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VwGH 22.02.2024, Ra 2022/13/0091

VwGH 22.02.2024, Ra 2022/13/0091

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
EStG 1988 §30 Abs2 Z1 lita idF 2012/I/112
EStG 1988 §30 Abs2 Z1 litb idF 2012/I/112
StabG 01te 2012
VwRallg
RS 1
Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Hauptwohnsitzbefreiung nach § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a und lit. b EStG 1988 ist die Aufgabe des Hauptwohnsitzes. Die ErlRV zum 1. StabG 2012 (1680 BlgNR 24. GP 8) führen hiezu aus: "Entsprechend dem Sinn und Zweck der Hauptwohnsitzbefreiung, der darin besteht, dass der Veräußerungserlös ungeschmälert zur Schaffung eines neuen Hauptwohnsitzes zur Verfügung steht, soll klargestellt werden, dass die Steuerbefreiung nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn der Hauptwohnsitz in diesem Eigenheim oder dieser Eigentumswohnung auch tatsächlich aufgegeben wird." Dem Veräußerer ist für die Adaptierung bzw. Errichtung des neuen Hauptwohnsitzes eine angemessene Frist einzuräumen, um dem erklärten Sinn und Zweck der Hauptwohnsitzbefreiung gerecht zu werden. Steht bei der Veräußerung die Absicht, den Hauptwohnsitz zu wechseln, bereits fest, kommt dem Veräußerer für die Aufgabe des Hauptwohnsitzes eine den Umständen des Einzelfalls nach angemessene Frist zu. Diese kann, wenn die Beschaffung des neuen Hauptwohnsitzes eine längere Zeit in Anspruch nimmt, auch über ein Jahr hinausgehen (vgl. ).
Normen
EStG 1988 §30 Abs2 Z1 lita idF 2012/I/112
EStG 1988 §30 Abs2 Z1 litb idF 2012/I/112
RS 2
Die Befreiungsbestimmung nach § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a und lit. b EStG 1988 knüpft als Voraussetzung daran an, dass der Hauptwohnsitz am veräußerten Grundstück aufgegeben wird. Auch wenn die Regelung den Zweck verfolgt, für die Schaffung eines neuen Hauptwohnsitzes den Veräußerungserlös ungeschmälert zur Verfügung zu haben, bedeutet dies nicht, dass jede Hauptwohnsitzaufgabe in der Zukunft (nach der Veräußerung) bereits die Befreiungsbestimmung erfüllt.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma, den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamtes Österreich, Dienststelle Wien 2/20/21/22 in 1220 Wien, Dr. Adolf Schärf-Platz 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7102709/2018, betreffend Einkommensteuer 2014 (mitbeteiligte Partei: M in W, vertreten durch TAXPLAN Steuerberatungsgesellschaft mbH in 1220 Wien, Tokiostraße 11/3/36), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Kaufverträgen vom veräußerte der Mitbeteiligte ein Grundstück, auf dem er seit 1982 seinen Hauptwohnsitz gehabt hatte. Das Finanzamt schrieb nach einer Außenprüfung Immobilienertragsteuer vor. Der Mitbeteiligte erhob fristgerecht Beschwerde. Nach teilweise stattgebender Beschwerdevorentscheidung stellte der Mitbeteiligte einen Vorlageantrag.

2 Das Bundesfinanzgericht gab der Beschwerde teilweise Folge. Es stellte fest, dass der Hauptwohnsitz vom Mitbeteiligten am aufgegeben worden sei. Im Rahmen der Veräußerung sei dem Mitbeteiligten von der Käuferseite eine prekaristische Nutzung der veräußerten Grundstücke eingeräumt worden. Zur Sicherung der Rückgabeverpflichtung sei ein gerichtlicher Räumungsvergleich zum abgeschlossen worden. Mit Kaufvertrag vom habe der Mitbeteiligte ein unbebautes Grundstück erworben. Auf dieser Liegenschaft habe der Mitbeteiligte ein Wohngebäude errichtet und an dieser Anschrift in der Folge am (am Tag der Abmeldung des Hauptwohnsitzes an der anderen Adresse) seinen Hauptwohnsitz begründet. Am sei die Baubeginnanzeige erfolgt. Die Baubewilligung für die Errichtung eines Wohnhauses, einer Garage mit Nebengebäude und einer landwirtschaftlichen Mehrzweckhalle sei am erteilt worden. Betreffend Lagerhalle sei für den Leistungszeitraum Oktober 2015 bis Juli 2016 eine Rechnung über 362.298,01 € gelegt worden. Weitere Rechnungen über den Bau einer Mehrzweckhalle für Oktober 2015 bis September 2016 seien ebenfalls gelegt worden. Für die Errichtung des Einfamilienhauses seien beginnend mit Rechnungen gelegt worden. Möbel seien im März 2016 erworben worden. Die Arbeiten seien großteils erst nach über einem Jahr ab Veräußerung erfolgt. Errichtet worden sei ein Wohnhaus und unmittelbar daneben gelegen eine große Mehrzweckhalle. Zwischen der Veräußerung der Liegenschaft und der Aufgabe des Hauptwohnsitzes lägen drei Jahre.

3 Von der Besteuerung ausgenommen seien die Einkünfte aus der Veräußerung von Eigenheimen oder Eigentumswohnungen samt Grund und Boden, wenn sie dem Veräußerer ab der Anschaffung bis zur Veräußerung für mindestens zwei Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient hätten und der Hauptwohnsitz aufgegeben werde. Dem Veräußerer komme eine den Umständen des Einzelfalls nach angemessene Frist für die Aufgabe des Hauptwohnsitzes zu. Dass es sich sowohl beim Grundstücksverkauf als auch beim nachfolgenden Grundstücksankauf (beides innerhalb von Wien) um keine gewöhnlichen/üblichen Grundstückstransaktionen gehandelt habe, bedürfe im Hinblick auf a) die Größe der Grundstücke, b) deren Bebauung mit privat und betrieblich genutzten Gebäuden und c) unter Bedachtnahme auf deren Lage keiner weiteren Ausführungen. Ausgehend vom Umstand, dass der Mitbeteiligte bereits etwas mehr als drei Monate nach Veräußerung der in Rede stehenden Liegenschaft(en) eine neue, unbebaute Liegenschaft, auf welcher er in der Folge seinen neuen Hauptwohnsitz begründet habe, erworben habe, sei bei Berücksichtigung der im voranstehenden Absatz angeführten besonderen Umstände ein Zusammenhang zwischen der Veräußerung des alten Wohnsitzes und der Schaffung des neuen Wohnsitzes als gegeben und die Frist zwischen der Veräußerung und der Aufgabe des alten Hauptwohnsitzes aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles für angemessen zu erachten. Die Hauptwohnsitzbefreiung stehe demnach zu.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Finanzamtes, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil es die Hauptwohnsitzbefreiung angewendet habe, obwohl aufgrund der Vertragsgestaltung offenkundig gewesen sei, dass die mitbeteiligte Partei ihren Hauptwohnsitz auf der veräußerten Liegenschaft nicht in absehbarer Zeit aufzugeben gewillt gewesen sei. Sie habe sich ausbedungen, den Hauptwohnsitz noch für rund dreieinhalb Jahre aufrechtzuerhalten. Weiters sei eine Frist von dreieinhalb Jahren nicht als angemessen zu werten. Die Angemessenheit des weit über ein Jahr hinausgehenden Zeitraumes für die Schaffung eines neuen Hauptwohnsitzes habe das Bundesfinanzgericht mit den besonderen subjektiven Vorstellungen der mitbeteiligten Partei über die genaue Beschaffenheit des Ersatzgrundstückes, auf dem der neue Hauptwohnsitz errichtet werden solle, begründet. Wenn subjektive Vorstellungen über die Beschaffenheit des Ersatzwirtschaftsgutes bereits die Befreiungsvoraussetzungen erfüllen sollten, könne der Zeitraum zur Aufgabe des Hauptwohnsitzes auf unabsehbare Zeit erstreckt werden.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, erwogen:

6 Die Revision ist zulässig und begründet.

7 § 30 EStG 1988 in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2012, BGBl. I Nr. 112/2012, lautet auszugsweise:

„§ 30. (1) Private Grundstücksveräußerungen sind Veräußerungsgeschäfte von Grundstücken, soweit sie keinem Betriebsvermögen angehören. Der Begriff des Grundstückes umfasst Grund und Boden, Gebäude und Rechte, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen (grundstücksgleiche Rechte). (...)

(2) Von der Besteuerung ausgenommen sind die Einkünfte:

1. Aus der Veräußerung von Eigenheimen oder Eigentumswohnungen samt Grund und Boden (§ 18 Abs. 1 Z 3 lit. b), wenn sie dem Veräußerer

a) ab der Anschaffung bis zur Veräußerung für mindestens zwei Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient haben und der Hauptwohnsitz aufgegeben wird oder

b) innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Veräußerung mindestens fünf Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient haben und der Hauptwohnsitz aufgegeben wird.

(...)“

8 Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Hauptwohnsitzbefreiung nach § 30 Abs. 2 Z 1 lit. a und lit. b EStG 1988 ist die Aufgabe des Hauptwohnsitzes. Die ErlRV zum 1. StabG 2012 (1680 BlgNR 24. GP 8) führen hiezu aus:

„Entsprechend dem Sinn und Zweck der Hauptwohnsitzbefreiung, der darin besteht, dass der Veräußerungserlös ungeschmälert zur Schaffung eines neuen Hauptwohnsitzes zur Verfügung steht, soll klargestellt werden, dass die Steuerbefreiung nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn der Hauptwohnsitz in diesem Eigenheim oder dieser Eigentumswohnung auch tatsächlich aufgegeben wird.“

9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dem Veräußerer für die Adaptierung bzw. Errichtung des neuen Hauptwohnsitzes eine angemessene Frist einzuräumen, um dem erklärten Sinn und Zweck der Hauptwohnsitzbefreiung gerecht zu werden. Steht bei der Veräußerung die Absicht, den Hauptwohnsitz zu wechseln, bereits fest, kommt dem Veräußerer für die Aufgabe des Hauptwohnsitzes eine den Umständen des Einzelfalls nach angemessene Frist zu. Diese kann, wenn die Beschaffung des neuen Hauptwohnsitzes eine längere Zeit in Anspruch nimmt, auch über ein Jahr hinausgehen (vgl. ).

10 In dem damals entschiedenen Fall hatte die mitbeteiligte Partei das für den neuen Hauptwohnsitz erforderliche Grundstück bereits vor der Veräußerung des alten Hauptwohnsitzes angeschafft. Die Errichtung des neuen Hauptwohnsitzes wurde nach Maßgabe der finanziellen und rechtlichen Möglichkeiten nachdrücklich betrieben. Nur aufgrund von Verzögerungen, die die Mitbeteiligte nicht zu vertreten hatte, war es nicht gelungen, binnen eines Jahres nach Abschluss des Kaufvertrages den neuen Hauptwohnsitz zu errichten.

11 Die Befreiungsbestimmung knüpft als Voraussetzung daran an, dass der Hauptwohnsitz am veräußerten Grundstück aufgegeben wird. Auch wenn die Regelung den Zweck verfolgt, für die Schaffung eines neuen Hauptwohnsitzes den Veräußerungserlös ungeschmälert zur Verfügung zu haben, bedeutet dies nicht, dass jede Hauptwohnsitzaufgabe in der Zukunft (nach der Veräußerung) bereits die Befreiungsbestimmung erfüllt.

12 Im Revisionsfall hat sich der Mitbeteiligte im Vertrag ein dreieinhalb Jahre andauerndes „Prekarium“ ausbedungen, wodurch der Hauptwohnsitz vertraglich abgesichert noch weiterhin in dem veräußerten Gebäude beibehalten werden konnte. Eine Liegenschaft für die Errichtung eines neuen Hauptwohnsitzes wurde erst Monate nach der Veräußerung erworben; erst ca. ein Jahr nach der Veräußerung ist die Bauanzeige erfolgt. Dafür, dass für diese Zeiträume Verzögerungen, die nicht in der Sphäre des Mitbeteiligten gelegen sind, verantwortlich wären, gibt es keine Anhaltspunkte in den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts. Der Revisionsfall ist somit nicht mit dem vom Verwaltungsgerichtshof zu Ro 2015/15/0006 entschiedenen Fall vergleichbar.

13 Eine Begründung dafür, wieso die Lage des Grundstücks, die Größe des Grundstücks oder deren Bebauung mit privat und betrieblich genutzten Gebäuden besondere Umstände begründen würden, die einen Zeitraum von drei Jahren als angemessene Frist für die Aufgabe des Hauptwohnsitzes begründen könnten, bleibt das Bundesfinanzgericht schuldig. Es hält lediglich fest, dass es keiner weiteren Ausführungen dazu bedürfe, dass es sich um keine gewöhnlichen/üblichen Grundstückstransaktionen gehandelt habe.

14 Der Mitbeteiligte hat sich für dreieinhalb Jahre ein „Prekarium“ ausbedungen, was dafür spricht, dass er bereits bei der Veräußerung die Absicht hatte, den Hauptwohnsitz für einen längeren Zeitraum nicht aufzugeben. Eine von vorneherein angestrebte derart lange Frist kann nicht ohne weiteres als angemessen beurteilt werden.

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtwidrigkeit aufzuheben.

Wien, am

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Normen
EStG 1988 §30 Abs2 Z1 lita idF 2012/I/112
EStG 1988 §30 Abs2 Z1 litb idF 2012/I/112
StabG 01te 2012
VwRallg
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2022130091.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
GAAAF-46031