VwGH 12.06.2023, Ra 2023/04/0051
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Die Legitimation zur Revisionserhebung vor dem VwGH nach Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG wegen Verletzung in subjektiven Rechten setzt die Möglichkeit der Verletzung in subjektiv-öffentlichen Rechten voraus. Eine Revision kann derart - auf dem Boden der Rechtsprechung zur vorangehenden Bestimmung des Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Fassung vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 - nur unter Berufung auf eine eigene, gegen den Staat als Träger der Hoheitsgewalt gerichtete Interessensphäre der rechtsmittelwerbenden Partei erhoben werden (vgl. zu allem , Rn. 17; , Ro 2014/08/0029, Pkt. 7.2.; beide mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ro 2021/04/0019 B RS 2 |
Normen | |
RS 2 | Der erst- und drittrevisionswerbenden GmbH, deren jeweils alleiniger handelsrechtlicher Geschäftsführer und gewerberechtlicher Geschäftsführer der Zweitrevisionswerber ist, wurde jeweils mit Bescheiden der belangten Behörde die Gewerbeberechtigung entzogen. Dagegen erhoben jeweils nur die erst- und drittrevisionswerbende Partei Beschwerde, die mit den angefochtenen Erkenntnissen des VwG jeweils als unbegründet abgewiesen wurden. Dem Zweitrevisionswerber kam somit keine Parteistellung in den beiden Verfahren betreffend die Entziehung der Gewerbeberechtigung gemäß § 91 Abs. 2 GewO 1994 zu. Da er als Geschäftsführer der erst- sowie der drittrevisionswerbenden Partei jeweils kein aus § 91 Abs. 2 GewO 1994 ableitbares rechtliches Interesse hat, kommt ihm auch in dieser Funktion keine Parteistellung in den beiden Entziehungsverfahren zu (vgl. , mit Hinweis auf ). Dem Zweitrevisionswerber fehlt es daher an der Revisionslegitimation, weshalb dessen Revision zurückzuweisen war. |
Norm | |
RS 3 | "Schwerwiegende Verstöße", die den Tatbestand des § 87 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 verwirklichen, können auch vorliegen, wenn keine Bestrafung erfolgt ist. In einem solchen Fall hat die Behörde anhand des sich aus den Verstößen ergebenden Persönlichkeitsbildes des Gewerbetreibenden zu beurteilen, ob dieser die Zuverlässigkeit iSd § 87 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 besitzt (vgl. , mwN). |
Normen | GewO 1994 §87 Abs1 MRK Art6 Abs2 |
RS 4 | Die Entziehung der Gewerbeberechtigung dient nicht Strafzwecken, sondern stellt eine administrative Maßnahme dar, die den Zweck verfolgt, das Vertrauen der Kunden und Geschäftspartner von Gewerbetreibenden in die Zuverlässigkeit der Gewerbeausübung zu sichern (vgl. ). Derartige Verfahren unterliegen demnach nicht der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK (vgl. etwa zur Abweisung eines Antrages auf Verleihung bzw. Erstreckung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG 1985 , Rn. 15, mwN). |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2023/04/0052
Ra 2023/04/0053
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revisionen 1. der G GmbH und 2. des G H, beide vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , Zl. LVwG-2022/15/1692-5 (protokolliert zu Ra 2023/04/0051 und 0052), sowie 2. des G H und 3. der G GmbH, beide vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , Zl. LVwG-2022/22/1691-5 (protokolliert zu Ra 2023/04/0052 und 0053), betreffend jeweils Entziehung der Gewerbeberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Schwaz), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Zweitrevisionswerber ist jeweils alleiniger handelsrechtlicher Geschäftsführer und gewerberechtlicher Geschäftsführer sowohl der erst- als auch der drittrevisionswerbenden Partei. Alleingesellschafterin der erst- und drittrevisionswerbenden Partei ist jeweils die N N Vermögensverwaltungs GmbH, deren Alleingesellschafter der Zweitrevisionswerber ist.
Verfahrensgang zu Ra 2023/04/0051:
2 Mit Bescheid vom entzog die Bezirkshauptmannschaft Schwaz (belangte Behörde) der erstrevisionswerbenden Partei gemäß § 91 Abs. 2 iVm § 87 Abs. 1 Z 3 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) das „Gewerbe“ (die Gewerbeberechtigung) „Gastgewerbe in der Betriebsart Hotel“ im näher genannten Standort inklusive einer weiteren näher genannten Betriebsstätte in der Betriebsart Hotel, sowie die „Gewerbe“ (die Gewerbeberechtigung) „Handelsgewerbe“, „Gästewagengewerbe“, „Kosmetik“ und „Friseur“ im näher genannten Standort.
3 Die dagegen von der erstrevisionswerbenden Partei erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) mit Erkenntnis vom , LVwG-2022/15/1692-5, als unbegründet ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
4 Das Verwaltungsgericht stellte zusammengefasst fest, dass der Zweitrevisionswerber als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ der erstrevisionswerbenden Partei von der belangten Behörde für zahlreiche Verstöße gegen näher genannte Bestimmungen der 6. COVID-19-SchuMaV bzw. der 4. COVID-19-MV jeweils iVm näher genannten Bestimmungen des COVID-19-MG im Tatzeitraum bis zur Verantwortung gezogen worden sei, weil Gäste im Hotelbereich (Bar, Lobby, Restaurant) keine Masken getragen hätten bzw. keinen 2-G-Nachweis vorlegen hätten können, MitarbeiterInnen an ihrem Arbeitsplatz im Hotelbereich keine Masken getragen hätten bzw. keinen 3-G-Nachweis hätten vorlegen können, Gäste an der Hotelbar trotz Ausschankverbot direkt an der Ausgabestelle Getränke konsumiert hätten, der Zweitrevisionswerber am Arbeitsplatz keinen 3-G-Nachweis vorlegen habe können und der Gesundheitsbehörde der Zutritt ins Hotel verweigert worden sei.
Insgesamt seien gegen den Zweitrevisionswerber in diesem Zusammenhang drei näher dargestellte Straferkenntnisse von der belangten Behörde erlassen worden, gegen die der Zweitrevisionswerber keine Beschwerde jedoch jeweils Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde erhoben habe. Gegen die Abweisung der Wiedereinsetzungsanträge durch die belangte Behörde habe der Zweitrevisionswerber jeweils Beschwerde erhoben, über die das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden habe.
Gegen weitere sechs Straferkenntnisse der belangten Behörde habe der Zweitrevisionswerber jeweils Beschwerde erhoben, von denen bisher das Verwaltungsgericht eine Beschwerde gegen ein Straferkenntnis wegen Übertretung näher genannter Bestimmungen der 6. COVID-19-SchuMaV iVm näher genannten Bestimmungen des COVID-19-MG und eine Beschwerde wegen Übertretung nach § 367 Z 25 GewO 1994 im Zusammenhang mit der Sperre einer Notausgangstüre im Rahmen der behördlichen Kontrolle der COVID-19-Maßnahmen als unbegründet abgewiesen habe, während über die weiteren vier Beschwerden noch nicht entschieden worden sei.
Schließlich sei der Zweitrevisionswerber von der belangten Behörde wegen des Verdachts von vielfachen Übertretungen näher genannter Bestimmungen der 6. COVID 19-SchuMaV bzw. der 4. COVID-19-MV jeweils iVm näher genannten Bestimmungen des COVID-19-MG mehrmals zur Rechtfertigung aufgefordert worden, ohne dass bisher diesbezüglich Straferkenntnisse erlassen worden seien.
Überdies sei der Zweitrevisionswerber wegen einer Übertretung des Meldegesetzes, Strafdatum , einer Übertretung nach § 82 Abs. 1 SPG, Strafdatum , und einer Übertretung nach § 1 Abs. 1 iVm § 28 Abs. 1 Z 1a AuslBG, Strafdatum , verwaltungsbehördlich bestraft worden.
Mit Schreiben vom habe die belangte Behörde die erstrevisionswerbende Partei gemäß § 91 Abs. 2 GewO 1994 aufgefordert, den Zweitrevisionswerber, dem ein maßgeblicher Einfluss auf den Betrieb ihrer Geschäfte zustehe und der zahlreiche schwerwiegende Verstöße gegen die im Zusammenhang mit den ausgeübten Gewerben zu beachtenden Rechtsvorschriften und Schutzinteressen, wie insbesondere auch zur Wahrung des Ansehens des Berufsstandes, zu verantworten habe, innerhalb einer Frist von 10 Wochen zu entfernen. Die erstrevisionswerbende Partei sei dieser Aufforderung nicht nachgekommen.
Der Zweitrevisionswerber habe mehrfach ausdrücklich bekundet, sich nicht an die geltenden Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung halten zu wollen. Er habe deren Einhaltung im vollen Wissen um seine Verpflichtungen unterlassen und auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass er seine Meinung über die des Gesetz- und Verordnungsgebers stelle und nach eigenem Ermessen selbst beurteilen wolle, an welche Vorschriften zum Schutz der Gesundheit er sich bei Ausübung der Gewerbe der erstrevisionswerbenden Partei halten wolle. Das Verhalten des Zweitrevisionswerbers habe dem Ansehen des Berufsstandes schweren Schaden zu gefügt.
5 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, das wissentliche und beharrliche Negieren der zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie angeordneten Maßnahmen, die dem Schutz der menschlichen Gesundheit und dem Schutz des öffentlichen Gesundheitswesens vor einer nicht mehr zu bewältigenden Überlastung dienten, somit von Vorschriften zum Schutz der Gesundheit der Kunden, der MitarbeiterInnen und auf Grund der allgemein bekannten Dynamik dieser Pandemie letztendlich der gesamten Bevölkerung durch den Zweitrevisionswerber stelle einen sehr schwerwiegenden Verstoß gegen die mit den Gewerben der erstrevisionswerbenden Partei zu beachtenden Rechtsvorschriften iSd § 87 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 dar. Beim Zweitrevisionswerber sei auch nicht zu erkennen, dass er sich in Zukunft an maßgebliche Vorschriften zum Gesundheitsschutz halten werde. Vielmehr gehe er davon aus, dass er die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen selbst bewerten und damit letztlich unabhängig von geltenden Vorschriften selbst beurteilen möchte, welche Vorschriften für ihn gelten. Das aus dieser Anschauung zu gewinnende Persönlichkeitsbild des Zweitrevisionswerbers lasse jedenfalls erkennen, dass er auch bei einer künftigen Ausübung der gewerblichen Tätigkeit gegen die im Zusammenhang mit dem Gewerbe zu beachtenden öffentlichen Interessen verstoßen werde. Ebenso würden dieser Anschauung entsprechende Äußerungen des Zweitrevisionswerbers in den Medien das Ansehen des Berufsstandes schwerwiegend verletzen. Auf Grund des beharrlichen Verweigerns der Einhaltung dieser Schutzvorschriften besitze der Zweitrevisionswerber, als Person mit maßgeblichem Einfluss auf die Geschäfte der erstrevisionswerbenden Partei, Gewerbeinhaberin iSd § 91 Abs. 2 GewO 1994, nicht mehr über die für die Ausübung der Gewerbe erforderliche Zuverlässigkeit.
Verfahrensgang zu Ra 2023/04/0053:
6 Mit Bescheid vom entzog die belangte Behörde der drittrevisionswerbenden Partei gemäß § 91 Abs. 2 iVm § 87 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 das Gewerbe „Gastgewerbe in der Betriebsart Hotel“ im näher genannten Standort.
7 Die dagegen von der drittrevisionswerbenden Partei erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis vom , LVwG-2022/22/1691-5, als unbegründet ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
8 Die Begründung dieses Erkenntnisses entspricht jener des die erstrevisionswerbende Partei betreffenden Erkenntnisses, LVwG-2022/15/1692-5.
9 Gegen diese beiden Erkenntnisse erhoben sämtliche revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG, deren Behandlung der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , E 3114-3115/2022-6, ablehnte und die er dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
10 Unter anderem begründete der Verfassungsgerichtshof seinen Beschluss auszugsweise wie folgt:
„...
Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Rechtswidrigkeit der die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtsvorschriften (§ 91 Abs. 2 GewO 1994, § 8 Abs. 3, 4, 5 und 6 COVID-19-MG, § 2 Abs. 2 Z 3 und Z 4, § 7 Abs. 1, 2 und 4, § 8 Abs. 1, 2 und 3 sowie § 11 Abs. 3 6. COVID-19-SchuMaV und § 2 Abs. 2 Z 4 lit. a, § 6 Abs. 1 und 4, § 7 Abs. 2 und 3 sowie § 10 Abs. 3 4. COVID-19-MV) behauptet wird, lässt ihr Vorbringen - ungeachtet der Frage, ob sämtliche dieser Bestimmungen in den konkreten Verfahren präjudiziell sind - vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und von gesetzwidrigen Verordnungen als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben.
Ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot von Rechtsvorschriften gemäß Art. 18 Abs. 2 B-VG liegt im Hinblick auf die Wortfolge ‚diese Person zu entfernen‘ in § 91 Abs. 2 GewO 1994 nicht vor (zur Bestimmtheit und Auslegung von Rechtsvorschriften vgl. VfSlg. 8395/1978, 13.785/1994, 16.137/2001 mwN und VfSlg. 17.161/2004). Die ‚Aufforderung‘ der Gewerbebehörde an den Gewerbetreibenden entfaltet keine unmittelbaren Rechtswirkungen, sondern führt - für den Fall der Nichtbeachtung - zu einem eigenständigen Gewerbeberechtigungsentzugs- bzw. Widerrufsverfahren. In diesem folgenden Verfahren zur Entziehung der Gewerbeberechtigung stehen dem Inhaber der Gewerbeberechtigung sodann alle Rechtsschutzmöglichkeiten offen. Die rechtsstaatlichen Bedenken der Beschwerdeführer treffen somit nicht zu. Im Hinblick auf die weiteren Bedenken der Beschwerdeführer kann auf die ständige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art. 6 StGG (s. zB VfSlg. 10.179/1984, 11.937/1988, 12.921/1991, 15.038/1997, 15.700/1999, 16.120/2001, 16.734/2002 und 17.932/2006) verwiesen werden.
Mit der Frage der Gesetzes- bzw. Verfassungskonformität der Betretungsregelungen nach der 6. COVID-19-SchuMaV sowie der 4. COVID-19-MV hat sich der Verfassungsgerichtshof bereits eingehend befasst (vgl. vor allem , und ). Die dahingehenden Bedenken der Beschwerdeführer treffen nicht zu.
Wenn in der Beschwerde vorgebracht wird, die Maskenpflicht sei schädlich für die Gesundheit und überdies unwirksam, so ist auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (; , V 155/2021; , V 617/2020 ua.; , V 597/2020; , V 144/2022; , V 175/2022) zum Gebot des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes zu verweisen.
Der Verordnungsgeber hat seinen Entscheidungsspielraum auch nicht überschritten, wenn er in § 2 Abs. 2 Z 3 und Z 4 6. COVID-19-SchuMaV bzw. § 2 Abs. 2 Z 4 lit. a 4. COVID-19-MV einen Nachweis über eine geringe epidemiologische Gefahr von einer dazu ‚befugten Stelle‘ fordert.
Im Hinblick auf § 8 Abs. 3, 4, 5 und 6 COVID-19-MG ist festzuhalten, dass es sich bei den darin sanktionierten Verpflichtungen des Betriebsinhabers nicht um Zwangsarbeit im Sinne des Art. 4 EMRK bzw. des Art. 5 GRC handelt.
...“
11 In der Folge wurden die vorliegenden außerordentlichen Revisionen erhoben.
12 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
Zur Revisionslegitimation des Zweitrevisionswerbers (Ra 2023/04/0052):
15 Gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG kann gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes wegen Rechtswidrigkeit Revision erheben, wer durch das Erkenntnis in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.
16 Die Legitimation zur Revisionserhebung vor dem Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG wegen Verletzung in subjektiven Rechten setzt die Möglichkeit der Verletzung in subjektiv-öffentlichen Rechten voraus. Eine Revision kann derart - auf dem Boden der Rechtsprechung zur vorangehenden Bestimmung des Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Fassung vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 - nur unter Berufung auf eine eigene, gegen den Staat als Träger der Hoheitsgewalt gerichtete Interessensphäre der rechtsmittelwerbenden Partei erhoben werden.
17 Ob durch die Rechtsvorschriften subjektive Rechte eingeräumt werden, ist eine Frage der Auslegung der betreffenden Vorschriften des materiellen Rechtes. Nicht jede Norm des objektiven Verwaltungsrechts gewährt auch eine subjektive Berechtigung. Ein subjektiv-öffentliches Recht ist dann zu bejahen, wenn eine zwingende Vorschrift - und damit eine sich daraus ergebende Rechtspflicht der Verwaltung - nicht allein dem öffentlichen Interesse, sondern (zumindest auch) dem Interesse einzelner zu dienen bestimmt ist (vgl. zu alldem , Rn. 21, 22, jeweils mwN).
18 Unter dem Titel „3 Verletzte Rechte“ wird im Revisionsschriftsatz ausschließlich mit der Behauptung der Verletzung im Recht auf „Nichtentzug der Gewerbeberechtigung“ die Verletzung eines konkreten (vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend zu machenden) subjektiv-öffentlichen Rechts geltend gemacht. Demgegenüber wird mit der geltend gemachten Verletzung im Recht auf ein „ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren“ (vgl. , Rn. 5, mwN), auf „ordnungsgemäße Entscheidungsbegründung“ (vgl. , Rn. 7, mwN) und auf „Unschuldsvermutung“ (vgl. , Rn. 6, mwN) die Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert, somit nicht die Verletzung von konkreten subjektiv-öffentlichen Rechten und ein Revisionspunkt nach § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG, sondern vielmehr Revisionsgründe iSd § 28 Abs. 1 Z 5 VwGG, die nur in Verbindung mit der Verletzung eines aus einer materiell-rechtlichen Vorschrift ableitbaren subjektiven Rechts zielführend vorgebracht werden können (vgl. , Rn. 10, mwN). Ebenso handelt es sich bei der behaupteten Verletzung im Recht auf „Niederlassungsfreiheit“ um keinen Revisionspunkt nach § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG, sondern um einen Revisionsgrund iSd § 28 Abs. 1 Z 5 VwGG (vgl. , zur behaupteten Verletzung im Recht auf Ausübung der Dienstleistungsfreiheit). Mit der Geltendmachung einer Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf „Erwerbsfreiheit“ und „Unverletzlichkeit des Eigentums“ (vgl. , Rn. 11), in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten der EMRK (vgl. , Rn. 6) sowie im Recht auf „Anfechtung verfassungswidriger Verordnungen“ wird übersehen, dass der Verwaltungsgerichtshof zur Prüfung einer Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte gemäß Art. 133 Abs. 5 B-VG nicht berufen ist.
19 Es verbleibt somit einzig die behauptete Verletzung auf Nichtentzug der Gewerbeberechtigung als Revisionspunkt iSd § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG.
20 Vorliegend wurde jeweils der erst- und drittrevisionswerbenden Partei, deren jeweils alleiniger handelsrechtlicher Geschäftsführer und gewerberechtlicher Geschäftsführer der Zweitrevisionswerber ist, jeweils mit Bescheiden der belangten Behörde vom die Gewerbeberechtigung entzogen. Dagegen erhoben jeweils nur die erst- und drittrevisionswerbende Partei Beschwerde, die mit den angefochtenen Erkenntnissen des Verwaltungsgerichts jeweils als unbegründet abgewiesen wurden. Dem Zweitrevisionswerber kam somit keine Parteistellung in den beiden Verfahren betreffend die Entziehung der Gewerbeberechtigung gemäß § 91 Abs. 2 GewO 1994 zu. Da er als Geschäftsführer der erst- sowie der drittrevisionswerbenden Partei jeweils kein aus § 91 Abs. 2 GewO 1994 ableitbares rechtliches Interesse hat, kommt ihm auch in dieser Funktion keine Parteistellung in den beiden Entziehungsverfahren zu (vgl. , mit Hinweis auf ).
21 Dem Zweitrevisionswerber fehlt es daher an der Revisionslegitimation, weshalb dessen Revision bereits deswegen zurückzuweisen war.
Zu den Revisionen der erst- und drittrevisionswerbenden Partei (Ra 2023/04/0051 und 0053):
22 Gemäß § 87 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 ist die Gewerbeberechtigung von der Behörde zu entziehen, wenn der Gewerbeinhaber infolge schwerwiegender Verstöße gegen die im Zusammenhang mit dem betreffenden Gewerbe zu beachtenden Rechtsvorschriften und Schutzinteressen, insbesondere auch zur Wahrung des Ansehens des Berufsstandes, die für die Ausübung dieses Gewerbes erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt.
23 Ist der Gewerbetreibende - wie vorliegend - eine juristische Person und beziehen sich die in § 87 angeführten Entziehungsgründe sinngemäß auf eine natürliche Person, der ein maßgebender Einfluss auf den Betrieb der Geschäfte zusteht, so hat die Behörde gemäß § 91 Abs. 2 GewO 1994 dem Gewerbetreibenden eine Frist bekannt zu geben, innerhalb der er diese Person zu entfernen hat. Hat der Gewerbetreibende die genannte natürliche Person innerhalb der gesetzten Frist nicht entfernt, so hat die Behörde die Gewerbeberechtigung zu entziehen.
24 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt das Tatbestandsmerkmal der „schwerwiegenden Verstöße“ in § 87 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 voraus, dass sich aus den Verstößen unter Berücksichtigung der Art der verletzten Schutzinteressen und der Schwere ihrer Verletzung der Schluss ziehen lässt, der Gewerbetreibende sei nicht mehr als zuverlässig anzusehen. Eine solche Sichtweise ist auch vor dem Hintergrund des sich aus Art. 6 StGG ergebenden Gebotes der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in die Erwerbsfreiheit erforderlich (vgl. , Rn. 11, mwN).
25 „Schwerwiegende Verstöße“, die den Tatbestand des § 87 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 verwirklichen, können auch vorliegen, wenn keine Bestrafung erfolgt ist. In einem solchen Fall hat die Behörde anhand des sich aus den Verstößen ergebenden Persönlichkeitsbildes des Gewerbetreibenden zu beurteilen, ob dieser die Zuverlässigkeit iSd § 87 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 besitzt (vgl. , mwN).
26 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach klargestellt, dass die Erstellung der Prognose, die für die Frage der Berechtigung der Entziehung der Gewerbeberechtigung anzustellen ist, von den Umständen des Einzelfalls abhängt, die jeweils einer Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind. Wenn das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung die jeweiligen fallbezogenen Umstände im Rahmen der bestehenden Rechtsprechung gewürdigt hat und ihm im Rahmen dieser fallbezogenen Beurteilung keine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen ist, kann ein solches Erkenntnis nicht erfolgreich mit Revision angefochten werden (vgl. , Rn. 10, mwN).
27 Im Zulässigkeitsvorbringen monieren die revisionswerbenden Parteien, dass die „Heranziehung von Verwaltungsübertretungen für so schwerwiegende Entscheidungen wie den Entzug der gewerblichen Verlässlichkeit“ nicht mehr der näher dargestellten Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) zum unionsrechtlichen Kumulationsverbot und dem Widerruf der Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft entspreche bzw. die Begründung des Entzugs der Gewerbeberechtigungen mit nicht rechtskräftigen Bestrafungen der näher dargelegten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Unschuldsvermutung widerspreche.
28 Damit wird weder ein Abweichen von der dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch eine sonstige grundsätzliche Rechtsfrage aufgezeigt.
29 Aus dem Zulässigkeitsvorbringen ergibt sich nicht, inwiefern aus den erwähnten Urteilen des EuGH einerseits zur Verhängung von Geldstrafen wegen Verstoßes der unter Strafe gestellten unterlassenen Bereitstellung von Lohnunterlagen bei grenzüberschreitendem Arbeitskräfteeinsatz in Form von Mindeststrafen, die für jeden betroffenen Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden, andererseits zum Verlust der Unionsbürgerschaft durch Widerruf der Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft abzuleiten wäre, dass für die im Verfahren über die Entziehung einer Gewerbeberechtigung gemäß § 91 Abs. 2 iVm § 87 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 vorzunehmende Gesamtbetrachtung keine Verwaltungsübertretungen (sondern bloß strafgerichtliche Verurteilungen) heranzuziehen seien.
30 Soweit sich die Revisionen im Zulässigkeitsvorbringen auf Rechtsprechung des EGMR zur Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK beziehen, ist darauf hinzuweisen, dass die Entziehung der Gewerbeberechtigung nicht Strafzwecken dient, sondern eine administrative Maßnahme darstellt, die den Zweck verfolgt, das Vertrauen der Kunden und Geschäftspartner von Gewerbetreibenden in die Zuverlässigkeit der Gewerbeausübung zu sichern (vgl. ). Derartige Verfahren unterliegen demnach nicht der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK (vgl. etwa zur Abweisung eines Antrages auf Verleihung bzw. Erstreckung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG , Rn. 15, mwN).
31 Im Übrigen ist in der gesonderten Zulassungsbegründung konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. für viele , Rn. 16, mwN).
32 Diesem Erfordernis wird das Zulässigkeitsvorbringen mit der pauschalen Behauptung der mangelnden gesundheitspolitischen Notwendigkeit und Wirksamkeit von COVID-19-Schutzmaßnahmen nicht gerecht.
33 Unabhängig davon, dass auch die Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit nicht näher dargelegter Verordnungen sich ausschließlich auf allgemeine Behauptungen beschränkt, ist in diesem Zusammenhang auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , womit die Beschwerde der Revisionswerber gemäß Art. 144 B-VG abgewiesen wurde, und dessen oben auszugsweise wiedergegebene Begründung zu verweisen.
34 Sofern im Zulässigkeitsvorbringen auf ein Urteil des EGMR zur Verletzung der Versammlungsfreiheit durch ein in der Schweiz mittels einer „Corona-Verordnung“ erlassenes generelles Versammlungsverbots verwiesen wird, wird wiederum die Relevanz dieser Entscheidung für die beiden angefochtenen Erkenntnisse nicht dargetan, zumal sowohl der diesem Urteil zugrundeliegende Sachverhalt als auch die dort maßgebliche Rechtslage nicht annährend der vorliegend maßgeblichen Sach- und Rechtslage entsprechen.
35 In den Revisionen werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | AVG §8 B-VG Art133 Abs6 Z1 GewO 1994 §87 Abs1 GewO 1994 §87 Abs1 Z3 GewO 1994 §91 Abs2 MRK Art6 Abs2 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Nov 2012 VwGG §34 Abs1 VwRallg |
Schlagworte | Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023040051.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
PAAAF-46203