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VwGH 27.09.2023, Ra 2021/01/0195

VwGH 27.09.2023, Ra 2021/01/0195

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
ZustG §2 Z1
ZustG §5
ZustG §9 Abs3
RS 1
Ist auf der Zustellverfügung ein Zustellungsbevollmächtigter als Empfänger zu bezeichnen, reicht die Adressierung an die Partei zu Handen des Zustellungsbevollmächtigten aus (vgl. , und ).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2018/16/0136 E RS 3
Normen
ZustG §7
ZustG §9 Abs3
RS 2
Der Zustellmangel, dass der Zustellungsbevollmächtigte von der Behörde fälschlicherweise nicht als Empfänger bezeichnet wird, kann dadurch heilen, dass das zuzustellende Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zukommt (vgl. die Materialien zum Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007, BGBl. I Nr. 5/2008 [ErläutRV 294 BlgNR 23. GP 18]; vgl. ).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2020/22/0102 E RS 2
Normen
VwGG §46
VwGVG 2014 §33
RS 3
Ein Rechtsirrtum kann ein Ereignis darstellen, das einen Antragsteller daran hindert, eine Frist zu wahren. Demnach kann ein Rechtsirrtum einen Wiedereinsetzungsgrund bilden, wenn die weiteren Voraussetzungen, insbesondere mangelndes oder leichtes Verschulden, vorliegen. Unkenntnis einer neuen Gesetzeslage durch einen beruflichen Parteienvertreter stellt beispielsweise regelmäßig keinen minderen Grad des Versehens dar, doch könnten fallbezogen Umstände vorliegen, die ein grobes Verschulden ausschließen (vgl. etwa , mwN; zum insoweit strengeren Maßstab bei beruflichen und rechtskundigen Parteienvertretern siehe , mwN).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2018/04/0147 B RS 2 (hier: ohne den letzten Satz)
Normen
ABGB §1332
VwGG §46 Abs1
ZustG §7
ZustG §9 Abs1
ZustG §9 Abs3
RS 4
Bei einer rechtskundige Parteienvertreterin ist bei der Beurteilung des Verschuldens an der Versäumung einer Frist ein strengerer Maßstab anzulegen (vgl. etwa zur Qualifikation von Rechtsberatern im Sinne des § 48 BFA-VG idF vor Inkrafttreten des BBU-Errichtungsgesetzes, BGBl. I Nr. 53/2019, als rechtskundige Parteienvertreter, an die ein strengerer Maßstab anzulegen ist, , Rn. 18). Deren unrichtige Beurteilung des Zeitpunkts der wirksamen Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses gründet sich auf die Außerachtlassung der Heilung des Zustellmangels gemäß § 7 ZustG. Die Unkenntnis dieser Rechtslage und der daraus folgende Rechtsirrtum über den Zeitpunkt der rechtswirksamen Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses ist angesichts des strengen Sorgfaltsmaßstabs für rechtskundige Parteienvertreter nicht als nur ein Versehen minderen Grads zu qualifizieren.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Mag. Brandl sowie Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über 1. den Antrag der J E E in W, vertreten durch Dr. Eva Jana Messerschmidt, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Freyung 6/7/2, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. I412 2186497-1/8E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005, und 2. in der Revisionssache gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

II. Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag der Revisionswerberin, einer Staatsangehörigen von Nigeria, auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status sowohl einer Asylberechtigten als auch einer subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung der Revisionswerberin nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III.), und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt IV.).

2 Am erteilte das Amt für Jugend und Familie des Magistrats der Stadt Wien als gesetzlicher Vertreter der damals noch minderjährigen Revisionswerberin der „Caritas der Erzdiözese Wien Asylrechtsberatung“ Vollmacht zur Einbringung einer Beschwerde gegen den Bescheid des BFA.

3 Die daraufhin erhobene Beschwerde der Revisionswerberin wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis in Bezug auf Spruchpunkt I. (Abweisung des Antrags auf Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten) als unbegründet ab (Spruchpunkt A I.). Im Übrigen gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde statt, erkannte der Revisionswerberin den Status einer subsidiär Schutzberechtigten unter Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres zu (Spruchpunkt A II.), behob die sonstigen Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos (Spruchpunkt A III.) und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

4 Vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses legte die zu diesem Zeitpunkt bereits volljährige Revisionswerberin dem Verwaltungsgericht mit der schriftlichen Stellungnahme vom eine schriftliche Vollmacht vom vor, mit der die Revisionswerberin „M A Caritas Wien der Erzdiözese Wien Rechtsberatung Mariannengasse 11, 1090 Wien“ mit der Vertretung „in sämtlichen verwaltungs- und verwaltungsstrafrechtlichen Angelegenheiten insbesondere nach dem AsylG“ und zur Entgegennahme sämtlicher in diesen Angelegenheiten ergangenen Entscheidungen bevollmächtigte.

5 Das Verwaltungsgericht verfügte die Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses vom an die Vertreterin der Revisionswerberin „M A, Caritas Wien der Erzdiözese Wien“ mittels „RSb“. Demgegenüber war jedoch die RSb-Sendung der zuzustellenden Entscheidungsausfertigung an die „Caritas der Erzdiözese Wien, Asylrechtsberatung Mariannengasse 11, 1090 Wien“ als Empfängerin gerichtet. Die Entscheidungsausfertigung wurde von einem Arbeitnehmer der Caritas der Erzdiözese Wien am übernommen.

6 Mit Schreiben vom teilte M A dem Verwaltungsgericht mit, dass „die Parteiv[b]ezeichnung mit ‚Caritas der ED Wien‘ nicht ganz vollständig und somit ... die Entscheidung möglicherweise nicht erlassen“ sei, weil sie namentlich bevollmächtigt worden sei. Dieser Mangel sei nicht heilbar. Damit ihre „Klientin in der Zukunft keine Probleme bekommen sollte, ersuche“ sie „um eine Berichtigung der Bezeichnung auf M A, Caritas der ED Wien“.

7 Daraufhin verfügte das Verwaltungsgericht nochmals die Zustellung einer Ausfertigung des angefochtenen Erkenntnisses an die „BFV“ „M A, Caritas Wien der Erzdiözese Wien, Mariannengasse 11, 1090 Wien“ mittels „RSb“ mit dem Vermerk „Bitte unbedingt wie hier angeführt abfertigen!“. Die neuerliche RSb-Sendung war an „M A, Caritas der Erzdiözese Wien, Asylrechtsberatung, Mariannengasse 11, 1090 Wien“ als Empfängerin gerichtet und wurde am von einem Arbeitnehmer der Caritas der Erzdiözese Wien übernommen.

8 Die vorliegende außerordentliche Revision wurde am per ERV beim Verwaltungsgericht eingebracht und richtet sich ausschließlich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses.

9 Über Verspätungsvorhalt des Verwaltungsgerichtshofes vom beantragte die Revisionswerberin innerhalb der ihr eingeräumten vierzehntägigen Stellungnahmefrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Revision. Gleichzeitig übermittelte sie erneut die außerordentliche Revision.

10 Zum Wiedereinsetzungsantrag bringt die Revisionswerberin zusammengefasst vor, die von der Revisionswerberin bevollmächtigte Rechtsberaterin der Caritas der Erzdiözese Wien sei wegen der falschen Empfängerbezeichnung von einem Zustellfehler ausgegangen. Der Rechtsberaterin sei nicht bewusst gewesen, dass die Zustellverfügung trotz der falschen Empfängerbezeichnung korrekt sein solle. Auch das Verwaltungsgericht, mit dem sie unmittelbar nach Erhalt des Erkenntnisses in Kontakt getreten sei, habe sie nicht auf die korrekte Zustellverfügung und den Umstand der Heilung durch tatsächliches Zukommen aufmerksam gemacht. Die Rechtsberaterin habe deshalb das Verwaltungsgericht um neuerliche Zustellung mit korrekter Empfängerbezeichnung ersucht. Das angefochtene Erkenntnis sei daraufhin am an die Rechtsberaterin nunmehr mit korrekter Empfängerbezeichnung zugestellt worden. Die Rechtsberaterin sei deshalb davon ausgegangen, dass die rechtsgültige Zustellung des Erkenntnisses am erfolgt sei. Sie habe daher diesen Tag als Zustelldatum der nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertreterin der Revisionswerberin mitgeteilt. Die Berechnung der Revisionsfrist sei auf Basis dieses Datums erfolgt und die Revision deshalb am eingebracht worden.

Diese Umstände würden für die Revisionswerberin ein unabwendbares bzw. unvorhergesehenes Ereignis darstellen. Die von der Revisionswerberin bevollmächtigte Rechtsberaterin sei eine sehr bewährte und besonders gewissenhafte Juristin der Beratungsstelle Asylrechtsberatung der Caritas Wien mit langjähriger Berufserfahrung. Bei ihrem Irrtum über den Inhalt der Zustellverfügung und die Wirksamkeit der ersten Zustellung handle es sich lediglich um ein Versehen minderen Grades, zumal das Verwaltungsgericht, als die Rechtsberaterin das Verwaltungsgericht auf den Zustellfehler aufmerksam gemacht habe, sie nicht auf die korrekte Zustellverfügung und die Heilung des Zustellmangels durch tatsächliches Zukommen des angefochtenen Erkenntnisses hingewiesen habe. Die Revisionswerberin habe sich nicht einer offensichtlich untauglichen Beraterin anvertraut. Ihr könne kein Verschulden an der Versäumung der Revisionsfrist angelastet werden.

Der nunmehrigen Rechtsvertreterin sei der erste Zustellvorgang nicht bekannt gegeben worden. Aufgrund der langjährigen, reibungslosen Zusammenarbeit mit der Rechtsberaterin der Caritas Wien habe die nunmehrige Rechtsvertreterin von einer korrekten Auskunft über den Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses ausgehen können.

Die Revisionswerberin habe erst mit Zustellung des Verspätungsvorhalts am von einer möglichen rechtswirksamen Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses bereits am und daraus folgend von einer „eventuellen Verspätung der außerordentlichen Revision“ Kenntnis erlangt und innerhalb der vierzehntägigen Frist nach Wegfall des Hindernisses den Wiedereinsetzungsantrag eingebracht.

11 Gemäß § 9 Abs. 1 ZustG können, soweit in den Verfahrensvorschriften nicht anderes bestimmt ist, die Parteien und Beteiligten andere natürliche oder juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften gegenüber der Behörde zur Empfangnahme von Dokumenten bevollmächtigen (Zustellungsvollmacht). Gemäß § 9 Abs. 3 ZustG hat die Behörde, wenn ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt ist, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist.

12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat das aufrechte Bestehen einer Zustellvollmacht (Zustellungsvollmacht) zur Folge, dass ab deren Vorliegen nur mehr an den Zustellungsbevollmächtigten und nicht mehr an den Vertretenen selbst zuzustellen ist. Der Zustellungsbevollmächtigte ist in der Zustellverfügung als Empfänger zu bezeichnen, wobei eine Adressierung an die Partei zu Handen des Zustellungsbevollmächtigten ausreicht. Ein diesbezüglicher Zustellmangel - wenn der Zustellungsbevollmächtigte also fälschlicherweise nicht als Empfänger bezeichnet wird - kann dadurch heilen, dass das zuzustellende Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zukommt (vgl. zu alldem bis 0104, mwN).

13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gilt als „Empfänger“ im Sinn dieser Bestimmung die Person, die in der Zustellverfügung als Empfänger angegeben worden ist („formeller Empfängerbegriff“) (vgl. etwa bis 0045, Rn. 25, mwN).

14 Vorliegend hat die Revisionswerberin im Beschwerdeverfahren „M A Caritas Wien der Erzdiözese Wien Rechtsberatung Mariannengasse 11, 1090 Wien“ mit der Vertretung „in sämtlichen verwaltungs- und verwaltungsstrafrechtlichen Angelegenheiten insbesondere nach dem AsylG“ und mit der Entgegennahme sämtlicher in diesen Angelegenheiten ergangenen Entscheidungen bevollmächtigt. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht richtigerweise gemäß § 9 Abs. 3 erster Satz ZustG M A, die Vertreterin und Zustellungsbevollmächtigte der Revisionswerberin, in der Zustellverfügung betreffend das angefochtene Erkenntnis als Empfängerin bezeichnet. Insofern liegt keine fehlerhafte Bezeichnung einer Person als Empfänger in der Zustellverfügung und kein Zustellmangel im Sinne des § 9 Abs. 3 zweiter Satz ZustG vor.

15 Die erstgenannte RSb-Sendung mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde jedoch entgegen der Zustellverfügung nicht an die Zustellungsbevollmächtigte, sondern an die „Caritas der Erzdiözese Wien, Asylrechtsberatung“ adressiert und von einem Arbeitnehmer der Caritas der Erzdiözese Wien am übernommen.

16 Unterlaufen im Verfahren der Zustellung - wie vorliegend - Mängel, so gilt die Zustellung gemäß § 7 ZustG in dem Zeitpunkt dennoch als bewirkt, in dem das Dokument dem in der Zustellverfügung bezeichneten Empfänger tatsächlich zugekommen ist.

17 Der Zustellungsbevollmächtigten ist das Erkenntnis nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag und nach der Aktenlage tatsächlich (spätestens) am zugekommen, wodurch der Zustellmangel gemäß § 7 ZustG heilte. Das angefochtene Erkenntnis wurde somit der Revisionswerberin (spätestens) am rechtswirksam zugestellt.

18 Die neuerliche Zustellung des Erkenntnisses an die Vertreterin der Revisionswerberin im Beschwerdeverfahren am löste hingegen gemäß § 6 ZustG keine Rechtswirkungen aus. Die sechswöchige Revisionsfrist endete somit am .

19 Ausgehend davon erweist sich die erst am per ERV beim Verwaltungsgericht eingebrachte außerordentliche Revision als verspätet.

20 Zu dem sich angesichts der Verspätung der Revision als zulässig erweisenden Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist ist auszuführen, dass gemäß § 46 Abs. 1 VwGG einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen ist. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

21 Die Revisionswerberin stützt ihren Antrag auf Wiedereinsetzung zusammengefasst auf einen Rechtsirrtum ihrer Rechtsvertreterin M A über die Korrektheit der Zustellverfügung trotz falscher Bezeichnung des Empfängers auf der Postsendung und Zustellung an diesen Empfänger sowie in der Folge über den Zeitpunkt der rechtswirksamen Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses, welcher Irrtum keinen groben Sorgfaltsverstoß darstelle.

22 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Rechtsirrtum ein Ereignis darstellen, das einen Antragsteller daran hindert, eine Frist zu wahren. Demnach kann ein Rechtsirrtum einen Wiedereinsetzungsgrund bilden, wenn die weiteren Voraussetzungen, insbesondere mangelndes oder leichtes Verschulden, vorliegen (vgl. etwa bis 0150, Rn. 12, mwN).

23 Nach ebenso ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff des minderen Grades des Versehens als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber - oder sein Vertreter - darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben; dabei ist an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige und bisher noch nie an einem gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen; die Einhaltung der Rechtsmittelfristen erfordert von der Partei oder ihrem Vertreter größtmögliche Sorgfalt. Das Verschulden des Parteienvertreters trifft die von diesem vertretene Partei (vgl. zu alldem etwa , Rn. 16 und 17, mwN).

24 Bei M A handelt es sich nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag um eine bei der Beratungsstelle für Asylwerber (Asylrechtsberatung) der Caritas Wien tätige „Juristin mit langjähriger Berufserfahrung“, somit um eine rechtskundige Parteienvertreterin, an der nach der wiedergegebenen Rechtsprechung bei der Beurteilung des Verschuldens ein strengerer Maßstab anzulegen ist (vgl. etwa zur Qualifikation von Rechtsberatern im Sinne des § 48 BFA-VG idF vor Inkrafttreten des BBU-Errichtungsgesetzes, BGBl. I Nr. 53/2019, als rechtskundige Parteienvertreter, an die ein strengerer Maßstab anzulegen ist, , Rn. 18).

25 Deren unrichtige Beurteilung des Zeitpunkts der wirksamen Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses gründet sich auf die Außerachtlassung der Heilung des Zustellmangels gemäß § 7 ZustG, die dadurch bewirkt wurde, dass das zuzustellende Schriftstück M A (spätestens) am zugekommen ist. Die Unkenntnis dieser Rechtslage und der daraus folgende Rechtsirrtum über den Zeitpunkt der rechtswirksamen Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses ist angesichts des strengen Sorgfaltsmaßstabs für rechtskundige Parteienvertreter nicht als nur ein Versehen minderen Grads zu qualifizieren.

26 Da der rechtskundigen Parteienvertreterin der Revisionswerberin im Beschwerdeverfahren an der Versäumung der Revisionsfrist ein Verschulden von nicht bloß minderem Grad im Sinne des § 46 Abs. 1 zweiter Satz VwGG anzulasten ist, war der Antrag auf Wiedereinsetzung abzuweisen.

27 Dies hat zur Folge, dass die - wie oben dargestellt - verspätet erhobene Revision gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist zurückzuweisen war.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
ABGB §1332
VwGG §46
VwGG §46 Abs1
VwGVG 2014 §33
ZustG §2 Z1
ZustG §5
ZustG §7
ZustG §9 Abs1
ZustG §9 Abs3
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021010195.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
WAAAF-45408