VwGH 24.02.2021, Ra 2020/15/0105
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Norm | BAO §303 Abs1 litb |
RS 1 | Zweck der Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO ist die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen (vgl. ). Gemeint sind also Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (vgl. ). Das Neuhervorkommen von Tatsachen ist bei der beantragten Wiederaufnahme aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen (vgl. ). |
Norm | BAO §303 Abs1 litb |
RS 2 | Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , 88/14/0113, ausgesprochen, dass eine Bilanz, die erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens hergestellt worden ist, aus Sicht des Antragstellers weder eine neu hervorgekommene Tatsache, noch ein neu hervorgekommenes Beweismittel iSd § 303 BAO darstellt, weil sie erst nach dem Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstanden ist; als neu hervorgekommen könnten nur Belege beurteilt werden, deren Existenz der Antragstellerin nicht bekannt gewesen ist. In gleicher Weise bildet auch eine nachträglich erstellte Einnahmen-Ausgaben-Rechnung keine neu hervorgekommene Tatsache. |
Norm | BAO §303 Abs1 litb |
RS 3 | Die Erstellung von auf bereits vorhandenen und bekannten Belegen beruhenden Buchhaltungen, Jahresabschlüssen, Einnahmen-Ausgaben-Rechnungen sowie Steuererklärungen bewirkt nicht das Hervorkommen neuer Beweismittel im Sinne des § 303 BAO (vgl. ). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und den Hofrat Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der M Z in Y, vertreten durch die Steuern Kern SteuerberatungsgmbH, Steuerberatungsgesellschaft in 3107 St. Pölten, Kuefsteinstraße 28/5, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/5100473/2018, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren (Umsatzsteuer und Einkommensteuer 2013), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin erzielt Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Sie ermittelte dafür in der Vergangenheit den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG 1988.
2 Die Revisionswerberin wurde mit Bescheid vom zur Einkommensteuer 2013 und mit Bescheid vom zur Umsatzsteuer 2013 veranlagt. Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen erfolgte wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen im Schätzungswege gemäß § 184 BAO. Beide Bescheide erwuchsen in Rechtskraft.
3 Am stellte die Revisionswerberin Anträge auf Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2013, welche mit Bescheiden vom abgewiesen wurden, weil keine neuen Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen seien. Die Revisionswerberin erhob gegen die abweisenden Bescheide Beschwerde. Sie führte aus, dass im Zeitpunkt der schätzungsweisen Veranlagungen keine Aufzeichnungen und kein „Jahresabschluss“ (gemeint: Einnahmen-Ausgaben-Rechnung) vorgelegen seien. Die einzelnen Sachverhalte und auch die Belege seien schon gegeben gewesen. Es seien jedoch damals keine Aufzeichnungen geführt worden. Daher hätten keine Steuererklärungen erstellt werden können. Die Aufzeichnungen, die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung und die Steuererklärungen seien erst von August 2015 bis Juli 2017 verfasst worden. Erst mit Erstellung der Steuererklärungen seien die Tatsachen, nämlich die Besteuerungsgrundlagen, aus Sicht der Revisionswerberin neu hervorgekommen.
4 Nach abweisender Beschwerdevorentscheidung stellte die Revisionswerberin einen Vorlageantrag, in dem sie vorbrachte, dass es sich bei dem „berichtigten Jahresabschluss 2013“ (gemeint: Einnahmen-Ausgaben-Rechnung für 2013) um einen Antrag auf Bilanzberichtigung gemäß § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 handle, welcher auch bei der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung möglich sei.
5 Das Bundesfinanzgericht wies die Beschwerde mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges führte es aus, die Verfahren betreffend Einkommen- und Umsatzsteuer 2013 seien zum Zeitpunkt der Einbringung des Wiederaufnahmeantrages bereits rechtskräftig erledigt, aber noch nicht verjährt und somit grundsätzlich einer Wiederaufnahme zugänglich gewesen. Die Aufzeichnungen, die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung und die Steuererklärungen für das Jahr 2013 seien erst im Zeitraum von August 2015 bis Juli 2017 erstellt worden. Bei den zugrundeliegenden Sachverhalten und Belegen seien keine neuen Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen. Habe der Abgabenpflichtige im Bescheiderlassungszeitpunkt bereits Kenntnis von diesen Tatsachen oder Beweismitteln gehabt, sei ein Antrag auf Wiederaufnahme als unbegründet abzuweisen. Im vorliegenden Fall sei der Umstand des Unterbleibens von Aufzeichnungen der Revisionswerberin bekannt gewesen. Bei den bisher nicht berücksichtigten Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben handle es sich um solche, die der Revisionswerberin im abgeschlossenen Verfahren bereits bekannt gewesen sein mussten und die von ihr somit rechtzeitig hätten geltend gemacht werden können. Das Wiederaufnahmeverfahren habe nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren, sondern solle die Möglichkeit bieten, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen. Ein auf § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 gestütztes Vorgehen setze voraus, dass ein Fehler nur auf Grund der bereits eingetretenen Verjährung nicht mehr steuerwirksam berichtigt werden könne. Die Voraussetzungen für die Anwendung des § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 seien im gegenständlichen Fall nicht gegeben.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, es liege ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor, weil es sich bei der Vorlage der Aufzeichnungen und des Jahresabschlusses (gemeint: der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung) um neu hervorgekommene Tatsachen handle. Zudem fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf die Anordnung zur Bilanzberichtigung „im Zusammenhang mit der entsprechenden verfahrensrechtlichen Norm der BAO, der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO, dem Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln“. Es stelle sich die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, ob die Belegsammlung einer Aufzeichnung gleichzusetzen sei und der Jahresabschluss (gemeint: die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung) eine neu hervorgekommene Tatsache darstelle.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung allein oder iVm dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften (vgl. , mwN).
11 Zweck der Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO ist die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen (vgl. ). Gemeint sind also Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung „im abgeschlossenen Verfahren“ bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (vgl. ). Das Neuhervorkommen von Tatsachen ist bei der beantragten Wiederaufnahme aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen (vgl. ).
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , 88/14/0113, bereits ausgesprochen, dass eine Bilanz, die erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens hergestellt worden ist, aus Sicht des Antragstellers weder eine neu hervorgekommene Tatsache noch ein neu hervorgekommenes Beweismittel iSd § 303 BAO darstellt, weil sie erst nach dem Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstanden ist; als neu hervorgekommen könnten nur Belege beurteilt werden, deren Existenz der Revisionswerberin nicht bekannt gewesen ist. In gleicher Weise bildet auch eine nachträglich erstellte Einnahmen-Ausgaben-Rechnung keine neu hervorgekommene Tatsache.
13 Die Revision verweist in diesem Zusammenhang auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 93/14/0233, in dem der Gerichtshof ausgesprochen hat, dass das Nichtvorliegen einer Buchhaltung bzw. das Fehlen vorzulegender Geschäftsunterlagen als neu hervorgekommene Tatsachen beurteilt werden könnten. Sie übersieht dabei, dass nach dem jenem - eine amtswegige Wiederaufnahme betreffenden - Erkenntnis zugrunde liegenden Sachverhalt die Tatsachen des Nichtführens einer Buchhaltung und des Nichtvorhandenseins erforderlicher Geschäftsunterlagen im Zeitpunkt der Erlassung des maßgeblichen Bescheides bereits existent gewesen und erst nachträglich dem Finanzamt bekannt geworden waren, sodass das für eine amtswegige Wiederaufnahme erforderliche „neue Hervorkommen“ aus der Sicht des Finanzamtes gegeben war. Im gegenständlichen Fall behauptet die Revisionswerberin demgegenüber gar nicht, die Tatsache des Fehlens einer Einnahmen-Ausgaben-Rechnung wäre neu hervorgekommen. Außerdem hätte die Tatsache der Nichterstellung der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung, wäre sie bekannt gewesen, nicht iSd § 303 Abs. 1 BAO einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt, weil gerade das Unterbleiben der Einreichung der Steuererklärungen und damit das Fehlen der Besteuerungsgrundlagen zur Schätzung geführt haben, welche den Bescheiden betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2013 zugrunde liegt.
14 Dass der Revisionswerberin die Existenz von Belegen, die neu hervorkommende Tatsachen im Sinne des § 303 BAO bilden könnten, nicht bekannt gewesen wäre, wird im Wiederaufnahmeantrag nicht dargetan und auch in der Revision nicht behauptet. Die Erstellung von auf bereits vorhandenen und bekannten Belegen beruhenden Buchhaltungen, Jahresabschlüssen, Einnahmen-Ausgaben-Rechnungen sowie Steuererklärungen bewirkt nicht das Hervorkommen neuer Beweismittel im Sinne des § 303 BAO (vgl. nochmals ).
15 Soweit die Revision vorbringt, dass es keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage gebe, ob zur Durchführung einer Bilanzberichtigung gemäß § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 einem Wiederaufnahmeantrag stattzugeben sei, ist darauf zu verweisen, dass die Voraussetzungen einer Wiederaufnahme des Verfahrens abschließend in §§ 303 ff BAO geregelt sind und hiezu eine (reichhaltige) Rechtsprechung besteht.
16 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Norm | BAO §303 Abs1 litb |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020150105.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
UAAAF-45345