VwGH 07.08.2023, Ra 2023/08/0091
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Blick auf die Feststellung der Pflichtversicherung nach dem ASVG bereits ausgeführt, dass in Fällen, in denen eine größere Anzahl an Personen auf der Grundlage übereinstimmender Verträge nach einem übereinstimmenden Geschäftsmodell für einen Dienstgeber tätig wird, die Behörde bzw. nunmehr das Verwaltungsgericht nicht verhalten sind, ohne Anhaltspunkte für einen maßgeblichen Unterschied der Tätigkeiten, nach solchen Unterschieden zu forschen (vgl. ; sowie ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2019/08/0019 B RS 1 |
Norm | ASVG §4 Abs2 |
RS 2 | Grundvoraussetzung für die Annahme persönlicher Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG und damit eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ist stets die persönliche Arbeitspflicht. Fehlt sie, dann liegt ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht vor. Persönliche Arbeitspflicht ist (unter anderem) dann nicht gegeben, wenn demjenigen, dessen Leistungserbringung zu beurteilen ist, eine generelle Vertretungsbefugnis bei Erbringung dieser Leistung eingeräumt ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/08/0322, mwN) oder wenn ein Beschäftigter die Leistung bereits übernommener Dienste jederzeit nach Gutdünken ganz oder teilweise sanktionslos ablehnen kann (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/08/0191, mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2013/08/0247 E RS 1 |
Normen | |
RS 3 | Selbst eine ausdrücklich vereinbarte Befugnis des Beschäftigten, bereits zugesagte Arbeitseinsätze jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu können, stünde im Verdacht, ein "Scheingeschäft" zu sein, wenn eine solche Vereinbarung mit den objektiven Anforderungen der Unternehmensorganisation nicht in Einklang zu bringen wäre (vgl. §§ 539 und 539a ASVG). Anders wäre ein Sachverhalt aber z.B. dann zu beurteilen, wenn der Dienstgeber einfache Aushilfsarbeiten derart organisiert, dass für deren Durchführung jederzeit mehrere abrufbare Arbeitskräfte zur Verfügung stehen ("präsenter Arbeitskräftepool"), und es ihm - nicht zuletzt wegen der Einfachheit der Arbeiten - gleichgültig ist, von welcher - gleichwertigen - Arbeitskraft aus dem potenziell zur Verfügung stehenden Kreis er die Arbeiten verrichten lässt. Steht dem Dienstgeber die Möglichkeit offen, im Falle der (jederzeit möglichen) Absage der von ihm in Aussicht genommenen Person aus dem "Pool" sofort die jeweils nächste Arbeitskraft abzurufen und stehen genügend Arbeitskräfte zur Verfügung, dann könnte der einzelne Teilnehmer am "Pool", mit dem dies vereinbart wurde oder dem dies bekannt ist, tatsächlich in Übereinstimmung mit dem Vereinbarten davon ausgehen, einzelne Arbeitsleistungen jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu dürfen (vgl. ; , 2012/08/0100). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/08/0099 B RS 3 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der P GmbH in W, vertreten durch Dr. Gerald Pichler, Rechtsanwalt in 4501 Neuhofen/Krems, Kremstalstraße 4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , L521 2231914-2/29E, betreffend Beitragsnachverrechnung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse; weitere Partei: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis verpflichtete das Bundesverwaltungsgericht - in Bestätigung eines Bescheides der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse) - die revisionswerbende Partei, näher aufgeschlüsselte nachverrechnete Sozialversicherungsbeiträge und Beiträge nach dem BMSVG sowie Verzugszinsen zu entrichten.
2 Der Nachverrechnung der Beiträge lag zugrunde, dass die für die revisionswerbende Partei als Zusteller von Speisen und Getränken tätigen Personen nunmehr als der Pflichtversicherung in der Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG unterliegende Dienstnehmer der revisionswerbenden Partei qualifiziert wurden.
3 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit wendet sich die Revision gegen die - als Vorfrage der Beitragsnachverrechnung vom Bundesverwaltungsgericht geprüfte - Annahme, die für als Zusteller von Speisen und Getränken tätigen Personen seien der Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG unterlegen, und bringt dazu zunächst vor, das Bundesverwaltungsgericht habe es unterlassen, die Dienstnehmereigenschaft der einzelnen Zusteller im jeweiligen Einzelfall zu überprüfen. Insofern sei es nicht ausreichend gewesen, die Frage nur aufgrund der vermeintlich gleichen Verträge für alle Zusteller gemeinsam zu beurteilen, sondern wären von Amts wegen die persönlichen Verhältnisse bei jedem einzelnen Zusteller zu erheben gewesen.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Blick auf die Feststellung der Pflichtversicherung nach dem ASVG bereits festgehalten, dass in Fällen, in denen - wie auch im vorliegenden Fall - eine größere Anzahl an Personen auf der Grundlage übereinstimmender Verträge nach einem übereinstimmenden Geschäftsmodell für einen Dienstgeber tätig wird, die Behörde bzw. nunmehr das Verwaltungsgericht nicht verhalten sind, ohne Anhaltspunkte für einen maßgeblichen Unterschied der Tätigkeiten nach solchen Unterschieden zu forschen (vgl. , mwN). Die Revision legt nicht dar, aufgrund welcher Umstände im vorliegenden Fall Erhebungen hinsichtlich der konkreten Tätigkeiten einzelner für die revisionswerbende Partei tätiger Zusteller durchzuführen gewesen wären bzw. was sich aus solchen Erhebungen ergeben hätte. Damit gelingt es der Revision nicht aufzuzeigen, dass dem Bundesverwaltungsgericht bei Ermittlung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes ein relevanter Verfahrensmangel unterlaufen wäre.
8 Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wird im Weiteren geltend gemacht, der Verwaltungsgerichtshof (Hinweis auf ) habe ausgesprochen, dass eine persönliche Arbeitspflicht dann zu verneinen sei, wenn ein Auftraggeber einfache Aushilfsarbeiten derart organisiere, dass für deren Durchführung jederzeit mehrere abrufbare Arbeitskräfte zur Verfügung stünden und es ihm gleichgültig sei, von welcher gleichwertigen Arbeitskraft aus dem potentiell zur Verfügung stehenden Kreis die Arbeiten verrichtet würden. In einem solchen Fall könne ein Auftraggeber nicht darauf vertrauen, dass ihm eine bestimmte Arbeitskraft zu einer bestimmten Zeit zur Verfügung stehe. Diese Voraussetzungen seien aber im vorliegenden Fall vorgelegen, sodass das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Beurteilung von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen sei.
9 Mit diesen Ausführungen spricht die Revision die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs an, wonach Grundvoraussetzung für die Annahme persönlicher Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG und damit eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses stets die persönliche Arbeitspflicht ist. Fehlt sie, dann liegt ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht vor. Persönliche Arbeitspflicht ist (unter anderem) dann nicht gegeben, wenn demjenigen, dessen Leistungserbringung zu beurteilen ist, eine generelle Vertretungsbefugnis bei Erbringung dieser Leistung eingeräumt ist oder wenn ein Beschäftigter die Leistung bereits übernommener Dienste jederzeit nach Gutdünken ganz oder teilweise sanktionslos ablehnen kann („sanktionsloses Ablehnungsrecht“). Der Empfänger der Dienstleistungen kann unter solchen Umständen nicht darauf bauen und entsprechend disponieren, dass dieser Beschäftigte an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit für Dienstleistungen vereinbarungsgemäß zur Verfügung steht. Die bloße Befugnis eines Erwerbstätigen, ihm angebotene Beschäftigungsmöglichkeiten auszuschlagen, berührt die persönliche Arbeitspflicht dagegen in keiner Weise, mag diese Befugnis auch als „sanktionsloses Ablehnungsrecht“ (in einem weiteren Sinn) bezeichnet werden. Zwischen der sanktionslosen Ablehnung der Erbringung einzelner Leistungen, etwa bei deren Abruf im Zuge einer Rahmenvereinbarung bei verpflichtender Tätigkeit im Fall der Zusage, und einem generellen sanktionslosen Ablehnungsrecht, das die persönliche Abhängigkeit ausschließt, ist ein deutlicher Unterschied zu machen (vgl. etwa , mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat insoweit auch darauf hingewiesen, dass selbst eine ausdrücklich vereinbarte Befugnis des Beschäftigten, bereits zugesagte Arbeitseinsätze jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu können, im Verdacht stünde, ein „Scheingeschäft“ zu sein, wenn eine solche Vereinbarung mit den objektiven Anforderungen der Unternehmensorganisation nicht in Einklang zu bringen wäre (vgl. §§ 539 und 539a ASVG). Anders wäre ein Sachverhalt aber z. B. dann zu beurteilen, wenn der Dienstgeber einfache Aushilfsarbeiten derart organisiert, dass für deren Durchführung jederzeit mehrere abrufbare Arbeitskräfte zur Verfügung stehen („präsenter Arbeitskräftepool“), und es ihm - nicht zuletzt wegen der Einfachheit der Arbeiten - gleichgültig ist, von welcher - gleichwertigen - Arbeitskraft aus dem potenziell zur Verfügung stehenden Kreis er die Arbeiten verrichten lässt. Steht dem Dienstgeber die Möglichkeit offen, im Falle der (jederzeit möglichen) Absage der von ihm in Aussicht genommenen Person aus dem „Pool“ sofort die jeweils nächste Arbeitskraft abzurufen und stehen genügend Arbeitskräfte zur Verfügung, dann könnte der einzelne Teilnehmer am „Pool“, mit dem dies vereinbart wurde oder dem dies bekannt ist, tatsächlich in Übereinstimmung mit dem Vereinbarten davon ausgehen, einzelne Arbeitsleistungen jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu dürfen (vgl. bis 0103, mwN).
10 Diese Rechtsprechung hat auch das Bundesverwaltungsgericht seiner Beurteilung zugrunde gelegt und insofern festgehalten, dass die Zusteller, sobald von ihnen nach einer Kontaktaufnahme durch die revisionswerbende Partei die Übernahme eines Dienstes zugesagt worden sei, nach den wahren Verhältnissen zur Leistung verpflichtet gewesen seien. Ein „präsenter Arbeitskräftepool“ im Sinn der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs habe bei der revisionswerbenden Partei nicht bestanden. Ein „sanktionsloses Ablehnungsrecht“ sei mit der (näher dargestellten) Unternehmensorganisation der revisionswerbenden Partei nicht vereinbar gewesen und sei den Zustellern nach den wahren wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zugestanden. Eine Unvertretbarkeit dieser Beurteilung legt die Revision nicht dar.
11 Der Revision gelingt es somit nicht, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuwerfen. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Dienstnehmer Begriff Persönliche Abhängigkeit |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023080091.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
FAAAF-46241