VwGH 29.06.2022, Ra 2021/15/0032
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Vorarlberg in 6800 Feldkirch, Reichsstraße 154, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/1100159/2017, betreffend Einkommensteuer 2014 (mitbeteiligte Partei: C W in R, vertreten durch Mag. Andreas Germann, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Scheffelstraße 7a), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein Grenzgänger in die Schweiz, machte in seiner Einkommensteuererklärung 2014 unter anderem Prämien für eine private Krankenversicherung als Werbungskosten geltend.
2 Die Prämien wurden bei der Einkommensteuerveranlagung 2014 vom Finanzamt zunächst als Werbungskosten anerkannt.
3 Aufgrund einer - wegen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht mehr strittiger Punkte erhobenen - Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2014 erließ das Finanzamt eine Beschwerdevorentscheidung, in der es die Prämien für die Krankenversicherung nicht als Werbungskosten anerkannte. Zur Begründung führte es aus, Versicherungsbeiträge könnten nur Berücksichtigung finden, wenn der Arbeitnehmer zu deren Zahlung verpflichtet sei. Die in Rede stehende Krankenversicherung sei von der Lebensgefährtin des Mitbeteiligten als Versicherungsnehmerin abgeschlossen worden. Die von der Lebensgefährtin geleisteten Versicherungsbeiträge könnten nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden.
4 Der Mitbeteiligte beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde - soweit sie die Berücksichtigung der Prämien für die private Krankenversicherung betraf - statt. Es stellte fest, der Mitbeteiligte habe im Streitjahr Einkünfte aus selbständiger Arbeit und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Grenzgänger in der Schweiz bezogen. Er habe über einen Krankenversicherungsschutz bei der privaten inländischen X Versicherung verfügt. Als Versicherungsnehmerin scheine die Lebensgefährtin des Mitbeteiligten auf. Der auf den Mitbeteiligten entfallende Prämienanteil habe sich im Streitjahr auf 2.442,78 € belaufen.
6 In rechtlicher Würdigung des festgestellten Sachverhalts führte das Bundesfinanzgericht aus, nicht strittig sei die grundsätzliche Abzugsfähigkeit der Versicherungsbeiträge von in der Schweiz berufstätigen Grenzgängern, die an ein privates Versicherungsunternehmen in Österreich als Krankenversicherungsbeiträge entrichtet würden, als Werbungskosten.
7 Nach Lehre und Rechtsprechung knüpften steuerliche Tatbestände nicht ausschließlich an formalrechtliche Gestaltungsvarianten an. Das Ertragsteuerrecht sei von der wirtschaftlichen Betrachtungsweise geprägt. Ausschlaggebend sei das tatsächliche Geschehen, nicht allein die zivilrechtliche Gestaltung eines Vertrages. In wirtschaftlicher Betrachtung könne sich eine Abweichung von der rechtlichen Gestaltung ergeben.
8 Die in § 21 Abs. 1 BAO normierte wirtschaftliche Betrachtungsweise sei nicht als einseitig fiskalisch orientiertes Instrument aufzufassen. Das Finanzamt sei dazu verhalten, auf das tatsächliche Geschehen abzustellen, gleichgültig, ob der zwingend gebotene „Durchgriff“ fiskalisch günstig oder ungünstig sei, und gleichgültig, ob durch die gewählte, dem Tatsächlichen nicht entsprechende formale Gestaltung Abgabenersparnisse beabsichtigt gewesen seien oder nicht.
9 Umgelegt auf den Streitfall sei aus all dem abzuleiten:
10 Die Gestaltungsvariante, wonach die Lebensgefährtin des Mitbeteiligten in zivilrechtlicher Hinsicht als Versicherungsnehmerin der beide Partner umfassenden Krankenversicherung aufscheine, könne dem Mitbeteiligten nicht zum Nachteil gereichen. Dieser habe über Ersuchen des Bundesfinanzgerichts Unterlagen nachgereicht, die glaubhaft machten, dass er den auf ihn entfallenden Prämienanteil selbst trage.
11 Beiträge des Versicherten zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung zählten gemäß § 16 Abs. 1 Z 4 lit. a EStG 1988, zu den Werbungskosten. Gemäß § 16 Abs. 1 Z 4 lit. g EStG 1988 zählten dazu auch Beiträge von Grenzgängern zu einer inländischen oder ausländischen gesetzlichen Krankenversicherung. Die Krankenversicherungsbeiträge seien somit als Werbungskosten zu berücksichtigen.
12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des Finanzamts, zu der die mitbeteiligte Partei nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung erstattet hat.
13 Die Amtsrevision trägt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesfinanzgericht habe an eine private Krankenversicherung geleistete Krankenversicherungsbeiträge eines Grenzgängers unter § 16 Abs. 1 Z 4 lit. g EStG 1988 subsumiert. Nach dieser Bestimmung seien Krankenversicherungsbeiträge eines Grenzgängers zu einer inländischen oder ausländischen gesetzlichen Krankenversicherung als Werbungskosten zu berücksichtigen. Die in Rede stehenden Beiträge seien an eine private Krankenversicherung bezahlt worden. Sie fielen unter die Bestimmung des § 16 Abs. 1 Z 4 lit. e EStG 1988 und könnten nur der Höhe nach begrenzt als Werbungskosten geltend gemacht werden. Es liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Frage vor.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
15 Die Revision ist zulässig und begründet.
16 § 16 EStG 1988 in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 132/2002, lautet auszugsweise:
„§ 16. (1) Werbungskosten sind die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen. Aufwendungen und Ausgaben für den Erwerb oder Wertminderungen von Wirtschaftsgütern sind nur insoweit als Werbungskosten abzugsfähig, als dies im folgenden ausdrücklich zugelassen ist. Hinsichtlich der durchlaufenden Posten ist § 4 Abs. 3 anzuwenden. Werbungskosten sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind. Werbungskosten sind auch:
[...]
4. 4. a) Beiträge des Versicherten zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung.
[...]
e) Pflichtbeiträge zu Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen, soweit diese Einrichtungen der Kranken-, Unfall-, Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung dienen; weiters Beiträge zu einer inländischen gesetzlichen Krankenversicherung sowie Beiträge zu einer Krankenversicherung auf Grund einer in- oder ausländischen gesetzlichen Versicherungspflicht. Beiträge zu Einrichtungen, die der Krankenversorgung dienen, Beiträge zu inländischen gesetzlichen Krankenversicherungen sowie Beiträge zu einer Krankenversicherung auf Grund einer in- oder ausländischen gesetzlichen Versicherungspflicht sind nur insoweit abzugsfähig, als sie der Höhe nach insgesamt Pflichtbeiträgen in der gesetzlichen Sozialversicherung entsprechen.
[...]
g) Beiträge von Grenzgängern zu einer inländischen oder ausländischen gesetzlichen Krankenversicherung. Grenzgänger sind im Inland ansässige Arbeitnehmer, die im Ausland ihren Arbeitsort haben und sich in der Regel an jedem Arbeitstag von ihrem Wohnort dorthin begeben. [...]“
17 Der Mitbeteiligte hat im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Grenzgänger in der Schweiz bezogen und über eine Krankenversicherung bei der privaten X Versicherung verfügt. Seine Versicherungsbeiträge haben sich auf 2.442,78 € belaufen und wurden vom Bundesfinanzgericht gemäß § 16 Abs. 1 Z 4 lit. g EStG 1988 in voller Höhe als Werbungskosten berücksichtigt.
18 Unter § 16 Abs. 1 Z 4 lit. g EStG 1988 sind Beiträge von Grenzgängern zu einer inländischen oder ausländischen gesetzlichen Krankenversicherung zu subsumieren. Solche liegen im Revisionsfall unstrittig nicht vor, zumal es sich bei der X Versicherung um ein privates Versicherungsunternehmen mit Sitz in Österreich handelt. Die Beiträge könnten - worauf vom Finanzamt in der Revision zutreffend hingewiesen wird - aufgrund der Bestimmung des § 16 Abs. 1 Z 4 lit. e EStG 1988 als Werbungskosten zu berücksichtigen sein, soweit sie auf Grund einer in- oder ausländischen gesetzlichen Versicherungspflicht geleistet worden sind und der Höhe nach insgesamt Pflichtbeiträgen in der gesetzlichen Sozialversicherung entsprechen (zur Betragsbeschränkung vgl. ). Feststellungen dazu traf das Bundesfinanzgericht in Verkennung der Rechtslage nicht.
19 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021150032.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
RAAAF-45693