VwGH 22.08.2022, Ra 2022/16/0040
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | VwGG §63 Abs1 VwRallg |
RS 1 | Die Bindung des VwG gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an die im aufhebenden Erkenntnis geäußerte tragende Rechtsanschauung des VwGH (vgl. , mwN) besteht nicht bei einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage (vgl. ). Die Bindung ist somit insbesondere dann nicht mehr gegeben, wenn der Sachverhalt in einer für die Entscheidung erheblichen Weise von jenem abweicht, den der VwGH zunächst rechtlich beurteilt hat (vgl. , mwN). |
Normen | |
RS 2 | Die Vermutung der Echtheit und inhaltlichen Richtigkeit einer öffentlichen Urkunde ist widerlegbar (vgl. , mwN; vgl. zur Unrichtigkeit einer Niederschrift nach § 135 FinStrG ). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofräte Mag. Straßegger und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des G R in W, vertreten durch die Schneider Rechtsanwalts KG in 1030 Wien, Rechte Bahngasse 10/19D, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/7300037/2021, betreffend Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Amt für Betrugsbekämpfung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Zur Vorgeschichte des Revisionsfalls wird zunächst in sinngemäßer Anwendung des § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2021/16/0057 (im Folgenden: Vorerkenntnis), verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hob damit das im ersten Rechtsgang ergangene Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7300021/2021, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf.
2 Der Verwaltungsgerichtshof sprach im Vorerkenntnis aus, weder den Verwaltungsakten noch den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses sei entnehmbar, dass dem rechtsfreundlich vertretenen Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung vor der Finanzstrafbehörde eine Belehrung über das Erfordernis der Anmeldung einer Beschwerde erteilt worden wäre. Daher könne dem Revisionswerber nicht entgegengetreten werden, wenn er für sich in Anspruch nehme, dass ihm - und seinem Rechtsfreund - in der mündlichen Verhandlung vor der Finanzstrafbehörde keine derartige Belehrung zuteil geworden sei. Entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichtes stelle die Unterlassung einer solchen Belehrung jedenfalls ein unvorhergesehenes Ereignis im Sinn des § 167 Abs. 1 FinStrG dar, das, wenn hiedurch mangelnde Rechtskenntnis oder Rechtsirrtum über das Erfordernis einer Anmeldung der Beschwerde veranlasst worden sei, einen Wiedereinsetzungsgrund herstellen könne.
3 Mit dem im - nach dem Vorerkenntnis - fortgesetzten Verfahren ergangenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde des Revisionswerbers - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - erneut ab.
4 Das Bundesfinanzgericht führte - soweit hier wesentlich - aus, es sei davon auszugehen, dass im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Finanzstrafbehörde sowohl eine Rechtsmittelbelehrung über die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde als auch die Belehrung über die Verpflichtung zur Anmeldung der Beschwerde binnen einer Woche von der damaligen Verhandlungsleiterin erteilt worden sei. Die gegenteiligen Aussagen des Revisionswerbers und seines Rechtsvertreters seien hingegen als Verteidigungsstrategie einzustufen. Da eine Unterlassung der Belehrung als ein unvorhergesehenes Ereignis im Sinn des § 167 Abs. 1 FinStrG nicht stattgefunden habe, sei auch kein Rechtsirrtum über das Erfordernis einer Anmeldung der Beschwerde beim Verteidiger oder dem Revisionswerber veranlasst worden.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende - rechtzeitige - außerordentliche Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Zur Begründung der Zulässigkeit der Revision wird - auf das Wesentliche zusammengefasst - zunächst vorgebracht, das Bundesfinanzgericht habe sich über die im Vorerkenntnis zum Ausdruck kommende Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes hinweggesetzt, indem es den Antrag auf Wiedereinsetzung des Revisionswerbers (gemeint: die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der Finanzstrafbehörde) erneut abgewiesen habe. Der Verwaltungsgerichtshof sei im Vorerkenntnis unzweifelhaft davon ausgegangen, dass die erforderliche Rechtsmittelbelehrung unterlassen worden sei.
10 Mit diesen Ausführungen wird die Zulässigkeit der Revision nicht aufgezeigt.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Vorerkenntnis - wie eingangs dargestellt - ausgesprochen, die Unterlassung einer Belehrung über das Erfordernis der Anmeldung einer Beschwerde stelle - entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichtes - jedenfalls ein unvorhergesehenes Ereignis im Sinn des § 167 Abs. 1 FinStrG dar, das, wenn hiedurch mangelnde Rechtskenntnis oder Rechtsirrtum über dieses Erfordernis veranlasst wurde, einen Wiedereinsetzungsgrund herstellen könne. Da weder den Verwaltungsakten noch den Feststellungen des damals angefochtenen Erkenntnisses entnehmbar gewesen sei, dass in der mündlichen Verhandlung vor der Finanzstrafbehörde eine derartige Belehrung erteilt worden wäre, könne dem Revisionswerber nicht entgegengetreten werden, wenn er sich darauf beruft, dass diese Belehrung nicht erteilt worden sei.
12 Damit wurde allerdings nicht im Sinne des § 63 Abs. 1 VwGG bindend ausgesprochen, dass dem Revisionswerber die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Vielmehr wurde aufgezeigt, dass das Bundesfinanzgericht in Verkennung der Rechtslage - indem es die Relevanz der Erteilung einer Belehrung über das Erfordernis der Anmeldung einer Beschwerde verneinte - die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat, die die erfolgte Abweisung der Beschwerde - mangels Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes - zu tragen vermocht hätten. Die Aufhebung des Erkenntnisses im ersten Rechtsgang erfolgte somit im Ergebnis wegen eines sekundären Verfahrensmangels, der eine inhaltliche Rechtswidrigkeit im Sinne des § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG bildet (vgl. in diesem Sinne , mwN). Dem Bundesfinanzgericht war es daher im fortgesetzten Verfahren - entgegen der Ansicht des Revisionswerbers - gerade nicht verwehrt, ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen.
13 Im Übrigen ist anzumerken, dass die Bindung des Verwaltungsgerichtes gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an die im aufhebenden Erkenntnis geäußerte tragende Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. , mwN) bei einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage nicht besteht (vgl. ). Die Bindung ist somit insbesondere dann nicht mehr gegeben, wenn der Sachverhalt in einer für die Entscheidung erheblichen Weise von jenem abweicht, den der Verwaltungsgerichtshof zunächst rechtlich beurteilt hat (vgl. , mwN).
14 In nunmehr angefochtenen Erkenntnis hat das Bundesfinanzgericht die Feststellung getroffen, die Belehrung über das Erfordernis der Anmeldung einer Beschwerde sei durch die damalige Verhandlungsleiterin erteilt worden. Damit sei kein diesbezüglicher Rechtsirrtum veranlasst worden, ein als Wiedereinsetzungsgrund einzustufendes unvorhergesehenes Ereignis im Sinne des § 167 Abs. 1 FinStrG liege daher nicht vor. Damit hat das Bundesfinanzgericht im Einklang mit § 63 Abs. 1 VwGG den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand hergestellt.
15 Wenn der Revisionswerber im Zulässigkeitsvorbringen weiters einwendet, die Feststellung des Bundesfinanzgerichtes sei aktenwidrig, weil sie vom Inhalt der - als öffentliche Urkunde anzusehenden - Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Finanzstrafbehörde abweiche, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Vermutung der Echtheit und inhaltlichen Richtigkeit einer öffentlichen Urkunde widerlegbar ist (vgl. , mwN; vgl. zur Unrichtigkeit einer Niederschrift nach § 135 FinStrG ).
16 Das Bundesfinanzgericht hat die Feststellung, wonach die Belehrung über das Erfordernis der Anmeldung einer Beschwerde trotz Fehlens einer entsprechenden Protokollierung in der - daher insoweit unrichtigen bzw. unvollständigen - Niederschrift der mündlichen Verhandlung erteilt worden sei, auf die Aussagen der - teilweise schriftlich - einvernommenen Zeugen (u.a. der damaligen Verhandlungsleiterin) gestützt. Eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit der diesbezüglichen Beweiswürdigung zeigt die Revision in diesem Zusammenhang nicht auf (zum Prüfmaßstab vgl. , mwN).
17 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022160040.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
CAAAF-46135