrift noch einer Beglaubigung und gilt entsprechendes für Ausfertigungen in Form von Ausdrucken von mit einer Amtssignatur versehenen elektronischen Dokumenten sowie von Kopien solcher Ausdrucke.
20 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bestehen die Mindestanforderungen an einen Bescheid, dass eine an eine bestimmte Person gerichtete Erledigung die Bezeichnung der Behörde, den Spruch und die Unterschrift bzw. Beglaubigung enthält (vgl. etwa ), wobei in den gesetzlich vorgesehenen Fällen das Erfordernis einer Unterschrift bzw. Beglaubigung entfällt (§ 96 Abs. 2 BAO). Allerdings kann auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, dass die Behörde nicht nur einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch, dass sie normativ - also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend - eine Angelegenheit des Verwaltungsrechts entschieden hat (vgl. wiederum ).
21 Somit müssen Bescheide bestimmte Mindestanforderungen erfüllen, damit sie wirksam entstehen können und zu diesen Anforderungen zählen die Erkennbarkeit des Bescheidadressaten, der normative Abspruch und die Erkennbarkeit der bescheiderlassenden Behörde (vgl. , , Ra 2021/15/0052; , 2010/17/0114). Gemäß § 93 Abs. 2 BAO hat jeder Bescheid unter anderem den Spruch zu enthalten. Erledigungen ohne Spruch (somit ohne normativen Inhalt) sind keine Bescheide (vgl. ).
22 Gemäß § 97 Abs. 1 BAO werden Erledigungen dadurch wirksam, dass sie demjenigen bekannt gegeben werden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind.
23 Im gegenständlichen Fall spricht die Erledigung des Finanzamtes vom aus, dass die Sicherstellung der im Einzelnen angeführten Beträge an Umsatzsteuer 2011 bis 2014 und an Einkommensteuer 2011 bis 2016 im Vermögen des Revisionswerbers angeordnet wird. Damit wird der normative, nämlich rechtsgestaltende Inhalt der Erledigung klar zum Ausdruck gebracht. Solcherart weist die Erledigung einen „Spruch“ auf. Die weiteren, für den Bescheidcharakter der Erledigung erforderlichen Merkmale stehen genauso wenig in Streit wie die Zustellung der Erledigung an den Revisionswerber. Die Erledigung des Finanzamtes vom stellt somit einen wirksamen Bescheid dar.
24 Der Bescheid ist aus nachfolgenden Überlegungen auch einer Aufhebung gemäß § 299 BAO zugänglich.
25 Von den speziellen (zusätzlichen) Bescheidbestandteilen, die § 232 Abs. 2 BAO für den Sicherstellungsautrag vorschreibt, zählen manche zum Spruch des Bescheides, andere zur Begründung (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 232 Tz 7).
26 Der Spruch des Bescheides ist die Willenserklärung der Behörde, sein normativer (rechtsgestaltender oder rechtsfeststellender) Inhalt (vgl. die bei Ritz/Koran, BAO7, Tz 5 zu § 93 angeführte hg. Rechtsprechung).
27 Der zentrale normative Teil eines Sicherstellungsauftrages besteht in der Anordnung der Sicherstellung. Es liegt in der Natur des Sicherstellungsauftrages iSd § 232 BAO, dass dessen Vollziehung im abgabenbehördlichen oder gerichtlichen Sicherungsverfahren (vgl. § 233 Abs. 1 BAO) sofort erfolgen kann. Dass der Sicherstellungsauftrag auf die Möglichkeit des sofortigen Vollzugs ausgerichtet ist, ergibt sich bereits unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung des § 232 Abs. 1 BAO.
28 Der „Vermerk“ iSd § 232 Abs. 2 lit. c BAO stellt sohin keine Willensentscheidung und damit keinen konstitutiven normativen Akt der Behörde dar, sondern entspricht dem Grund nach einer bloßen Wiedergabe der gesetzlichen Rechtsfolge eines Sicherstellungsauftrages.
29 § 232 Abs. 2 lit. c BAO schreibt allerdings gesetzlich verpflichtend vor, dass ein Sicherstellungsauftrag den Vermerk, „daß die Anordnung der Sicherstellung sofort in Vollzug gesetzt werden kann“, zu enthalten hat. Das Vorliegen dieses Vermerks ist im Exekutionsverfahren von Bedeutung, weil der Sicherstellungsauftrag u.a. Grundlage für das gerichtliche Sicherungsverfahren ist und der Oberste Gerichtshof den Standpunkt vertritt, dass ein dafür geeigneter Titel nur dann vorliegt, wenn der Sicherstellungsauftrag den gesetzlich vorgeschriebenen Inhalt und somit auch den in § 232 Abs. 2 lit. c BAO geforderten Vermerk aufweist (vgl. z.B. ; , 3 Ob 56/94).
30 Bis zum Abgabenänderungsgesetz 2003 (AbgÄG 2003), BGBl. I Nr. 124/2003, konnte die Abgabenbehörde erster Instanz einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz nach § 299 Abs. 1 BAO von Amts wegen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufheben.
31 Mit dem AbÄG 2003 trat an die Stelle der in § 299 Abs. 1 BAO verwendeten Wortfolge „wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufheben“ die Wortfolge „aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist“. Laut den Erläuterungen sollte die sprachliche Angleichung im § 299 Abs. 1 BAO an die im § 201 Abs. 1 BAO verwendete Terminologie sicherstellen, dass das rechtspolitische Ziel der Änderung des § 201 BAO durch das Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz, nämlich die Harmonisierung der Rechtswirkungen (insbesondere im Bereich des Rechtsschutzes) von Selbstberechnungen und von Veranlagungsbescheiden, verwirklicht ist (vgl. 238 BlgNR 22. GP, 15). Eine Begrenzung der Behebungsmöglichkeit wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sollte durch die Änderung nicht bewirkt werden (vgl. idS Ritz/Koran, BAO⁷, § 299 RZ9).
32 Nach § 232 Abs. 2 lit. c BAO muss ein Sicherstellungsauftrag den Vermerk, „daß die Anordnung der Sicherstellung sofort in Vollzug gesetzt werden kann“, enthalten. Ein Sicherstellungsauftrag der diesen Vermerk nicht enthält kann - wie bereits ausgeführt - nicht die Grundlage für das gerichtliche Sicherungsverfahren bilden und stellt keinen für die Exekution zur Sicherstellung geeigneten Titel dar. Von einem solchen Sicherstellungsauftrag wird letztlich Vollzugsunfähiges postuliert, weshalb er sich als nicht richtig im Sinne des § 299 Abs. 1 BAO erweist.
33 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023150040.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAF-46342