VwGH 07.09.2023, Ra 2023/15/0001
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Norm | VwGG §46 Abs1 |
RS 1 | Der Fehler einer Kanzleimitarbeiterin eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes ist dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) dann als Verschulden anzulasten, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht gegenüber der Mitarbeiterin verletzt hat. Zu den Aufgaben des Rechtsanwaltes im Zusammenhang mit der Wahrung einer Frist gehört es, die Frist festzusetzen (zu berechnen), ihre Vormerkung anzuordnen und die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen (vgl. z.B. und 0071, sowie , 99/13/0248). Er hat Maßnahmen vorzukehren, die Fehleintragungen verhindern oder sie rechtzeitig als solche erkennen lassen, indem er z.B. eine andere geschulte und verlässliche Mitarbeiterin mit der laufenden Kontrolle der Eintragungen betraut oder selbst regelmäßig in kurzen Intervallen geeignete Überprüfungen durchführt. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/15/0051 B RS 1 (hier: "berufsmäßiger Parteienvertreter" statt "Rechtsanwalt") |
Norm | VwGG §46 Abs1 |
RS 2 | Die Frage, in welcher Form und binnen welcher Frist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof einzubringen ist, bedarf jedenfalls einer Beurteilung durch den einschreitenden Rechtsanwalt (vgl. zur Beurteilung der Einbringungsstelle hinsichtlich einer außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof etwa den B vom , Ra 2014/18/0006). Ein Irrtum einer anderen Person über Frist und Einbringungsart kann daher von vornherein keinen Wiedereinsetzungsgrund darstellen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2015/01/0061 B VwSlg 19260 A/2015 RS 3 (hier: nur der erste Satz; hier: "Vertreter" statt "Rechtsanwalt") |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über I. den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und II. die außerordentliche Revision jeweils der N L in O, vertreten durch die LeitnerLeitner GmbH Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 4040 Linz, Ottensheimer Straße 32, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/5100203/2019, betreffend u.a. eine einkommensteuerliche Angelegenheit, den Beschluss gefasst:
Spruch
I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
II. Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung stellte das Finanzamt fest, dass die in Österreich wohnhafte Revisionswerberin ausländische Kapitalerträge aus Stiftungen in Liechtenstein und Bankkonten in Liechtenstein und der Schweiz nicht erklärt hatte.
2 Das Finanzamt setzte auf Basis der Feststellungen der Außenprüfung die Einkommensteuer für die Jahre 2010 bis 2014 (samt Anspruchszinsen und Verspätungszuschlägen) fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem die Revision nicht zugelassen wurde, wies das Bundesfinanzgericht (BFG) die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab.
4 Dieses Erkenntnis wurde nach der in den Verwaltungsakten enthaltenen Posturkunde (Rückschein) am von einer Kanzleiangestellten des steuerlichen Vertreters der Revisionswerberin übernommen.
5 Mit Schriftsatz vom brachte die Revisionswerberin dazu vor, das revisionsgegenständliche Erkenntnis des BFG sei mittels RSb-Schreiben, adressiert an den steuerlichen Vertreter, versandt worden. Es sei von der Kanzleiangestellten Frau [...] entgegengenommen worden, wobei sie den Rückschein unterfertigt, vom gesamten Schreiben vor Abtrennung des Rückscheins eine Kopie erstellt und auf dieser einen Eingangsstempel der Kanzlei mit Datum des Zugangs „“ angebracht habe (Hinweis auf Anlage l). Anschließend sei der Rückschein abgetrennt und dem zustellenden Postbeamten übergeben worden. Dieser habe als Datum den eingetragen und sein Kurzzeichen auf dem Feld „Zusteller/in“ vermerkt. Es könne nicht weiter nachvollzogen werden, welches Datum als korrektes Zustelldatum anzusehen sei. Für einen Irrtum des Postbeamten spreche, dass auch im elektronischen Kanzleimanagement-System das Schreiben als fristauslösend mit von Frau [...] erfasst worden sei.
6 In Ergänzung zur Sachverhaltsdarstellung werde gemäß § 46 Abs. l VwGG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Frist zur Erstattung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom beantragt. Sollte entgegen den obigen Ausführungen davon ausgegangen werden, dass die Zustellung bereits per erfolgt sei, wäre die Revision als verspätet zu erachten. Dass es - unter Umständen - zu einer Verspätung gekommen sei, sei frühestens mit bekannt geworden. Da die Frist für einen Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 46 Abs. 3 VwGG zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses ende, sei gegenständlicher Antrag rechtzeitig.
7 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG sei einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäume und dadurch einen Rechtsnachteil erleide. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liege, hindere die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handle. Diesbezüglich sei auszuführen, dass es für die Revisionswerberin bzw. deren Vertreter keine Anhaltspunkte dafür gegeben habe, dass das Datum des Post-Stempels unrichtig sei. Wie bereits oben ausgeführt, sei der Rsb-Brief durch eine langjährige und verlässliche Mitarbeiterin des steuerlichen Vertreters entgegengenommen worden. Ein derartiger Fehler sei dieser bisher noch nie passiert. Zudem sei festzuhalten, dass der steuerlichen Vertretung der Revisionswerberin in den vergangenen Jahren eine Vielzahl an Dokumenten zugestellt worden sei, es hierbei allerdings noch nie derartige Probleme gegeben habe. Der steuerliche Vertreter habe in den vergangenen knapp 20 Jahren keinen einzigen Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Ein über einen minderen Grad des Versehens hinaus gehendes Verschulden könne gegenständlich vor diesem Hintergrund nicht zur Last gelegt werden. Dies habe der VwGH in einem vergleichbaren Fall bereits explizit ausgesprochen (Hinweis auf ).
8 Gemäß § 22 Abs. 1 Zustellgesetz ist die Zustellung vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein, Rückschein) zu beurkunden. Nach § 22 Abs. 2 leg. cit. hat der Übernehmer der Sendung die Übernahme durch Unterfertigung des Zustellnachweises unter Beifügung des Datums (und, wenn er nicht der Empfänger ist, seines Nahverhältnisses zu diesem) zu bestätigen.
9 Der Zustellnachweis ist eine öffentliche Urkunde, die nach § 47 AVG iVm § 292 ZPO die Vermutung der Richtigkeit für sich hat. Diese Vermutung ist widerlegbar, wobei die Behauptung der Unrichtigkeit des Beurkundeten entsprechend zu begründen ist und Beweise dafür anzuführen sind, die geeignet sind, die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa , mwN).
10 Der vorliegende Zustellnachweis gibt als Empfänger/in die Revisionswerberin zH. ihres Vertreters an. Die Übernahmebestätigung ist mit einer Unterschrift der Kanzleiangestellten, dem handschriftlich eingetragenen Datum „29092022“ sowie dem zum Übernahmeverhältnis angekreuzten Feld „Arbeitgeber/in bzw. Arbeitnehmer/in“ ausgefüllt, wobei Arbeitgeber/in durchgestrichen ist. Zusätzlich trägt der Rückschein auf dem Feld „Zusteller/in“ das Kurzzeichen des Zustellers und einen Rundstempel der Zustellbasis, dessen Datum zwar weitgehend verblasst ist, allerdings eine „2“ als Beginn erkennen lässt.
11 Die von der Revisionswerberin vorgelegte und von der Kanzleiangestellten angefertigte Kopie des Rückscheins weist hingegen nur die Unterschrift der Kanzleiangestellten aus; Datum und Übernahmeverhältnis sind nicht ausgefüllt. Zudem ist auf der Kopie ein (am originalen Rückschein nicht befindlicher) Eingangsstempel der Kanzlei mit angebracht.
12 Es ist daher davon auszugehen, dass der Zusteller - angesichts der unvollständigen Angaben der Kanzleiangestellten - die fehlenden Angaben im Übernahmefeld am Rückschein ergänzt hat, als er die erfolgte Zustellung gemäß § 22 Abs. 1 ZustellG mit dem Rundstempel und seinem Kurzzeichen beurkundete.
13 Für den Verwaltungsgerichtshof besteht angesichts des Vorbringens der Revisionswerberin kein Anlass, an der inhaltlichen Richtigkeit des am Rückschein ausgewiesenen Übergabedatums zu zweifeln, das auch zum Rundstempel passt. Dass sich demgegenüber die Erfassung der Revision im elektronischen Kanzleisystem der Revisionswerberin an dem auf der Kopie (fälschlich) angebrachten Eingangsstempel der Kanzlei mit einem anderen Datum orientiert hat, ist naheliegend und erschüttert diese Annahme nicht.
14 Die sechswöchige Revisionsfrist endete sohin mit (vgl. § 26 VwGG).
15 Die postalische Einbringung der Revision am erweist sich daher als verspätet.
16 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Ein minderer Grad des Versehens hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht.
17 Die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist stecken den Rahmen für die Untersuchung der Frage ab, ob ein Wiedereinsetzungsgrund gegeben ist (vgl. , mwN).
18 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis stellt einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt (vgl. , mwN).
19 Der Fehler einer Kanzleimitarbeiterin eines bevollmächtigten berufsmäßigen Parteienvertreters ist ihm (und damit der Partei) dann als Verschulden anzulasten, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht gegenüber der Mitarbeiterin verletzt hat. Zu den Aufgaben des berufsmäßigen Parteienvertreters im Zusammenhang mit der Wahrung einer Frist gehört es, die Frist festzusetzen (zu berechnen), ihre Vormerkung anzuordnen und die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Er hat Maßnahmen vorzukehren, die Fehleintragungen verhindern oder sie rechtzeitig als solche erkennen lassen, indem er z.B. eine andere geschulte und verlässliche Mitarbeiterin mit der laufenden Kontrolle der Eintragungen betraut oder selbst regelmäßig in kurzen Intervallen geeignete Überprüfungen durchführt. Macht ein Wiedereinsetzungswerber als Wiedereinsetzungsgrund ein Versehen eines Kanzleimitarbeiters seines bevollmächtigten berufsmäßigen Parteienvertreters geltend, so hat er durch konkrete Behauptungen im Wiedereinsetzungsantrag nicht nur darzutun, worin das Versehen bestanden hat, sondern auch darzulegen, dass es zur Fehlleistung des Kanzleiangestellten gekommen ist, obwohl die dem berufsmäßigen Parteienvertreter obliegenden Aufsichts- und Kontrollpflichten eingehalten wurden (vgl. etwa , mwN).
20 Der vorliegende Antrag auf Wiedereinsetzung erblickt das die Einhaltung der Revisionsfrist hindernde Ereignis darin, dass der bislang zuverlässigen Kanzleiangestellten des Vertreters der Revisionswerberin ein Fehler in der Erfassung des Übernahmedatums unterlaufen sei, der bislang noch nie vorgekommen sei. Für die Revisionswerberin bzw. deren Vertreter habe es keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass das Datum des Post-Stempels unrichtig sei. Es liege nur ein minderer Grad des Versehens vor.
21 Mit diesem Vorbringen gelingt es der Revisionswerberin schon deshalb nicht einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund im Sinn des § 46 Abs. 1 VwGG darzulegen, weil die Frage, in welcher Form und binnen welcher Frist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof einzubringen ist, jedenfalls einer Beurteilung durch den einschreitenden Vertreter bedarf. Im Übrigen hat nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes derjenige, der einen Wiedereinsetzungsantrag auf das Verschulden einer Hilfsperson stützt, schon im Wiedereinsetzungsantrag durch ein substantiiertes Vorbringen darzulegen, aus welchen Gründen ihn selbst kein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden trifft, etwa dass und in welcher Weise er die erforderliche Kontrolle ausgeübt hat (vgl. , mwN).
22 Ein derartiges Vorbringen enthält der vorliegende Antrag nicht.
23 So wird mit der vorliegenden Sachverhaltsdarstellung nicht aufgezeigt, dass der steuerliche Vertreter der Revisionswerberin in einer seiner Verantwortung zur Fristwahrung entsprechenden Weise tätig geworden wäre, indem er die Frist festgesetzt (berechnet) und ihre Vormerkung - allgemein oder konkret im Revisionsfall - angeordnet hat. Dabei hätte der einschreitende Vertreter im Revisionsfall auf der von der Kanzleiangestellten angefertigten (und mit dem Wiedereinsetzungsantrag vorgelegten) Kopie des Rückscheins jedenfalls ersehen können, dass von seiner Kanzleiangestellten im Übernahmefeld des Rückscheins selbst - entgegen § 22 Abs. 2 ZustellG - kein Übernahmedatum eingetragen worden ist und er sich folglich auf den lediglich auf der Kopie des Rückscheins angebrachten Eingangsstempel der Kanzlei für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit nicht ohne Weiteres verlassen konnte. Zudem enthält der Wiedereinsetzungsantrag keinerlei Vorbringen dazu, inwieweit die Kanzleiangestellte bei der Übernahme von Dokumenten auch schon in der Vergangenheit die in § 22 Abs. 2 ZustellG vorgesehene Datumsangabe unterlassen hat und - wenn ja - warum der Vertreter bei Durchsicht der von den Rückscheinen angefertigten Kopien seiner diesbezüglichen Überwachungs- und Kontrollpflicht nicht nachgekommen ist.
24 Dass der Revisionswerberin an der Versäumung der Revisionsfrist kein Verschulden oder ein lediglich minderer Grad des Versehens anzulasten wäre, wurde mit dem Wiedereinsetzungsantrag folglich nicht dargetan.
25 Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher gemäß § 46 Abs. 1 und Abs. 4 VwGG abzuweisen und die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am
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Norm | VwGG §46 Abs1 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023150001.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAF-46321