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VwGH 22.11.2023, Ra 2023/13/0048

VwGH 22.11.2023, Ra 2023/13/0048

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Norm
BAO §98 Abs2
RS 1
Gemäß § 98 Abs. 2 BAO gelten elektronisch zugestellte Dokumente als zugestellt, sobald sie in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind. Voraussetzung für die Wirksamkeit dieser Zustellung ist, dass der Empfänger Zugang zu diesem Speicherbereich hat (vgl. - mit näheren Hinweisen - ).
Normen
BAO §98 Abs2
FOnV 2006 §5b Abs1
VwRallg
ZustG §2 Z1
ZustG §5
RS 2
Als "Empfänger" ist im Zustellrecht im Allgemeinen der "formelle" Empfänger gemeint; dieser ist von der Behörde in der Zustellverfügung (§ 5 ZustG) zu bestimmen. Es handelt sich hiebei zwar im Regelfall um die Person, für die der Inhalt des zuzustellenden Dokuments bestimmt ist ("materieller Empfänger"); dies muss aber nicht der Fall sein (z.B. gesetzlicher Vertreter, Zustellungsbevollmächtigter; vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-AusführungsG 2013, BGBl. I Nr. 33/2013, 2009 BlgNR 24. GP 24 zu § 2 Z 1 ZuStG; vgl. weiters z.B. , mwN).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2022/13/0023 E RS 2
Norm
ZustG §13 Abs3
RS 3
Nach § 13 Abs 3 ZustG ist nur in dem Fall "zuzustellen", in dem

die Behörde als Empfänger eine juristische Person bestimmt, es

handelt sich um eine vom Zusteller zu beachtende Regelung. Sie

schließt aber nicht aus, daß bereits die Behörde in der

Zustellverfügung ein Organ der juristischen Person als

"Empfänger" bestimmt. Diesfalls ist nicht die juristische

Person, sondern das betreffende Organ "Empfänger" (im formellen

Sinn).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 90/16/0187 E RS 1 (hier ohne die ersten beiden Halbsätze)

Entscheidungstext

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):

Ra 2023/13/0047

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Tichy, über die Revisionen der K GmbH in W, vertreten durch Mag. Guido Zorn, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilerstätte 18-20, 1. gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2100067/2022, und 2. gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2100066/2022, jeweils betreffend Zwangsstrafe gemäß § 111 BAO (WiEReG), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss und das angefochtene Erkenntnis werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 2.212,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Schreiben vom forderte das Finanzamt die revisionswerbende Partei (eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung), zu Handen ihres Geschäftsführers, auf, die zu erstattende Meldung nach dem Wirtschaftliche Eigentümer Registergesetz (WiEReG) bis längstens nachzuholen. Falls die Revisionswerberin der Aufforderung nicht Folge leiste, werde gemäß § 111 BAO eine Zwangsstrafe in Höhe von 1.000 € festgesetzt werden.

2 Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt gegenüber der Revisionswerberin, zu Handen ihres Geschäftsführers, die Zwangsstrafe mit 1.000 € fest. Gleichzeitig wurde die Revisionswerberin aufgefordert, bis die bisher unterlassene Handlung nachzuholen. Falls dieser Aufforderung nicht Folge geleistet werde, werde eine weitere Zwangsstrafe in Höhe von 4.000 € festgesetzt werden.

3 Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt gegenüber der Revisionswerberin, zu Handen ihres Geschäftsführers, die weitere Zwangsstrafe mit 4.000 € fest.

4 Die Revisionswerberin erhob gegen die Bescheide vom und vom mit Eingaben vom Beschwerden. Sie machte jeweils geltend, aufgrund eines Irrtumes des Finanzamtes sei der FinanzOnline Zugangscode auf einen nicht berechtigten Online-Teilnehmer eingerichtet worden. Sohin sei keine ordnungsgemäße Zustellung erfolgt; die Zustellung sei nicht in den Verfügungsbereich des Empfängers erfolgt.

5 Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wies das Finanzamt die Beschwerde gegen den Bescheid vom als verspätet zurück und die Beschwerde gegen den Bescheid vom als unbegründet ab.

6 Die Revisionswerberin beantragte die Vorlage der Beschwerden zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht. Darin wurde insbesondere geltend gemacht, das Schreiben vom sowie die Bescheide vom und vom seien in eine fremde elektronische Databox zugestellt worden, obwohl bekannt gewesen sei, dass der Geschäftsführer der Revisionswerberin keinen Zugang zu dieser Databox gehabt habe. Die Zugangscodes zu der Databox seien von der ehemaligen Geschäftsführerin auf ihren Namen eingerichtet worden und seien nach ihrem Ausscheiden aus der Geschäftsführung verloren gegangen. Der aktuelle Geschäftsführer habe einen Antrag auf Ausstellung eines Zugangscodes gestellt; dieser Zugang sei jedoch neuerlich auf die bereits ausgeschiedene Geschäftsführerin ausgestellt und dieser eigenhändig zugestellt worden. Erst mit Schreiben vom sei dies richtiggestellt worden.

7 Mit dem erstangefochtenen Beschluss wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde gegen den Bescheid vom als nicht fristgerecht eingebracht zurück.

8 Mit dem zweitangefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde gegen den Bescheid vom als unbegründet ab.

9 Das Bundesfinanzgericht sprach jeweils aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

10 Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin sei eine im Jahr 2014 errichtete Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sie habe ihren Sitz in Österreich. Bis zum Abtretungsvertrag vom sei eine natürliche Person alleiniger Gesellschafter der Revisionswerberin gewesen; mit diesem Vertrag habe die M Ltd. mit Sitz in Irland die Geschäftsanteile übernommen. Mit Abtretungsvertrag vom habe die M Ltd. einen Teil ihrer Anteile an eine natürliche Person abgetreten.

11 Die Revisionswerberin habe bisher keine Meldung nach dem WiEReG abgegeben.

12 Das Erinnerungsschreiben vom sei der Revisionswerberin am , der Bescheid vom sei der Revisionswerberin am zugestellt worden (durch Einlangen in der Databox).

13 Die Revisionswerberin sei seit ohne Unterbrechung Teilnehmerin von FinanzOnline und nehme an der elektronischen Form der Zustellung über FinanzOnline teil. Die der Revisionswerberin zur Verfügung gestellten Zugangscodes seien nicht gesperrt gewesen.

14 Es sei auszuschließen, dass der Bescheid vom einem anderen Teilnehmer (etwa der ehemaligen Geschäftsführerin der Revisionswerberin) übermittelt worden sei. Es stehe vielmehr fest, dass der Bescheid in die Databox der Revisionswerberin eingelangt sei.

15 Zum Vorbringen der Revisionswerberin, nach dem Ausscheiden der ehemaligen Geschäftsführerin aus der Geschäftsführung sei der Zugangscode verloren gegangen, sei festzuhalten, dass es (im Hinblick auf die Bestimmung des § 1 Abs. 3 FinanzOnline-Verordnung 2006, wonach die Parteien, die an FinanzOnline teilnähmen, die Zugangskennungen sorgfältig zu verwahren hätten) für die Wirksamkeit der Zustellung nicht maßgebend sei, ob beim Wechsel der Geschäftsführung die Zugangskennungen verloren gegangen seien.

16 Das Vorbringen der Revisionswerberin, dem neuen Geschäftsführer seien die Zugangsdaten (zur Databox) erst mit Schreiben vom übermittelt worden, die der früheren Geschäftsführerin (der Ehefrau des nunmehrigen Geschäftsführers) übermittelten Zugangsdaten seien ihm nicht bekannt gewesen, sei nicht schlüssig. Die Revisionswerberin habe die ihr in die Databox zugestellten Dokumente bereits am gelesen; die Beschwerden gegen die Bescheide vom und datierten mit .

17 Der Bescheid vom sei an diesem Tag der Revisionswerberin wirksam zugestellt worden. Die Beschwerde vom 12. November sei somit nach Ablauf der Beschwerdefrist eingebracht worden.

18 Die Revisionswerberin (als Rechtsträger iSd WiEReG) hätte jährlich eine Überprüfung gemäß § 3 Abs. 3 WiEReG durchzuführen und eine Meldung gemäß § 5 Abs. 1 letzter Satz WiEReG abzugeben gehabt. Dies sei nicht erfolgt. Insbesondere sei mit der in nicht gehöriger Form an eine nicht zuständige Stelle erfolgten Mitteilung, die M Ltd. sei die wirtschaftliche Eigentümerin, keine wirksame Bekanntgabe erfolgt; der wirtschaftliche Eigentümer müsse eine natürliche Person sein.

19 Gegen diesen Beschluss und gegen dieses Erkenntnis wenden sich die vorliegenden Revisionen. Zur Zulässigkeit wird jeweils geltend gemacht, eine Zustellung elektronischer Dokumente setze nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf ) das Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers voraus. Elektronischer Verfügungsbereich sei ein Speicherbereich, auf den der Empfänger einen Zugang habe. Dies treffe aber im vorliegenden Fall nicht zu. Zustellungen könnten wirksam nur an die ausgewiesene steuerliche Vertretung oder an das vertretungsbefugte Organ erfolgen.

20 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat das Finanzamt jeweils eine Revisionsbeantwortung eingebracht.

21 Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Verbindung der Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung - erwogen:

22 Die Revisionen sind zulässig und begründet.

23 Gemäß § 111 Abs. 1 BAO sind die Abgabenbehörden berechtigt, die Befolgung ihrer auf Grund gesetzlicher Befugnisse getroffenen Anordnungen zur Erbringung von Leistungen, die sich wegen ihrer besonderen Beschaffenheit durch einen Dritten nicht bewerkstelligen lassen, durch Verhängung einer Zwangsstrafe zu erzwingen.

24 Bevor eine Zwangsstrafe festgesetzt wird, muss nach § 111 Abs. 2 BAO der Verpflichtete unter Androhung der Zwangsstrafe mit Setzung einer angemessenen Frist zur Erbringung der von ihm verlangten Leistung aufgefordert werden.

25 Wird die Meldung gemäß § 5 Wirtschaftliche Eigentümer Registergesetz (WiEReG) nicht erstattet, kann das Finanzamt deren Vornahme gemäß § 16 Abs. 1 WiEReG durch Verhängung einer Zwangsstrafe gemäß § 111 BAO erzwingen. Die Androhung der Zwangsstrafe ist mit Setzung einer Frist von sechs Wochen vorzunehmen.

26 Gemäß § 98 Abs. 2 BAO gelten elektronisch zugestellte Dokumente als zugestellt, sobald sie in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind. Voraussetzung für die Wirksamkeit dieser Zustellung ist, dass der Empfänger Zugang zu diesem Speicherbereich hat (vgl. - mit näheren Hinweisen - ).

27 Ein Zustellungsvollmacht iSd § 9 ZustG (vgl. zu dieser im Zusammenhang mit Aufforderungen nach dem WiEReG ; vgl. nunmehr auch § 16 Abs. 3 WiEReG idF BGBl. I Nr. 97/2023) lag im hier zu beurteilenden Fall nicht vor.

28 Als Empfänger ist im Zustellrecht im Allgemeinen der „formelle“ Empfänger gemeint; dieser ist von der Behörde in der Zustellverfügung (§ 5 ZustG) zu bestimmen. Es handelt sich hiebei zwar im Regelfall um die Person, für die der Inhalt des zuzustellenden Dokuments bestimmt ist („materieller Empfänger“); dies muss aber nicht der Fall sein (z.B. gesetzlicher Vertreter, Zustellungsbevollmächtigter; vgl. , mwN).

29 Ist der Empfänger - wie hier - keine natürliche Person, so ist das Dokument nach § 13 Abs. 3 ZustG einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine vom Zusteller zu beachtende Regelung (vgl. ). Sie schließt nicht aus, dass bereits die Behörde in der Zustellverfügung ein Organ der juristischen Person als „Empfänger“ bestimmt (vgl. ; , 2004/10/0082; , Ro 2016/09/0002). Diesfalls ist nicht die juristische Person, sondern das betreffende Organ „Empfänger“ im formellen Sinn (vgl. ; , 2007/03/0173, je mwN).

30 In der Revisionsbeantwortung wird geltend gemacht, mit dem in der Adressierung befindlichen Zusatz „z.H. [Geschäftsführer]“ sei lediglich zum Ausdruck gebracht worden, dass es sich beim Geschäftsführer um einen Vertreter iSd § 80 Abs. 1 BAO der Revisionswerberin handle. Bei objektiver Interpretation des Schreibens und der Bescheide kann aber nicht angenommen werden, dass lediglich eine derartige, völlig überflüssige Mitteilung erfolgen sollte; niemand bestritt (oder bestreitet), dass der genannte Geschäftsführer der Revisionswerberin deren Vertreter iSd § 80 Abs. 1 BAO ist. Dieser Zusatz kann - wie auch sonst (vgl. ; , Ra 2019/15/0115, mwN) - nur dahin verstanden werden, dass damit der Empfänger iSd § 5 ZustG genannt wurde.

31 Nach dieser - wie oben dargelegt von der Behörde wählbaren (zur Frage der Zweckmäßigkeit vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 13 ZustG Rz 11) - Bezeichnung des Empfängers war es aber für die Wirksamkeit der Zustellung erforderlich, dass die Erledigungen in den Verfügungsbereich des in der Zustellverfügung genannten Vertreters (bei Zustellung im Wege von FinanzOnline also in dessen „Databox“) gelangten (vgl. auch ). Die Zustellung der Dokumente erfolgte aber unbestritten in die „Databox“ der Gesellschaft.

32 Damit liegt eine wirksame Zustellung erst in dem Zeitpunkt vor, in dem das Dokument dem in der Zustellverfügung genannten Empfänger (Geschäftsführer) tatsächlich zugekommen ist (§ 7 ZustG). Ausgehend von den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts, wonach die Dokumente am gelesen wurden, erweist sich die Beschwerde vom - entgegen dem erstangefochtenen Beschluss - auch betreffend den Bescheid vom als rechtzeitig. Ebenfalls ausgehend von diesen Feststellungen wurde die mit Bescheid vom festgesetzte Zwangsstrafe - entgegen dem zweitangefochtenen Erkenntnis - vor ihrer Festsetzung nicht wirksam angedroht.

33 Die angefochtenen Entscheidungen waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

34 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
BAO §98 Abs2
FOnV 2006 §5b Abs1
VwRallg
ZustG §13 Abs3
ZustG §2 Z1
ZustG §5
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023130048.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
YAAAF-46278