VwGH 13.06.2022, Ra 2021/01/0042
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Die Verleihung der Staatsbürgerschaft und die Erstreckung der Verleihung sind als jeweils rechtlich selbständige Entscheidungen anzusehen und gesondert je für sich zu beurteilen (vgl. , Rn. 21). Dies gilt auch für Bescheide über die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens sowie der einzelnen Erstreckungsverfahren. |
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RS 2 | Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung in dem Zeitpunkt dennoch als bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist (vgl. § 7 ZustG). Nach der Rechtsprechung des VwGH gilt als "Empfänger" im Sinn dieser Bestimmung jedoch nicht die Person, für die das Dokument inhaltlich bestimmt ist, sondern die Person, die in der Zustellverfügung als Empfänger angegeben worden ist ("formeller Empfängerbegriff"). Die fehlerhafte Bezeichnung einer Person als Empfänger in der Zustellverfügung kann demnach nicht heilen (vgl. , Rn. 28, mwN). Wenn die Kenntnisnahme des Schriftstücks (ohne tatsächliches Zukommen) nicht genügt, dann saniert auch der Umstand, dass ein Rechtsmittel gegen das Schriftstück eingebracht wird, die fehlende Zustellung nicht (vgl. etwa , Rn. 16, mwN). |
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RS 3 | Die fehlerhafte Bezeichnung einer Person als Empfänger in der Zustellverfügung kann nach der Rechtsprechung des VwGH nicht heilen (vgl. , mwN). Ein mangelhafter und dementsprechend gesetzwidriger Zustellvorgang steht einer rechtswirksamen Zustellung entgegen. Er löst den Beginn der Rechtsmittelfrist nicht aus (vgl. , mwN). Im Einparteienverfahren (als solches stellt sich hier das behördliche Verwaltungsverfahren dar) setzt die Erhebung einer Beschwerde aber zwingend die Erlassung eines damit angefochtenen Bescheides voraus (vgl. , mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2020/14/0418 E RS 1 (hier ohne den ersten Satz) |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/01/0043
Ra 2021/01/0044
Ra 2021/01/0045
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Fasching sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision 1. des A D in B, 2. der R D 3. des mj. P D und 4. der mj. J D, die Zweit- bis Viertrevisionswerber in F, alle vertreten durch MMag. Dr. Franz Stefan Pechmann, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Prinz-Eugen-Straße 70/2/1.1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom , Zl. LVwG-451-6/2020-R12, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Vorarlberger Landesregierung),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde des Erstrevisionswerbers richtet, zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis in Bezug auf die Abweisung der Beschwerde der Zweitrevisionswerberin, des Drittrevisionswerbers und der Viertrevisionswerberin wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.
Der Antrag der Zweitrevisionswerberin, des Drittrevisionswerbers und der Viertrevisionswerberin auf Kostenersatz wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung (belangte Behörde) vom wurde dem Erstrevisionswerber gemäß § 11a Abs. 4 Z 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen und diese Verleihung gemäß § 16 StbG auf dessen (damalige) Ehegattin, die Zweitrevisionswerberin, sowie gemäß § 17 Abs. 1 Z 2 StbG auf deren gemeinsame minderjährige Kinder, den Drittrevisionswerber und die Viertrevisionswerberin, erstreckt.
2 Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde das Verleihungs- und Erstreckungsverfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 3 AVG zum Zeitpunkt vor der Verleihung wieder aufgenommen.
3 Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, der Erstrevisionswerber sei mit Urteil des Landesgerichts Steyr vom wegen des Vorwurfs, am als Kandidat einer beim österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) abzulegenden Sprachprüfung (B1) 1. näher genannter zertifizierter Prüferin für Sprachprüfungen beim ÖIF für die pflichtwidrige Vornahme eines Amtsgeschäftes, und zwar die entgegen der Prüfungsordnung vorgenommenen nachträglichen Berichtigungen einer Vielzahl von falschen (Multiple Choice-)Testantworten, zumindest € 400,-- gewährt zu haben; 2. die Prüferin durch die unter Punkt 1. genannte Handlung der Bezahlung von Bestechungsgeld dazu bestimmt zu haben, eine Urkunde, über die diese nicht oder nicht allein verfügen hätte dürfen, nämlich den vom ÖIF ausgegebenen und vom Erstrevisionswerber nach Ende der Prüfung abgegebenen Prüfungsbogen, zu beschädigen, indem sie nachträglich Berichtigungen falscher (Multiple Choice-)Testantworten von ihm (betreffend der Testteile „Hören“ und „Lesen“) durch Radieren und sodann Ankreuzen der richtigen Antworten vorgenommen habe, wobei sie mit dem Vorsatz gehandelt habe, zu verhindern, dass die ursprüngliche Urkunde im Rechtsverkehr, und zwar beim ÖIF anlässlich der Auswertung der Prüfungsergebnisse, zum Beweis eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache, nämlich der tatsächlichen, für das in der Sprachprüfung angestrebte Niveau keinesfalls ausreichenden Deutschkenntnisse des Erstrevisionswerbers gebraucht werde; zu 1. wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach §§ 12 2. Fall, 229 Abs. 1 StGB und zu 2. wegen des Vergehens der Bestechung nach § 307 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitstrafe von 5 Monaten bedingt auf 3 Jahre Probezeit verurteilt worden. Dadurch habe der Erstrevisionswerber im Verleihungsverfahren Deutschkenntnisse iSd § 10a Abs. 1 Z 1 StbG vorgetäuscht und die Verleihung der Staatsbürgerschaft erst überhaupt ermöglicht. Es liege somit der Wiederaufnahmegrund der „Erschleichung“ gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG vor. Die Wiederaufnahme sei angesichts dessen, dass dem Erstrevisionswerber nach Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 ff Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) möglich sei und er als noch immer irakischer Staatsangehöriger nicht staatenlos wäre, nicht unverhältnismäßig. Dies gelte auch für die weiteren revisionswerbenden Parteien.
4 Dagegen erhoben die revisionswerbenden Parteien Beschwerde, der das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis keine Folge gab, wobei es eine Revision für unzulässig erklärte.
5 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, das Verwaltungsgericht sei an die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung des Erstrevisionswerbers gebunden. Im Hinblick auf diese Verurteilung lägen alle Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verleihungs- und Erstreckungsverfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 3 AVG vor.
6 Der Erstrevisionswerber sei wie die Zweitrevisionswerberin im Jänner 2008 nach Österreich gekommen und ihnen jeweils mit Bescheid des Bundesasylamtes vom Asyl gewährt worden. Der zwischenzeitig von der Zweitrevisionswerberin geschiedene Erstrevisionswerber wohne seit ca. drei Jahren von der Zweit-, dem Dritt- und der Viertrevisionswerberin getrennt in der Schweiz. Er sei dort seit ca. einem Jahr beschäftigungslos.
Der Erstrevisionswerber habe die Straftat gerade zwecks Verleihung der Staatsbürgerschaft begangen. Eine auf diese Weise erschlichene Staatsbürgerschaft könne nicht zur Unverhältnismäßigkeit ihres Wegfalls durch ein wiederaufgenommenes Verfahren führen, zumal dieser Vorsatztat erhebliches Gewicht zukomme, das schwerer wiege als allfällige durch die zu Unrecht erlangte Staatsbürgerschaft begründete persönliche Interessen und Bindungen des Erstrevisionswerbers. Die Verlegung des Wohnsitzes in die Schweiz liege in dessen Verantwortungsbereich und begründe keine Unverhältnismäßigkeit. Im Übrigen werde der Erstrevisionswerber durch die Wiederaufnahme nicht staatenlos und es sei davon auszugehen, dass er einen Aufenthaltstitel in Österreich erhalten werde. Er könne sich auch um einen Aufenthaltstitel in der Schweiz bemühen. Die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens des Erstrevisionswerbers sei daher nicht unverhältnismäßig.
Die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens führe notwendigerweise zur Wiederaufnahme auch des Erstreckungsverfahrens wegen abweichender Vorfragenentscheidung. Für die mit ihren beiden Kindern weiterhin in Österreich lebende Zweitrevisionswerberin bestehe allerdings die Möglichkeit, selbst einen „Hauptantrag“ auf Verleihung der Staatsbürgerschaft (samt Erstreckung auf die Kinder) einzubringen.
Im Ergebnis lägen die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme vor.
7 Den Zulässigkeitsausspruch begründete das Verwaltungsgericht mit dem Bestehen von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu vergleichbaren Sachverhalten, von der nicht abgewichen worden sei.
8 Gegen dieses Erkenntnis erhoben die Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Mit Beschluss vom , E 3581/2020-7, lehnte der VfGH die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
9 Sodann erhoben die Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Die belangte Behörde erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof in Bezug das Revisionsverfahren der Zweit-, des Dritt- und der Viertrevisionswerberin eine Revisionsbeantwortung, worin sie die Zurück-, in eventu Abweisung der Revision begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Bescheide über die Verleihung und Erstreckung selbständige Bescheide, die nur insofern in einem Zusammenhang stehen, als die Rechtmäßigkeit der Erstreckung eine gleichzeitige Verleihung voraussetzt (vgl. etwa , Rn. 20, mwN). Die Verleihung der Staatsbürgerschaft und die Erstreckung der Verleihung sind als jeweils rechtlich selbständige Entscheidungen anzusehen und gesondert je für sich zu beurteilen (vgl. , Rn. 21). Dies gilt auch für Bescheide über - wie vorliegend - die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens sowie der einzelnen Erstreckungsverfahren. Insofern ist die Zulässigkeit der vorliegenden Revision für jeden Revisionswerber gesondert zu prüfen.
Zu Spruchpunkt I.:
11 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
14 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit in Bezug auf den Erstrevisionswerber vor, dass das Verwaltungsgericht selbst davon ausgegangen sei, der Erstrevisionswerber habe zum Zeitpunkt der Einbringung seines Verleihungsantrags über keinesfalls ausreichende Deutschkenntnisse verfügt. Auf Grund der offenkundig fehlenden Deutschkenntnisse wäre es für die belangte Behörde zumutbar gewesen, zusätzliche, der Feststellung der korrekten Deutschkenntnisse dienliche Erhebungen zu pflegen, bzw. der Umstand der mangelnden Deutschkenntnisse sei ohnehin offenkundig gewesen. Das Verwaltungsgericht sei diesbezüglich von näher dargestellter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach dieser Mangel es ausschließe, auch objektiv unrichtige Parteiangaben als ein Erschleichen des Bescheides iSd § 69 Abs. 1 Z 1 AVG zu werten.
15 Gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist.
16 Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt das „Erschleichen“ eines Bescheides vor, wenn dieser in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden und diese Angaben dann dem Bescheid zu Grunde gelegt worden sind, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist. Dabei muss die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Lage bestehen, dass ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen. Wenn es die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offen stehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben als ein Erschleichen des Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG zu werten (vgl. etwa , Rn. 9, mwN).
17 Die Revision hat in ihrem Zulässigkeitsvorbringen keine überzeugenden Anhaltspunkte dargelegt, weshalb die belangte Behörde an der Richtigkeit des vom Erstrevisionswerber im Verleihungsverfahren vorgelegten Zeugnisses des ÖIF über den bestandenen Deutschtest zweifeln hätte müssen und sie es deshalb verabsäumt habe, im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten von ihr offen stehenden Möglichkeiten zur Ermittlung der tatsächlich nicht vorhandenen ausreichenden Deutschkenntnisse Gebrauch zu machen.
18 Der Verwaltungsgerichtshof geht - dem EuGH folgend - in Fällen, in denen die Verleihung der Staatsbürgerschaft erschlichen wurde, von der Erwägung aus, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft nach Maßgabe des § 69 Abs. 1 Z 1 (iVm Abs. 3) AVG grundsätzlich zulässig ist. Die Staatsbürgerschaftsbehörde hat in derartigen Fällen jedoch zu prüfen, ob fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der österreichischen Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist; bei dieser Prüfung ist der Behörde ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, wobei es Sache des Verleihungswerbers ist, konkret darzulegen, dass die Behörde diesen Beurteilungsspielraum überschritten hat (vgl. etwa , Rn. 15 mwH, unter anderem auf , Rottmann, und , Tjebbes u.a.).
19 Entgegen dem weiteren Zulässigkeitsvorbringen der Revision hat das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung sehr wohl die konkrete Situation des Erstrevisionswerbers berücksichtigt. Das im Zulässigkeitsvorbringen behauptete Abweichen des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs liegt somit nicht vor. Vielmehr zeigt der Erstrevisionswerber nicht auf, dass das Verwaltungsgericht in seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung von den oben angeführten Leitlinien abgewichen ist.
20 Vor diesem Hintergrund werden in der Revision betreffend die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens des Erstrevisionswerbers keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Betreffend den Erstrevisionswerber war die Revision daher zurückzuweisen.
Zu Spruchpunkt II.:
21 Die Revision bringt hinsichtlich der Zweitrevisionswerberin, des Drittrevisionswerbers und der Viertrevisionswerberin zu ihrer Zulässigkeit vor, dass der Bescheid über die Wiederaufnahme des Verleihungs- und der Erstreckungsverfahren lediglich dem in der Zustellverfügung als Empfänger genannten Erstrevisionswerber zugestellt worden sei, nicht jedoch den übrigen revisionswerbenden Parteien, die auch nicht in der Zustellverfügung als Empfänger bezeichnet worden seien. Insofern scheide eine Heilung der jeweils nicht wirksamen Zustellung der selbständigen Bescheide über die Wiederaufnahme der Erstreckungsverfahren an die Zweitrevisionswerberin, den Drittrevisionswerber und die Viertrevisionswerberin gemäß § 7 Zustellgesetz (ZustG) aus. Das Verwaltungsgericht habe dadurch eine ihm vom Gesetz nicht zukommende Zuständigkeit wahrgenommen.
22 Bereits in der mündlichen Verhandlung vom vor dem Verwaltungsgericht bestritt die Zweitrevisionswerberin die rechtswirksame Zustellung dieses Bescheides.
23 Die Revision betreffend die Zweit-, den Dritt- und die Viertrevisionswerberin erweist sich aus den dargelegten Gründen als zulässig und berechtigt.
24 Nach der dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Aktenlage wurde der Bescheid der belangten Behörde vom über die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens des Erstrevisionswerbers und der Erstreckungsverfahren der übrigen Revisionswerber nur dem Erstrevisionswerber zugestellt. In der Zustellverfügung ist nur der Erstrevisionswerber angeführt, nicht jedoch auch die übrigen revisionswerbenden Parteien. Insofern ist die Zustellung des Wiederaufnahmebescheids an die Zweitrevisionswerberin, den Drittrevisionswerber und die Viertrevisionswerberin mangelhaft.
25 Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung in dem Zeitpunkt dennoch als bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist (vgl. § 7 ZustG). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gilt als „Empfänger“ im Sinn dieser Bestimmung jedoch nicht die Person, für die das Dokument inhaltlich bestimmt ist, sondern die Person, die in der Zustellverfügung als Empfänger angegeben worden ist („formeller Empfängerbegriff“). Die fehlerhafte Bezeichnung einer Person als Empfänger in der Zustellverfügung kann demnach nicht heilen (vgl. , Rn. 28, mwN). Wenn die Kenntnisnahme des Schriftstücks (ohne tatsächliches Zukommen) - wie vorliegend - nicht genügt, dann saniert auch der Umstand, dass ein Rechtsmittel gegen das Schriftstück eingebracht wird, die fehlende Zustellung nicht (vgl. etwa , Rn. 16, mwN).
26 Ein mangelhafter und dementsprechend gesetzwidriger Zustellvorgang steht einer rechtswirksamen Zustellung entgegen. Er löst den Beginn der Rechtsmittelfrist nicht aus. Im Einparteienverfahren (als solches stellt sich hier das behördliche Verwaltungsverfahren, wie in Rn. 9 oben aufgezeigt, dar) setzt die Erhebung einer Beschwerde aber zwingend die Erlassung eines damit angefochtenen Bescheides voraus (vgl. zu alldem , Rn. 18, mwN).
27 Die jeweils gegen die erstinstanzliche Wiederaufnahme der einzelnen Erstreckungsverfahren von der Zweitrevisionswerberin, des Drittrevisionswerbers und der Viertrevisionswerberin erhobenen Beschwerden waren daher mangels rechtsgültiger Erlassung eines zugrundeliegenden Bescheides als unzulässig anzusehen, sodass das Verwaltungsgericht verpflichtet gewesen wäre, die Beschwerden der Zweitrevisionswerberin, des Drittrevisionswerbers und der Viertrevisionswerberin jeweils zurückzuweisen. Für die Erlassung einer meritorischen Entscheidung über die Beschwerden mangelte es dem Verwaltungsgericht somit an der sachlichen Zuständigkeit (vgl. ; , 99/02/0102).
28 Das angefochtene Erkenntnis war daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat in Bezug auf die Abweisung der Beschwerde der Zweitrevisionswerberin, des Drittrevisionswerbers und der Viertrevisionswerberin gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufzuheben.
29 Der Antrag, „die Republik Österreich als Rechtsträger des belangten Verwaltungsgerichts“ zum Kostenersatz zu verpflichten, war abzuweisen, weil kostenersatzpflichtiger Rechtsträger im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG im vorliegenden Verfahren über die Wiederaufnahme der Erstreckungsverfahren das Land Vorarlberg wäre.
Wien, am
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Schlagworte | Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der Rechtswirkungen |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021010042.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
YAAAF-45403